Andreas May, 34, sieht seiner neuen Aufgabe nervös entgegen. Er ist kein stiller Typ, erobert sich gern neue Felder. Aber als Wirtschaftsingenieur war er bisher gewöhnt, mit Fachkollegen zu arbeiten. Verbandsarbeit war für ihn Facharbeit, mit Unternehmen, Kammern, Forschungsstellen. Politik interessierte ihn. Als Interessenvertreter hat er sich nie gesehen.
„Na, da kommt ja unser Lobbyist“, flachsten seine Freunde gerne beim Feierabendbier. Das hat er stets mit bösem Blick quittiert. Nun ist er wohl einer, ein Lobbyist. Mays Abteilung wurde umgebaut, auf Druck der Mitglieder, denn da brodelt es gewaltig: Mehr Präsenz in der Politik! Frühwarnsystem für die Branche! Mit dabei sein, wenn entschieden wird! Klare Ansagen von der Mitgliederversammlung.
Er liest noch einmal seine Stellenbeschreibung: „Aufbau politischer Netzwerke, Organisation des Dialogs mit Entscheidungsträgern und Meinungsführern, Bildung strategischer Allianzen, Planung und Umsetzung von Veranstaltungen, strategische Beratung der Geschäftsführung bei Zielgruppen, Themen und Positionen.“ May lacht leise – über sich selbst. „Dem Ingenieur ist nichts zu schwör.“
Kontakte sind nicht alles
Dr. Sandra Lennart, 46, hat sich für May einen Vormittag Zeit genommen. Die Hauptgeschäftsführerin erläutert ihm das kleine 1x1. Sie war mal im Parlament, lernte Politik von der Pike auf. „Ich brachte ein Netzwerk mit, die meisten Zugänge musste ich mir aber neu aufbauen“, so beginnt Lennart. „Kontakte sind nicht alles. Wir sind ja keine Frühstücksdirektoren. Ich kenn da wen, der kennt wen, den rufen wir an, dann ist das Problem weg – das läuft so nicht. Erstens entscheidet in der Politik niemand alleine, und zweitens gibt es immer irgendwen auf der Gegenseite, der hat gute Argumente und kämpft so hart wie wir.“ May notiert, Lennart doziert: „Das passiert in Einzelgesprächen, bei Anhörungen, mit Positionspapieren und Briefen, bei Parlamentarischen Abenden, in der Bild-Zeitung oder mit Wahlkreisbesuchen bei Abgeordneten der Bundestagsausschüsse. Dafür muss man dann verbandsintern die Mitglieder mobilisieren, und manchmal auch qualifizieren, denn die haben wenig Ahnung von Politik.“
May guckt ratlos in seine Kaffeetasse. Seine Vorgesetzte beugt sich zu ihm: „Andreas, deine Fachkompetenz ist das Wichtigste. Jetzt musst du dir erarbeiten, wie politische Prozesse laufen und herausfinden, wo wir den Hebel ansetzen. Bisher hast du Fachinfos recherchiert, jetzt liest du eben Parlamentsdrucksachen und Meinungsumfragen. Du brauchst ein Politikradar, du musst die Entscheiderszene scannen. Und die Konkurrenz natürlich auch.“
„Noch-Nicht-Lobbyist“ May wird klar, dass er gar nicht weiß, wo er anfangen soll mit der Informationsbeschaffung. Von der Auswertung nicht zu reden.
„Dann bist du verbrannt“
Lennart lehnt sich zurück im Ledersessel. „Was wir hier machen, ist wie Risikomanagement bei einer Bank, Andreas. Gute und schlechte Projekte beobachten, bewerten, entscheiden, wo wir investieren. Wo wir für unsere Mitglieder Risiken verringern müssen, wenn ein neuer Minister sein Arbeitsprogramm macht oder eine Vorgabe aus Brüssel regional umgesetzt wird. Darum geht’s. Und sauber bleiben. Wenn die Leute dich nicht mehr für seriös halten, bist du verbrannt.“
Lennart beißt sich auf die Zunge. Sie will May ja keine Angst einjagen. „Ich nehme dich mit zu ein paar Terminen. Du kannst mich auch alles fragen. Wird schon.“ Ihr neuer Lobbyist verabschiedet sich mit gequältem Lächeln. „Die hat gut reden, vom Feldherrnhügel“, denkt May. „Ich sehe vor lauter Nebel nicht mal das Schlachtfeld, auf dem ich in den Nahkampf ziehen soll.“ Gäbe es in einer imaginären Infanterieschule ein Ausbildungscamp für Lobbyisten, er würde sich freiwillig melden. Schön, dass sich Dr. Lennart Zeit für die Einweisung nimmt. Aber mehr Systematik wäre hilfreich. „Man wird ja auch nicht Ingenieur, indem man anderen Ingenieuren bei der Arbeit zuschaut“, murmelt May auf dem Weg zurück in sein Büro.
