Verbändereport AUSGABE 9 / 2012

Eine Organisation ist nur so gut wie ihre Führungskräfte

Eine Gesprächsreihe mit Experten: Dr. Willi Fuchs, Verein Deutscher Ingenieure

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Wieder geht es auch um die Umstellung auf eine Matrixorganisation. VDI-Direktor Dr. Willi Fuchs beschreibt die Reformschritte des über zehnjährigen Umstrukturierungsprozesses. Auch kleinere Verbände können von diesem Beispiel profitieren. Die Jury des DGVM hat den richtigen Bewerber zum Verband des Jahres 2012 gekürt. Fuchs dazu: „Sehr gute Innenwirkung“.

VR: Herr Dr. Fuchs,  1999 wurden Sie Direktor des Vereins, zehn Jahre später gab es die große Reform. Eigentlich sagt man doch, dass man es nach zehn Jahren geschafft haben muss.

Fuchs: Als ich hier angefangen habe, haben wir die Aufgabengebiete des VDI neu strukturiert. Das war der erste  Schritt, abgeschlossen im Jahre 2002.  Danach nahmen wir uns die Anforderungen vor, die nicht nur von uns selbst an uns gestellt wurden, sondern aus der Finanzpolitik: Zentrales Thema war die Gemeinnützigkeit, und die Leitfragen lauteten: Welche unserer Aktivitäten können wir noch unter  dem Schirm eines gemeinnützigen Vereins machen? Und wie können wir, ohne dass wir regelmäßig Mitgliederbeiträge erhöhen, die Finanzkraft des Vereins stärken?  Wir haben unsere wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe, die wir vorher schon im VDI entsprechend strukturiert hatten, in einem Betriebsübergang von 2003 auf 2004 in eine rechtliche Selbstständigkeit entlassen. Dadurch haben wir erreicht, dass sich diese Unternehmen, die dann nicht mehr gemeinnützig waren, am Markt positionieren und entwickeln konnten. Dadurch hat sich ein gutes, weiteres finanzielles Standbein für den VDI e.V. entwickelt. Die Erträge dieser Unternehmen gehen zu 100 Prozent in den Verein und stehen uns für gemeinnützige Aufgaben zur Verfügung. Bis 2009 haben wir im VDI e.V., der jetzt wesentlich kleiner war, die Prozesse nochmals neu definiert, und zwar nicht nur im hauptamtlichen, sondern auch im ehrenamtlichen Bereich. Es gab Aufgabenverschiebungen und -ausweitungen. 

Ich muss mich also etwas korrigieren. Es gab einen fortlaufenden Reformprozess in mehreren Schüben. Wurde der VDI dabei auch politischer?

Absolut, die Energiewende beispielsweise wird von uns mitgestaltet. Bei den Themen Bildung, Ressourceneffizienz, neue Technologien oder Elektromobilität ist unsere Expertise ebenfalls in Berlin gefragt. Um hier noch fokussierter zu arbeiten, haben wir den ehrenamtlichen Bereich neu aufgestellt und von 800 Gremien auf 600 Gremien reduziert, und das sowohl im technisch-wissenschaftlichen als auch im berufspolitischen Bereich. Wir haben die Zusammenarbeit der 15 Landesverbände mit den 45 Bezirksvereinen intensiviert, um so die Organisation insgesamt noch effizienter zu machen. Diese Reformphase war 2009 abgeschlossen.

Zum anschließenden vierten Reformschritt wurde eine Evaluationskommission gebildet, ehrenamtlich besetzt. Ist das kein Risiko für den hauptamtlichen Chef?

Ja, aber ich habe das bewusst einkalkuliert. Ich hätte es mir natürlich auch einfacher machen und eine Beratungsgesellschaft beauftragen können, aber den Weg sind wir nicht gegangen. Denn ich wollte für diesen Schritt  der Belegschaft glaubwürdig anzeigen: Ja, der meint das wirklich ernst. Die Herren der Evaluierungskommission haben mich übrigens am Anfang gefragt, ob sie Alibi wären oder ob sie tatsächlich sagen dürften, was sie wollten.

