Verbändereport AUSGABE 1 / 2007

Abstimmung mittels Internet – ein sinnvolles Hilfsmittel?

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Der Sachverhalt

Der aus 1.000 Mitgliedern bestehende Berufsverband hält alljährlich seine Mitgliederversammlung ab. Unter der Satzungsvorschrift über die Durchführung der Mitgliederversammlung ist neben üblichen Regularien bestimmt: „Die Stimme kann persönlich, schriftlich oder mittels Internet abgegeben werden. Bei der Beschlussfassung entscheidet, soweit nicht die Satzung ein anderes bestimmt, die einfache Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Mitglieder.“

Die Einladung zur Mitgliederversammlung erfolgte fristgerecht und schriftlich und enthielt, da die Vorstandswahlen anstanden, folgenden Wortlaut: „… Wahl des geschäftsführenden Vorstandes Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender, …“.

Der Wahlleiter äußerte in der Mitgliederversammlung rechtliche Bedenken gegen die Durchführung der Wahl. Auf Geschäftsordnungsantrag eines Mitgliedes stimmte die Mitgliederversammlung jedoch mehrheitlich ab, die Wahl durchzuführen. Tatsächlich wurde die Wahl nach den übrigen in der Satzung vorgesehenen Regularien durchgeführt.

Schwebende Unwirksamkeit der Vorstandswahlen

Die Mitgliederversammlung ist das -oberste Organ eines jeden Vereins. Es ist daher Sache der Mitgliederversammlung, über so wesentliche Dinge wie Vorstandsmitglieder abzustimmen. Die Satzung kann hierzu bestimmte Regularien vorgeben, die Rechte der Mitglieder – beispielsweise auf Anwesenheit bei der Mitgliederversammlung – beschränken oder aber, wie in der oben zitierten Satzungsbestimmung geschehen, erweitern. Eine Abstimmung setzt jedoch in jedem Falle voraus, dass die Mitglieder in der Einladung über den Gegenstand der Abstimmung informiert werden. Sinn und Zweck der zwingenden Regelung ist, dass der Gegenstand der Abstimmung zum Zwecke der Meinungsbildung vorher bekannt sein muss und sichergestellt ist, dass in der Mitgliederversammlung tatsächlich über den zur Diskussion gestellten Gegenstand abgestimmt wird.

Genau dies ist jedoch bei einer Abstimmung „mittels Internet“ häufig nicht gewährleistet. Ohne Kenntnis der zur Wahl stehenden Vorstandsmitglieder und mit Blick darauf, dass innerhalb der Mitgliederversammlung weitere spontane Vorschläge zur Vorstandswahl gemacht werden können, ist eine Abstimmung mittels Internet über einzelne Vorstandsmitglieder praktisch ausgeschlossen; werden die Namen in der Einladung zur Mitgliederversammlung bekannt gegeben, besteht immer noch die Möglichkeit, dass sich in der Mitgliederversammlung selbst weitere Mitglieder zur Wahl stellen. Naturgemäß erfahren die nicht körperlich anwesenden Mitglieder von diesen Wahlvorschlägen nichts, sodass sie allenfalls über die in der Einladung genannten, nicht jedoch die auf Initiativantrag nominierten Kandidaten abstimmen können. Werden dann in der Versammlung nominierte Kandidaten gewählt, können sich die mittels Internet abstimmenden Mitglieder zu Recht darauf berufen, dass ihnen die Kandidaten mit der Einladung nicht bekannt gegeben worden sind, die Wahl damit unzulässig war.

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass ja jedes Mitglied weiß oder zumindest wissen müsste, dass Wahlvorschläge auch noch in der Mitgliederversammlung erfolgen können. Schließlich ist nicht von jedem Mitglied eines wie auch immer gearteten Verbandes eine juristische Grundausbildung zu erwarten; ob die Regelungen des Vereinsrechts zur Allgemeinbildung gehören, mag ebenfalls bezweifelt werden. Aber auch wenn die zu wählenden Vorstandsmitglieder in der Einladung namentlich benannt worden sind und auch, was mangels Gegenkandidaten häufig der Fall ist, auch tatsächlich gewählt werden, dürften Wahlen mittels Internet problematisch sein.