Die Seiteneinsteiger
Wie Andreas May und Dr. Sandra Lennart (es gibt sie, aber sie heißen in Wirklichkeit anders) ergeht es Kollegen aus Verbänden, Kammern, Unternehmen, Gewerkschaften, Agenturen, Anwaltskanzleien, Beratungsfirmen. Auch aus der Verwaltung selbst: Städte, Bundesländer, halbstaatliche Organisationen haben Lobbyisten in Brüssel, Berlin und anderswo.
Lobbying lernen die meisten als Seiteneinsteiger nach einigen Jahren Berufserfahrung. In Verbänden sind es oft Fachleute der Branche, die sie vertreten. Entsprechend bunt ist der Hintergrund der Lobbyisten: Juristen und Kaufleute, Journalisten und Techniker, Soziologen und Biologen, Verwalter und Außendienstler, Computerfreaks und Hausfrauen, Akademiker und Industriemeister.
Der Lobbyist als Brücke
Andreas May wird künftig eine Brücke zwischen Politik und der Interessen seiner Mitgliedsunternehmen sein. Er hofft, dass er schnell begreifen wird, wie Politik und Regulierung auf seine Verbandsbranche wirken. May wird auf beiden Seiten der Brücke dolmetschen und verstehen lernen, um was es den beteiligten Menschen und Gruppen wirklich geht.
May fällt es leicht, sich in technische Regulierungsfragen einzuarbeiten. Kein Wunder. Ansprechpartner in Regulierungsbehörden sind oft Ingenieure. Aber Hauptgeschäftsführerin Lennart sieht ihren Lobbyingfokus darin, Politikvorhaben voranzutreiben oder zu blockieren. Das ist keine Fachdebatte, das ist politisches Manövrieren im Regierungs- und Parlamentsverfahren. Das ist wie Voodoo, meint May – eine schwarze Kunst mit seltsamen Ritualen. Wo erfährt man, wie das wirklich funktioniert?
May schreibt sich einen Laufzettel: Er will mit den Hausjuristen und der Pressestelle sprechen, denn Recht und Medien sind wichtige Instrumente im Spiel um Einfluss. Er muss sich mit anderen Lobbyisten treffen, von Mitgliedsunternehmen, von Dachverbänden in Berlin und in Brüssel. Er wird noch viele Gremiensitzungen auf dem Kalender haben. Was weiß er über seine Sparringpartner? Nicht viel.
Zudem ist es May als Wirtschaftsingenieur ein Rätsel, wie man Projektmanagement im Lobbying macht: „Zeitphasen, Strategieplanung, Controlling – wie soll das gehen bei all diesen informellen Wegen und ohne klassische Kennziffern? Wie misst man überhaupt den Erfolg im Lobbying?“
Lobbyist, ein Beruf der Kennziffer 763
May hat eine neue Visitenkarte. „Lobbyist“ steht da nicht drauf. Doch ein anerkannter Beruf ist das schon, wie May im „BerufeNet“ der Bundesagentur für Arbeit feststellt. Er schaut online nach: Die Nürnberger Berufskundler listen „Lobbyist/in“ auf, Nummer 14963/B7632-100, Kennziffer 763. „Tätigkeitsvarianten: Politikberater/in, Public-Affairs-Consultant“, liest May. „Ich bin jetzt also Politikberater!“, staunt er. „Ich weiß gar nicht, ob ich einen Politiker beraten kann. Was erwartet der überhaupt von mir?“
Die weitere Recherche zeigt ihm, dass die Berufestatistik unter der Kennziffer 763 vorrangig „Verbandsleiter/innen, Funktionäre/innen“ zählt. May wundert sich. Es liegt auf der Hand, dass nicht jeder Verbandsleiter/Funktionär Lobbying betreibt. Und schon gar nicht ist jeder Lobbyist ein Verbandsleiter/Funktionär.
