Verbändereport AUSGABE 8 / 2004

EU und Verbandsstatut

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Überraschende Rechtsfolgen können eintreten, wenn ein EU-Verband sein Generalsekretariat in ein anderes Land verlegt. Gleiches gilt, wenn es deutsche Verbände ins Ausland zieht. Im internationalen Privatrecht knüpft das so genannte Vereinsstatut an den Sitz des Verbandes an. Das internationale Privatrecht (IPR) enthält Regeln, welches Recht bei Kollisionsfällen, also bei Fällen mit Auslandsberührung, angewendet werden soll. Unter dem Vereinsstatut versteht man diejenige nationale Rechtsordnung, die für den Verein einschlägig ist. Hier ist mit mancherlei Überraschungen zu rechnen.

Sitzverlegung in Länder und aus Ländern, die nicht der EU angehören

Beschließt ein deutscher Verband, seinen satzungsgemäßen Sitz in ein Nicht-EU-Land zu verlegen, so gilt dieser Beschluss als Auflösungsbeschluss. Das gilt selbst dann, wenn dies weder von den Mitgliedern beabsichtigt noch von der Satzung vorgesehen ist.

Bereits der Verlegungsbeschluss wird zwingend als Auflösungsbeschluss mit der Folge gedeutet, dass die Sitzverlegung nicht in das Vereinsregister, sondern dort als Auflösungsbeschluss eingetragen wird. § 6 Absatz 3 der Vereinsregisterverordnung trifft hierzu folgende Bestimmung: „Die Verlegung des Vereinssitzes in das Ausland ist in den Spalten 2 und 4 des bestehenden Registerblatts als Auflösung einzutragen.“

Die gleiche Rechtsfolge der Auflösung tritt ein, wenn der (Verwaltungs-) Sitz des Verbandes faktisch in ein Nicht-EU-Land verlegt wird, wie dies bei rotierenden Generalsekretariaten vielfach der Fall ist. Das inländische Vereinsvermögen ist in diesen Fällen zu liquidieren. Allerdings kann beschlossen werden, das Vermögen auf den neu zu gründenden Verband im Nicht-EU-Ausland zu übertragen.

Unter dem Sitz eines Verbandes (Vereins) wird der Ort verstanden, an dem die tatsächliche Verwaltungstätigkeit für den jeweiligen Verein hauptsächlich ausgeübt wird. Das kann bei ehrenamtlicher Geschäftsführung durch den Vorsitzenden auch dessen Privatwohnsitz sein.

Fraglich ist, ob der Verlegungsbeschluss für die statuarische Sitzverlegung die Mehrheit benötigt, die für die satzungsgemäße Auflösung erforderlich ist. Dagegen spricht, dass bereits eine faktische Verlegung des Verwaltungssitzes die gesetzliche Folge der Auflösung des Verbandes auslöst und hierfür kein Stimmenquorum erforderlich ist.

Soll der Sitz eines Verbandes aus einem Nicht-EU-Land in die Bundesrepublik verlegt werden, so hängt die rechtliche Bewertung zunächst von dem dortigen Vereinsrecht ab. Sieht das Vereinsrecht im Ausland ebenfalls die Auflösung bei Sitzverlagerung ins Ausland vor, kann der Verein in Deutschland schon aus diesem Grund keine Eintragung erlangen, sondern muss neu gegründet werden. Allerdings sehen die Artikel 161ff. des Gesetzes über das Internationale Privatrecht (CH) vor, dass juristische Personen- und damit auch rechtsfähige Vereine - ihren Sitz in das Ausland verlegen können, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.(1)

In Deutschland nützt dem schweizerischen Verein die Unterstellungsmöglichkeit unter das deutsche Recht jedoch nichts, da nach vorherrschender Auffassung und ständiger Rechtsprechung ein ausländischer Verein in Deutschland zur Erlangung der Rechtsfähigkeit neu gegründet werden muss. Die Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz führt also dazu, dass ein im Nicht-EU-Ausland wirksam gegründeter und im Rechtsverkehr in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als rechtsfähig anerkannter Verband seine Rechtsfähigkeit verliert, wenn er seinen ständigen Verwaltungssitz in die Bundesrepublik verlegt. Er kann, soweit er der deutschen Rechtsordnung unterliegt, weder Träger von Rechten und Pflichten noch Partei in einem Gerichtsverfahren sein. Um am Rechtsverkehr teilnehmen zu können, muss er sich also neu gründen (BGH, Urteil vom 21. März 1986 - V ZR 10/85, BGHZ 97, 269, 272).

