Verbändereport AUSGABE 9 / 2012

Die Rede als Kommunikationsinstrument

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Noch nie gab es so viele Möglichkeiten, sich zu informieren und zu kommunizieren. Wir bekommen (fast) alles jederzeit, überall, sind rund um die Uhr erreichbar. Die Sprache verändert sich, wird mehr und mehr zu einer „Zeichen-Sprache“. Die personale Kommunikation rückt in den Hintergrund. Aber wird sie deshalb weniger wichtig? Das Gegenteil ist der Fall. Gerade weil das gesprochene Wort oft nur noch medialisiert daherkommt, wird es real erlebt an Bedeutung gewinnen. Der Eindruck entsteht sogar, dass auch das Bedürfnis des Einzelnen oder einer Teil-Öffentlichkeit wächst, von einer Persönlichkeit klare Worte zu hören, sie wahrzunehmen und eine Botschaft darin zu entdecken. Das heißt: angesprochen zu werden im doppelten Sinn.

Im Zentrum von Veranstaltungen – nicht immer des Interesses

Eine umfassende, repräsentative Studie über das Kommunikationsmanagement von Verbänden in Deutschland steht noch aus; eine Untersuchung aus 2008 gibt  jedoch Auskunft über „Funktion und Stellenwert von PR in Interessenverbänden der Wirtschaft“. Als ein Ergebnis wird die überwiegend schwache Institutionalisierung von Public Relations registriert. Finanzielle und personelle Ressourcen dafür seien schwach ausgeprägt; nur die wenigsten Verbände verfügten über eine ausdifferenzierte Kommunikationsabteilung – obwohl den vor allem medienbezogenen Aktivitäten erhebliche Bedeutung zugewiesen werde. Insbesondere die Möglichkeiten, eigenständige PR-Ziele wie Mitgliederbindung und Ansprache neuer Zielgruppen blieben deshalb ungenützt.1 Und dies in einer Zeit, in der sich viele Organisationen mit Legitimationsproblemen und Abwanderungstendenzen auseinanderzusetzen haben.

Die Bedeutung von Reden als Kommunikationsinstrument, das nach innen und außen zielt, findet in der einschlägigen Fachliteratur wenig Beachtung. Dabei stehen gerade sie oft im Zentrum von Veranstaltungen aller Größenordnungen, von Gremiensitzungen über Mitglieder- und Delegiertenversammlungen bis hin zu Kongressen und Jahrestagungen in großem Rahmen. Rede-Inhalte werden darüber hinaus im PR-Kontext eingesetzt und über unterschiedliche Medien publiziert. Im Vorfeld mit dem althergebrachten „Es gilt das gesprochene Wort“ verteilt, als Presseinformation verkürzt verbreitet oder – in einigen Fällen – als Livestream und später als Podcast angeboten.

Eine Rede vor Publikum zu halten ist das älteste Kommunikationsmittel, um Botschaften zeitgleich an mehrere Personen zu richten. Sie hat allerdings im Web-2.0-Zeitalter eine neue Herausforderung zu bestehen. Kurt Tucholskys spöttisch-ermutigender Appell: „Wenn einer eine Ansprache hält, müssen die anderen schweigen – das ist deine Gelegenheit. Missbrauche sie“ stimmt nur noch begrenzt.

In der Tat war man früher als Gast einer Veranstaltung, bei der Redner und Vortrag langweilten, gezwungen, dennoch zuzuhören. Zeitung zu lesen und Vorlagen zu studieren verbot sich von selbst. Sie waren sichtbar und – durch das Blättern von Papier – auch zu hören. Heute ist dies ganz anders. Heute ist der Grad des Interesses,  den eine Rede findet, daran zu messen, wie viele bzw. wie wenige Zuhörer ihre Smartphones herausholen, E-Mails checken oder schreiben. So lässt sich doch die Zeit trefflich nutzen und spätestens zum Ende bei den Worten „Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit“ ist man beim Schlussapplaus mit dabei.