Weiterbildungslücke Lobbying
Die Personalentwicklung in vielen größeren Verbänden bemüht sich zunehmend um spezifische Weiterbildungsangebote, die oft intern stattfinden. Erfreulicherweise hat sich das Qualifizierungsangebot deutlich erweitert, nicht zuletzt aufgrund der Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Verbandsmanagement (DGVM).
Doch konzentrieren sich die Inhalte meist auf fachliche, rechtliche oder auf die Betriebswirtschaft des Verbands orientierten Belange. Für das Lobbying als solches hat sich das Angebot noch nicht recht entfalten können – jedenfalls im Vergleich zu dem, was in Brüssel, London oder Washington Standard ist. So fehlt es oft an Dozenten, Fachbüchern, Lehreinheiten, Dokumentationen, geeigneter Didaktik und einem anerkannten Curriculum. Nicht jeder, der ein Seminar anbietet, kann das vorweisen.
Vier Rollen für Lobbyisten
Ein sinnvolles Weiterbildungsmodell für das Lobbying in Verbänden beruht in der Definition der Rollen und Funktionen, die Verbandslobbyisten übernehmen. Dies sind vier, nämlich die des
- Entscheidungsanalytikers,der Entscheidungen fällen oder vorbereiten muss, ohne immer exakt zu wissen, wie die Konsequenzen des Handelns – oder mögliche Alternativen – aussehen;
- Verhandlungsführers,der Entscheidungen nur mit anderen fällen kann und sich daher taktisch klug verhalten muss;
- öffentlichen Repräsentantenseiner Organisation, der Legitimität, Kosten und Nutzen abzuwägen und in den Interessenausgleich einzubringen hat;
- politischen Strategen, der sein Ziel mit oder gegen die Interessen verschiedener Akteure, Macht- und Einflusssphären verfolgt sowie die Eignung und Aufbereitung für die Medien zu bewerten hat.
Keine Erzählstunden
Sandra Lennart hat sich umgehört, wie andere ihre Lobbyisten schulen. Sie ist ernüchtert: Verbandskongresse bieten keine intensive Lernerfahrung. Und diese Exklusivrunden kommerzieller Seminarvermarkter, bei denen Ex-Politiker bei schwerem Rotwein Anekdoten erzählen? „Kommt nicht in Frage“, knurrt Lennart. „Mein Weiterbildungsbudget ist für Erzählstunden viel zu eng.“
Politikanalyse und Einflussstrategien
Professionalisierung gibt es auf Dauer in keinem Beruf ohne Akademisierung. Lobbying ist zwar weit mehr Kunst als Wissenschaft. Problemlösungskompetenz steht im Mittelpunkt des Qualifikationsbedarfs. Aber spricht das gegen ein Engagement akademischer Institute im Fach Lobbying?
Es gibt für die Wirtschaft gute Gründe, weshalb sich aus der Kaufmannspraxis die akademische Betriebswirtschaftslehre herausgebildet hat. Und was unterscheidet den Architekten vom Polier? Den Ingenieur vom Techniker? Den Arzt vom Pfleger? Den Steuerberater vom Buchhalter? Eine enge Beziehung zwischen Theoriewissen und Berufspraxis, die durch Weiterbildung untermauert und aktualisiert gehalten wird (und Türen öffnet für die Karriere).
Lobbyisten brauchen Anwendungswissen für Einflussstrategien bei Staat und Kommunen. Sie brauchen analytische Techniken, Hintergrund- und Verfahrenswissen, das aus Politik-, Kommunikations, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften stammt. Neben Interdisziplinarität zählt aktives Lernen: Moderne Managementlehre ist undenkbar ohne „Case Teaching“ mit Fallarbeit, fallnahen Lehrgesprächen, Planspielen und Simulationen. Im Lobbying ist das besonders wichtig. Mit Frontalunterricht schult man kaum die professionelle Kompetenz.
Darauf kommt es an:
- Analytische Kompetenz.In der öffentlichen Arena sind die Probleme komplex. Verhandlungen mit Anspruchsgruppen, Gesetzgebungsverfahren, Dynamik der öffentlichen Meinung – nichts davon bietet simple Lösungen. Jede Strategie beginnt mit dem Aufbrechen der Situation, mit dem Dechiffrieren, der Suche nach Zusammenhängen, Risiken und Chancen.
