Die spätestens ab 2005 geltenden neuen Baseler Eigenkapitalkriterien (Basel II) sorgen auch in der Sozialwirtschaft für Unruhe. Sie sehen vor, dass künftig die Kredite und Kreditkosten von der individuellen Bonität der Kreditnehmer abhängig gemacht werden. Die Bonität wird in einem Ratingverfahren festgestellt. Noch mehr als heute wird damit die Bonität des Kreditnehmers auf den Prüfstand gestellt. Was dies für die Sozialwirtschaft bedeutet, wird nachfolgend erläutert. Dabei steht das von der Bank für Sozialwirtschaft AG fortentwickelte Rating-System im Vordergrund der Analyse.
Magere Bonität - magere Konditionen
Im Unterschied zur bisherigen Handhabung wird die Höhe der Hinterlegung von Eigenkapital bei den Banken (bankeigene Deckung) künftig von der individuellen Bonität der Kreditnehmer abhängig gemacht. Die Bonität wird im Ratingverfahren eingeschätzt, der zukunftsgerichteten Beurteilung des Unternehmens durch die Bank selbst oder eine externe Rating-Agentur. Diese Regelung soll in allen G-10-Staaten gelten. Sie soll gleiche Wettbewerbschancen für die internationale Kreditwirtschaft schaffen und die Risikovorsorge der Banken verbessern.
Nach Basel II müssen die Banken in Zukunft jedes Unternehmen, das Kredite in Anspruch nehmen will, einem Rating unterziehen, damit eine adäquate Eigenkapitalunterlegung durch die Bank vorgenommen werden kann. Unterzieht sich der Kreditnehmer keinem Rating, so soll das Kreditinstitut bezogen auf die Bemessungsgrundlage 100 Prozent Eigenkapital unterlegen. In Ausnahmefällen können sogar bis zu 150 Prozent Eigenkapitaldeckung der Bank anfallen.
Aus der Perspektive der Gläubiger handelt es sich zugleich um eine Bewertung der Ausfallwahrscheinlichkeit der jeweiligen Engagements.
Da die Banken die erhöhten Kapitalkosten den Kreditnehmern zuordnen, werden für Unternehmen mit schlechter Bonität Kredite künftig teurer. Umgekehrt erhalten Unternehmen mit guter Bonität die Chance, bessere Kreditkonditionen auszuhandeln. Sie erarbeiten sich damit einen Wettbewerbsvorteil.
Rating bezeichnet demnach eine Einschätzung der künftigen Fähigkeit eines Unternehmens zur vollständigen und termingerechten Tilgung seines Kreditengagements. Aus der Perspektive der Gläubiger handelt es sich zugleich um eine Bewertung der Ausfallwahrscheinlichkeit der jeweiligen Engagements. Sowohl quantitative als auch qualitative Faktoren fließen in ein Rating ein, wie Planungsdaten oder die Qualität des Managements.
Qualitative Faktoren werden wichtiger
Anders als bei der traditionellen Kreditwürdigkeitsprüfung werden die qualitativen Faktoren stärker gewichtet, überdies ist die Beurteilung beim Rating mehr auf die Zukunft gerichtet. Mittlerweile werden standardisierte Verfahren für quantitative und qualitative Kriterien zur Risikobeurteilung entwickelt, für sozialwirtschaftliche Unternehmen insbesondere von der Bank für Sozialwirtschaft AG sowie den Genossenschaftsbanken.
Basel II lässt grundsätzlich bankinterne wie externe Ratingsysteme zu. Mit der Einführung eines Ratingsystems werden die Unternehmen in typisierenden Risikoklassen zugeordnet. Die aus den Risikoklassen resultierenden Bonitätsgewichte, die für den Eigenkapitalbedarf der Banken eine entscheidende Rolle spielen, sind derzeit noch nicht abschließend festgelegt.
Die vorgenannten Anforderungen gelten auch für die mittelständischen Unternehmen. Hierzu gehört erfahrungsgemäß auch die Sozialwirtschaft. Angesichts des Umstands, dass sich zukünftig bei einer Kreditfinanzierung ein sozialwirtschaftliches Unternehmen einem Rating nicht entziehen kann, müssen unabhängig von der Art des Ratings bestimmte Informationen aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden. Bei der Ausgestaltung der Neuregelungen sollten allerdings die daraus sich ergebenden Konsequenzen für die unterschiedlichen Branchen berücksichtigt werden. Dies gilt vor allem für den Sektor der Sozialwirtschaft, die gemeinnützigen Anbieter, von denen insbesondere die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege zu nennen sind. Außerdem bedürfen auch die spezifischen Anforderungen an die Kirchen einer gesonderten Betrachtung.
