Verbändereport AUSGABE 8 / 2011

Aktive Interessenvermittlung: In der Ruhe liegt die Kraft

Umfrage zu politischen Aktivitäten deutscher Verbände

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Inwieweit ist die Interessenvertretung, die politische Aktion, von deutschen Verbänden konstitutiv für diese Verbände, mit welchen Mitteln gehen sie vor und vor allem, welchen Nutzen ziehen die Verbände aus ihren politischen Aktivitäten? Wir stellen die wesentlichen Ergebnisse einer aktuellen Studie zum Thema Verbandslobbying, die unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Dür und Frau Dr. Gemma Mateo, beide forschen an der Universität Salzburg, im Frühjahr 2011 durchgeführt wurde, vor.

Klar ist, dass Verbände in Deutschland eine wichtige Funktion übernehmen. Aus mannigfaltigen systemischen Überlegungen heraus und aufgrund der föderalen Struktur sind Verbände als kommunizierende Interessenvermittler – dazu unten mehr – als politische Wirkkraft theoretisch erkannt und begründet. Schon allein die schiere Zahl der Verbände macht eine gewisse Relevanz deutlich. Verbände sind – zumal als unverzichtbarer Teil einer pluralistischen Gesellschaft – politischer und damit Kommunikations-Akteur. Nach Statistiken des Deutschen Verbände Forums – verbaende.com existieren etwa 14.000 Verbände in Deutschland1. Diese sind nicht zu verwechseln mit den rund 540.000 eingetragenen Vereinen, deren Rechtsform häufig auch für Verbände gilt, aber die Organisationsform Verband nicht vollständig erfasst2. Von den 14.000 Verbänden werden etwa 8.500 hauptamtlich geführt, das heißt, wir gehen von mindestens einer halben hauptamtlichen Stelle aus, die geschäftsführende Aufgaben im Verband übernimmt. Mehr als 2.000 Verbände und vergleichbare Organisationen haben sich auf eigene Initiative hin in die Lobbyliste des Deutschen Bundestages eingetragen.

Dieser Beschreibung einen weiteren Mosaikstein hinzuzufügen und Daten zu fundieren sind kürzlich zwei politikwissenschaftliche Forscher aus Österreich mit einer Befragung angetreten. Die Ergebnisse dieser Befragung stellen wir hier vor.

Die Rolle der Verbände

Ganz grundsätzlich übernehmen Verbände als Organisationseinheiten in Deutschland verschiedene Aufgaben in der Gesellschaft, für die Politik und für ihre Mitglieder beziehungsweise sind als Wirtschaftsverbände (auch) branchenspezifische Dienstleister für ihre Mitgliederunternehmen. In der ein oder anderen Weise und jeweils mit unterschiedlicher Ausprägung bieten alle Verbände die folgenden Leistungen an: Initiierung der Meinungsbildung, Artikulation der Verbandsmeinung nach innen und außen (Kommunikationsleistungen), Presse- und PR-Aufgaben für die Branche, Interessenvertretung gegenüber Dritten, Erfahrungsaustausch, Informationsleistungen (Mitgliederrundschreiben, Websites, Verbandszeitschriften), Beratung der Mitglieder, Fortbildungsleistungen für Mitglieder, Organisationsaufgaben (Tagungen, Kongresse, Seminare, Mitgliederversammlungen) sowie Koordinationsleistungen (Normung, Gütezeichen).

Verbände bündeln Aufgaben, die sonst dezentral und parallel von verschiedenen Organisationen wahrgenommen werden müssten. Sie rationalisieren dadurch Entscheidungsabläufe und wirken kostensenkend für die jeweilige Branche. Politisch und gesellschaftlich sind Verbände aufgrund ihrer Bündelungsfunktion ein „außerparlamentarischer Konsensbetrieb“, der teilweise atomisierte Einzelmeinungen hin zum gesellschaftlich relevanten Mittel entwickelt. Ihre Rolle im politischen Umfeld darf nicht unterschätzt werden.