Feststellungen und Empfehlungen einer ehrenamtlich besetzten Kommission haben nach innen ein anderes Gewicht als das Gleiche durch eine Beratungsgesellschaft?

Richtig! Die Kommission hat mit über 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern persönlich gesprochen, da war ich nicht dabei. Dann wurde ein Bericht verfasst. Wir haben uns mit diesem Bericht in der Geschäftsleitung sehr intensiv befasst. Aber immer wieder in einem offenen Kommunikationsprozess, d. h., die Mitarbeiter wussten immer über jeden Schritt Bescheid. Die Botschaft der Kommission war: Sagt uns, was ihr umsetzt, und in zwei Jahren kommen wir wieder. Und so geschah es. Wieder wurden die Mitarbeiter von der Kommission befragt, ein Bericht geschrieben und aufgezeigt, wo sich die Dinge ihrer Meinung nach wirklich positiv verbessert hatten.

Es wurde also nicht nur angestoßen, sondern die Umsetzung der Reform begleitet. Eine Evaluationskommission, die ihren Namen verdient. Was raten Sie Ihren Verbandskollegen auf dem Hintergrund Ihrer Erfahrung?

Mein Rat ist, dass man sich selber immer wieder auf den Prüfstand stellen muss. Wir arbeiten in den Vereinen und Verbänden ganz eng mit Menschen zusammen, sowohl im Ehren- als auch im Hauptamt.

Hätten Sie nicht auch in die Quetsche zwischen Mitarbeiterinteressen und Ehrenamtsfeststellungen kommen können? Die einen wollen nichts verändern, die anderen finden, dass zu wenig passiert, und alle gucken dann am Ende den obersten Hauptamtlichen an und sagen, der ist eigentlich schuld.

Wie immer im Leben gibt es Chance und Risiko. Ich habe für mich bei dieser Umstrukturierung eine viel größere Chance gesehen als ein Risiko.

Geht es nicht bei jeder Organisationsreform darum, eine Organisation zu finden, die die Fähigkeiten der Mitarbeiter voll zur Wirkung kommen lässt?

Das war und ist immer mein Bestreben. Wir haben in manchen Bereichen sehr hohes Arbeitsaufkommen, in anderen etwas weniger. Die Bereiche waren  hierarchisch strukturiert, Abteilung für Abteilung. Immer dann, wenn viel zu tun war, kam der Abteilungsleiter und meinte, er hätte zu wenig Mitarbeiter. Ein anderer hatte welche, gab sie aber nicht ab. Aus meinen Erfahrungen aus der Industrie heraus habe ich gesagt: Jetzt legen wir fest, was unsere Kernaufgaben sind, vorgegeben durch die Satzung und die strategischen Ziele des VDI. Diese schreiben wir in Hauptprozessen fest, die daran anschließend im Detail strukturiert werden.

Hat dem VDI in diesem Prozess der Blickwinkel „VDI als Marke“ geholfen?

Unbedingt. Wir haben analysiert, wie wir nach außen auftreten. Wir geben als VDI ein Markenversprechen ab. Wenn wir das nicht erfüllen, verlieren wir an Glaubwürdigkeit. Zum Beispiel ist der VDI einer der großen Regelsetzer in Deutschland. Also müssen wir unsere Struktur auch entsprechend aufbauen. Das heißt, wir müssen alle interessierten Kreise, z. B. die entsprechende Öffentlichkeit, an diesen Themen mitwirken lassen. Und wenn das unsere Organisation nicht zulassen würde, hätten wir ein Problem. Oder wenn es um politische Arbeit geht:  Wir haben ein Grundprinzip unserer Interessenvertretung. Wir sprechen mit der Politik, verdeutlichen unsere Vorstellungen, sind aber keine Marktschreier. Und: Wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir, unabhängig von Partikularinteressen aus der Industrie, offen sagen können, was wir wollen. Und das tun wir auch. Bei der Energiewende sind wir eine der wenigen Organisationen gewesen, die darauf hingewiesen haben, dass das Abschalten von AKWs ohne Alternativen ein Versorgungsrisiko darstellt. Um so eine Aussage treffen und belegen zu können, benötigen wir entsprechende Expertengremien. Das heißt, bei der Energiefrage bestand und besteht unser Gremium sowohl aus Alternativenergieexperten als auch Atomkraftexperten sowie konventionellen Kraftwerksexperten.