Beschließt die Mitgliederversammlung beispielsweise geheime Wahl, so kann eine Abstimmung mittels Internet dieses Kriterium nicht mehr erfüllen. Die Abstimmung ist im internen Bereich der Website vorgesehen mit der Folge, dass das mittels Internet abstimmende Mitglied über die Mitgliedsnummer oder sonstige Codierungen bezogen auf die abgegebene Stimme eindeutig identifizierbar ist. Wer auf vorgedruckten Wahlzetteln Kreuze macht, ist demgegenüber nicht zu identifizieren.

Wird die Wahl angefochten, wird der neu gewählte Vorstand mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht im Vereinsregister eingetragen oder – sollte die Eintragung bereits erfolgt sein – wieder gelöscht. Dadurch lebt allerdings die ursprüngliche Vorstandssituation nicht wieder auf; durch die Neuwahl und damit verbunden die Abwahl des alten Vorstandes hat die Mitgliederversammlung nämlich dokumentiert, dass sie dem alten Vorstand das Vertrauen entzogen hat. Häufig wird es auch so sein, dass sich einzelne Vorstandsmitglieder nicht zur Wiederwahl stellen. Kommen aus diesem Grunde die vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieder abhanden, ist der Weg für die Bestellung eines Notvorstandes eröffnet.

Sinnvoll: Beschränkung des Wahlrechts auf die Teilnehmer der Mitgliederversammlung

Jenseits des mit dem vorgestellten Szenario verbundenen Imageschadens gelten die Probleme natürlich auch für andere zur Abstimmung gestellte Gegenstände. Insoweit gilt die Regel, dass bei Abstimmung mittels Internet nur wortgenau über die in der Tagesordnung mitgeteilten Punkte abgestimmt werden kann. So ist beispielsweise eine gegenüber der Einladung modifizierte Satzungsänderung, die sich aus der Diskussion während der Mitgliederversammlung ergibt, ausgeschlossen.

Eine Abstimmung mittels Internet oder per Brief oder Telefax ist nicht empfehlenswert und sollte daher in keiner Satzung zu finden sein. Hat sich eine solch unglückliche Regelung dann doch einmal in eine Satzung eingeschlichen, sollte sie vor sämtlichen weiteren Abstimmungen schnellstmöglich durch Satzungsänderung wieder entfernt werden.

Abstimmung mittels Internet – kein sinnvolles Hilfsmittel?

von Dr. Christoph Mecking

Die von Bernd Beder anhand eines Fallbeispiels aufgeworfene Frage, ob Abstimmungen mittels Internet, per Brief oder Telefax ein sinnvolles Hilfsmittel für die Ermittlung des Willens einer Mitgliederversammlung sind, hat er zu Recht verneint1. Seine Argumentation ist gleichwohl teilweise zu ergänzen; teilweise ist ihr zu widersprechen. Insbesondere ist die von ihm beschriebene Praxis nicht nur problematisch, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen unzulässig.

Ausgangspunkt muss die Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch sein. Hier ist der historische Gesetzgeber für alle Mitgliederversammlungen von einer Präsenzversammlung ausgegangen: Die Gesamtheit der eingeladenen und erschienenen Mitglieder eines Verbandes ist sein oberstes Willensbildungsorgan2. Gleichzeitig wurde eine weitgehende Satzungsfreiheit angeordnet: Die Vereine können die Modalitäten -ihrer Mitgliederversammlungen weitgehend autonom bestimmen. Insofern können sie auch neue Kommunikationsmedien für die verbandsinterne Willensbildung nutzen.

