Zufriedenheit ist die wesentliche Voraussetzung um Mitglieder in einem Verband zu halten. Wie hoch muss die Zufriedenheit sein? Welche Ursachen hat Unzufriedenheit bei Verbandsmitgliedern und wie lassen sich diese Lücken schließen? Eine kürzlich abgeschlossene Untersuchung in Deutschland und den USA gibt Hinweise.
Mitgliederschwund: Existenzielles Thema
Der Mitgliederschwund der Wirtschaftsverbände in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren ist ein Top-Managementthema: Eine vom Autor kürzlich vorgenommene Befragung des Managements von 53 ausgewählten Wirtschaftsverbänden in Deutschland und in den USA zeigt, dass keiner der antwortenden Verbände in Deutschland in den letzten zehn Jahren seinen Mitgliederbestand ausweiten konnte. In den USA konnte das immerhin die Hälfte der Befragten.
Für Deutschland ist der Mitgliederschwund nur zum Teil mit der sinkenden Zahl der Unternehmen in den untersuchten Branchen zu erklären: Nicht nur wirtschaftliche Schwierigkeiten mit Insolvenzen und Übernahmen beziehungsweise Verschmelzungen, sondern auch Unzufriedenheit der Mitglieder der Wirtschaftsverbände führen zu Mitgliederschwund. Nach einer aktuellen Befragung des Ifo-Instituts im Auftrag der Wirtschaftswoche (NR. 46 NOVEMBER 2004, S. 22 -27) sind die Bewertungen der Verbandsleistungen in Deutschland im Durchschnitt bestenfalls befriedigend. Nach dieser Untersuchung denken 22 Prozent der Befragten darüber nach, aus dem Verband auszutreten.
Mitgliederschwund und damit auch sinkender Organisationsgrad der zu vertretenden Branche führt nicht nur zu einem schleichenden politischen Bedeutungsverlust. Er führt auch dazu, dass Kernleistungen für Mitglieder nicht zu finanzieren sind und sich die Attraktivität der Dienstleistungen für die Mitglieder weiter vermindert.
Demnach besteht Anlass, nach den Ursachen des Mitgliederschwundes zu fragen und Möglichkeiten der Sicherung des Mitgliederbestands zu nutzen. Lässt sich der Mitgliederbestand mit Methoden des Dienstleistungsmanagement stabilisieren?
Mitgliederzufriedenheit führt zu Mitgliederbindung
Ein klares Kosten-Nutzen-Kalkül hat die früher verbreitete selbstverständliche Verbundenheit ersetzt. Mitgliedschaft muss sich aber nicht nur rechnen. Für die dauerhafte Verbundenheit des Mitglieds mit dem Verband spielt auch das „Wie“ der Verbandsdienste eine Rolle.
Der Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Bindung konnte in der Vergangenheit oft bestätigt werden: Die vom Autor durchgeführte Mitgliederbefragung 2004 des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (HDE) zeigte, dass die Gebundenheit der Mitglieder an ihre Einzelhandelsverbände zu 70 Prozent über die Zufriedenheit mit den Leistungen erklärt wird (HDE). Ähnliches lässt sich auch dem Mitgliederfocus Deutschland 2003 (Verbändereport 4/2004, S. 11) entnehmen.
Mitglieder erwarten gleichermaßen sowohl die „Lobby“-Leistungen als auch die individuellen Dienstleistungen. Eine Dominanz der Dienstleistungen über die „Vertretungsleistungen“ („Lobbying“) ist nicht zu belegen. Für Deutschland zeigt die Mitgliederbefragung 2004 der HDE-Einzelhandelsorganisation Ähnliches: Die „Wichtigkeit“ der Leistungen „Lobbying“ und einzelner individueller Dienstleistungen für Mitglieder erreichen auf einer Fünfer-Skala gleichermaßen Durchschnittswerte von „vier“ oder größer (HDE).
