Verbändereport AUSGABE 6 / 2011

Erst die Strategie festlegen, dann ins Web 2.0 einsteigen

Tagungsbericht: Forum Verbandskommunikation „Go Social Network?“

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Verbandskommunikation zwischen Facebook und klassischen Medien: Helfen Facebook und Twitter wirklich, die Ziele eines Verbandes zu erreichen? Beim Forum Verbandskommunikation „Go Social Network?“ diskutierten Referenten und Teilnehmer an einem Strategie- und einem Praxistag Chancen und Risiken des Web 2.0.

Unter den Referenten des Forums Verbandskommunikation „Go Social Network? Verbandskommunikation zwischen Facebook und klassischen Medien“, das am 27. und 28. Juni im Düsseldorfer Maritim Hotel stattfand, herrschte in einem Punkt Einigkeit: Diejenigen, die ungeahnte Möglichkeiten im Web 2.0 sehen, die Social Media als Revolution in der Kommunikation verstehen, rieten – wie auch ihre weniger euphorischen Kollegen –, dass sich Verbände ganz genau überlegen sollten, was für sie sinnvoll und personell zu stemmen ist.

Dass viele der rund 100 teilnehmenden Verbandsvertreter zurückhaltend den neuen Möglichkeiten gegenüber sind und einiges noch nicht nutzen, das war während der Veranstaltung bei Twitter erkennbar: Unter dem Hashtag „GoSocNet“ beteiligten sich nur 14 Personen. „mueller_wind“ schrieb: „Ich habe das Gefühl, die Teilnehmer sind auf Twitter nicht sonderlich aktiv.“ Und „Roquane“ fragte, weil er zu Beginn der Veranstaltung nur wenige Tweets fand: „Gibt’s hier eigentlich WLAN?“ Die Vernetzung der Teilnehmer fand aber nicht nur virtuell statt. Dr. Henning von Vieregge, der durch die Veranstaltung führte, sorgte dafür, dass sich das Publikum auch analog – oder besser: manuell – vernetzte. Vor Beginn des ersten Vortrags animierte er die Teilnehmer, sich ihren Tischnachbarn vorzustellen und mit dem Bekanntmachen nicht erst bis zur Pause zu warten.

Medien bestimmen die Themen

„Agenda Surfing“ nannte Dr. Christof Biggeleben, Leiter Beratung bei Scholz & Friends, Berlin, die Taktik, die in den Medien präsenten Themen mit den eigenen Verbandsthemen zu verbinden. Diese Herangehensweise sei oftmals einfacher als das „Agenda Setting“, neue Themen in den Medien zu platzieren. In seinem Vortrag „Agenda Setting: Wie Verbände erfolgreich Themen setzen“ zeigte Biggeleben am Beispiel der Deutschen Sporthilfe, wie das gelingen kann. Die Deutsche Sporthilfe wollte um Kleinspender werben und nutzte als Aufhänger für eine Werbekampagne, dass Spitzensportler der nicht ganz so populären Sportarten oftmals nur wenige Hundert Euro im Monat mit ihrem Sport verdienen. Da auch prominente Sportler diesen Zustand kritisierten, konnte beispielsweise Franziska van Almsick für die Thematik gewonnen werden und kam mit ihrem Statement in die Boulevardpresse. Nachdem das Thema somit gesetzt war, startete die eigentliche Werbekampagne der Deutschen Sporthilfe, die sich mit TV-Spots und Anzeigen in Printmedien an Kleinspender richtete. „Es gibt eine medial berichtete Wirklichkeit“, sagte Biggeleben. „Die Medien schaffen die Perspektive der Menschen, sie bewirken, dass über Themen gesprochen wird.“ Das, was in den Medien behandelt werde, sei in der Gesellschaft präsent und könne somit helfen, die Ziele eines Verbands zu erreichen.