Horizontal sammeln Verbände Meinungen, Strömungen, Interessen, Belange und vermitteln diese vertikal in verschiedene Ebenen der Gesellschaft. Kurz gesagt: Verbände analysieren, vermitteln, organisieren und beraten. Verbände seien – so geben einige Definitionsvorschläge zu Protokoll – von ihrer Kommunikationsaufgabe her zu verstehen und werden bei Velsen-Zerweck sogar als „Kommunikations-Dienstleister“ oder bei Szyszka u. a. als „Kommunikationsorganisationen“ verstanden3.  Unabhängig möglicher wissenschaftlicher Perspektiven auf die Rolle und Bedeutung der Kommunikation von und für Verbände, bleibt deutlich, dass Verbände praktizierende Informationsvermittler sind. Sie vermitteln im Umfeld von Politik, Wirtschaft, Öffentlichkeit und Mitgliedern, letztlich ruht ihr Ansehen auf dem zugesprochenen Wert der Information: Ist sie glaubwürdig, nachvollziehbar und transparent, wird der Verband als ein vertrauensvoller Broker branchenspezifischer Information und Interessen anerkannt und von Politik und Verwaltung ernst genommen. Ehrliche Interessenvertretung ist das Ergebnis.

Diese einführenden Betrachtungen verdeutlichen, wie eng die Beziehung „Kommunikation“ und „Außenwirkung“ respektive „politische Wirksamkeit“ gewoben ist. Jeder kommunizierende Verband erzeugt politisch-gesellschaftliche Wirkung. Lobbying in – gewissermaßen ruhigen und der großen Öffentlichkeit verschlossenen – Hintergrundgesprächen und vermittels ausgereiften Positionspapieren oder als „lautstarke“ und allzu öffentliche Einflussnahme qua Demonstration und Streik sind wesentlichen Pfade politischer Aktion. Dies nun zu überprüfen, treten die beiden Forscher der Universität Salzburg, Österreich, Prof. Dr. Andreas Dür und Dr. Gemma Mateo Gonzalez, an und haben eine Befragung von 500 deutschen Verbänden durchgeführt.

Merkmale der befragten Verbände

Die hohe Rücklaufquote von knapp 40 Prozent macht die Ergebnisse spannend. Wenn auch sicherlich nicht aussagekräftig für Verbände im Allgemeinen, stützen sich die Autoren auf vorrangig politisch aktive Verbände, die nicht dem großen Bereich der Freizeit-, Kultur-, Sport- oder Wissenschaftsvereinigungen zugerechnet werden konnten. 350 Verbände wurden der „Öffentlichen Liste über die beim Bundestag registrierten Verbände und deren Vertreter“, der „Lobbyliste“ entnommen, so wie weitere 150 Verbände aus den Daten des Deutschen Verbände Forums die Grundmenge komplettierten. „Die Stichprobe umfasst somit eine zufällige Auswahl von Unternehmerverbänden, Landwirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen mit sozialen Zielen (NGOs) und Berufsverbänden, die zumindest einen minimalen Grad an Organisation aufweisen“, schreiben Dür und Mateo. Dabei konstatieren beide, dass die „Verwendung der Liste des Bundestags dazu führt, dass wir tendenziell eher Verbände ausgewählt haben, von denen erwartet werden kann, dass sie politisch aktiv sind“.

Abbildung 1 verdeutlicht die Verteilung der verschiedenen Typen von Verbänden, von denen Antworten vorlagen, und deren Anteil in der Grundmenge gemessen an der durchschnittlichen Rücklaufquote. Es wird deutlich, dass die Unterschiede zwischen den Typen gering sind, weswegen die Aussagekraft der Ergebnisse für alle befragten Verbände verallgemeinert werden kann. Mit knapp 50 Prozent Antwortquote sind Verbände aus dem Bereich der Landwirtschaft überdurchschnittlich stark vertreten. Das ist nicht so verwunderlich, war dies auch die absolut kleinste Gruppe befragter Verbände, sodass ein absolut geringer Rücklauf von sieben Antworten auf 14 Befragungen relativ betrachtet ein hoher Anteil ist.