§ 32 BGB bestimmt als vereinsrechtliches Leitbild, dass Beschlüsse entweder mit möglicher Aussprache in einer Mitgliederversammlung (Abs. 1) oder – ausnahmsweise – auf schriftlichem Wege (Abs. 2) gefasst werden. Diese Vorschrift ist kein zwingendes Recht und kann durch entgegenstehende Satzungsbestimmungen modifiziert werden (§ 40 BGB). Das BGB stellt es also den Vereinsmitgliedern in § 40 BGB [Nachgiebiges Recht] frei, abweichend von dem in § 32 I und II BGB [Mitgliederversammlung; Beschlussfassung ohne Mitgliederversammlung] statuierten Leitbild die Angelegenheiten des Vereins zu regeln. Insbesondere ist die schriftliche Beschlussfassung nicht ausgeschlossen, sondern kann zum Regelverfahren erhoben werden (vgl. §§ 40, 41 BGB), wenn alle Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Beschluss schriftlich erklären (§ 32 II BGB) oder dieses Verfahren in der Satzung vorsehen. Sinn und Zweck des § 32 II BGB ist, einerseits die Entscheidungsfunktionalität des Organs, die Beschleunigung und Flexibilität seiner Beschlussverfahren zu fördern, und andererseits sicherzustellen, dass die Rechte aller Mitglieder gewahrt bleiben. An die Stelle der Mitgliederversammlung kann stets auch die Gesamtheit der Mitglieder treten.

In jedem Fall aber will der Gesetzgeber – und das ist hier entscheidend – die Möglichkeit zur Diskussion der Vereinsangelegenheiten vor dem Mitgliederplenum gewahrt wissen. Aufgrund der zwingenden Vorschriften des §§ 36, 37 BGB ergibt sich die Unentbehrlichkeit der Mitgliederversammlung. In der Konsequenz ist es nicht möglich, Abstimmungsformen zu vermischen. Eine Regelung wie in dem von Beder geschilderten Fall, wonach die Stimme (kumulativ) persönlich, schriftlich oder mittels Internet abgegeben werden kann, ist nicht zulässig.

Dieses Verbot ist auch sachgerecht. Die Vermischung von Abstimmungsformen ist – abgesehen von Rechtswidrigkeit und damit Nichtigkeit solcher Regelungen – schon deshalb problematisch, weil die schriftlich oder elektronisch übermittelten Stimmen vorab, das heißt ohne Kenntnis des Verfahrens, der Debatte und der Ergebnisse der Aussprache abgegeben werden. Ergibt sich ein unvorhergesehener Verlauf, können die bereits abgegebenen Stimmen entwertet oder in ihrer Wirkung verändert werden. Dies gilt etwa, wenn sich nach Versendung der Tagesordnung und der Vorstellung der Kandidaten in der Mitgliederversammlung neue Kandidaten einfinden oder wenn Kandidaten noch vor der Wahl zurücktreten. In der Praxis einer Vorstandswahl mag bei einer solchen Konstellation häufig so verfahren werden, dass die schriftlich oder elektronisch abgegebene Stimme als gültig behandelt wird, wenn der Kandidat weiterhin aufgestellt bleibt. Hier zeigt sich aber, dass die früh aufgestellten Kandidaten einen Vorteil genießen. Dieser mag sachlich begründet sein, widerspricht aber dem Demokratieprinzip, wonach jede Stimme grundsätzlich gleiches Gewicht haben muss („One man – one vote“). Dies ist aber nicht gewahrt, wenn etwa das vorab wählende Mitglied unter fünf Kandidaten entscheiden kann, das auf der Mitgliederversammlung anwesende Mitglied aber unter zwölfen. Tritt ein gewählter Kandidat verfrüht ab (oder verändert sich im Verlauf der Mitgliederversammlung der Gegenstand), wird die Stimme ohnehin ungültig. Hinzu treten die mit dem Grundsatz der geheimen Wahl verbundenen Probleme, auf die richtig hingewiesen wurde.

