Pressemitteilung | Deutsches Komitee für UNICEF e.V.

UNICEF zur ARD-Woche „Kinder sind Zukunft“ / Deutschland - kein Kinderland?

(Köln) - Zum Auftakt der ARD-Themenwoche „Kinder sind Zukunft“ am kommenden Samstag (14. April 2007) ruft UNICEF dazu auf, die Interessen von Kindern auf allen Ebenen der Gesellschaft stärker zu berücksichtigen. Obwohl erhebliche Mittel aufgewendet werden, ist Deutschland im internationalen Vergleich nur Mittelmaß, wenn es um das Wohlergehen der Kinder geht. Bei der neuesten UNICEF-Vergleichsstudie über Kinder in den Industriestaaten kam Deutschland nur auf Rang 11. So ist der Anteil der Kinder, die in relativer Armut aufwachsen stärker angestiegen, als in den meisten anderen Industriestaaten. Und in keinem anderen OECD-Land entscheidet die soziale Herkunft der Eltern so stark über den Schulerfolg wie in Deutschland.

„Wir brauchen einen Bewusstseinswandel auf allen Ebenen, um Kindern einen selbstverständlichen Platz in unserem Leben zu geben. Es ist an der Zeit, die Rechte von Kindern ins Grundgesetz aufzunehmen. Dies wäre ein klares Signal, das Wohlergehen von Kindern als eine entscheidende Aufgabe der Gesellschaft anzusehen“, erklärte die Vorsitzende von UNICEF Deutschland, Heide Simonis.

Trotz der Debatte um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands spielen Kinder eine untergeordnete Rolle. Während die Gesellschaft steigende Kosten im Gesundheitswesen selbstverständlich hinnimmt, steht der Aufbau einer besseren Infrastruktur für Kinder grundsätzlich unter Finanzierungsvorbehalt. Auch fehlt es an einem politischen Gesamtkonzept, damit Kinder aus benachteiligten Familien faire Entwicklungs- und Bildungschancen erhalten.

Kinder machen den Reichtum einer Gesellschaft aus - aber in Deutschland gibt es immer weniger Kinder

- Die Zahl der Geburten in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von 1,2 Millionen (1960) auf 686.000 (2004) nahezu halbiert. Einem Kind stehen inzwischen vier Erwachsene gegenüber. In den meisten Großstädten gibt es heute drei bis viermal so viele Autos wie Kinder.

- Der Kindermangel schafft nicht nur gravierende Probleme für die Sozialsysteme. Kinder wachsen heute mit weniger Gleichaltrigen auf. Umso höher lasten auf ihnen die Erwartungen an Leistung und Erfolg. Viele reagieren mit psychischen und körperlichen Problemen.

Kinder brauchen Chancen - aber viele bleiben ausgeschlossen

- Jedes zehnte Kind in Deutschland wächst in relativer Armut auf - das sind mehr als 1,5 Millionen Kinder, denen weniger als die Hälfte des Durchschnitteinkommens zur Verfügung steht. Kinder Alleinerziehender und aus Zuwandererfamilien tragen das größte Armutsrisiko.

- In Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit massieren sich die Probleme. Benachteiligte Kinder bleiben immer häufiger in isolierten Wohnvierteln ohne gute Schulen, Ausbildungsmöglichkeiten und soziale Unterstützung unter sich. In einigen großstädtischen Ballungszentren schreitet die Aufteilung in die Räume der Sieger und der Verlierer voran.

- Für benachteiligte Kinder ist es besonders wichtig, am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen. Doch ob Schwimmen gehen, Kinderkino, Theater, Zoobesuch oder Sportverein - all dies kostet Geld. Während in der Mittelschicht die Kommerzialisierung der Jugendkultur mit Mobiltelefon und Markenkleidung voranschreitet, sind Video und Fernsehen für viele arme Kinder Freizeitbeschäftigung Nr. 1.

Bildung macht stark - doch Schule bedeutet oft nur Frust

- In keinem Industrieland entscheidet die soziale Herkunft der Eltern so stark über den Schulerfolg wie in Deutschland. Kinder aus Familien mit niedrigem Bildungsstand haben eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, nur unzureichend Lesen und Schreiben zu lernen, als ihre Altersgenossen aus privilegierteren Elternhäusern.

- Kinder mit Migrationshintergrund haben es in der Schule besonders schwer. Viele verlassen die Schule ohne einen Abschluss. In Hessen liegt zum Beispiel der Anteil der ausländischen Kinder bei 15 Prozent. Doch sie stellen 30 Prozent aller Schüler ohne Hauptschulabschluss.

Kinder brauchen Schutz - doch viele schauen weg, wenn man Hilfe holen müsste

- Jedes Jahr werden in Deutschland schätzungsweise 150.000 Kinder von ihren Eltern körperlich misshandelt. UNICEF geht davon aus, dass jede Woche zwei Kinder an den Folgen von Vernachlässigung und Misshandlungen sterben.

- Laut Kriminalstatistik werden jedes Jahr rund 20.000 Fälle von sexuellem Missbrauch angezeigt. Die Dunkelziffer wird viermal so hoch eingeschätzt.

Kinder brauchen Zuwendung und Zeit - aber viele sind allein gelassen und überfordert

- Mehr als die Hälfte der 15-jährigen Deutschen sagen, dass ihre Eltern kaum Zeit haben, sich mit ihnen zu unterhalten. In Ländern wie Ungarn oder Italien machen nur etwa ein Viertel der Kinder diese Erfahrung.

- Besorgnis erregend sind die Erwartungen an die Zukunft: Mehr als 30 Prozent der 15-jährigen rechnet damit, keine qualifizierte Arbeit zu finden.

Kinder brauchen eine Lobby - doch es fehlt ein Gesamtkonzept für mehr Kinderfreundlichkeit

- Kinder- und Jugendpolitik ist im föderalen System zersplittert und orientiert sich an den Notwendigkeiten einer Vielzahl von Ressorts. Die konkreten Interessen von Kindern spielen in der Politik und öffentlichen Verwaltungen nur eine untergeordnete Rolle.

- Bei der frühkindlichen Betreuung ist Deutschland hinsichtlich der Bereitschaft, in diesen Bereich zu investieren, im internationalen Vergleich der Industrieländer Schlusslicht.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Komitee für UNICEF e.V. Kristina Müller, Referentin, Pressestelle Höninger Weg 104, 50969 Köln Telefon: (0221) 936500, Telefax: (0221) 93650279

(el)

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