Deshalb muss dieser Sektor Basel II Rechnung tragen. Andernfalls wird sich der sozialwirtschaftliche Sektor verteuern, gemeinnützige Anbieter werden benachteiligt und haben Schwierigkeiten, Kreditmittel zu erhalten.
Ausgangssituation der Sozialwirtschaft und der Kirchen
Die volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Branche lässt sich am Beispiel der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege vermitteln, die dieses Marktsegment im Wesentlichen tragen. Diese Verbände sind Träger von 93.566 Einrichtungen und Dienste. Dazu gehören unter anderem 1.227 Krankenhäuser, 6.440 stationäre Altenwohn- und Pflegeeinrichtungen, 5.263 Einrichtungen für das Wohnen, die Ausbildung und die Beschäftigung behinderter Menschen, 3.827 stationäre Einrichtungen der Jugendhilfe. Bei den Trägern, die den Spitzenverbänden angeschlossen sind, werden insgesamt 1.164.329 Mitarbeiter, davon 477.653 Teilzeitkräfte, beschäftigt[1]. Die Bruttowertschöpfung der Freien Wohlfahrtspflege wird für 1997 mit rund 46 Milliarden € berechnet, das sind 1,9 Prozent des Bruttosozialproduktes
Gemeinnützige Anbieter sind in erhöhtem Maße auf Kreditfinanzierung angewiesen. Sie haben außerdem zukünftig einen erhöhten Kapitalbedarf. Die Gründe hierfür liegen in
- der geringen Ausstattung mit Eigenkapital,
- den beschränkten Möglichkeiten der Eigenkapitalbeschaffung,
- dem Rückgang der öffentlichen Zuwendungen für Ergänzungs- und Modernisierungsinvestitionen,
- dem bestehenden Modernisierungsstau,
- der steigenden Nachfrage nach Sozial- und Gesundheitsleistungen,
- dem sich abzeichnenden Wechsel von der Objekt- zur Subjektförderung.
Deshalb muss dieser Sektor Basel II Rechnung tragen. Andernfalls wird sich der sozialwirtschaftliche Sektor verteuern, gemeinnützige Anbieter werden benachteiligt und haben Schwierigkeiten, Kreditmittel zu erhalten.
Das nachfolgende Schaubild illustriert das Investitionskostenvolumen vollstationärer Pflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen bis 2004
Tab. 1: Verteuerung des Investitionskostenvolumens durch Basel II
1) gemeinsame Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände und der Landschaftsverbände in NRW vom 07.05.2001
2) Dies ist die gesetzlich mögliche Förderung ausgehend von den förderfähigen Kosten; z. B. sind Grundstücke und deren Erschließung nicht mit einbezogen. Angesichts des Förderstatus sind die Träger zunehmend gezwungen, mehr über den Kapitalmarkt zu finanzieren bzw. ganz auf öffentliche Förderung zu verzichten.
3) Der Modernisierungsbedarf ergibt sich aufgrund des Alters der Einrichtungen und somit aus dem Bestand an Mehrbettzimmern, fehlender Nasszellen, fehlender Barrierefreiheit, maroder Bausubstanz.
Die Lage der Kirchen
Die Kirchen mit ihren Untergliederungen und Verbänden sind Kreditnehmer insofern, als sie Gebäude benötigen, aus deren Unterhalt ihnen erhebliche finanzielle Lasten erwachsen, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Denkmalpflege. Bei der Ermittlung der Risikogewichtung von Kirchen als Kreditnehmer ist zwischen kirchlichen Körperschaften öffentlichen Rechts und kirchlichen Körperschaften privaten Rechts zu unterscheiden. Beide werden in der Schuldnersystematik nach Basel II nicht erfasst.
Kirchliche Körperschaften öffentlichen Rechts, soweit sie ein verfassungsrechtlich garantiertes Steuererhebungsrecht haben, verfügen über stetige Einnahmen und sind insolvenzunfähig. Kredite an diese Körperschaften wurden bisher wie Kredite an staatliche Körperschaften behandelt. Die derzeitige durch europäisches Bankenrecht veranlasste Gewichtung von 20 Prozent würdigt grundsätzlich die besondere Bonität der Kirchen in Deutschland. Der mit einem internen Rating verbundene Aufwand würde hingegen vermutlich kaum neue Erkenntnisse zur Risikogewichtung bringen und diese Körperschaften nur zusätzlich belasten.
Die derzeitige durch europäisches Bankenrecht veranlasste Gewichtung von 20 Prozent würdigt grundsätzlich die besondere Bonität der Kirchen in Deutschland.
