Steuertarife: 1958 war manches besser
(Köln) - Wer im Jahr 1958 knapp 10.000 Euro im Jahr verdiente, musste vom letzten eingenommenen Euro ein Drittel an den Fiskus abführen. Die Kaufkraft jener 10.000 Euro wird heute durch den Preisanstieg mit einem Einkommen von 35.000 Euro erreicht. Von dem letzten erarbeiteten also dem 35.000sten Euro müssen nunmehr aber 37 Prozent an Vater Staat abgetreten werden. Die jüngste Steuerreform hat die Einkommensteuer nur wenig leistungsfreundlicher gemacht.
Die deutsche Einkommensteuer ist eine progressive Steuer. Dadurch nimmt der Grenzsteuersatz dies ist der Steuersatz, zu dem der letzte hinzuverdiente Euro versteuert werden muss mit steigendem Einkommen zu. Dieser Umverteilungseffekt ist durchaus gewollt. Steuerpflichtige mit höheren Einkünften sollen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit einen größeren Anteil davon an den Staat abtreten, als solche mit niedrigem Einkommen. Auf der anderen Seite wird jedoch der Leistungswille des betroffenen Steuerzahlers gemindert. Weil von jedem hinzuverdienten Euro netto weniger übrig bleibt, lohnt es sich immer weniger ranzuklotzen.
Doch auch ohne jeglichen zusätzlichen Arbeitseifer rutschen viele Arbeitnehmer in Bereiche mit höheren Grenzsteuersätzen nämlich dann, wenn sie mit ihrem Gehalt einen Ausgleich für die Inflation bekommen. An der Kaufkraft ändert sich dadurch nichts, trotzdem werden höhere Steuern fällig. Dieser Effekt wird als kalte Progression bezeichnet. In einem progressiv gestalteten Steuersystem müsste deshalb eigentlich der Einkommensteuertarif regelmäßig inflationsbereinigt werden.
Tarifsenkungen haben aber in der Vergangenheit, wenn überhaupt, nur höchst unregelmäßig stattgefunden. Sie konnten vor allem die kalte Progression nicht ausgleichen. Dadurch wurde das deutsche Einkommensteuersystem immer leistungsfeindlicher. So wird vor allem die neue Mitte heute für das gleiche Realeinkommen wie früher erheblich stärker zur Kasse gebeten. Der Reihe nach:
- Geringverdiener. In der Vergangenheit wurde nicht zuletzt aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Grundfreibetrag deutlich angehoben. Aus diesem Grund fahren kleine Leute inzwischen wesentlich besser als früher. Denn für ein Einkommen von 7.000 Euro (1958 entsprach dies 1.939 Euro) muss ein Single anno 2003 keine Steuern zahlen, da Einkünfte bis 7.235 Euro (Grundfreibetrag) grundsätzlich steuerfrei sind. Vor vierzig Jahren war das anders. Nur Minieinkommen von unter 860 Euro waren Ende der fünfziger Jahre steuerfrei. Wer 2.000 Euro im Jahr verdiente, unterlag damals bereits einem Grenzsteuersatz von 20 Prozent.
- Mittelstand. Ein Single, auf dessen Lohnzettel brutto 35.000 Euro stehen, muss jetzt vom letzten Euro 37 Cent an das Finanzamt abführen 1958 waren es bei einem kaufkraftgleichen Einkommen nur 34 Cent. Noch schlechter kommt ein Alleinverdiener mit 50.000 Euro Jahressalär weg. Ihm knüpft der Staat momentan von jedem weiteren erarbeiteten Euro 46 Prozent ab, 1958 betrug der Grenzsteuersatz erst 39 Prozent.
- Gutverdiener. Im Jahr 1958 musste, wer 34.600 Euro einnahm, den letzten Euro mit 48,5 Prozent versteuern. Heute muss ein Alleinverdiener mit demselben Realeinkommen 125.000 Euro ebenso viel abdrücken, nämlich 48,5 Prozent. Für diese Gruppe ist das Steuersystem genauso leistungsfeindlich wie eh und je es hat sich, wenn man das schon als Vorteil sehen möchte, aber auch nicht zum Schlechteren gewendet. Die gleiche Rechnung können übrigens Ehepaare aufmachen; in diesen Fällen gelten die Steuersätze für den doppelten Betrag.
Die für 2004 und 2005 anstehenden Steuerreformschritte werden diesen misslichen Zustand nur vorübergehend ändern. Ein dauerhafter Ausweg wäre eine automatische Anpassung der Einkommensgrenzen an die Inflationsrate. Mit einer solchen regelmäßigen Indexierung arbeiten z.B. die Niederlande. Allerdings müsste der Finanzminister in diesem Fall auf Progressionsgewinne verzichten, was in Deutschland momentan kaum vorstellbar ist.
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