Beder ließ im Übrigen offen, wie „im Internet“ abgestimmt wird, und stellte einen geschützten Mitgliederbereich vor, in dem die Wahlen vorgenommen werden. Dies wäre in der Tat eine denkbare Variante. In dem Fall, auf den er sich bezieht, wurden allerdings schlicht E-Mails neben Faxen oder Briefen entgegengenommen, auf denen einzelne Mitglieder ihre Voten abgaben. Insofern erfolgte zur Gewährleistung der Identität der Teilnehmer durch den Vorstand oder die Geschäftsstelle in jedem Einzelfall eine Überprüfung der Stimmabgabe, die auch dokumentiert wurde.

In dem von Beder geschilderten Fall wurde angesichts der Probleme schließlich eine Satzungsänderung wie folgt beschlossen: „In der Mitgliederversammlung hat jedes Mitglied eine Stimme, die persönlich abgegeben wird. Die Stimmrechtsübertragung auf ein anderes Mitglied ist zulässig. Sie ist in geeigneter, durch den Vorstand bestimmter Form nachzuweisen. Keine Person kann mehr als vier Stimmen auf sich vereinigen.“

Zur Begründung wurde angeführt: „Die vorzeitige Stimmenabgabe in schriftlicher und elektronischer Form hat sich in der Praxis als problematisch erwiesen. Insbesondere kann derzeit in aller Regel ein elektronisches Beschlussverfahren mangels Verbreitung elektronischer Signatur nicht beweiskräftig durchgeführt werden. Auf Wunsch der Mitglieder wird daher zur ‚persönlichen Stimmabgabe in der Mitgliederversammlung‘ zurückgekehrt. Dies wertet die Mitgliederversammlung als oberstes Verbandsorgan und Ort des Dialogs und der Diskussion auf. Vertretung und Stimmenhäufung werden in beschränktem Rahmen ermöglicht. Die Regelung des Verfahrens liegt beim Vorstand, der sich für die Ausgabe von Stimmkarten, Nachweis von Vollmachten oder die Einführung eines anderen praktikablen Instruments entscheiden und dessen Einsatz vorbereiten kann.“

Unabhängig von dem dargestellten Vermischungsproblem ist der in der vereinsrechtlichen Literatur diskutierte Einsatz von neuen Medien zu betrachten. So kann die Zulässigkeit von medialen Mitgliederversammlungen durchaus gegeben sein. Das Bedürfnis zur Durchführung einer „internetgestützten Mitgliederversammlung“, „Tele-Mitgliederversammlung“, „Online-Mitgliederversammlung“, „virtuellen Mitgliederversammlung“ oder „Cyber-Mitgliederversammlung“ besteht etwa bei international tätigen Vereinen mit Sitz in Deutschland, deren Mitglieder hauptsächlich über das Internet kommunizieren. Solche Mitgliederversammlungen können zum einen analog § 32 II BGB bei Zustimmung aller Mitglieder zulässig sein. Allerdings muss davon ausgegangen werden können, dass die Mitglieder daran auch teilnehmen können, also bei allen die technischen Voraussetzungen dafür vorliegen. Zum anderen kann die Möglichkeit solcher Versammlungen generell durch eine entsprechende Satzungsänderung eröffnet werden.

In dem Zusammenhang sei noch auf die Einladung zur Mitgliederversammlung beziehungsweise zum Versand vorbereitender Unterlagen per E-Mail hingewiesen. Ein solches Verfahren ist zulässig, wenn alle Mitglieder die Möglichkeit haben, von der Einladung Kenntnis zu nehmen, also über die technischen Möglichkeiten zum Empfang der Einladungs-E-Mail verfügen, jedes einzelne Mitglied vorher zustimmt oder nicht schriftlich widerspricht und dem Verein seine E-Mail-Adresse mitgeteilt hat. Für die Aktualität und Erreichbarkeit dieser E-Mail-Adresse ist dann das Mitglied verantwortlich. Weiterhin ist beim Verein eine Kopie der E-Mail-Einladung in Schriftform aufzubewahren. Bei E-Mails mit mehreren Empfängern ist eine Kopie pro Mailing als Beleg ausreichend.

1 vgl. Seite 38, in dieser Ausgabe

2 vgl. zu deren Leitung Fischer, in: Verbändereport 2/2006, S. 18 ff

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