Auch Wissenschaftler diagnostizieren einen klar erkennbaren kommunikativen Wandel, insbesondere mit Blick auf Smartphones. Sie fördern, so die amerikanische Soziologin Sherry Turkle  im Interview mit dem „Spiegel“ , die Vision einer Einzelkämpferwelt: „Ich allein entscheide, wem oder was ich wann Aufmerksamkeit schenke. Bislang wurde so ein Verhalten durch Gemeinsinn unterbunden: Es war wichtig, auch bei den langweiligen Momenten aufzupassen und so Dazugehörigkeit zu zeigen.“ (Spiegel Nr. 27/2012, S. 66)

Der Kampf um Aufmerksamkeit ist hart geworden, am Rednerpult ist es oft ein sehr einsamer. Gerade den „digital natives“ fällt es schwer, sich auf ein Medium oder einen Menschen zu konzentrieren. Umso wichtiger ist es, sich auf das Zielpublikum vorzubereiten und durch die ersten Sätze (oder schon durch die Anrede) Neugier und Interesse zu wecken. Wer mit Plattitüden beginnt, hat schon verloren. (Was bedeutet eigentlich der dankbare Hinweis auf das „ zahlreiche Erscheinen“? Freut sich da jemand nur über die Menge und nicht über jeden Einzelnen?)

Die Chancen:  Sensibilisierung, Motivation, Führung

Ein Redner kann Emotionen zeigen und wecken durch Gestik, Mimik, direkte Aussagen und direkte Ansprache und selbstverständlich durch die Inhalte, die er mit Bedacht ausgewählt hat, ebenso – zumindest teilweise – durch die Themen, die er nicht anspricht und bewusst negiert. Die verarbeitete Version eines Redetextes enthält keine Pausen, Zwischentöne, Stimmveränderungen und begleitende Gesten.

Rhetorik und Stilmittel, wie die Wiederholung von Fragen und zentralen Begriffen, schaffen eine hervorragende Basis, um zu motivieren. Was, wenn nicht eine Rede, vermag das Publikum „mitzunehmen“, Menschen zu begeistern und zu überzeugen? Und für den Redner bietet sich eine Möglichkeit, sich einmal anders darzustellen, eigene Emotionen spürbar zu machen oder unbekannte Seiten zu zeigen. Dabei gehört es zur Eigenpräsentation, sehr bewusst nur das preiszugeben, was man auch öffentlich machen möchte.

Oft gilt es, schwierige Situationen zu erläutern und zu versuchen, Verständnis für unpopuläre Entscheidungen zu wecken, die bei nüchternen Vorlagen zur Tagesordnung so nicht nachvollziehbar sind. Gerade bei Veränderungsprozessen sind persönliche Ausführungen unverzichtbar, um Ängste abzubauen und Vertrauen wiederherzustellen – in die Organisationen und das Management.

Es ist richtig, dass Kommunikationsströme innerhalb eines Verbandes  – wie A. Straßner betont – nicht von unten nach oben verlaufen müssten (oder m. E. auch gar nicht immer können). Oft genug geschehe die Formulierung von Verbandszielen auf Initiative der Führungsgremien. Auf diese Weise würden die Mitglieder für spezifische Themen überhaupt erst sensibilisiert.2

Reden sind ein probates und erprobtes Führungsinstrument und sie sind auch eine Möglichkeit, Führungsanspruch deutlich zu machen, ohne dass er konkret artikuliert wird. Klug komponierte und umgesetzte Reden geben dem Vortragenden die Möglichkeit, andere, neue und alte Kompetenzen zu vermitteln und zu unterstreichen. Die Artikulationsfunktion von Verbänden trifft dann im wörtlichen Sinne auch für die Führungsspitze einer Organisation zu.

Selbstbewusstsein, Selbstbild und Selbstkritik

Mit kritischer Distanz sollte ein Projekt „Rede“ angegangen werden. Damit eingeschlossen ist auch die selbstkritische Beobachtung der eigenen Person. Wo liegen meine Stärken und wo liegen meine Schwächen? Was will ich erreichen und was will ich unbedingt vermeiden? Vielen Persönlichkeiten mangelt es an dieser eigenen Einschätzung. Sie scheinen davon auszugehen, dass ihnen die Autorität, die ihnen durch ihre bestimmte Funktion oder Rolle zukommt, gleichzeitig auch die Kompetenz eines Redners gibt. Kritisches Prüfen sollte aber auch das oberste Gebot sein, wenn eine Vorlage erarbeitet wird, sei es aus dem eigenen Bereich, sei es von einem externen Berater. Die oberste Maxime sollte Authentizität sein: Nur dann wirkt und ist man glaubwürdig, wenn man „seinen“ Text vorträgt.