Dür und Mateo urteilen über die Datenqualität beider Verbandslisten positiv. „Nur geringe Unterschiede gibt es in den Rücklaufquoten der Verbände von den zwei verschiedenen Listen, die wir zur Erstellung der Stichprobe verwendet haben: Von der Bundestagsliste beträgt die Rücklaufquote 39 Prozent und von der Liste von verbaende.com 44 Prozent. Insgesamt sind wir daher zuversichtlich, dass sich durch die Nichtbeantwortung des Fragebogens durch 60 Prozent der Verbände keine Verzerrung in unseren Daten ergibt.“

Wenig Budget

„Das wichtigste Resultat in dieser Hinsicht ist, dass die Verbände zum großen Teil recht klein sind. Wir gehen davon aus, dass dies die soziale Realität widerspiegelt, in der die meisten Verbände über nur geringe finanzielle und personelle Ressourcen verfügen. Leider beantworteten nur 138 Verbände die Frage zu den finanziellen Ressourcen“, konstatieren Dür und Mateo. Von diesen Verbänden haben immerhin fast ein Drittel (28 Prozent) ein Jahresbudget zwischen 100.000 und 500.000 Euro, ein wenig mehr (30 Prozent) ein Budget von unter 100.000 Euro und lediglich vier Prozent ein Budget von über fünf Millionen Euro.

Beschäftigte in einem Verband

Insgesamt bestätigt die Befragung die Werte der Deutschen Gesellschaft für Verbandsmanagement (DGVM). Die DGVM hat 2008 Zahlen zur Größe von Verbandsgeschäftsstellen zusammengetragen, wobei durchschnittlich von sieben fest angestellten Mitarbeitern ausgegangen werden kann. Große Personenverbände beschäftigen in der Regel bis zu 350 Mitarbeiter, unangefochtener Spitzenreiter ist der ADAC mit mehreren Tausend hauptamtlichen Mitarbeitern. Zu den mitarbeiterstarken Verbänden zählen auch die Spitzenverbände des Sports: In der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes e.V. (DFB) arbeiten 200 hauptamtliche Angestellte, der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) beschäftigt in seiner Geschäftsstelle in Frankfurt am Main 120 hauptamtliche Mitarbeiter, und der größte Landessportbund in Nordrhein-Westfalen mit fünf Millionen Mitgliedern bringt es auf 200 Angestellte. Anders schaut es beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) als größte Dachorganisation von Einzelgewerkschaften aus: Er beschäftigt etwa 800 Voll- und Halbzeitkräfte bundesweit. Ausgenommen schlank dagegen sind die Spitzenverbände der Wirtschaft aufgestellt. Mit durchschnittlich 120 Hauptämtlern rangieren die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA) und der BDI Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. eher im unteren Bereich großer Geschäftsstellen.

