Der Eintritt und Austritt von Mitgliedern in Verbänden beruht auf Ursachen, deren Analyse der Verband für die Mitgliederbindung und -gewinnung nutzen kann. Der folgende Beitrag beruht auf einer im Rahmen einer Diplomarbeit bei einem Berufsverband durchgeführten Studie, in der exemplarisch dargestellt wird, wie die Ergebnisse von Mitgliederzufriedenheitsstudien durch Kündigeranalysen sinnvoll ergänzt werden können.
Eine Grundlage für die Verbesserung der Mitgliederbindung kann die genaue Kenntnis der Erwartungsenttäuschungen von ausgetretenen oder austrittswilligen Mitgliedern bilden. Deshalb sollten Verbandsaustritte nicht das Ende der Beziehungen zu den Mitgliedern darstellen, sondern Anlass zu Nachfass-Aktionen sein, die folgende Erklärungen liefern sollten:
- Was sind die Faktoren, die das Mitglied von der Fortsetzung der Mitgliedschaft abhalten?
- Wie kann der Verband Kündigungsgründe frühzeitig erkennen, um gezielt Gegenmaßnahmen zu ergreifen?
Regelmäßige formalisierte oder informelle Befragungen von Bestandsmitgliedern stellen das wichtigste Instrument zur Messung der Mitgliederzufriedenheit des Verbandes dar. Neben der Analyse der Mitgliederzufriedenheit von Bestandsmitgliedern kann insbesondere eine Befragung von Kündigern weitere Anhaltspunkte zur Erhöhung der Mitgliederbindung und zur Reduktion der Kündigerzahlen liefern. Durch die explizite Befragung ehemaliger Mitglieder hinsichtlich ihrer Erwartungsenttäuschungen und ihrer konkreten Austrittsmotive können relevante Austrittsursachen verlässlich identifiziert werden. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse aus Kündigeranalyse und Mitgliederbefragung kann der Verband effizientere Gegenmaßnahmen ergreifen, als dies bei alleiniger Betrachtung der Aussagen der Bestandsmitglieder möglich wäre.
Im Rahmen einer Studie bei einem Berufsverband wurden zunächst auf Basis bestehender Mitgliederzufriedenheitsstudien und Mitgliederbestandsentwicklungen sowie durch Gespräche mit Mitarbeitern aus dem Geschäftsbereich Mitgliedermarketing und dem Management des Verbandes kritische Mitgliedersegmente identifiziert, die eine besonders hohe Austrittsquote aufwiesen. Es stellte sich heraus, dass Mitglieder einer bestimmten Altersgruppe die höchste Kündigerquote aufwiesen. Um Ansatzpunkte zur stärkeren Bindung von Mitgliedern aus diesem Segment zu gewinnen, wurden im weiteren Verlauf Kündiger dieser Gruppe detailliert zu ihren Kündigungsmotiven befragt. Zur Erzielung aussagekräftiger Ergebnisse wurde sowohl eine telefonische als auch eine darauf aufbauende schriftliche Befragung durchgeführt.
Telefonische Untersuchung
Die telefonische Befragung der ehemaligen Mitglieder erfolgte nach der Critical Incident Technic-Methode (CIT-Methode). Dieses Verfahren – bei dem die Befragten in einem offenen Gespräch über besonders positive oder negative Erfahrungen mit dem Verband berichten sollen – wird häufig eingesetzt, um nachhaltige Eindrücke, d. h. vom Mitglied besonders positiv oder negativ erlebte Interaktionsprozesse im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer Leistung des Verbandes zu ermitteln.
Durch den Verzicht auf eine standardisierte Befragung sollte zudem sichergestellt werden, dass auch konkrete Kündigungsmotive identifiziert werden können, die im Voraus nicht als relevant erachtet wurden. Ziel der Telefoninterviews war es, neben den bislang identifizierten Unzufriedenheitsfaktoren insbesondere kritische Ereignisse und Motive zum Verlassen des Verbandes zu bestimmen und auf Basis dieser Informationen spezielle Bindungsmaßnahmen zu entwickeln, damit die potenziell vom Austritt bedrohten Bestandsmitglieder gehalten werden können. Für die Durchführung der Untersuchung stellte der Verband Kontaktdaten von ehemaligen Mitgliedern zur Verfügung, die kurz zuvor gekündigt hatten. Durch die zeitliche Eingrenzung hinsichtlich der befragten Personen wurde gewährleistet, dass sich die Kündiger noch deutlich an die Kündigungsmotive erinnern konnten.