Das bedeutet nicht, dass man die Rede selbst schreiben muss. Dies ist in bestimmten Positionen und bei einer Vielzahl von Anlässen schlechterdings unmöglich. Nichtsdestoweniger sollte jede Rede die „Handschrift“ des Vortragenden aufweisen – wörtlich zumindest in der Manuskript-Vorbesprechung gemeint …

Auf der anderen Seite darf durchaus mehr Selbstbewusstsein gezeigt werden. Bezüge auf Alltägliches und Aktuelles sind für das Publikum spannender als Tradiertes. Es kommt dann nicht darauf an, dass druckreif formuliert ist, sondern darauf, Flexibilität und Mut zu zeigen. In diesem Jahr erlebt bei der Verleihung eines Filmpreises: Der erste Laudator nahm Bezug auf ein Zitat von Billy Wilder, der zweite ebenfalls und spätestens bei der dritten Würdigung hätte dann eher Verzicht geübt werden sollen, als aus der gleichen Quelle zu schöpfen.

Verständlich ist allerdings, dass auch in anderen Zusammenhängen gerne auf das zurückgegriffen wird, was bekannt, unumstritten und „political correct“ ist. Die Sorge, sich Blößen zu geben, hat gerade in Zeiten von YouTube stark zugenommen. Auch deshalb sollten diejenigen, die sich aus Unsicherheit wortwörtlich an ihr Manuskript halten wollen, nicht davon abgehalten werden. Es ist immer besser, einen guten (!) Text verständlich und relativ flüssig vorzutragen, als bei Versuchen, sich davon zu lösen, ins Schwimmen zu geraten. Nur bei Formulierungen wie „Es ist mir eine große Freude, hier zu sein“ sollte eigentlich jeder in der Lage sein, den Blick zu heben und das geschilderte Gefühl auch zum Ausdruck zu bringen ...

Theorie und Praxis – Pflicht und Kür

Eine aktuelle Studie von „Handelsblatt“ und der Universität Hohenheim hat die Dax-30-Chefs im Rahmen ihrer alljährlichen Hauptversammlung unter die Lupe genommen und ein Rhetorik-Ranking aufgestellt. Die Ergebnisse wurden von den Auftraggebern selbst als überraschend bewertet und kritisierte „von Klartext weit entfernt“.3 Galt es als Pflicht, das größte Maß an Verständlichkeit zu erreichen (untersucht wurden Satzbau, Fremdwortanteil, Abstraktheitsgrad, Wort- und Satzlehre), so galt die B-Note der „Kür“, der Präsentation. Fazit: „Die meisten Chefs kleben an ihrem Manuskript und klammern sich nervös ans Pult.“ Die fatale Praxis, dass auch noch eingeblendete Powerpoint-Charts eins zu eins vorgelesen wurden, gab es auch hier. Jeder, der die Kosten der Durchführung von Hauptversammlungen kennt, vermag nicht zu verstehen, warum für den zentralen Punkt einer solchen Großveranstaltung nicht mehr Mühe aufgewendet wird. Dies gilt aber auch für viele andere Veranstaltungsformen und Events.

USP einer Rede: Authentizität und Persönlichkeit

Es geht nicht darum, „große Reden“ zu halten, es geht darum, eine Rede so zu gestalten, dass ihre Inhalte Aufmerksamkeit finden und ihre Worte zu Botschaften werden, die über den Moment hinaus das Publikum erreichen. Reden werden auch in der Erinnerung immer mit einem Gesicht verbunden; die Verknüpfung von Persönlichkeit und Aussage ist nirgendwo so hoch. Diese Chance wird oft unterschätzt. Authentizität ist dabei wichtiger als Perfektion, nur wer Glaubwürdigkeit ausstrahlt, vermag zu überzeugen.

Intelligentes, individuelles und vergnügliches LehrBeispiel für eine gelungene Rede

Die Ansprache von Johannes Rau aus Anlass des 80. Geburtstages von Vicco von Bülow im Rahmen eines Abendessens im Schloss Bellevue am 10.12.2003 (abrufbar unter www.zeit.de/reden).              

Quellen:

Joachim Preusse/Sarah Zielmann. PR-Magazin Nr. 5, 2009, S. 63-68), Alexander Straßner. Funktionen von Verbänden in der modernen Gesellschaft. In: Politik und Zeitgeschichte, 15-16/2006, S. 10-17), Chefs im Rhetorikcheck: Von Klartext weit entfernt. www.Handelsblatt.com, 7.6.2012

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