Welche Möglichkeiten haben unzufriedene Mitglieder? Sie können austreten und die bisher vom Verband abgerufenen Dienstleistungen von Dritten beziehen. Wenn sich dies aber für sie nicht rechnet, werden sie zwar Mitglied bleiben, aber ihre Unzufriedenheit innerhalb und außerhalb des Verbandes deutlich äußern. Die Folge ist eine negative Stimmung gegenüber dem Verband, die das Anwerben neuer Mitglieder schwierig macht und auch den politischen Einfluss schwächt.
Sich nicht verbunden fühlende Mitglieder wirken also als doppeltes Risiko für den Verband: Sie verbreiten negative Stimmung und sie sind akut austrittsgefährdet, wenn einmal eine Leistung nicht zur Zufriedenheit ausfällt und sich Alternativen zur Mitgliedschaft bieten. Verbandsmanager sollten also Anteil und Merkmale der sich weniger oder nicht verbundenen Mitglieder kennen und die Verminderung dieser Problemgruppe als explizites Managementziel formulieren.
Mitgliederzufriedenheit kennen und bewerten
Die Befragung ausgewählter Verbandsmanager in Deutschland und in den USA zeigte, dass bisher über die Hälfte der antwortenden deutschen und 40 Prozent der US-Verbände angabegemäß wenigstens eine Mitgliederzufriedenheitsbefragung durchgeführt haben. Weitere 22 beziehungsweise 25 Prozent der Verbände planen das Erheben der Zufriedenheit für die Zukunft. Zufriedenheitserhebungen werden also in Zukunft für drei Viertel der Verbände zur Praxis. Derzeit weiß also etwa die Hälfte der befragten Verbandsmanager nicht, was die Mitglieder tatsächlich von ihrer Arbeit halten. Diese Ergebnisse sind zwar nicht repräsentativ für die deutschen oder die US-Wirtschaftsverbände, sie zeigen aber in den erhobenen Bereichen Handlungsbedarf.
In Deutschland wird das Instrument der Mitgliederzufriedenheitsmessung in nennenswertem Umfang erst seit ca. 1999 eingesetzt. Für die USA ist die Situation nicht signifikant anders als in Deutschland. Dem Autor ist nur ein einziger US-weit tätiger Wirtschaftsverband bekannt, der Zufriedenheitsmessungen regelmäßig seit 1991 vornimmt (die National Retail Federation NRF). Die schriftlich befragten US-Verbände nehmen frühestens seit 1999 derartige Untersuchungen vor.
Die Ergebnisse der Globalzufriedenheiten waren — so weit sie mitgeteilt wurden — für die Verbände erfreulich: Bei Harmonisierung der unterschiedlichen Messskalen schnitten von 17 Verbänden 15 mit „gut“ ab. Nur jeweils ein Verband in Deutschland beziehungsweise den USA wurde mit „befriedigend“ bewertet. Die Anzahl und Zusammensetzung der Antworten verbieten es, dieses Ergebnis zu verallgemeinern. Methodisch ist kritisch anzumerken, dass nur aktuelle Mitglieder befragt wurden. Die in der jüngsten Vergangenheit Ausgetretenen konnten ihre Wahrnehmung nicht äußern.
Für das Verbandsmanagement der befragten Verbände waren aber die Befragungen insofern sehr von Nutzen. Denn für acht von zehn US-Verbänden und sieben von dreizehn deutschen Verbänden waren die Ergebnisse „hilfreich“ oder „eher hilfreich“.
Sieben Verbände haben angegeben, als Konsequenz aus den Ergebnissen unmittelbar konkrete Maßnahmen ergriffen zu haben.
Zufriedenheitswerte richtig interpretieren
Aus Managementperspektive reicht es nicht aus, nur die Zufriedenheitswerte zu kennen. Sie müssen auch interpretiert werden: Für die Verbandsführung ist entscheidend, ob die Zahlen „grünes Licht“ oder Handlungsbedarf signalisieren. Skalen und Grenzwerte sind zu definieren. Reicht ein „befriedigend“ aus oder muss es „gut“ oder „sehr gut“ sein? Sollten Ergebnisse im Sinne von Betriebsvergleichen oder Benchmarking verglichen werden?