Kirchliche Körperschaften privaten Rechts haben ebenfalls im Vergleich zu den Baseler Schuldnerkategorien eine geringere Ausfallwahrscheinlichkeit. Sie sehen sich mit der gegebenen und vorgesehenen Risikogewichtung von 100 Prozent nicht risikoadäquat eingeordnet. Mit Hilfe des bankinternen Ratings könnten sie ihre Gewichtung individuell erheblich verbessern, sofern zukünftige Rating-Modelle ihre Besonderheiten berücksichtigen und anerkennen werden.
Verteuerung der Kreditfinanzierung in der Sozialwirtschaft durch Basel II
Vor allem der Sozial- und Gesundheitssektor weist einen erheblichen Investitions- und somit auch Finanzierungsbedarf auf. Hierzu folgende Zahlen:
- Im Krankenhaussektor ist von einem Investitionsstau von etwa 50 Mrd. € auszugehen.
- Für Wohn- und Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen werden bis 2010 Investitionen in Höhe von mindestens 10,7 Mrd. € prognostiziert.
- Bei Werkstätten und Wohnheimen für Behinderte ist bis 2010 mit einem Zusatz- und Modernisierungsbedarf von 5,5 Milliarden € zu rechnen.
Ungeachtet dieses Investitionsbedarfes nimmt der Anteil der öffentlichen Zuwendungen ab. Hieraus ergibt sich ein erhöhtes Ausmaß an Kreditfinanzierung durch gemeinnützige Träger. Sollte Basel II den Besonderheiten der Sozialwirtschaft nicht Rechnung tragen, hätte dies Barrieren bei der Inanspruchnahme von Krediten sowie eine Verteuerung der Kreditfinanzierung zur Folge.
Dies hat im Einzelnen folgende Konsequenzen:
- Zusätzliche finanzielle Belastungen der gemeinnützigen Anbieter und der Nutzer.
- Marktverzerrende Benachteiligung der gemeinnützigen Träger, die in hohem Maße auf Kreditfinanzierungen angewiesen sind.
- Beeinträchtigung der Modernisierung und des notwendigen Ausbaus der Sozial-, Gesundheits-, und Bildungsinfrastruktur in Deutschland.
- Das Wachstumspotential des Sozial- und Gesundheitssektors in Höhe von 1,5 - 2,5 Prozent ließe sich in diesem Umfang nicht voll realisieren.
Besonderheiten der Sozialwirtschaft bezüglich Basel II
Damit die Sozialwirtschaft nicht unter die Räder gerät, ist folgendes nötig. Es muss durch die Kreditwirtschaft eine Anerkennung stattfinden
- von Sicherheiten, die insbesondere für die Sozialwirtschaft Bedeutung haben,
- von Realkrediten auf Sozialimmobilien,
- eines der Sozialwirtschaft gerecht werdenden Ratingverfahrens,
- keine höhere Eigenkapitalunterlegung bei längeren Kreditlaufzeiten.
Berücksichtigung der für die Sozialwirtschaft relevanten Sicherheiten
Bei der Anrechnung von Sicherheiten im Standardansatz und im Basisansatz des IRB-Ansatzes werden die für die Sozialwirtschaft typischen Sicherheiten praktisch ausgeschlossen.
Gemeinnützige Kreditnehmer sind bei der Finanzierung ihrer im Gemeinwohl liegenden Aufgaben auf ergänzende Fremdfinanzierungen angewiesen, weil diese mit Blick auf die Abgabenordnung nur in begrenztem Umfang Eigenkapital und Rücklagen bilden können. Typische Sicherheiten in der Sozialwirtschaft sind Forderungen gegenüber der öffentlichen Hand, den Sozialleistungsträgern und den Sozialversicherungen. Bei Anerkennung von Forderungen als Sicherheiten müssen auch die für die Sozialwirtschaft typischen Forderungen abtretbar sein.
Anerkennung von Realkrediten auf Sozialimmobilien
Über die „Kriterien zur Festlegung einer Ausnahmebehandlung für gewerbliche Immobiliendarlehen – Ergänzendes Dokument zur neuen Baseler Eigenkapital-Übereinkunft“ – ist es nach der grundsätzlichen Anerkennung von Realkrediten im Rahmen von Basel II praktisch zu einem Ausschluss der Finanzierung der Sozialimmobilien von einem Realkreditausweis gekommen.
Der Ausschluss wurde begründet durch Aufnahme dieser Finanzierungen in den Ausnahmekatalog „spekulativer oder stark risikobehafteter Finanzierungsarten“ mit einer angenommenen eingeschränkten erneuten Vermietungs- und Verwertungsmöglichkeit im Vergleich zu gewerblichen Immobilien. Diese ist in dieser pauschalen und undifferenzierten Weise allerdings nicht gegeben. In Anbetracht des enormen Investitionsbedarfs im sozialwirtschaftlichen Sektors würde ein solcher Ausschluss der Finanzierung der Sozialimmobilien von einer Realkreditgewährung zu einer erheblichen Kosten-Mehrbelastung der Einrichtungen und – über die Erstattung des Investitionskostenanteils – der betroffenen Bürger sowie der öffentlichen Hand führen.
