Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) ist die Umsetzung der europäischen Whistleblower-Richtlinie in Deutschland und am 2. Juli 2023 in Kraft getreten. Für alle Verbände mit Unternehmensmitgliedern bietet sich hier ein interessantes und wichtiges Betätigungsfeld.

Durch das Hinweisgeberschutzgesetz sollen natürliche Personen – Hinweisgebende – vor möglichen Benachteiligungen geschützt und Meldungen erleichtert werden. Dazu ist eine vertrauliche und diskrete Behandlung der hinweisgebenden Person vorgeschrieben – eine Kündigung, Abmahnung und sonstige berufliche Nachteile sind gesetzlich verboten.
An die Vorgaben halten muss sich jeder Beschäftigungsgebende (Unternehmen ebenso wie Verbände und Vereine). Ab 50 Mitarbeitenden ergibt sich auch die Verpflichtung, interne Meldestellen einzurichten, an die sich Hinweisgebende wenden können und sollen. Ergänzend gibt es externe Meldestellen (z. B. beim Bundeskartellamt), bei denen Hinweisgebende Rechtsverstöße melden und auch Rechtsschutz erhalten können.
Das Internet bietet zu diesem Themenbereich eine Fülle an Angeboten, die scheinbar schon ab 79 Euro monatlich allen Anforderungen vollumfänglich gerecht werden. Alles ganz einfach, so die Werbeversprechen.
Die rechtlichen Vorgaben zu erfüllen, ist das eine. Die Anbieter zu sichten und ihre Leistungen zu vergleichen, das andere. Doch ist es damit wirklich getan?
Fälle wie Julian Assange oder Wirecard sind sicherlich nicht an der Tagesordnung. Aber wenn sich jemand an ein Unternehmen oder einen Verband wendet, weil er Kenntnis von einem wichtigen Vergehen hat, so ist das ein ernst zu nehmendes Ansinnen. Mit der Professionalisierung der Meldewege wird auch die Erwartungshaltung beim Meldenden gesteigert. Die Meldung muss deshalb absolut professionell und inhaltlich einwandfrei ablaufen, den Meldenden schützen und ihn auch inhaltlich überzeugen. Er muss sich ernst genommen fühlen. Wenn hier etwas schiefläuft, sind Ärger, Unruhe und Schaden vorprogrammiert.
Es geht also um weit mehr als nur um die Einhaltung von Fristen und die Vermeidung von Bußgeldern. Inhaltlich birgt das Thema für Verbände viel Potenzial, um Mitgliedsunternehmen zu unterstützen und möglichen Schaden von der Branche abzuwenden.
Die interne Meldestelle – was ist zu beachten?
Beschäftigungsgebende mit mindestens 250 Beschäftigten müssen die gesetzlichen Vorgaben für eine interne Meldestelle seit 2. Juli 2023 umgesetzt haben. (Bußgelder drohen erst ab 1. Dezember 2023.) Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten haben noch bis zum 17. Dezember 2023 Zeit.
Es ist aber absehbar, dass in Zukunft auch von kleineren Beschäftigungsgebenden erwartet wird, dass sie solche vertraulichen Meldewege ermöglichen.
Die Bandbreite hierbei ist groß und fängt mit dem internen Aushang am Schwarzen Brett für die Mitarbeitenden an.
16 Punkte, die Beschäftigungsgebende klären und beachten sollten:
- Gibt es beim Beschäftigungsgebenden bereits ein Hinweisgebersystem, z. B. aus dem Umfeld des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz? Kann das System an die Anforderungen angepasst werden?
- Welche Meldewege sollen möglich sein? Minimallösung oder mehr? Telefonisch, persönlich, Brief, Mail, Website? Sollen auch anonyme Meldungen möglich sein?
- Geschlossen oder offen? Soll es nur einen internen Meldekanal für die eigenen Beschäftigten (+ Leiharbeitenden) geben oder für alle Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit mit dem Beschäftigungsgebenden in Kontakt stehen?
- Wie sollen Mitarbeitende und ggf. sonstige hinweisgebende Personen über die möglichen Meldewege informiert werden? Schwarzes Brett, Intranet, Website?
- Wie und welche Wege der Veröffentlichung wählt man? Potenzielle Hinweisgeber sollen zur Meldung an die interne Meldestelle ermutigt werden. Ziel ist, dass der Hinweisgebende seine Meldung intern kundtut und keine externe Meldestelle dafür nutzt – oder sich gar an die Presse wendet. Das System sollte auch nicht missbräuchlich oder falsch genutzt werden.