Der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Bindung wird nach verbreiteter Auffassung dadurch gekennzeichnet, dass in einem mittleren Bereich der Kundenzufriedenheit, der als Indifferenzbereich bezeichnet wird, keine nennenswerte Bindung erreicht wird. Erst mit wirklich guten Zufriedenheitswerten nimmt auch die Bindung deutlich zu. Diese vielfach gefundenen Beobachtungen sind plausibel: Mittelmäßige Leistungen werden vergessen. Nur überdurchschnittlich, d.h. „gute“ oder bessere Leistungen führen zur stärkeren Bindung. Demnach muss auch bei befriedigenden Werten schon reagiert werden. „Befriedigend“ befriedigt demnach nicht.
Daher wird hier in Übereinstimmung mit den aus vielen Dienstleistungsbranchen bekanten Zusammenhängen davon ausgegangen, dass erst ab als „gut“ wahrgenommenen Leistungen die Loyalität deutlich zunimmt. Mutatis mutandis wird dies auch für die Beziehung von Wirtschaftsverbänden zu ihren Mitgliedern unterstellt. Auf einer Fünfer-Skala wären also Zufriedenheiten ab vier, auf einer 100er Skala Zufriedenheiten ab 75 im grünen Bereich.
Ursachen der Unzufriedenheit und wie sie zu beseitigen sind
#Als nützliches Werkzeug zur Sicherung der Dienstleistungsqualität und der Kundenzufriedenheit wurde eine betriebswirtschaftliche Methodik entwickelt, die sich seit 1985 in verschiedenen Dienstleistungssektoren bewährt hat: Das GAP-Modell der Dienstleistungsqualität (PARASURAMAN et al., 1985).
Ein Hauptziel des vom Autor kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekts war, herauszufinden, ob dieses Werkzeug auch für Wirtschaftsverbände sinnvoll und praktikabel ist.
Im Ergebnis können mit diesem Modell auch für Wirtschaftsverbände systematisch die Ursachen möglicher Unzufriedenheit von Mitgliedern mit Leistungen ihres Verbands als Lücken (engl.: GAPs) zwischen Erwartungen wahrgenommener Leistung identifiziert werden.
Anmerkung: Das GAP-Modell erklärt Differenzen zwischen Erwartungen und wahrgenommenen Leistungen als Lücken die vom Management zu schließen sind.
Dabei wird „Unzufriedenheit“ als Diskrepanz zwischen erwarteter und vom Kunden wahrgenommener Leistung (GAP 5) dargestellt und gemessen. Allerdings hilft die blanke Erkenntnis, dass Mitglieder unzufrieden sind, dem Management nicht wirklich weiter.
Diese Unzufriedenheit ist im Rahmen der GAP-Analyse durch vier mögliche Fehlerquellen der Verbandsleistung (GAPs 1 bis 4) systematisch zu erklären:
- GAP 1: Das Management weiß nicht, welche Erwartungen die Mitglieder an einen exzellenten Wirtschaftsverband haben.
- GAP 2: Das Management formuliert nicht die vom Verband zu leistenden Prozesse und Standards, die eine wirklich hohe Mitgliederzufriedenheit garantieren.
- GAP 3: Die Dienstleistung wird nicht entsprechend den vorliegenden Standards erfüllt.
- GAP 4: Die kundengerichtete Kommunikation verspricht mehr als der Verband leisten kann und löst durch übertriebene Versprechen Unzufriedenheit aus.