Biggeleben hält Fernsehwerbung oder Radiospots allein als Werbemaßnahmen nicht mehr ausreichend. „TV und Radio werden nicht ersetzt, aber ergänzt mit vielen anderen Möglichkeiten. Das reine Informieren ist vorbei – es bleibt wichtig, muss aber durch den Dialog ergänzt werden“, so Biggeleben. Er riet deshalb dazu, die sozialen Netzwerke im Auge zu haben und nach aktuellen Themen Ausschau zu halten. Doch auch er warnte vor der übereilten Nutzung von Portalen wie Facebook: „Man eröffnet dort den Dialog –
und damit gibt man die Kontrolle ab.“

Soziale Medien vereinen Gleichgesinnte

Dank Facebook und Co. sei es jedoch möglich, viele Gleichgesinnte zusammenzubringen, so Kommunikationsberater Harald Gall, der gemeinsam mit Holger Albers, Pr-Berater, über „Grassroots Campaigning – Unterstützung dauerhaft sichern“ sprach. Werde ein Facebook-Profil ständig betreut und können alle Fragen der Nutzer beantwortet werden, dann unterstützten womöglich auch diejenigen ein Thema oder eine Bewegung, die nur an einem Teilbereich interessiert seien. Gall: „Der Dialog hilft, auf jeden Einzelnen einzugehen, statt die Masse mit einer einzigen Aussage anzusprechen.“ Den Einzelnen mithilfe direkter Ansprache zu mobilisieren und zu einem dauerhaften Unterstützer einer Sache oder einer Organisation zu machen, darauf zielt Grassroots Campaigning ab. „Man muss den Leuten klarmachen: Wir haben ein gemeinsames Ziel, das sollten wir gemeinsam erreichen!“ Als prominentes Beispiel für dieses Konzept führten Gall und Albers den Wahlkampf vor der zweiten Wahl George W. Bushs an. Zahllose seiner Anhänger zogen los, sprachen gezielt Nichtanhänger an und versuchten in persönlichen Gesprächen von Bushs Politik zu überzeugen. Fazit: Bush gewann die Wahl. Ob es daran lag?

User möchten sich aktiv beteiligen

Als „Kontaktsport“, bei dem man „auf Tuchfühlung mit den Usern“ gehen müsse, bezeichnete Tom Noeding, Community-Manager evangelisch.de, die Teilnahme an sozialen Netzwerken. Was das bedeuten kann, das führte er in seinem Vortrag „Social-Media-Einsatz im Non-Profit-Umfeld am Beispiel von evangelisch.de“ vor. Er zeigte, wie sich der Umgang der Menschen mit dem Internet vom Ende der 90er-Jahre bis heute verändert hat. Aus der Faszination, an zahllose Informationen zu gelangen, wurde der Wunsch, sich aktiv zu beteiligen. Auf der Website www.evangelisch.de ist daher neben der Startseite mit News eine Community eingerichtet, ein Forum für die User. Rund 5.500 Mitglieder sind registriert und diskutieren verschiedene Themen. Die Einträge werden von der Redaktion regelmäßig überprüft und kommentiert. Wird ein Thema in der Community heiß diskutiert, dann stellen die Redakteure einen der User-Beiträge auf die Startseite, damit noch mehr Besucher den Weg zur Community finden und mitdiskutieren. „Für die Teilnehmer ist es eine Motivation, wenn es ihre Kommentare auf die Startseite schaffen“, so Noeding. Evangelisch.de ist auch bei Twitter vertreten und hat rund 2.200 Follower, auf Facebook wurde über 800 Mal „Gefällt mir“ angeklickt.

Gegen halbherzigen Aktivismus

Adrian Teetz, Organisationsberater, zuvor Leiter der Abteilung Marketing im Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes, vertrat die Ansicht, dass sich ein Verband nicht halbherzig auf das Web 2.0 einlassen solle, um dann bald festzustellen, dass die Mitarbeiter gar keine Zeit haben, das Facebook-Profil ständig zu pflegen. In seinem Vortrag „Verbandskrise – Management und Kommunikation im Visier kritischer Medienrecherchen“ machte er an Beispielen deutlich, dass auch Großkonzerne hin und wieder scheitern, wenn ihr Facebook-Profil mit kritischen Einträgen überschwemmt wird. Geht eine Facebook-Seite in so einem Fall offline, wirke das äußerst unseriös. „Man muss sich überlegen, mit welchen Strategien man souverän handeln kann, wenn man in eine Krise schlittert“, so Teetz. Er riet deshalb dazu, einen Verband nur dann bei Facebook anzumelden, wenn ausreichend Personal zur Verfügung stehe und eine Strategie für unangenehme Situationen erarbeitet sei.