Zulassung sozialwirtschaftlicher Ratingverfahren
Gemeinnützige Kreditnehmer unterscheiden sich bei der Finanzierung ihrer im Gemeinwohl liegenden Aufgaben von Kreditnehmern in vielfacher Hinsicht:
- Eingeschränkte Möglichkeiten zur Bildung von Eigenkapital und Rücklagen aufgrund der Abgabenordnung,
- Einbeziehung ehrenamtlicher Tätigkeit,
- Erfüllung von Unternehmenszielen, die nicht von der Erzielung einer optimalen Rendite gekennzeichnet sind.
Obgleich Kreditausfälle in der Sozialwirtschaft sowohl nach Häufigkeit als auch nach Umfang in der Vergangenheit geringer als in der gewerblichen Wirtschaft vorkamen, führen die vorgenannten beispielhaft aufgeführten Spezifika sozialwirtschaftlicher Kreditnehmer nach Basel II zu schlechteren Ratingbewertungen.
Mittlerweile steht das neue von der Bank für Sozialwirtschaft entwickelte Rating-System vor seinem Abschluss. Es versucht, eine risikoadäquate Abbildung sozialwirtschaftlicher Kreditnehmer vorzunehmen. Nach Abschluss einer Testphase soll es ab 2003 zur Einschätzung ihrer Kunden eingesetzt werden. Die privaten Banken und Sparkassen entwickeln nach bisheriger Kenntnis kein derartiges spezielles Rating. Sie beurteilen die sozialwirtschaftlichen Kreditnehmer mit Hilfe des „gewerblichen Ratings“.
Dieses branchenspezifische Rating berücksichtigt schwerpunktmäßig folgende Angaben und Fragestellungen:
- Analyse der Jahresabschlüsse (z. B. Analyse der Jahresabschlüsse und Berichte der Wirtschaftsprüfer, um die reale Haftsubstanz („echtes Eigenkapital“) des jeweiligen Kreditnehmers und das nachhaltige Betriebsergebnis aus dem operativen Geschäft zu ermitteln. Aus diesen Daten werden 3-Jahres-Vergleiche erstellt, die die Entwicklung einzelner Positionen sichtbar machen).
- Unternehmen, Management, Markt ( Hier werden Fragen zum Unternehmen, zum Management und zum Markt gestellt. Wie ist die Kontoverbindung? Welche Planungsinstrumente, wie z. B. Liquiditätsplan, Haushaltsplan oder Investitionsplan werden verwandt und wie zeitnah erfolgt der Soll-Ist-Vergleich? Bewertungen in diesem Segment werden umso besser ausfallen, je aktueller die Daten vorliegen, wenn das Ergebnis auf eine positive Entwicklung schließen lässt und wenn die erforderliche Transparenz für die Bank gewährleistet wird. Hinzu kommt eine genauere Bewertung der Managementqualität als bisher, bei der teilweise die sog. „weichen“ Faktoren eine wesentliche Rolle spielen und die Beurteilung, welches Know-how vorliegt. Bei den Fragestellungen nach den Marktbedingungen des Unternehmens und in der jeweiligen spezifischen Branche kommen beispielsweise der Einschätzung der Wettbewerbssituation, das Verhältnis zu den Kostenträgern, der Einschätzung der Qualitätsstandards oder der technische und bauliche Standard eine besondere Bedeutung zu.
- Für den Bereich der stationären Altenhilfe wird beispielsweise abgefragt, wie sich der Investitionskostenanteil im Pflegesatz zur Höhe des Kapitaldienstes verhält und wie hoch der Einzelzimmeranteil in den Einrichtungen ist. Die branchenspezifischen Fragen beziehen sich u.a. auf die Sektoren stationäre Antenhilfe, Beschäftigungsgesellschaften, Werkstätten für Behinderte und Kur-, Reha- sowie Suchtkliniken).
Die Messung und Beurteilung der Bonität in einem solchen internen Ratingverfahren erfolgt anhand einer Reihe von Kriterien:
- Kapitalstruktur
- Wettbewerbsfähigkeit
- Fremdfinanzierungsmöglichkeiten
- Fremdfinanzierungsquote
- Erträge
- Qualität der Informationen
- Managementqualitäten
Nach der Beurteilung einzelner Kriterien wird der Kreditnehmer einer Ratingklasse zugeordnet. Mit statistischen Verfahren kann dann die Ausfallwahrscheinlichkeit einer Ratingklasse ermittelt werden.