- Wer soll innerhalb des Unternehmens/Verbands zuständig sein für die Entgegennahme und Bearbeitung der Hinweise?
- Wie kann die Vertraulichkeit der Meldung sichergestellt werden?
- Wie wird bei Eingang einer Meldung konkret vorgegangen? Wer verantwortet die Einhaltung der Fristen: von der Eingangsbestätigung an den Hinweisgeber über die Entscheidung zu Folgemaßnahmen bis zur Rückmeldung an den Hinweisgeber?
- Wie geht man mit den Meldungen um? Welche Richtlinien gibt es? Wie geht man mit Meldungen um, die nicht ausdrücklich unter das Gesetz fallen?
- Sind die Personen im Unternehmen/Verband, die für die Entgegennahme und Bearbeitung der Hinweise zuständig sein werden, unabhängig sowie ausreichend qualifiziert für diese Aufgabe? Verfügen sie über die notwendigen Kenntnisse?
- Was ist mit Urlaubszeiten, Krankheiten etc. – können Sie als Beschäftigungsgebender die Bearbeitung kontinuierlich sicherstellen?
- Ist es vielleicht ratsam, die Entgegennahme und ggf. die Bearbeitung von Meldungen an einen externen Anbieter zu übergeben?
- Wie werden die Meldung und die Kommunikation mit dem Hinweisgeber dokumentiert?
- Wie kann der interne Meldekanal datenschutzkonform implementiert werden? Was ist alles zu beachten?
- Gibt es einen Betriebsrat? Wie bindet man ihn in dieses sensible Thema ein? Welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen?
- Sind die Personalverantwortlichen auf das Thema vorbereitet? Sie werden künftig beweisen müssen, dass ein Hinweis und arbeitsrechtliche Maßnahmen nicht in Verbindung stehen.
Welche Rolle können Verbände übernehmen?
Auch wenn ein Verband als Beschäftigungsgebender nicht selbst zur Einrichtung einer internen Meldestelle verpflichtet ist, so bietet sich hier für alle Verbände mit Unternehmensmitgliedern ein interessantes und wichtiges Betätigungsfeld.
Unverzichtbar sind die Informationsleistung und Schaffung von Rahmenbedingungen sowie Standards für die Branche bis hin zur Ausarbeitung eines konkreten Angebots für die Einrichtung und Übernahme interner Meldestellen, ob inhouse oder mit einem externen Anbieter.
Der Verband als Organisator im Hinweisgeberschutz:
- Der Verband kann sinnvolle Rahmenbedingungen schaffen, Empfehlungen geben und die Mitglieder über das Thema informieren.
- Der Verband kann die Mitglieder bei eigenen internen Meldestellen unterstützen, sodass die Schnittstellen funktionieren und wichtige Grundlagen wie die Vertraulichkeit gesichert werden. Schon ein Fall, der schiefläuft, kann das Image einer Branche schwer beschädigen. Der Verband kann hier Ansprechpartner für Umsetzungsfragen sein.
- Das Personal, das Meldungen entgegennimmt, muss unabhängig und qualifiziert sein. Hier können Verbände schulen und unterstützen.
- Beschäftigungsgebende mit Betriebsrat brauchen eine saubere Implementierung.
- Der Verband kann eine eigene Hinweisgebersystem-Lösung für Mitgliedsunternehmen und die Branche schaffen. Gerade für kleinere Beschäftigungsgebende (bis 249 Mitarbeiter) kann das ein wertvolles Angebot sein, wenn der Verband mit seiner Expertise dahintersteht.
- Abzuwägen ist, ob man als Verband auch selbst – mit dem eigenen Verbandspersonal – für Mitglieder als Meldestelle fungiert? Hat man die Ressourcen? Muss man ggf. Interessenkonflikte befürchten?
- Oder bietet man ein durch den Verband „gebrandetes“ Hinweisgebersystem/eine interne Meldestelle mit einem Ombudsmann?
Wichtig ist, dass Verbände hier das Heft in die Hand nehmen. Ein gut funktionierendes Hinweisgebersystem ist eine Chance, um Fehlentwicklungen und problematische Umstände frühzeitig zu erkennen, und es verhindert, dass diese Hinweise bei externen Meldestellen landen oder sogar in der Presse.