Den Anschluss nicht verpassen

Schon allein um nicht den Anschluss an die modernen Medien zu verlieren, riet Thomas Klauß, Verbandsberater (moderner-verband.de), Verbänden dazu, sich umgehend mit Social Media zu beschäftigen. In seinem Vortrag „Web 2.0 in Verbänden – strategische Planung, Einsatz und Arbeitsweise“ betonte er, dass sich die Erwartungen der Mitglieder und auch der Verbandsmitarbeiter rapide ändern. Verpasse ein Verband den Anschluss, könnte es in Zukunft schwieriger werden, neue Mitglieder zu finden. Auch die Mitarbeitersuche könnte schwerer werden, da die Fachleute in den Unternehmen bereits an die neuen Standards gewöhnt seien. Dennoch warnte auch er vor der Nutzung von Web 2.0 ohne durchdachte Strategien. Neue Technologien nur um der Neuartigkeit willen zu nutzen, das bringe einem Verband letztlich nichts.

Die Social-Media-Revolution oder „Pressemitteilungen werden doch nur noch für  die Verbandsmitglieder geschrieben“

Als regelrechten Facebook-Nerd „outete“ sich Dr. Uwe Mazura, 13 Jahre Sprecher der BDA, jetzt Leiter Hauptstadtrepräsentanz Randstad Deutschland. Er referierte über „Erfolgsfaktoren der Öffentlichkeitsarbeit“. „Ich halte Social Media für eine Revolution, ähnlich wie den Buchdruck“, so Mazura. „Was wir jetzt haben, geht eigentlich sogar noch weiter.“ So wie der Buchdruck für eine Demokratisierung gesorgt habe, weil Informationen plötzlich für jeden zugänglich wurden, so können sich nun alle Menschen fast überall an der Kommunikation im Internet beteiligen. Da diese Möglichkeiten von Privatpersonen und Unternehmen genutzt werden, müssten sich auch Verbände mit der Thematik beschäftigen. Er riet Verbänden jedoch davon ab, Facebook und Twitter ohne eine geeignete Strategie einzusetzen, denn ohne Kommunikationskonzept sei die Nutzung wirkungslos. „Zu 90 Prozent ist aber keine Strategie in den Verbänden vorhanden“, sagte Mazura. Verbände sollten sich zunächst fragen, was sie mit Social Media erreichen und welche Botschaften sie senden möchten. Es sei wichtig, diese Punkte und auch die Zuständigkeiten vorab zu klären, weil es beim Kommentieren bei Facebook oder beim Twittern nicht machbar sei, alle Aussagen durch den Verbandsgeschäftsführer freigeben zu lassen. Da es um zeitnahe Kommunikation und schnelles Reagieren gehe, müssten die Mitarbeiter die Handlungsfreiheit haben, selbst Aussagen zu treffen.

Nicht nur gegenüber den neuen Möglichkeiten für Verbände zeigte sich Mazura kritisch, auch die althergebrachten hielt er – einzeln betrachtet – für nicht mehr unbedingt erfolgsversprechend. „Pressearbeit funktioniert heute anders als noch vor zehn Jahren. Heute schreiben Sie Pressemitteilungen zu 99 Prozent nur noch für die eigenen Mitglieder“, sagte Mazura. Es sei weitaus schwieriger geworden, mit den eigenen Nachrichten in die Medien zu kommen. Grundsätzlich riet der Referent dazu, verschiedene Verbandsmedien sinnvoll miteinander zu verknüpfen, beispielsweise sollten sich der Internetauftritt und die Verbandszeitschrift ergänzen. Zudem seien neue Konzepte notwendig: Verbände könnten etwa versuchen, Medienereignisse für sich zu nutzen und die in den Medien behandelten Themen mit den eigenen Botschaften zu verbinden.

Die eher pessimistische Haltung bescherte dem Referenten zahlreiche kritische Nachfragen aus dem Publikum, es wurde lebhaft und kontrovers diskutiert. Auf Twitter erhielt er Zustimmung von den Teilnehmern: „mueller_wind“ schrieb: „,Pressemitteilungen werden nur noch für Verbandsmitglieder geschrieben’, agree!“ „Roquane“ schloss sich dieser Meinung an.

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