Gilt das nicht allgemein? Die Disparität der Positionen ist größer geworden, d. h., Verbände müssen breiter aufnehmen, um am Ende wieder zu fokussieren.

Sie brauchen ein Instrument, um sowohl die hauptamtlichen Mitarbeiter als auch die ehrenamtlichen Experten immer wieder darauf hinzuweisen, was zur Marke VDI gehört und wo unsere Kernkompetenzen liegen. Deshalb braucht man ein Markensteuerrad, um die handelnden Personen, wenn nötig, wieder auf Kurs zu bringen. Ohne ein solches Werkzeug endet man im Nirwana.

Man muss daran erinnern, dass der VDI persönliche Mitglieder hat und keine Unternehmensmitgliedschaften. Mitgliederzahl dieses Jahr 150.000. Und die wollen das Gefühl haben, dass ihr Mitgliedsbeitrag etwas wert ist. Und Sie haben den Umbau ohne Personalausbau geschafft.

Personalausbau hatten und haben wir nur, wenn es die wirtschaftliche Situation zulässt.

Nochmals zur Positionierung als Marke: Hilft die Ihnen auch, Themen abzuwehren?

 Marke und Strategie, die sind natürlich verzahnt. Alles, was nicht definiert ist, wird nicht gemacht. Wenn ein Mitarbeiter nicht deutlich machen kann, dass die Aktivität, die er oder sie vorschlägt, auf eines unserer strategischen Ziele einzahlt, wird sie nicht gemacht.

Auf Ihrem Schaubild haben Sie Formulierungen mit Aufforderungscharakter gewählt. Mit wem wird da gesprochen?

Wir sprechen mit den Mitarbeitern direkt. Es ist eine direkte Aufforderung, ein Auftrag, es ist keine Defensivhaltung. „Generiere Geschäftsfelder“ ist aktiv und nicht passiv. Jeder unserer Prozesse ist aktiv beschrieben. Passive Informationen brauchen wir nicht. Dieses „man sollte“ ist immer anonym und keiner fühlt sich angesprochen.

Wie funktioniert so eine  Matrixorganisation, wie sie aus der letzten Phase der VDI-Umstrukturierung hervorgegangen ist?  

Fuchs: Eine Organisation ist nur so gut wie ihre Führungskräfte. Wenn man einfach etwas auf Papier schreibt und die Organisation sich selber überlässt, geht das schief. Wir haben sehr intensive Schulungsmaßnahmen mit allen Prozess- und Ressourcen-Managern durchgeführt, nachdem sie durch ein Assessment gelaufen sind.  Das Assessment spiegelte die Anforderungen wider.

Finden es die Mitarbeiter nicht anstrengend, wenn sie immer wieder  in neuen Konstellationen arbeiten?

Ganz im Gegenteil. Wir können ganz klar eine Effizienzsteigerung erkennen.  Wir haben früher knapp 170 Richtlinien pro Jahr herausgegeben, heute sind es 240 mit den gleichen Personenzahlen. Eine gewaltige Steigerung! Wir haben heute Projekte laufen, die wir früher nicht hatten. VDIni-Club, unser Technikprojekt für die Kindergartenkinder, wäre früher undenkbar gewesen, weil die Organisation gar nicht in der Lage gewesen wäre, so etwas zusätzlich zu leisten.  Wir haben in kürzester Zeit über 30 VDIni Clubs in Deutschland etablieren können. So etwas muss aufgebaut und betreut werden.

Und die Regionalstruktur ist in diesen Prozess eingebunden?

Die Regionen sind in alle Prozesse, die sie betreffen, mit eingebunden. Wir haben eine sogenannte Collaboration-Plattform, die den Informationsaustausch der Regionen untereinander und mit uns garantiert. Hinzu kommen regelmäßige Treffen der Geschäftsführer der Landesverbände.

