Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

Überstunden für Betriebe kaum verzichtbar

(Köln) - Ob die Wirtschaft vor sich hin dümpelt oder die Unternehmen vor einem Auftragsboom stehen – ohne Beschäftigte, die ab und zu Überstunden schieben, kommen Betriebe zu keiner Zeit über die Runden. Diejenigen, die häufig länger ranmüssen, bringen Qualifikationen mit, die nicht an jeder Straßenecke zu finden sind. Ein gesetzliches Verbot jeglicher Mehrarbeit würde darum keineswegs Hunderttausende neuer Arbeitsplätze schaffen.

Obwohl die Geschäfte der Unternehmen in Deutschland 2002 nicht eben brummten, mussten viele Angestellte und Arbeiter länger das Büro hüten oder an der Werkbank stehen, als es ihr Arbeitsvertrag eigentlich vorsah: Auf insgesamt rund 1,6 Milliarden Überstunden brachten es die Arbeitnehmer in Deutschland im vergangenen Jahr – immerhin gut 4 Prozent weniger als 2001.

Im Durchschnitt arbeitete ein abhängig Beschäftigter im Laufe des vergangenen Jahres 46,7 Stunden mehr, als er musste. Im Jahr davor belief sich das Zusatzpensum noch auf 48,4 Stunden. Angesichts solcher Dimensionen rechnen Kritiker gerne vor, wie viele Arbeitslose beschäftigt werden könnten, wenn Überstunden verboten wären. Ein Erwerbstätiger arbeitete 2002 durchschnittlich 1.444 Stunden. Rein theoretisch macht das 1,1 Millionen neue Jobs.

Doch so einfach ist die Arbeitslosigkeit leider nicht zu senken. Warum das Rechenexempel nicht aufgeht, hat im Wesentlichen zwei Gründe:

1. Arbeit ist nicht gleich Arbeit. Nicht jeder Arbeitsuchende kann die Aufgaben desjenigen erfüllen, der reichlich Überstunden schiebt. Viele der Stundensammler verfügen über wichtige betriebsspezifische Kenntnisse, die sie im Laufe langjähriger Unternehmenszugehörigkeit erworben haben. Überdies sind es zumeist die höher qualifizierten – und entsprechend bezahlten – Mitarbeiter, die mehr als Dienst nach Vorschrift tun: Führungskräfte leisten etwa fünfmal so viele Überstunden wie Angestellte ohne Berufsausbildung; Vorarbeiter immerhin doppelt so viele wie Hilfsarbeiter.

2. Überstunden machen flexibel. Extraschichten sind in der Regel nicht nur fällig, wenn die Auftragsbücher überquellen. Auch im business as usual kann plötzlich ein Kollege erkranken. Ein anderer übernimmt die Arbeit dann für eine Weile mit. Im Jahr 2002 etwa gingen fast 1,9 Milliarden Stunden durch Krankheit verloren. Auch unerwartete Großaufträge oder Kunden, die kurz vor Feierabend mit dringenden Problemen kommen, machen Überstunden unumgänglich. So genannte Feuerwehrkräfte, die je nachdem, wo gerade Bedarf ist, mal hier und mal dort einspringen, sind im Betriebsalltag blanke Utopie. Trotzdem müssen Überstundenpolster nicht ins Unermessliche anwachsen. Mit Hilfe moderner Arbeitszeitpolitik lässt sich der ein oder andere Sondereinsatz auf elegante Weise ausgleichen.

Zu Beginn der neunziger Jahre sah das noch etwas anders aus. Seinerzeit waren Überstunden im Wechsel mit Kurzarbeit für Arbeitgeber die einzige Möglichkeit, auf schwankende Auftragslagen zu reagieren. Heute werden hingegen vielerorts Arbeitszeitkonten geführt. Jeder Beschäftigte muss die tariflich geregelte Wochenarbeitszeit dann nur im Jahresdurchschnitt erreichen. Wenn einmal viel zu tun ist, können die Arbeitnehmer auf den Konten Zeitguthaben ansparen und sie dann in ruhigeren Zeiten abfeiern.

Dieser Puffer erfüllte zuletzt seinen Dienst: Im Boomjahr 2000 wuchs der Stundenüberschuss aller Arbeitszeitkonten laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung um 2,5 Prozent. In den beiden folgenden flauen Jahren 2001 und 2002 konnten die Kollegen öfter mal früh nach Hause gehen – der Saldo schrumpfte um 1 bzw. 1,8 Prozent.

Die Arbeitgeber sparen mit solch flexiblen Regelungen zum einen teure Überstundenzuschläge: Während zwischen 1991 und 1995 im Schnitt pro Jahr 1,85 Milliarden Überstunden anfielen, kamen von 1996 bis 2002 jährlich nur noch 1,62 Milliarden zusammen. Zum anderen kann auf flächendeckende Kurzarbeit oder gar Entlassungen verzichtet werden, wenn es einmal schlechter läuft. So blieb die Kurzarbeit im Jahr 2002 mit einem Volumen von 127 Millionen Stunden deutlich unter dem Niveau früherer Konjunkturkrisen.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Gustav-Heinemann-Ufer 84-88, 50968 Köln Telefon: 0221/49811, Telefax: 0221/4981592

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