"Schluss mit der Vergabepraxis öffentlicher Bauaufträge in Hessen"
(Frankfurt am Main) - Es war erst vor zwei Monaten: Im Zuge einer bundesweiten Aktion, so berichtete die Hessenschau, wurden auf einer Frankfurter Großbaustelle insgesamt 48 Arbeitgeber*innen kontrolliert und mehr als 200 Arbeitnehmer*innen befragt. Dabei seien 39 Verstöße gegen die Meldepflicht zur Sozialversicherung festgestellt worden. Acht Mal konnten Beschäftigte sich nicht ausweisen. In zwei Fällen habe es Hinweise auf Leistungsmissbrauch von Arbeitnehmern*innen gegeben, dazu seien vier Hinweise auf Scheinselbstständigkeit gekommen. In drei Fällen erhielten Arbeiter*innen nicht den derzeit gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro.
Im Fokus der Aktion standen Verstöße gegen die Mindestlohnregelungen, illegale Beschäftigung sowie Leistungsbetrug. Ein besonderes Augenmerk legte der Zoll auf Schwarzarbeit im Baugewerbe. Das Hauptzollamt Gießen ermittelte allein im vergangenen Jahr gegen mehrere Baufirmen, die Sozialabgaben in Millionenhöhe einbehalten haben sollen. Im Zuständigkeitsbereich des Frankfurter Hauptzollamtes sei im Jahr 2022 bei Kontrollen von 472 Arbeitgebern aus der Baubranche ein Schaden von insgesamt 5,3 Millionen Euro aufgedeckt worden.
Leider ist es - auch und gerade in Hessen - immer noch Praxis, dass öffentliche Aufträge in der Baubranche an die Anbieter*innen mit dem billigsten Angebot vergeben werden. Den Zuschlag erhalten somit in der Regel Betriebe, die sich zweifelhafter Nachunternehmen bedienen. Diese wiederum vergeben den Auftrag an einen weiteres Subunternehmen. Nicht selten wird der gleiche Auftrag bis zu fünf Mal weitergereicht. Die Beschäftigten der schließlich ausführenden Firma, in der Regel osteuropäische Arbeitnehmer*innen, wissen häufig nicht einmal, wer überhaupt ihr Arbeitgeber ist. Sie werden überwiegend illegal beschäftigt und haben schlimme Arbeits- und Wohnbedingungen. Kontrollen oder Strafen sind im hessischen Tariftreue- und Vergabegesetz in diesen Fällen nicht vorgesehen.
Die Folge: Da tarif- und gesetzestreue Unternehmen bei den Dumping-Vergabepreisen nicht mithalten können, haben sie keine Chance, einen öffentlichen Bauauftrag zu erhalten. Die "ehrlichen" Unternehmen sind jetzt schon gezwungen, ihre Kapazitäten abzubauen und letztlich gefährdet, insolvent zu gehen. Es ist ferner zu beobachten, dass in Hessen die Durchschnittslöhne, trotz eines einheitlichen Tarifs in den westlichen Bundesländern, deutlich niedriger sind als in den anderen. Im Rhein-Main Gebiet sind die Durchschnittslöhne geringer als in Thüringen. Der öffentlichen Hand entstehen durch die Vergabepraxis Schäden in Millionenhöhe an entgangenen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen.
Die Sozialpartner, der Verband baugewerblicher Unternehmer Hessen (VBU Hessen) sowie die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), fordern endlich eine "faire Vergabe". Die Zuschläge für öffentliche Bauaufträge sollen nicht mehr die Unternehmen erhalten, die Billig-Angebote abgeben und zweifelhafte Nachunternehmen beauftragen. Es müssen wieder die Firmen zum Zuge kommen, die illegale Beschäftigung nicht zulassen, gesetzestreue und tarifkonforme Löhne und Gehälter bezahlen, innovative Unternehmensleitungen und eine qualifizierte Belegschaft haben und dergleichen mehr. Vor allem müssen die "Nachunternehmerketten" deutlich begrenzt werden.
Zitate:
Thomas Reimann, Präsident des VBU Hessen:
"Um eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der gesetzestreuen und tarifgebundenen Bauunternehmen zu verhindern, ist es von entscheidender Bedeutung, dass öffentliche Aufträge nicht mehr an Unternehmen vergeben werden, die Dumpingpreise anbieten. Die öffentliche Hand muss sicherstellen, dass ihre Vergabepraktiken nicht aktiv zur Förderung von Schwarzarbeit und zur Untergrabung des Mittelstands beitragen. Nur so kann ein fairer Wettbewerb gewährleistet und das Ansehen unserer Branche geschützt werden."
Hans-Joachim Rosenbaum, Regionalleiter Hessen der IG BAU:
"Mit der jetzigen Vergabepraxis muss endlich Schluss sein. Das derzeitige System mit den Sub-Sub-Sub-Unternehmen hat für die Beschäftigen fatale Auswirkungen: schlechte Bezahlung, miese Arbeitsbedingungen, katastrophale Unterkünfte. Wir fordern zudem intensive und vor allem viel häufigere Kontrollen verbunden mit drastischen Strafen. Es kann doch nicht sein, dass wir in der Wirtschaftsmetropole Frankfurt am Main die geringsten Löhne in ganz Deutschland haben."
SPD-Landesvorsitzende Nancy Faeser, Bundesministerin:
Das hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz ist eine Mogelpackung. Wir müssen in Hessen viel stärker kontrollieren, ob vom Land beauftragte Unternehmen Tarife einhalten. Es kann nicht sein, dass beispielsweise Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter unter Tarif oder sogar unter Mindestlohn verdienen. Um das zu verhindern, fordern wir als SPD in Hessen seit Jahren eine wirkungsvolle Kontrollbehörde. Aber die Regierung aus CDU und Grünen lehnt das ab - zu Lasten der Arbeiterinnen und Arbeiter und der Unternehmen, die ihre Beschäftigten fair bezahlen. Wir als SPD werden diesen unhaltbaren Zustand beenden, einen vergabespezifischen Mindestlohn einführen, Subunternehmerketten begrenzen und Verstöße hart sanktionieren."
Quelle und Kontaktadresse:
Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU)
Frank Tekkiliç, Pressesprecher
Olof-Palme-Str. 19, 60439 Frankfurt am Main
Telefon: (069) 95737-0, Fax: (069) 95737-800
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