Dieser Artikel wurde mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt, gibt aber nur Hinweise und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es kann keine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit übernommen werden.
Die Gesamtkonstruktion muss stimmen
Der Verbändereport sprach mit Stephan Rheinwald, der sich bereits seit mehr als zehn Jahren mit dem Aufbau und Betrieb von Hinweisgebersystemen und internen Meldestellen beschäftigt. Zudem nimmt er als Ombudsmann auch selbst Meldungen entgegen.
Verbändereport: Herr Rheinwald, was wird eigentlich alles gemeldet?
Stephan Rheinwald: Das reicht vom alkoholisierten Lkw-Fahrer, von illegaler Müllentsorgung, dem Verdacht von Schmiergeldern bis hin zu wettbewerbsrechtlichen Themen. Es gibt aber auch viele Themen, die nicht in den Bereich des Hinweisgeberschutzgesetzes fallen, aber für Unternehmen dennoch erkenntnisreich sind. Ein Beispiel aus der Praxis sind zum Beispiel Hinweise auf Interessenkonflikte, wie ungenehmigte Nebenbeschäftigungen oder private Nutzung von Firmeneigentum.
Wer meldet?
In erster Linie natürlich die Beschäftigten. Lässt man auch Hinweise von Externen zu, was ich empfehle, kommen ehemalige Mitarbeiter, Dienstleister und Geschäftspartner hinzu. So hat man die Chance, Sachverhalte über das eigene Unternehmen zu erfahren, auf die man sonst nie aufmerksam geworden wäre.
Wo sehen Sie große Herausforderungen in der Praxis?
Alles in allem muss es halt in der Gesamtkonstruktion stimmen. Die Software für ein digitales Meldeportal ist kein Hexenwerk, dafür gibt es viele Anbieter. Aber dann geht es auch schon los: Die Meldestelle muss fachkundig besetzt und intern bekannt gemacht werden. Eingehende Hinweise müssen professionell bearbeitet werden. Hier darf man sich einfach keine Fehler erlauben, sonst können Bußgeldzahlungen von bis zu einer Million Euro fällig werden.
Auch Meldungen bei den neu eingerichteten staatlichen externen Stellen sollten unbedingt vermieden werden. Dann ist man nicht mehr Herr des Geschehens.
Was würden Sie Verbänden empfehlen?
Unbedingt in das Thema reingehen und den Mitgliedsunternehmen bei der Umsetzung helfen.
Sollen sie selbst die Meldestelle einrichten oder einen Dienstleister beauftragen?
Als Anbieter dieser Dienstleistungen wird es niemanden überraschen, dass ich die Fremdvergabe für die sinnvollste Möglichkeit halte, um interne Meldungen entgegenzunehmen und professionell zu bewerten.
Als ausgesprochen anspruchsvolles Terrain erleben wir in der Praxis neben der rechtlichen Bewertung der eingehenden Hinweise auch die Beachtung vieler gesetzlicher Vorgaben, z. B. die Einbindung des Betriebsrats und des Datenschutzbeauftragten. Das muss alles gut gemacht sein, da kann ein erfahrener Dienstleister sicher helfen.
Ergänzen möchte ich noch den Hinweis, dass das Gesetz vorsieht, dass mehrere Unternehmen mit in der Regel bis zu 250 Beschäftigten eine gemeinsame Stelle einrichten können, wobei die Vertraulichkeit selbstverständlich gewahrt bleibt. Hierfür kann der Verband die Initiative ergreifen und eine solche Stelle initiieren. Durch die entstehenden Kostenvorteile macht die Fremdvergabe dann nicht nur inhaltlich, sondern auch ökonomisch Sinn.
Allen sollte klar sein, dass das Thema insgesamt jetzt mehr und mehr Fahrt aufnimmt.
Vielen Dank für das Gespräch!
(JG)
Stephan Rheinwald kennt Aufbau und Betrieb von Hinweisgebersystemen und internen Meldestellen („Whistleblowing“) sowohl in DAX-Konzernen als auch in größeren und kleinen mittelständischen Unternehmen (KMU). Das beinhaltet die Bereitstellung der technischen Infrastruktur von Hinweisgebersystemen (Meldekanäle) sowie die vertrauliche und kompetente Bearbeitung eingehender Hinweise als interne Meldestelle (Ombudsperson). www.hinweisgebersystem24.de