Die Befragung von Dür und Mateo bestätigt nun diese Zahlen. Insgesamt neun Prozent der befragten Verbände müssen sogar ohne bezahlte Beschäftigte auskommen, wobei sich überhaupt nur 186 Verbände mit einer Antwort auf diese Frage beteiligten. „Wenn elf Verbände mit mehr als 50 Beschäftigten ausgeschlossen werden, haben die Verbände im Durchschnitt acht Beschäftigte (der Median sind vier Beschäftigte). Ein Vergleich der verschiedenen Typen von Verbänden (wiederum unter Ausschluss von Ausreißern) zeigt, dass die Gewerkschaften mit durchschnittlich 21 Beschäftigten sich stark von den anderen Verbänden unterscheiden, die sich zwischen sechs (Landwirtschaftsverbände) und neun (Berufsverbände) Beschäftigten bewegen“, zeigen Dür und Mateo auf. Sie unterstellen eine weitere Kennzahl, die für die Bewertung von „Größe eines Verbandes“ indikativ sein kann: die Anzahl der Beschäftigten in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Interessenvertretung. Ohne Zweifel eine sinnvolle Annahme, wie eingangs gezeigt wurde: Politisch-aktive Verbände, die als Zielgruppe der Befragung herangezogen wurden, sind notwendigerweise kommunizierende Verbände. Im Mittel, ohne Berücksichtigung der Extremwerte nach oben oder unten, zeigt sich, dass „die Verbände im Durchschnitt 2,6 Personen in diesen Bereichen beschäftigen. Auch hier zeigt sich wieder, dass Gewerkschaften am besten organisiert sind mit durchschnittlich sieben Beschäftigten, während Berufsverbände mit nur 1,9 Beschäftigten in diesen Bereichen auskommen müssen.“

Mitglieder der Verbände

Mit 53 Prozent hat knapp mehr als die Hälfte der befragten Verbände Personen als Mitglied, ein Drittel (34 Prozent) andere Verbände, 54 Prozent der Verbände haben Firmen-Mitglieder sowie ein Anteil von 22 Prozent „andere Organisationen“ als Mitglied führen. Mehrfachnennungen suggerieren, dass ein Teil der befragten Verbände ein Nebeneinander verschiedener Mitglieds-Typen leben: Neben institutionellen Mitgliedern werden auch persönliche Mitgliedschaften im selben Verband unterhalten. Gemessen an der quantitativen Mitgliedsstärke kommen Dür und Mateo zum Schluss, „dass die Verbände im Durchschnitt recht klein sind. So haben nur 26 Verbände mehr als 500 individuelle Mitglieder und nur 13 Prozent mehr als 500 Firmen als Mitglieder.“ Durchaus erwähnens- und nicht minder bemerkenswert ist die Erkenntnis, dass 44 Prozent der Verbände wiederum auch Mitglied in einem europäischen (Dach-)Verband sind. Da beide Autoren in den letzten Jahren ähnliche Befragungen bereits für Österreich und Irland durchführen konnten, bietet sich der Vergleich an: „In Österreich liegt dieser Prozentsatz sogar bei 59 Prozent, in Irland bei 49 Prozent und in Spanien bei 51 Prozent“, schreiben sie.

Alter der Verbände

Es überrascht nicht, dass das durchschnittliche Alter der Verbände auf etwa 50 Jahre taxiert wird. Historisch gewachsene Strukturen der Bismarck"schen Zeit beziehungsweise der Weimarer Republik wurden nach Ende des 2. Weltkrieges neu organisiert und gegründet. Auf der anderen Seite gaben nicht weniger als 27 Verbände an, dass sie auf eine über hundertjährige Geschichte zurückschauen können. Ähnlich viele Verbände, nämlich 25, sind mit bis zehn Jahren vergleichsweise jung.

Wichtigkeit von Politikfeldern

Unter den befragten Verbänden nimmt die politische relevante Handlung im Bereich der Forschung den größten Raum ein. Mit den Themen Migration und Geschlechterpolitik wird am wenigsten aktiv umgegangen. Die Autoren zeigen sich überrascht, angesichts der großen Anzahl an Unternehmerverbänden, dass der Bereich Außenhandel weniger relevant zu sein scheint (siehe Abbildung 2). „Diese Ergebnisse decken sich aber sehr stark mit den Ergebnissen der Umfragen in den anderen Staaten: in Spanien gaben zum Beispiel 57 Prozent der Verbände an, dass das Gebiet der Forschung für sie wichtig oder sehr wichtig ist, während sich nur 13 Prozent auf dem Gebiet der Migration engagieren. Auch in Österreich ist Forschung das wichtigste Politikfeld und Migration das am wenigsten wichtige.“