Sitztheorie vs. Gründungstheorie

Die Anknüpfung an den tatsächlichen Sitz wird auch als Sitztheorie bezeichnet. Das Gegenteil hiervon ist die Gründungstheorie, die besagt, dass es für die Beurteilung des Rechtszustands einer Organisation auf das Recht des Gründungsstaates ankommt. Folgt man der Gründungstheorie, können Organisationen mit demjenigen Rechtszustand, wie sie ihn im Gründungsland erworben haben, frei ihren Sitz in anderen Staaten wählen, ohne dass ihnen dort die rechtliche Anerkennung „tel quel“ versagt werden kann.

Für Sitzverlegungen von Vereinen aus Nicht-EU-Staaten oder in solche Staaten gilt bisher gesetzlich die Sitztheorie. Vereine müssen als bei Sitzverlegung im Wegzugstaat auf- und im Zuzugsstaat neu gegründet werden.

Es bleibt abzuwarten, ob sich im Blick auf die folgenden Ausführungen die Rechtslage in Zukunft ändern wird.

Sitzverlegung innerhalb der Europäischen Union

Dies Sitztheorie gilt nicht mehr bei einer Sitzverlegung einer Gesellschaft innerhalb der Europäischen Union, da der Europäische Gerichtshof mit seinem Urteil vom 5. November 2002 („Überseering BV“, RS C-208/00) entschieden hat, dass ein solcher Wechsel des Statuts bei einer Handelsgesellschaft die durch den EG-Vertrag gewährleistete Niederlassungsfreiheit beeinträchtigen kann. Der EuGH folgt also in seiner Entscheidung der Gründungs- und nicht der Sitztheorie. Die Europäische Union wird insoweit als einheitliches Rechtsgebiet aufgefasst. Hierzu hat der EuGH folgende Leitsätze formuliert:

  1. Es verstößt gegen die Artikel 43 und 48 EG, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gegründet worden ist und von der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats angenommen wird, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit vor seinen nationalen Gerichten für das Geltendmachen von Ansprüchen aus einem Vertrag mit einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft abgesprochen wird.
  2. Macht eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats gegründet worden ist, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch, so ist dieser andere Mitgliedstaat nach den Artikeln 43 und 48 EG verpflichtet, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt.(EuGH, Urteil vom 05.11.2002; Rs. C-208/00)

In der vereinsrechtlichen Literatur wird diese Entscheidung ohne Weiteres auf Vereine übertragen. Das ist aber keineswegs selbstverständlich. Denn die Niederlassungsfreiheit des Art. 43 EGV gilt an sich nur für natürliche Personen, so dass in Art. 48 EGV eine Gleichstellung der „Gesellschaften“ erfolgen musste, um diese auch in den Genuss der Niederlassungsfreiheit kommen zu lassen. Diese Vorschrift hat allerdings einen Widerhaken. Denn dort sind ausdrücklich Organisationen „ohne Erwerbszweck“ von der Niederlassungsfreiheit ausgenommen. Das sind typischerweise die deutschen Idealvereine oder die französischen „associations sans but lucratif“.

Der Grund wird aus der Systematik der EG-rechtlichen „Marktfreiheiten“ sofort ersichtlich:

Die „EG-Marktfreiheiten“ sind ökonomische Freiheiten, also auf Erwerbstätigkeit bezogen. Deshalb unterscheidet der EG-Vertrag zwischen der Freizügigkeit für Arbeitnehmer (unselbständige Erwerbstätigkeit), der Dienstleistungsfreiheit (selbständige Erwerbstätigkeit, die vorübergehend im EU-Ausland erbracht wird) und der Niederlassungsfreiheit (selbständige Erwerbstätigkeit, die dauernd im EU-Ausland erbracht wird). Nichterwerbswirtschaftliche Aktivitäten sind also von den Marktfreiheiten grundsätzlich nicht erfasst.

Fallen Verbände als Idealvereine durch die Maschen des EG-Netzes?

Nicht unbedingt. Die Lösung bringt hier eine Unterscheidung zwischen EU-autonomen Rechtsbegriffen einerseits und solchen, die auf das nationale Recht verweisen.

Der in Art. 48 EGV verwendete Begriff der Organisation „ohne Erwerbszweck“ ist EU-autonom, also keineswegs mit dem deutschen Begriff des Idealvereins in § 21 BGB identisch.(2) Daher wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur überwiegend angenommen, dass zumindest Vereine, die von dem so genannten Nebenzweckprivileg Gebrauch machen, in den Genuss der Niederlassungsfreiheit kommen. Unter dem Nebenzweckprivileg werden von der Rechtsprechung anerkannte wirtschaftliche Geschäftsbetriebe des Vereins verstanden, die in ihrem Umfang dem Verein nicht das „Gepräge“ geben, so dass er insgesamt trotz seiner wirtschaftlichen Betätigung als Idealverein anzusehen ist (vgl. hierzu auch den Beitrag von Winfried Eggers zur geplanten Reform von § 21 BGB in VR 7/04).

