Rückblick der GEW Bayern: Schulen am Limit – Chaos in der Führung
(München) - In der GEW Bayern blickt man auf ein Schuljahr zurück, das vor allem von strukturellen Herausforderungen und heftigen Belastungen der Lehrkräfte geprägt war. Allen voran der Fachkräftemangel machte ein nachhaltiges Lehren und Lernen vielerorts unmöglich. Dazu kam ein Ministerpräsident, der seiner autoritären Linie treu blieb und dem Kultusministerium wiederholt in die Arbeit grätschte.
Buntes Maßnahmen-Potpourri gegen die Personalnot
Die Personalnot ist groß und welche Folgen die zahlreichen Maßnahmen zur Sicherung der Unterrichtsversorgung mittel- und langfristig haben, ist nicht absehbar. Zweitqualifikationen, Quereinstieg und die große Gruppe der sogenannten Substitutionskräfte verändern die Personalstrukturen an den Schulen und haben Einfluss auf die Bildungsqualität. Noch nie war es so leicht in Bayern Lehrkraft zu werden. „Man war auch in diesem Schuljahr vielerorts dankbar um jede Hand, die irgendwie mit anpacken kann, aber gute Bildung lebt natürlich von der Qualifikation der Lehrkräfte und schulisch Beschäftigten“, sagt Martina Borgendale, Vorsitzende der GEW Bayern. „Es kann nicht jede*r einfach unterrichten und unser Ziel sollten weiterhin voll ausgebildete Lehrkräfte vor jeder Klasse sein. Menschen, die wissen, was sie tun, die auf schwierige Situationen souverän reagieren können und sich bewusst für den Beruf der Lehrkraft entschieden haben.“
Doppelführungen und Klassenaufteilungen
Vor allem an den Grund-, Mittel- und Förderschulen beschönigen Klassenaufteilungen und Doppelführungen die Statistiken. Unterricht darf ja nicht ausfallen, die Betreuung muss immerhin gewährleistet sein. „Wer regelmäßig zusätzlich Schüler*innen aus anderen Klassen mit unterrichten muss oder die Aufsicht über zwei Klassen hat, weiß, welch große Mehrbelastung das ist. An vielen Schulen stehen Lehrkräfte mit einem Bein im rechtsfreien Raum, ohne das zu wissen. Und auch Eltern erfahren nur selten, wie die Lernbedingungen ihrer Kinder in Wirklichkeit aussehen“, erklärt der stellvertretende GEW-Vorsitzende Florian Kohl.
Rund 300 fehlende Plätze an Förderschulen
Besonders große Sorgen macht sich Kohl um die Situation an den Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Die Personalnot trifft hier auf bislang kaum erklärbare steigende Schüler*innenzahlen. Bekannt wurde bereits im Mai, dass in Bayern rund 300 Plätze an den Förderschulen fehlten. „Die Kinder mit diesem Förderschwerpunkt sind auf fachliche Kompetenz angewiesen, die Förderbedarfe sind komplex und umfassend. Doch es fehlt das spezialisierte Personal und vor den Klassen stehen schon lange nicht mehr nur ausgebildete Sonderpädagog*innen“, sagt Kohl. Als Maßnahme schreibt das Kultusministerium eine „straffe Klassenbildung“ vor. „Das bedeutet in der Realität, die Klassenhöchstgrenzen auszuschöpfen und auch jahrgangsgemischte Klassen zu bilden. Das wäre an einem Gymnasium undenkbar, beispielsweise eine Klasse 5/6/7 zu installieren. Bei uns ist das aber Realität. Die Anforderungen an die Lehrkräfte steigen dadurch natürlich erheblich“, so Kohl, der selbst Förderschullehrkraft ist. „Es drohen hier Situationen im Schulalltag zu entstehen, die kaum zu lösen sind und in denen sowohl Schüler*innen als auch Lehrkräfte gefährdet werden. Wir müssen da genau hinschauen!“ Florian Kohl kann nicht nachvollziehen, dass im Schulbereich nach wie vor gesetzlich vorgeschriebene und präventiv wirkende Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen fehlen.