Die politische Aktivität der befragten Verbände lässt sich nach Dür und Mateo in fünf Punkten zusammenfassen: Die Verbände sind politisch sehr aktiv. Sie konzentrieren sich auf nationale politische Entscheidungen und haben auch dann mehr nationale Kontakte, wenn sie EU-Entscheidungen beeinflussen wollen, dennoch aber ein ausgeprägtes europäisches Netzwerk unterhalten. Schließlich nimmt direkte Beeinflussung von Entscheidungen über das Gespräch mit den Entscheidern mehr Raum ein als eine „plumpe“ Handhabung öffentlicher Meinungsbildung. Dass es zwischen den einzelnen Verbandstypen große Unterschiede gibt, schließen beide Autoren nicht aus.

Interessenvertretung als wichtiges Arbeitsfeld

Dür und Mateo: „Interessenvertretung ist die wichtigste Aufgabe der Verbände, die auf unsere Umfrage geantwortet haben.“ Nach Einordnung in die Antwortmatrix möglicher Aktivitäten von Verbänden (beraten, unterstützen, kommunizieren, forschen, vertreten oder vermitteln Verbände in der ein oder anderen Weise ausgeprägt) ergibt sich aus der Studie, dass die befragten Verbände knapp 40 Prozent ihrer Zeit in die Vertretung von Interessen ihrer Mitgliedschaft stecken. Schließlich sind „Mitgliederaktivitäten wichtig, wobei Dienstleistungen einen Anteil von 27 Prozent und andere Aktivitäten für Mitglieder einen Anteil von 23 Prozent an den Tätigkeiten der befragten Verbände“ einnehmen. Damit liegen die Ergebnisse aus Deutschland im Mittelfeld der vorherigen Befragungsergebnisse aus Irland, Spanien und Österreich.

Ein wenig überrascht die Konzentration auf den nationalen Gesetzgeber, die sich aus den Antworten auf die Frage: „Als Anteil Ihrer gesamten politischen Aktivitäten, ungefähr wie viel Zeit wendet Ihr Verband auf, um folgende Entscheidungen zu verfolgen und/oder zu beeinflussen?“ ergibt sowie aus der Auswahl: „deutsche Gesetzgebung“ (einschließlich Gesetzgebung, die zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht dient), „EU-Gesetzgebung“ (Gesetzesentwürfe bis zur endgültigen Beschlussfassung auf EU Ebene), „Entscheidungen deutscher Behörden“, „Entscheidungen europäischer Behörden“ und schließlich „Entscheidungen anderer Institutionen“. Aus den Antworten ergibt sich, dass die Verbände knapp die Hälfte ihres Engagements im Bereich der Interessenvertretung, nämlich 43 Prozent, in Zusammenarbeit mit Vertretern der nationalen gesetzgebenden Organe investieren. Weitere 22 Prozent widmen sie Kontakten mit deutschen, ausführenden, Behörden. Erst an dritter Stelle, mit 18 Prozent Einsatz im Feld der Interessenvertretung, stehen EU-Kontakte und der Wunsch, europäische Gesetzgebung direkt auf europäischer Bühne zu beeinflussen. Dieses Bild korreliert mit dem Ergebnis der Frage nach der gewählten Taktik.

Ansprache der deutschen Legislative

Deutlich erkennbar ist die Konzentration auf die nationale legislative Ebene. „Alle Taktiken außer die Organisation von und Teilnahme an Demonstrationen werden häufiger zur Beeinflussung nationaler Gesetzgebung als zur Beeinflussung von EU-Gesetzgebung verwendet.