- Managementkompetenz.Zeit, Geld, Personal und Talent sind knapp. Projekte setzen sich nicht von alleine um. So ist es wichtig, Ressourcen planen, Entscheidungen durchsetzen, Beteiligte koordinieren und Konflikte entschärfen zu können. Finanzen, Organisation, Arbeit mit Beratern und Dienstleistern, Qualitätsmanagement, Evaluation und Bewertungsmethoden gehören dazu.
- Strategisches Denken.Strategie ist die Ökonomie der Kräfte, in der Auseinandersetzung mit Widerständen, Wettbewerbern und Gegnern. Das Entwickeln von Szenarien wird für das Lobbying in politisch unberechenbaren Zeiten immer wichtiger. Ein gutes Weiterbildungsprogramm ist immer auch ein Strategielabor.
Ein Basis-Curriculum
Das Deutsche Institut für Public Affairs (DIPA), ein gemeinnütziges, privates Institut in Berlin und Mitglied der DGVM, hat ein Basiscurriculum aufgestellt. Diese Kurse sind angelsächsisch geprägt: Seminarerfahrene Kollegen von der US-Wirtschaftsorganisation Public Affairs Council und dem Public Affairs Institute der American University in Washington waren ebenso Berater und Geburtshelfer wie die vom European Centre for Public Affairs (Brüssel/London), in dem das DIPA auch vertreten ist.
Den Rahmen findet der neue Kursus im Format „Master Class“, das am DIPA für Wochenlehrgänge in politischer Kommunikation, Kampagnen, Strategischer Beratung und eben auch Lobbying entwickelt wurde. Dozenten unterschiedlicher Fachrichtungen lehren am DIPA – im 100 Jahre alten Kaiserin-Friedrich-Haus am Campus Charité-Mitte, vis-à-vis Wirtschafts- und Verkehrsministerien sowie mehreren Verbändehäusern – und vermitteln in der „Master Class Lobbying“ folgende Inhalte:
- Politikfeldanalyse und die Dynamik politischer Subsysteme
- Überblick Organisationsformen deutscher Wirtschaftsinteressen
- Geschichte des Lobbying in Deutschland, Europa und USA
- Fallstudien aus Regulierung und Förderpolitik
- Direktes Lobbying – Gespräche mit Behörden und Parlamentariern
- Koalitionen und strategische Allianzen: Praxis der Bildung und Steuerung
- Gesetzgebung und legislative Strategien in Bund und Ländern
- Grassroots Lobbying – Bürgerpetitionen, Betriebsbesuche, Wahlkreisgespräche
- Monitoring-Techniken, Informationsaufbereitung für Lobby-Projekte
- Planspiel „LegisLobby“, eine ganztägige Simulation für die Einflussnahme auf ein Gesetzgebungsvorhaben,
- Verhaltensregeln, rechtliche Risiken, Lobby-Regulierung
- Gesetzgebung und legislative Strategien in Brüssel
- Fördermittel-Lobbying, Auftragslobbying für öffentliche Aufträge
Der Schritt zum Hochschulstudium
Viel Stoff für eine lange Woche. Warum ist es so anspruchsvoll? Das „Master Class“ Curriculum ist fast identisch mit dem Spezialisierungsteil des berufsbegleitenden Studiengangs „Master of Business Administration“ (MBA) an der Technischen Fachhochschule Wildau bei Berlin. 2006 starten die beiden Institute gemeinsam das für Akademiker mit mindestens zwei Jahren Berufserfahrung gedachte Aufbaustudium, das aus Fernstudien- und Präsenzphasen besteht. Es hat ausländische Vorbilder, beispielsweise in Brüssel die United Business Institutes (MBA Lobbying and Business Representation), die Wirtschaftsfakultät der Brunel University, London (Master of Science in Public Affairs and Lobbying), die irische University of Ulster (Master of Science in Political Lobbying and Public Affairs) oder das Master-Studium „Corporate and Trade Association Public Affairs“ an Amerikas größter Lobbyistenakademie, der Graduate School of Political Management der George Washington University in Washington DC.
Es wird so bleiben, dass erfahrene Seiteneinsteiger das Gros der Lobbyisten bilden werden. Wie für Andreas May und Sandra Lennart stellt sich immer wieder neu die Frage: Kann man Lobbying lernen? Ja, denn Lobbying ist eine Disziplin, die den Meisterbrief nur denjenigen verweigert, die der Aufgabe keinen Respekt entgegen bringen. Man muss sie schon „meistern“ wollen.