In den Telefoninterviews erfolgte zunächst eine kurze Vorstellung des Projekts. Im Anschluss daran wurden die Teilnehmer gebeten, im freien Gespräch Stellung zu folgenden Themen zu nehmen:
- Kündigungsgründe
- Positive oder negative Erfahrungen/Ereignisse im Laufe der Mitgliedschaft
- Beschwerdegründe während der Mitgliedschaft
- Verbesserungsvorschläge
- Wiedereintrittsmöglichkeit.
Ergebnisse der telefonischen Untersuchung
Entscheidende Kündigungsfaktoren lagen bei der betrachteten Kündigergruppe im beruflichen und privaten Umfeld sowie in ihren spezifischen Lebensumständen. Viele der Befragten standen am Anfang ihrer beruflichen Karriere und mussten einen entsprechenden Arbeitseinsatz leisten, um sich im Berufsleben zu etablieren. In dieser spezifischen Lebenssituation wurde die Verbandsmitgliedschaft von einer Reihe von Mitgliedern aus rein finanziellen Gründen in Frage gestellt. Zudem gaben die Befragten an, dass sie das umfassende Informationsangebot des Verbandes aus zeitlichen Gründen nicht in adäquater Weise nutzen könnten. Verbandsrundschreiben, Einladungen, Newsletter oder Broschüren des Verbandes, die keine für das Mitglied unmittelbar verwertbaren Informationen enthielten, wurden als störend empfunden. Eine rein rational begründete Kosten-Nutzen-Analyse wurde oft als Kündigungsgrund angegeben.
Fazit: Mitglieder in dem betrachteten Segment waren hinsichtlich der Mitgliedsbeitragshöhe in Relation zu dem für sie nutzbaren Leistungsangebot und der Informationsflut unzufrieden.
Schriftliche Befragung
Auf Basis der aus der telefonischen Befragung ehemaliger Mitglieder und der betrachteten Verbands-Studien gewonnenen Erkenntnisse wurden im Anschluss potenzielle Lösungsansätze zur Steigerung der Mitgliederbindung im Verband abgeleitet. Insbesondere differenzierte Beitragssysteme, zielgruppenspezifische Leistungsangebote, individuelle Leistungen und der Aufbau eines Member-Relationship-Management-Systems erschienen besonders Erfolg versprechend.
Im Rahmen einer schriftlichen Befragung ehemaliger Mitglieder im definierten Alterssegment sollte die Relevanz der möglichen Lösungsansätze an einer größeren Gruppe von Kündigern überprüft werden. Dazu wurde ein Fragenkatalog entwickelt, der Fragen zu folgenden Themen enthielt:
- Kündigungsursachen;
- Beschwerdemanagement;
- Bekanntheit, Nutzungshäufigkeit und Zufriedenheit mit spezifischen Verbandsleistungen;
- Erwartungen der Mitglieder;
- Anforderungen und Präferenzen an differenzierte Mitgliedsbeitragsmodelle.
Ergebnisse der schriftlichen Befragung
Die schriftliche Befragung bestätigte, dass Kosten-Nutzen-Aspekte eine ent-scheidende Rolle bei der Kündigungsentscheidung einnahmen. Auch wenn Leistungen wie Aus- und Weiterbildungs-angebote im Rahmen einer Mitgliedschaft als wichtig eingestuft wurden, wurden diese oftmals aufgrund des subjektiv wahrgenommenen schlechten Preis-/Leistungsverhältnisses nicht in Anspruch genommen. Viele Angebote des Verbandes waren den Befragten zwar bekannt, wurden von den Personen im betrachteten Segment aber nicht beansprucht, da sie entweder zu wenig Zeit zur Nutzung hatten oder die Angebote zu wenig an ihren Bedürfnissen ausgerichtet waren.