Auswege: Teildienstfähigkeit, vorzeitiger Ruhestand oder Kündigung
„Die Anfragen überlasteter Kolleg*innen sind in diesem Schuljahr deutlich gestiegen“, sagt der Gewerkschafter. „Die meisten wollen ihre Überlastung selbst regeln, viele einfach nur noch raus. Es ist schon hart, wenn man Menschen erlebt, die sich jahrelang für die Schule aufgeopfert haben, aber die nun einfach nicht mehr können und denen man dann auch noch die Teilzeitmöglichkeit verweigert. Und das, obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung immer noch glaubt, dass das Lehrerleben locker wäre“, sagt Kohl. Dass dem nicht so ist, belegen zahlreiche Studien und nicht zuletzt die nackten Zahlen: Im Schuljahr 2022/23 erreichten nur 18 Prozent der bayerischen Lehrkräfte den Dienst bis zum regulären Eintrittsalter in den Ruhestand.
Demokratie à la Söder
Und während in den Schulen im 15-Minuten-Takt Demokratie in der verordneten Verfassungsviertelstunde gelehrt wurde, zerschmetterte Ministerpräsident Söder empathielos die demokratischen Bemühungen der sich für die Abschaffung von unangekündigten Exen und Abfragen einsetzenden Schüler*innengruppe rund um Amelie, indem er das Ergebnis ihrer Petition in gewohnt autoritärer Manier vorwegnahm. Die Södersche Haltung „Haben wir schon immer so gemacht!“ verhinderte damit wieder eine differenzierte und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema. „Es ist traurig, dass sich ein gewählter Volksvertreter derart demokratiefeindlich präsentiert. Es wäre eine große Chance gewesen, junge Menschen in den Diskurs mit einzubeziehen. Demokratiebildung kann nicht verordnet, sondern muss gelebt werden“, ärgert sich Florian Kohl immer noch.
Verordnete Sprachtests ohne Vorlauf
Auch in Sachen Sprachtests machte Söder keine gute Figur. Viel zu kurz gesetzt war die Frist für Kultusministerin Stolz, ein Konzept vorzulegen, sämtliche Warnungen der GEW Bayern wurden ignoriert und dementsprechend holprig lief auch die Umsetzung und setzte das Personal an Grundschulen zusätzlich unter Druck. An vielen Orten fehlten Beratungslehrkräfte und Schulpsycholog*innen mussten einspringen. Zudem fehlte es an entsprechender Kommunikation und Leidtragende waren betroffene Schüler*innen und deren Familien. „Wir brauchen in diesen schwierigen Zeiten vor allem Verlässlichkeit und Beständigkeit und keine inhaltslose Symbolpolitik. Vor allem müssen die Sprachfördermaßnahmen bei den Kindern stattfinden, bei denen Förderbedarf festgestellt wurde. Und das ist wegen Personalmangels nicht überall gegeben. Vom Wiegen allein wird die Sau nicht fett!“, sagt GEW-Vorsitzende Martina Borgendale.
Hausaufgaben für das Kultusministerium, Erholung und Entspannung für die Beschäftigten
Borgendale wünscht sich, dass sich die Beschäftigten an den Schulen jetzt zurücklehnen können und Kraft tanken. „Das neue Schuljahr wird nicht minder anstrengend und die Herausforderungen werden nicht kleiner. Wir wünschen uns von unserem Arbeitgeber dringend Entlastung. Die Gesundheit der Beschäftigten ist ein hohes Gut. Doch der viel gepriesene Gesundheitswegweiser ist nicht mehr als eine Suchmaschine und im angekündigten Entlastungstracker stehen knapp 100 Maßnahmen weiterhin „in Bearbeitung“. Angekündigt wurde auch die Datenbank für kultusministerielle Schreiben (KMS), die vor allem Schulleitungen sehnlichst erwarten, doch davon hat man lange nichts mehr gehört. Wir erwarten Taten, das Ministerium hat einige Hausaufgaben über die Sommerferien zu erledigen“, so Borgendale weiter.
Link zum Gesundheitswegweiser: https://www.zukunftswerkstatt-bildung.bayern.de/gesundheit/wegweiser
Link zum Entlastungstracker: https://www.km.bayern.de/ministerium/bildungspolitische-schwerpunktthemen/buerokratieabbau/entlastungstracker
Quelle und Kontaktadresse:
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) - Landesverband Bayern, Neumarkter Str. 22, 81673 München, Telefon: 089 5440810
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