Diese noch sehr allgemein formulierten GAPs sind jeweils im Einzelnen verbandsspezifisch zu analysieren: Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die „Stolpersteine“ der Mitgliederbindung wie sie den einzelnen Lücken zugeordnet werden können. So werden Aspekte der Standardisierung von Prozessen (GAP 2) vor allem für Verbände mit einem großen Anteil immer wieder ähnlich erbrachter Leistungen eine Rolle spielen. Die Kommunikation zum Mitglied scheint in Deutschland nicht in der Gefahr zu sein, zu viel zu versprechen. Eher werden der Leistungsumfang, mit dem ein Mitglied rechnen kann und der Nutzen, den diese Leistungen für das Mitglied haben, unpräzise und äußerst knapp kommuniziert.
Am Beispiel des ersten und auch für Verbände grundlegenden GAP 1 soll erläutert werden, wie die Lücke zu analysieren und zu schließen ist:
Weiß das Management wirklich, welche Leistungen die Mitglieder in welcher Art und Weise erwarten und was ihnen besonders wichtig ist? Wenn dies nicht genau bekannt ist, dann werden womöglich erhebliche Mittel in Aufgabenfelder investiert, die den Mitgliedern nicht so wichtig sind. Zufriedenheit lässt sich damit nicht erzielen.
Was bei Verbänden mit bis zu 100 Mitgliedern, von denen 25 in Gremien mitarbeiten, noch klar erkennbar ist, kann bei 2000 Mitgliedern, von denen vielleicht 50 ehrenamtlich engagiert sind, nicht mehr automatisch unterstellt werden. Es ist auch oft nicht praktikabel, möglichst viele Mitglieder in ehrenamtliche Gremien einzubeziehen. Manches Mitglied möchte dies gar nicht und die geringe durchschnittliche Mitarbeiterzahl bei Wirtschaftsverbänden lässt eine Ausdehnung der hauptamtlichen Gremienbetreuung oft nicht zu. Kompliziert wird es auch dann, wenn mehrere Mitgliedergruppen unterschiedliche und in Teilen gegensätzliche Ziele verfolgen. Die vorhandenen Fraktionen müssen dann jeweils mit ihren Anliegen erkannt und auch dann fair behandelt werden, wenn deren Positionen im Verband strittig und nicht mehrheitsfähig sind.
Allgemein gilt: Je mitgliederstärker und heterogener ein Verband ist, desto weniger kann davon ausgegangen werden, dass das Management die Wünsche und Anforderungen seiner Mitglieder und der einzelnen Mitgliedergruppen wirklich kennt. Hier wird man von Zeit zu Zeit förmliche Mitgliederbefragungen durchführen müssen um dies wirklich zu wissen.
Die schon zitierte Erhebung ergab im Übrigen, dass weniger als die Hälfte der befragten deutschen Wirtschaftsverbände die Wünsche der Mitglieder förmlich erfragen.
Eine hierarchische Lücke kann sich vor allem bei (seltener zu findenden) Verbänden mit großem Mitarbeiterstab ergeben: Mitarbeiter erfahren im Kontakt zu den Mitgliedern viel über die Wünsche der Mitglieder. Ist sichergestellt, dass diese Wünsche nicht nur zufällig, sondern planmäßig erfasst, ja sogar erfragt werden?
Ausblick
Die in Abb. 3 genannten Stichworte sind jeweils für den einzelnen Verband zu prüfen. Insofern handelt es sich um eine Checkliste, aus der in einem zweiten Schritt Prozeduren und Methoden zum Schließen der Lücke abzuleiten sind. Diese müssen im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten handhabbar und kontrollierbar sein.
Die hier beschriebenen Lücken sind also für Wirtschaftsverbände und ihre Mitgliederbindung nicht nur relevant, sondern auch messbar und zu steuern. Die weitergehende Erläuterung der einzelnen GAPs als Stolpersteine der Mitgliederzufriedenheit wird anlässlich des Verbändekongresses am 20. Juni 2005 vorgetragen. Eine Monographie mir den Ergebnissen der Studie ist in Vorbereitung.