Verbändereport AUSGABE 4 / 2012

Mitgliederversammlungen leiten und steuern

Praxis der Verbandsarbeit: „Das Leid mit der Leitung“ – Teil 2

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In einer kleinen Reihe widmet sich der Verbändereport dem ganz praktischen Alltagsgeschäft der Verbände. Praktisches Verbandsgeschäft: Das umfasst alles von der Büroorganisation in der Geschäftsstelle über das Publikationsangebot zum Sonderpreis für Mitglieder oder die Sitzungsvorbereitung für die nächste Vorstandssitzung bis hin zur Planung, Organisation und Durchführung der jährlichen Mitgliederversammlung. Die Autorin setzt die Überlegungen zu Sitzungsleitung und Moderation aus Teil 1 fort mit einer Betrachtung „der“ zentralen Versammlung von Verbandsmitgliedern, der turnusmäßig stattfindenden Mitglieder- oder Generalversammlung.

Die Sachlage: Die Mitgliederversammlung als Verbands-Standard

Die regelmäßige, ordentliche Mitgliederversammlung gehört für Verbände zum Pflichtprogramm, ob sie nun jährlich, zweijährlich oder in einem anderen Rhythmus stattfindet. Die vereinsrechtlichen Vorgaben, niedergelegt in der Satzung des Verbandes, sind meist entlang dem BGB-Wortlaut formuliert und ähneln sich: die Haushaltsverantwortung der Mitgliederversammlung, die Wahl des Vorstands oder Präsidiums, die Entscheidungsgewalt über die wichtigen Grundlagen des Verbandes und politischen Standpunkte der Interessenvertretung.

Auch die Leitung der Versammlung ist hier festgelegt: in der Regel ist es der Vorstandsvorsitzende oder die Präsidentin, der die Leitung obliegt; und in der Regel ist das auch geübte Praxis bei Verbänden und wird selten hinterfragt.

Alles also wie gehabt, geregelt und vorgegeben – was gibt es da noch zu gestalten?

Die Erfahrung zeigt: Die Mitgliederversammlung ist von ihrer Anlage im Vereinsrecht her DER demokratische Kristallisationspunkt des Verbandsgeschehens – die Realität aber wird diesem hohen Anspruch nicht immer gerecht. Die Mitgliederversammlung als oberster Souverän des Verbandes, also als richtungsweisendes und letztentscheidendes Organ, das dem Mitgliederwillen Ausdruck gibt, krankt oft an ebendem Pflichtcharakter der Veranstaltung; formal ist alles in Ordnung, auch die Versammlungsleitung erfüllt vorschriftsmäßig ihre Rolle, und dennoch bleibt bei den Beteiligten – den anwesenden und auch den nicht anwesenden Mitgliedern – manchmal ein schales Gefühl zurück, der Pflicht ist Genüge getan, aber wo bleibt die Kür – die lebendige Diskussionskultur, die Auseinandersetzung und die errungenen Kompromisse, die dann von allen getragen und als starke Interessenvertretung umgesetzt werden?.

Mitgliederversammlung – staubtrockene Veranstaltung oder ein Event

Die Problemlage: die Mitgliederversammlung – ein (verbands)politisches „Muss“, ein „Produkt“ des Veranstaltungsmanagements, ein Event? Mitgliederversammlung – der Begriff löst Assoziationen von „Vereinsmeierei“, von endlosen Debatten und einer Vielzahl, oft einer Unzahl von Anträgen aus, die abgearbeitet werden müssen. Nichtverbandsmenschen vermuten dahinter regelmäßig eine „staubtrockene“ Veranstaltung, eine in Bürokratie versandende Schein-Demokratie oder Schlimmeres – und ganz unter sich geben Verbandsmenschen ihnen sogar manchmal recht. Die Mitgliederversammlung also als ein ungeliebtes, aber notwendiges Übel?

Viele Verbände lösen das Problem, indem sie vor oder nach der Mitgliederversammlung einen „Teaser“ anbieten, ein möglichst attraktives Rahmen- oder Begleitprogramm, mit dem die Mitglieder zum Besuch auch der Versammlung verlockt werden sollen. Dementsprechend wird eine hochwertige Location ausgewählt (so das Verbandsbudget das hergibt), interessante Referenten werden gebucht, die Mitglieder werden durch einen exklusiven Caterer bestens versorgt, und es wird eine bekannte Band zum Festabend organisiert. Gegen all das ist wenig zu sagen, im Gegenteil, es ist legitim und zielführend, den Mitgliedern etwas zu „bieten“ und ihnen damit das Gefühl zu geben, dass sie wichtig sind und ernst genommen werden. Auch das ist ja ein Weg, Mitglieder zu binden, ebenso wie eine perfekte Organisation des Events und der Versammlung nach allen Regeln des Veranstaltungsmanagements Mitglieder überzeugen kann, dass sie einem professionell geführten Verband angehören.

Bezogen auf die eigentliche Mitgliederversammlung bietet diese Lösung den Vorteil, dass die Mitglieder zum meist der Versammlung vorgeschalteten Event schon einmal da sind, also, so die Erwartung, dann auch zur Mitgliederversammlung dableiben oder kommen mögen. Dass der Event eine verbandsfreundliche Atmosphäre erzeugen kann, ist unbestritten. Allerdings erfüllt sich diese Erwartung nicht immer, und auch die durch den Event erzielte Bindung an das Verbandsgeschehen hält eben oft nur bis zum Morgen nach dem Festabend, an dem so manches übernächtigte Mitglied beschließt, sich die Mitgliederversammlung doch zu „schenken“. Die Gleichung „Spannender Event = Interesse und Teilnahme an der Mitgliederversammlung“ geht eben nicht ganz so einfach auf, da sie eine Lücke beinhaltet, die motivationstechnisch zwischen beiden Teilen der Gesamtveranstaltung offenbleibt.