Wäre der nächste Schritt, in die Organisation die Ehrenamtlichen stärker einzubeziehen und die Beteiligung der Mitglieder so auszubauen?

Wir versuchen das, aber da braucht man einen längeren Atem. Beispiel politische Öffentlichkeitsarbeit. Ein Landesverband will einen parlamentarischen Abend organisieren. Früher war man auf sich alleine gestellt. Mittlerweile wissen die Verantwortlichen vor Ort, welche Unterstützung wir dafür anbieten.

Ich dachte an mehr als Akzeptanz von Vorgaben und Support, so wichtig das ist.

Die Umorganisation gibt  Raum für das Einbringen von Expertisen. Früher war das alles sehr formalistisch. Heute können unsere Ehrenamtlichen sich wirklich auf den Inhalt konzentrieren. Und Experten blühen auf, wenn sie mit Administration nichts mehr zu tun haben, sondern rein inhaltlich arbeiten können. 

Der VDI hat 120 Mitarbeiter und 600 Gremien. Letztere zu befeuern, zu begleiten, die Rahmen zu setzen, das ist doch eigentlich die Kernaufgabe der Hauptberuflichen?

Ja, wenn sie definierte Prozesse haben, die einheitlich sind und nicht in jedem Bereich anders ablaufen, gewinnt man Zeit, mit den Gremien zu arbeiten, und kann Impulse geben. Im Gegensatz dazu war der hauptamtliche Mitarbeiter früher mehr der Sekretär des Gremiums. Heute ist er Impulsgeber, ist gleichberechtigter Diskutant in den Gruppen. Das liegt auch daran, dass wir das Personal gezielt dafür ausgebildet haben.

Es braucht Mut auf dem Weg dorthin! Lohnt das Risiko?

Ja, doch merken wir heute verstärkt, dass unsere hauptamtlichen Fachleute abgeworben werden, und hier gerade die Ingenieure. Diese Ingenieure brauchen wir, um in den Gremien auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Gleichzeitig ist aber unsere Arbeit im VDI nicht unbedingt vergleichbar mit der eines typischen Ingenieurberufs. Was wir im Gegensatz zu vielen Unternehmen bieten können, ist die Garantie eines sicheren Arbeitsplatzes an einem langfristig gesicherten Standort.

Auch Verbände sind nicht mehr automatisch attraktive Arbeitgeber?

Nein, deshalb müssen wir uns sehr gut überlegen, wie wir die guten Leute gewinnen und halten. Wir brauchen kreative Köpfe, die gerne an der permanenten Weiterentwicklung des VDI mitwirken. Denn große Herausforderungen warten auf uns, nicht zuletzt bedingt durch das neue Kommunikationsverhalten unserer Mitglieder. In der Konsequenz brauchen wir innovative Menschen, die davon etwas verstehen. So haben wir Mitarbeiter, die twittern oder sind bei Facebook und Xing unterwegs, um unsere Mitglieder zu erreichen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie in der Organisation eingebunden und gut aufgehoben sind.

Ist der Standort Düsseldorf ein Nachteil?

Nein, denn wir sind zuerst ein technisch-wissenschaftlicher Verein mit persönlichen Mitgliedern und dafür ist Düsseldorf ein sehr guter Standort. Da wir auch in Berlin über ein Büro sowie zwei Tochterunternehmen verfügen, sind die Kontakte zur Bundespolitik sehr gut.

Meine Schlussfrage: Der VDI ist Verband des Jahres 2012 geworden. War das für den VDI wichtig?

Ja das war es. Damit wurden die Anstrengungen aller im VDI aktiven Menschen, ob hauptamtlich oder ehrenamtlich, hervorragend gewürdigt. Für die Innenwirkung war die Auszeichnung sehr gut. Auch wenn wir die Außenwirkung noch nicht konkret bewerten können, sprechen alle von einem tollen Erfolg.

Herzlichen Dank!

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Autor/in

Henning von Vieregge

ist u. a. Buch- und Hörbuchautor, Blogger (www.vonvieregge.de), Lehrbeauftragter an der Universität Mainz sowie Verbändecoach. Von Vieregge war viele Jahre Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Kommunikationsagenturen (GWA).

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