Interessenverbände treten in der Regel als formell verfaßte Organisationen auf. Sie sind gekennzeichnet durch einen kontinuierlichen Bestand, definierte Ziele, zum Beispiel in Form eines Programms, und einen formalisierten Aufbau, zum Beispiel durch Satzung oder Statut. Arbeitsteilig wird zwischen Aufgaben der Mitglieder und des Vorstandes unterschieden; es werden für bestimmte Aufgaben besondere Gremien und Funktionsträger benannt und regelmäßig Mitgliedsbeiträge erhoben. Ab einer bestimmten Größe entwickelt sich dann ein hauptamtlicher Funktionärskörper und ein in verschiedenen Stufen gegliederter Verbandsaufbau.
Ein kleinerer Verband kennt nur die Mitgliedschaft und den Vorstand. Große Verbände kennen zahlreiche abgestufte Organisationsebenen, die von lokalen, regionalen bis zu nationalen und sogar internationalen Ebenen reichen können. Nur wenige Organisationen umfassen alle diese Ebenen. Aber bereits ein relativ kleiner Verband wie amnesty international reicht von der lokalen bis zur internationalen Ebene. Der Großverband Deutsches Rotes Kreuz ist zwar national organisiert, mit lokalem und regionalem Unterbau, gleichzeitig ist er aber mit dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes weltweit verflochten. Die meisten großen nationalen Interessenorganisationen gehören internationalen Dachverbänden an. Von der Basis bis zur Spitze durchgehend lokal bis international organisierte Verbände sind aber selten, da sich die Verbände in der Regel an nationalem Recht orientieren müssen.
Die Tendenz zur Europäisierung und noch darüber hinaus zur Globalisierung von Politik, Wirtschaft und Kultur schafft deshalb auch große Probleme für die Willensbildung der Verbände. Denn die Mitglieder sind in einem nationalen Verband über Delegierte auf Landes- und Bundesvertreterversammlungen - beispielsweise dem DGB-Bundeskongreß, der sich deshalb gerne "Parlament der Arbeit" nennen läßt - auf allen Stufen beteiligt. Auf der europäischen oder sogar weltweiten Ebene wirken aber meist nur wenige Vorstandsmitglieder mit. Probleme der Entfernung und der Sprache sowie der Kompromißzwänge mit den Verbänden anderer Länder kommen hinzu und bewirken oft ein Eigenleben der internationalen Dachverbände.
Zahlreiche Spitzenverbände sind überhaupt nur als Dachverbände auf nationaler Ebene aktiv; die eigentliche Mitgliedschaft besteht aus Einzelverbänden, nicht aus Personen. Dies gilt in der Bundesrepublik für die Unternehmerverbände BDI, BDA oder auch für den DIHT, ebenso für den Beamtenbund, den Bauernverband oder den Deutschen Mieterbund. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund ist nur ein Dachverband der Einzelgewerkschaften. Die Willensbildung in solchen Großorganisationen ist aufgrund der vielen Stufen mehrfach gebrochen und verläuft durch entsprechend komplizierte Kanäle.
Innerverbandliche Demokratie
Obwohl den Verbänden - anders als den Parteien - nicht durch das Grundgesetz innere Demokratie auferlegt wird, gibt es doch gute Gründe, das Demokratiegebot auf sie auszudehnen:
- Der Grundrechtsschutz der Mitglieder verlangt nach innerverbandlicher Demokratie. Die großen und mächtigen Verbände sind aus der privaten gesellschaftlichen Sphäre herausgewachsen. Deshalb müssen die Grundrechte ihrer Mitglieder, besonders die Meinungsfreiheit, gegenüber den Verbandsführungen geschützt werden.
- Da den großen Verbänden öffentliche Aufgaben übertragen wurden, insbesondere im Bereich der Tarifautonomie den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden, müssen auch die Entscheidungen der Verbandsführungen durch die demokratische Willensbildung ihrer Mitglieder bestimmt werden.
- Da die Großverbände an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, wenn auch weniger direkt als die Parteien, müssen sie einen demokratischen internen Aufbau der Willensbildung garantieren, da sie insofern mit den Parteien vergleichbar sind.
Trotz solcher Argumente ist eine verpflichtende Ableitung innerverbandlicher Demokratie aus dem Grundgesetz schwierig. Dennoch ist heute allgemein anerkannt, daß die Verbände nicht undemokratisch aufgebaut sein dürfen. Nach den großen Debatten um eine Demokratisierung der Gesellschaft in den sechziger Jahren ist doch soviel klar: Verbände leben nicht in einem politischen Freiraum. Sie müssen sich an minimale demokratische Spielregeln halten.
Innerverbandliche Demokratie ist ein Thema seit dem Heraufkommen der modernen Massenorganisationen. Der deutsch-italienische Soziologe Robert Michels hat in seinem berühmten Werk von 1911 "Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie" auch die undemokratischen Tendenzen in den deutschen Gewerkschaften thematisiert. Der Untertitel seines Buches lautete deshalb auch ganz allgemein "Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens". Oligarchie bedeutet die Herrschaft von wenigen als Gegensatz zur Demokratie, der Herrschaft des Volkes.