Die größten Unterschiede ergeben sich hierbei für direkte Kontakte, Presseaussendungen und die Teilnahme an Treffen“, fassen die Autoren zusammen (siehe Abbildung 3). Das schlägt sich auch in der Frage nach einer zweiten alternativen sinnvollen Lobbytaktik nieder. Über die indirekte Beeinflussung europäischer Entscheidungen vermittels der guten Kontakte in die nationale Politik scheinen die befragten Verbände deutlich erfolgreicher zu sein, andernfalls würden die quantitativen Kontakte zwischen Verband und nationalem Gesetzgeber geringer sein. Um dieses Spannungsfeld auszuleuchten, kreuztabellierten Dür und Mateo die Frage „Wie oft hatten Sie in den letzten zwei Jahren Kontakt mit den folgenden Institutionen oder Akteuren in Deutschland mit Bezug auf politische Entscheidungen der EU?“ mit der entsprechenden Frage hinsichtlich des Kontakts zu Institutionen auf europäischer Ebene. Das Ergebnis verdeutlicht, dass die deutschen Verbände erkennbar intensivere (angenommen, die quantitative Zahl steht auch für qualitativ erfolgreiche Gespräche) Kontakte mit nationalen als mit übernationalen politischen Akteuren unterhalten. Beide schreiben, dass die Anzahl „Kontakte mit der deutschen Verwaltung und deutschen Behörden“ sogar besonders groß sei. „Auf europäischer Ebene bestehen die besten Kontakte zu Mitgliedern des europäischen Parlamentes und zu Beamten in der Europäischen Kommission.“ Erstaunlicherweise wird die deutsche Vertretung in Brüssel kaum von den befragten Verbänden in ihre Lobby-Aktivitäten eingebunden. Gleichermaßen zeigt die Studie aber auch auf, dass auch „wenn deutsche Verbände mehr Kontakte mit deutschen als mit europäischen politischen Akteuren und Institutionen haben, der Grad der Vernetzung mit der europäischen Ebene nicht unterschätzt werden“ darf. In den letzten zwei Jahren hatte knapp die Hälfte aller Befragten Kontakt mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments, ein Viertel sogar sechs oder mehr regelmäßige Kontakte (siehe Abbildung 4).

Auf Leisen Sohlen: Einflussnahme in Brüssel

Die beiden Politikwissenschaftler sind sich sicher, dass dieses auch von der Fähigkeit deutscher Verbände zeuge, „auf eine Verschiebung der Kompetenzen weg von nationalen Parlamenten und hin zu europäischen Institutionen zu reagieren“. Dass deutsche Verbände weniger direkte Kontakte und weniger aktive Einflussnahme in Brüssel direkt ausüben, dürfte, so vermuten Mateo und Dür, an der Stellung Deutschlands im europäischen Konzert liegen: „Irische und österreichische Verbände sind aber noch besser in der EU vernetzt als deutsche, was wahrscheinlich auch damit zusammenhängt, dass für Verbände aus kleinen Mitgliedsstaaten der direkte Zugang wichtiger ist als für Verbände aus dem größten EU-Mitgliedsstaat.“

Zudem lässt sich aus den Ergebnissen der Befragung herauslesen, dass die deutsche Verbände Interessenvertreter auf „leisen Sohlen“ sind. Unterschieden nach den sogenannten externen und internen Taktiken des Lobbyings4, treten deutschen Verbände bei der Öffentlichkeitsarbeit eher auf die Bremse und nutzen ihren direkten Draht zu den Entscheidungsträgern auf den verschiedenen Ebenen häufiger (und wahrscheinlich auch erfolgreicher) als presse- oder öffentlichkeitswirksame Aktionen wie die Organisation und Teilnahme an Großveranstaltungen, Demonstrationen oder die Durchführung von Internetkampagnen. Einzig Presseaussendungen kommen als Lobby-Taktik in Anschlag, Demonstrationen nur in seltenen Fällen. Hier dürften vor allem Gewerkschaften unter den befragten Organisationen zu verstehen sein.