Konkret bedeutet dies:

Auf die Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 43 EGV können sich alle Verbände berufen, die — wenn auch nur geringfügig — wirtschaftliche Geschäftsbetriebe unterhalten, wenn sie also außerhalb der Beiträge Einnahmen erzielen. Erzielen sie nur Beitragseinnahmen, kommt es darauf an, ob diese zumindest teilweise für wirtschaftliche Geschäftsbetriebe ausgegeben werden (Bewirtung von Gästen oder Mitgliedern bei Jahrestagungen und sonstige „gesellschaftliche“ Veranstaltungskosten, Seminarveranstaltungen).

Für Verbände, die vom Nebenzweckprivileg Gebrauch machen, gilt nicht mehr die Sitz-, sondern die Gründungstheorie, das heißt sie gelten bei Sitzverlagerung ins EU-Ausland nicht mehr als automatisch aufgelöst, sondern können „mit dem Rechtsmantel des Gründungsstaates umziehen“.

Da die Art. 43, 48 EGV unmittelbar geltendes EU-Recht darstellen, das vom EuGH in seiner erwähnten „Überseering“-Entscheidung nur festgestellt worden ist, dürfte dies auch „Altfälle“ erfassen. Das sind solche Fälle, bei denen beispielsweise, das Generalsekretariat vor der EuGH-Entscheidung in ein anderes EU-Land verlegt worden ist.

(1) Die Vorschriften haben auszugsweise folgenden Wortlaut: Art. 161 IRPG: Verlegung der Gesellschaft vom Ausland in die Schweiz

  1. Eine ausländische Gesellschaft kann sich ohne Liquidation und Neugründung dem schweizerischen Recht unterstellen, wenn das ausländische Recht es gestattet, die Gesellschaft die Voraussetzungen des ausländischen Rechts erfüllt und die Anpassung an eine schweizerische Rechtsform möglich ist.
  2. Der Bundesrat kann die Unterstellung unter das schweizerische Recht auch ohne Berücksichtigung des ausländischen Rechts zulassen, insbesondere wenn erhebliche schweizerische Interessen es erfordern.

Art. 162: Maßgeblicher Zeitpunkt

  1. Eine Gesellschaft, die nach schweizerischem Recht eintragungspflichtig ist, untersteht schweizerischem Recht, sobald sie nachweist, dass sie den Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit in die Schweiz verlegt und sich dem schweizerischen Recht angepasst hat.
  2. Eine Gesellschaft, die nach schweizerischem Recht nicht eintragungspflichtig ist, untersteht dem schweizerischen Recht, sobald der Wille, dem schweizerischen Recht zu unterstehen, deutlich erkennbar ist, eine genügende Beziehung zur Schweiz besteht und die Anpassung an das schweizerische Recht erfolgt ist.
  3. Eine Kapitalgesellschaft hat vor der Eintragung durch den Bericht eines besonders befähigten Revisors im Sinne von Artikel 727b des Obligationenrechts3 nachzuweisen, dass ihr Grundkapital nach schweizerischem Recht gedeckt ist.4

Art. 163: Verlegung der Gesellschaft von der Schweiz ins Ausland

  1. Eine schweizerische Gesellschaft kann sich ohne Liquidation und Neugründung dem ausländischen Recht unterstellen, wenn die Voraussetzungen nach schweizerischem Recht erfüllt sind und sie nach dem ausländischen Recht fortbesteht.
  2. Die Gläubiger sind unter Hinweis auf die bevorstehende Änderung des Gesellschaftsstatuts öffentlich zur Anmeldung ihrer Forderungen aufzufordern. Artikel 46 des Fusionsgesetzes vom 3. Oktober 20036 findet sinngemäß Anwendung.

(2) Anne Röthel, Verbände und Gemeinschaftsrecht, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht, 1/2002, S. 58 (68ff.) mit weiteren Literaturbelegen.

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Autor/in

Helmut Martell

ist Rechtsanwalt. Helmut Martell war Gründungsvorsitzender der DGVM und zwanzig Jahre ihr Stellvertretender Vorsitzender. Von 1997 bis 2014 fungierte er als Herausgeber des Verbändereport.

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