Kein Zwang zur Herrschaft weniger
Michels formulierte das auch heute noch diskutierte "Eherne Gesetz der Oligarchie". Es besagt, daß jede demokratische Organisation sich notwendigerweise in eine Oligarchie, das heißt in eine undemokratische Herrschaft der Wenigen, entwickelt. Als Ursachen für sein sogenanntes "Gesetz", das allerdings nur bestimmte Tendenzen und Gefahren angibt und natürlich kein Gesetz im bindenden juristischen Sinne ist, führte Michels an: die Bürokratisierung der Organisationen, das Wachstum der Aufgaben, die Unmöglichkeit der direkten Selbstregierung von großen Massen, die Notwendigkeit der organisatorischen Taktik und Schlagkraft sowie das Machtstreben der Führungen. Durch dies alles sei eine Tendenz gegen die innververbandliche Demokratie ganz unvermeidlich.
Obwohl es Beispiele in großen und kleinen Verbänden gibt, die Michels Theorie zu bestätigen scheinen, hat die Forschung doch mittlerweile sein "Gesetz" als zu pauschal zurückgewiesen. Denn es gibt umgekehrt auch immer wieder Tendenzen zu mehr Demokratie in Organisationen bis hin zur Notwendigkeit, die Mitglieder an der demokratischen Mitwirkung zu beteiligen. Wie auch heute in Wirtschaftsunternehmen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mehr zur Beteiligung aufgefordert werden, Teamarbeit und betriebliche Partizipation sich wieder stärker durchsetzen, so spüren viele Organisationen, daß sie ohne Mitverantwortung und Motivation ihrer Mitglieder in Probleme geraten.
Deshalb müssen Mitglieder von freiwilligen Organisationen immer wieder motiviert werden, aktiv mitzuarbeiten. Sie sind ein kostbares Gut, denn ohne Mitglieder kann die Organisation nicht überleben. Das gilt besonders für solche Organisationen, die fast ausschließlich von ihren Mitgliedsbeiträgen leben. Dazu gehören insbesondere die Tarifparteien, also die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände, die kaum von staatlichen Subventionen wie viele andere Verbände profitieren. Für die Unternehmer ist das Aufbringen der Beiträge ein geringeres Problem, für die Arbeitnehmer dagegen oft ein großes. Wenn die Mitglieder den Tarifpartnern in nennenswerter Zahl den Rücken kehren, dann ist die Durchsetzungskraft deutlich beeinträchtigt. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Albert O. Hirschman hat in einer einflußreichen Theorie die Reaktion von Mitgliedern auf Schwächen ihrer Organisation so beschrieben: Sie haben die Wahl zwischen Abwanderung oder Widerspruch ("exit" oder "voice"). Sie können also entweder ihre Stie erheben und für Veränderungen in ihrer Organisation einsetzen, oder sie können resignieren und durch ihre Abwanderung ihren Unmut bekunden. Weitsichtige Verbandsführungen tun deshalb gut daran, es nicht bis zur Abwanderung der Mitglieder kommen zu lassen.
Hauptamtliche und Ehrenamtliche
In allen großen Verbänden ist die Verbandsführung zweigeteilt. Gerade bei den großen Wirtschaftsverbänden sind die Verbandspräsidenten und Vorstandsmitglieder ehrenamtlich gewählte Persönlichkeiten, die in der Regel dem Management oder dem Vorstand von Unternehmen angehören. Neben ihren Verpflichtungen im Unternehmen, Aufsichtsratspositionen und Beiräten leiten sie auch noch den Verband. Unterstützt werden sie dabei von dem großen Apparat der hauptamtlichen Verbandsmitarbeiter mit einem Hauptgeschäftsführer an der Spitze. Dieser wirkt als eine Art graue Eminenz im Hintergrund, ist aber für das kontinuierliche Verbandsgeschäft oft wichtiger als der Präsident oder Vorsitzende, auch wenn dieser in der Öffentlichkeit die Festansprachen hält und die Fernsehinterviews gibt. Zwischen den hauptamtlichen Verbandsangestellten und den ehrenamtlichen Delegierten, Ausschußmitgliedern und Vorständen gibt es deshalb nicht selten Konflikte über Kompetenzen und Einfluß.
Probleme zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen gibt es nicht nur in den Wirtschaftsverbänden. Auch aus den Sportverbänden ist bekannt, daß es zwischen den hauptamtlichen Funktionären, den meist ehrenamtlichen Vorständen und Präsidien und schließlich den aktiven Sportlern nicht selten zu Konflikten kommt. Das ist aus der Berichterstattung über Olympische Spiele genauso bekannt, wie aus den Sportkommentaren über die Fußballbundesliga. Bei den Gewerkschaften liegt die Machtverteilung etwas anders: Die Vorstände sind dort in der Regel hauptamtliche Angestellte, genauso die Gewerkschaftssekretäre und -sekretärinnen in den sonstigen Dienststellen. Ehrenamtlich sind die aktiven Gewerkschaftler an der Basis, die neben ihrem Beruf sich im Betrieb als Vertrauensleute engagieren oder in der Gewerkschaft als Delegierte oder Beisitzer in Vorständen mitwirken. Zwischen der Masse der einfachen Mitglieder und den hauptamtlichen Funktionären fühlen sich deshalb die Ehrenamtlichen in den Gewerkschaften oft wie "zwischen um und Borke", das heißt entweder überfordert von Anfragen der Mitglieder oder unterfordert durch die Anforderungen des hauptamtlichen Apparats.