Als wichtigste Leistungsangebote, die von einer Mitgliedschaft in einem Berufsverband erwartet wurden, wurden allgemeine sowie fach- und berufsspezifische Informationen genannt. Viele der Befragten äußerten darüber hinaus Interesse an fach- und berufsspezifischer Beratung. (Schaubild: Leistungsangebote nach Bei-tragsmodellen)
Außerordentlich hoch war das Interesse an differenzierten Beitragssystemen. Mit Hilfe solcher differenzierter Beitragssysteme können verschiedenen Mitgliedersegmenten unterschiedliche und an ihren Bedürfnissen orientierte Leistungsbündel angeboten werden. Die Befragungsergebnisse zeigten, dass viele Mitglieder primär an der Erfüllung von Informationsbedürfnissen – sowohl fachspezifischer, als auch allgemeiner Natur – sowie an Aus- und Weiterbildungsangeboten interessiert waren. (Siehe Kasten: Differenzierte Beitragssysteme)
Das hohe Interesse an einer Basis-Mitgliedschaft zu einem günstigen Mitgliedsbeitrag ließ darauf schließen, dass ein Teil der ehemaligen Mitglieder bereits mit der Abdeckung der genannten Grundbedürfnisse zufrieden gewesen wäre. Diese Mitglieder hätten eventuell durch ein reduziertes Angebot zu einem günstigeren Preis von der Kündigung abgehalten werden können. Aus diesem Grunde sollte in Erwägung gezogen werden, die Mitglieder anhand ihrer Zahlungsbereitschaften zu segmentieren und unterschiedliche Mitgliedsbeitragsstufen anzubieten.
Ferner dürfte sich eine Erweiterung des Leistungsportfolios um kostenpflichtige Zusatzleistungen i. S. v. Individualleistungen anbieten. Dabei sollte ein angemessenes Preis-/Leistungsverhältnis in Bezug auf die Mitgliederstruktur des Verbandes angestrebt werden.
Fazit
Ziel der vorausgegangenen Betrachtung sollte sein, die Wichtigkeit der Einbeziehung ehemaliger Mitglieder bei der Ableitung von Strategien zur Steigerung der Mitgliederbindung aufzuzeigen. Es erscheint zweckmäßig, neben Zufriedenheitsstudien auch Kündigeranalysen durchzuführen, um zielführende Maßnahmen zu einer stärkeren Bindung von Mitgliedern zu entwickeln. Auf Basis der kombinierten Erkenntnisse aus Kündigeranalyse und Zufriedenheitsstudie kann der Verband geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen, als bei alleiniger Betrachtung der Aussagen der Bestandsmitglieder möglich wäre.
Durch die kontinuierliche Überwachung des Zufriedenheitszustands der Mitglieder und der Einbeziehung positiver und negativer Erfahrungen können frühzeitig adäquate Maßnahmen für eine dauerhafte und feste Bindung der Mitglieder ergriffen werden. (SA)
Differenzierte Beitragssysteme
Eine Möglichkeit zur Erreichung einer höheren Mitgliederloyalität bieten differenzierte, von der Mitgliedsart abhängige Beitragssysteme. Dabei werden verschiedenen Mitgliedergruppen segmentspezifische Leistungsangebote zu unterschiedlichen Entgelten unterbreitet. Ein solches Beitragsmodell kann dergestalt aufgebaut sein, dass beispielsweise zwischen drei Beitragstypen wie Basis-, Premium- und Exklusivmitgliedschaft differenziert wird. Während das Basisangebot wesentliche Kernleistungen des Verbandes (z. B. Fachinformation und Interessenvertretung) zu einem günstigen Entgelt enthält, umfasst das Premiumangebot den Zugriff auf ein umfangreicheres Leistungs- und Aktivitätenangebot. Das Exklusivpaket zu einem hohen Mitgliedsbeitrag wiederum beinhaltet zusätzliche, über das Premiumangebot hinausgehende Exklusivleistungen, wie beispielsweise Einladungen für Spezialveranstaltungen oder eine Individualberatung durch den Verband bei entsprechendem Bedarf.