Unternehmerverband vs. NGO

Aus den Ergebnissen der Befragung wird deutlich, dass der Anteil an Interessenvertretung bei Unternehmerverbänden deutlich größer ist als bei Non-Governmental Organizations (NGO). Die etwa mit einem Drittel an der absoluten Stichprobe stark vertretenen Unternehmerverbände investieren etwa 40 Prozent ihrer Aktivität in Lobbying, bei den NGOs sind es 28 Prozent. Dür und Mateo stellen fest, dass der „Unterschied zwischen Unternehmerverbänden und Berufsverbänden mit Bezug auf diese Frage im Gegensatz dazu sehr klein ist“ sowie sich ähnliche Unterschiede auch in Irland und Spanien zeigen. Dass quantitative Erhebungen auch Ergebnis einer qualitativen Entwicklung sein können, legt sich in diesen Werten dar. Wer qualitativ gute Ergebnisse mit einem Instrument erreicht, wird dieses Instrument häufiger und intensiver einsetzen, um noch bessere Ergebnisse zu erzeugen. Das schlägt sich in der Befragung deutlich nieder, wie Mateo und Dür schreiben: „In Deutschland haben Unternehmerverbände besseren Zugang als andere Verbände vor allem zu Regierung und Parlament; nicht aber zu politischen Parteien (hier haben NGOs und Unternehmerverbände gleich guten Zugang, aber Berufsverbände bedeutend schlechteren).“ Das betrifft die nationale Ebene ebenso wie die europäische Bühne und ist in Brüssel sogar noch ausgeprägter.

Fazit

Was die politische Aktivität und den – vermeintlichen (!) – Erfolg von Interessenvertretung der deutschen Verbände in Deutschland und Europa angeht, stellen sich die befragten Verbände als sehr aktiv vor. Das nimmt nicht wunder, sind diese befragten Verbände doch mit einer gewissen Orientierung auf gesamtgesellschaftlich relevante Themen von den Autoren dieser Studie ausgesucht worden, zudem bemühen sich in der Regel nur politisch aktive Verbände um einen Eintrag in die „Lobbyliste“. Folglich sollten Rückschlüsse auf den tatsächlichen Erfolg und die Qualität der politischen Aktion mit Rücksicht auf diese Vorbedingungen betrachtet werden, was beide Autoren der Befragung einräumen. „Auch wenn wir aufbauend auf dieser Studie nicht sagen können, wie effektiv die Interessenvertretung der Verbände ist, zeigt sich, dass Verbände eine bedeutende Rolle in den politischen Systemen Deutschlands und der EU einnehmen.“ Quod erat demonstrandum.


 

1 Vgl. Wachstumsbranche: Verbände in Deutschland / Verbände schaffen 1.500 Arbeitsplätze / 200 Verbandsgründungen pro Jahr. 2008. http://www.verbaende.com/nachrichten_fuer_verbaende/2011/wachstumsbranche_verbnde_in_deutschland.php 2  Zu den Verbänden zählen auch die Kammern, Innungen und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts, Aktiengesellschaften, gGmbHs und andere Organisationen verschiedenster Rechtsformen. 3  Zitiert nach: O. Hoffjann, R. Stahl: Handbuch Verbandskommunikation. S. 9. Wiesbaden 2010. 4 Kollman, Ken. Outside Lobbying: Public Opinion and Interest Group Strategies. Princeton: Princeton University Press. 1998. Zitiert nach: Dür, Andreas, Mateo, Gemma. Die politischen Aktivitäten deutscher Verbände: Resultate einer Umfrage. 2011.

 

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Autor/in

Tim Richter

ist Redaktionsleiter des Deutschen Verbände Forums – verbaende.com und ständiges Mitglied der Redaktion des Verbändereport. In verschiedenen Positionen setzt er die Möglichkeiten des Internets und von Social Media zur Schaffung von Öffentlichkeit ein. Er ist Mit-Herausgeber des Fachbuches „Social Media in Verbänden“ und berät Organisationen im erfolgreichen Einsatz und Umgang mit den neuen Medien.

http://www.verbaendereport.de

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