In manchen Fällen wird das Rahmenprogramm plus die vereinsrechtliche Versammlung dann insgesamt als Mitgliederversammlung tituliert, die eigentliche Mitgliederversammlung „versteckt“ sich quasi in einem bunten Strauß von Angeboten, „damit es nicht allzu sehr auffällt, dass da ja auch noch etwas diskutiert und beschlossen werden soll“ (Zitat einer Verbandsgeschäftsführerin).

Aus der Perspektive der Versammlungsleitung bietet die Event-Variante allerdings wenig Möglichkeiten zur Steuerung, da der Vorstand außerhalb der vereinsrechtlichen Versammlung nicht immer deutlich in Erscheinung tritt oder Gelegenheit zur Positionierung seiner Themen erhält, von der Festrede oder der Begrüßung vielleicht einmal abgesehen.

Die Perspektive: die Mitgliederversammlung nicht absolvieren, sondern gestalten!

Es wäre demgegenüber die These zu wagen, dass die Mitgliederversammlung nur oder vor allem dann erfolgreich und im Verbandsleben gut positioniert sein kann, wenn sie selber als „Event“ funktioniert und nicht auf das Hilfsmittel des sie umrahmenden Events angewiesen bleibt, also Mitglieder zum Mit-Tun und Mit-Gestalten verlockt. Und in dieser anderen Form bietet sie der Verbandsführung auch deutlich mehr Möglichkeiten zur Steuerung – unterstellen wir einmal, dass eine gute Platzierung der anstehenden Themen und deren mitgliedergestützte Umsetzung im Interesse der Führung liegt.

Bis sich aus dem Leiden an der geschilderten Situation allerdings ein aktives Leiten im Sinne von Steuern entwickelt, braucht es allerdings Zeit und GestaltungsWILLEN, manchmal auch ein wenig Druck von Mitgliederseite oder eine allzu sehr in die Kritik geratene Versammlung, die bei allen Beteiligten das Gefühl auslöst: „so nicht wieder“!

Wir plädieren hier dafür, das Misslingen nicht abzuwarten, sondern vorbeugend und proaktiv die Mitgliederversammlung zum Gegenstand des eigenen Gestaltungswillens und der Gestaltungskraft der Führungsebene zu machen.

Diese These soll mit zwei Hinweisen erläutert werden:

Erster Hinweis zur Gestaltung

„Mehr Demokratie wagen“ mag eine etwas abgenutzte Formel sein, gibt aber durchaus eine Richtung vor, gerade angesichts des in vielen Verbänden sich verstärkenden Problems des Mitgliederschwunds (wieder) stärker auf ein partizipatorisches Konzept zu setzen und die Mitglieder nicht nur formal, sondern auch faktisch und „fühlbar“ an Entscheidungen zu beteiligen.

Das hieße für die Verbandsführung bereits im Vorfeld der Mitgliederversammlung, Mitgliederwünsche und Mitgliederthemen zu eruieren und systematisch in die Vorbereitung der Tagesordnung einfließen zu lassen, und im Falle, dass die Führung selbst verbandspolitisch zentrale Anträge stellen möchte, das Umfeld für Entscheidungen dazu bereitzustellen, also in einem nicht zu kurzen Zeitraum die entsprechenden Themenfelder aufzubereiten und Positionen zur Diskussion zu stellen, und zwar auf allen Verbandsebenen (Bundes-/Landes-/Kreis-Ebene etc.) – also eine Steuerung der Mitgliederversammlung im positiven Sinne. Der damit erst einmal verbundene Aufwand lohnt sich sicherlich, wenn die Versammlung lebendiger wird und die Interessen der Mitglieder, zu deren Vertretung sie sich ja zusammengeschlossen haben, in der Versammlung tatsächlich ihren Raum bekommen und erlebbar werden und die Versammlung so zu einem Instrument der nachhaltigen Mitgliederbindung wird. Die Mitgliederversammlung bietet die einmalige Chance, als Modell für die verbandsinterne Kommunikation generell zu stehen – live und vor Ort!

Für die Versammlungsleitung IN der Mitgliederversammlung heißt das, nicht nur Zeit für die Durchführung der Versammlung, sondern auch für deren Vorbereitung zu verwenden. Dazu gehört, die eigene Rolle zu reflektieren, als Aufgabe der Leitung nicht nur das reibungslose Abarbeiten von Anträgen und Rednerlisten zu sehen, sondern auch das flexible Umgehen mit dem (nicht immer vorhersehbaren) Verlauf der Versammlung bei gleichzeitig klar erkennbarer „Führung“ durch die Versammlung, also sowohl das Zulassen von alternativen Meinungen als auch das Setzen von Grenzen. Versammlungsleitung ist Führungsaufgabe im wörtlichen Sinn und erfordert eine entsprechende durchdachte Haltung des/der Leitenden. Denn: klare Leitung und deutlich konturierte Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitglieder bedingen einander, nirgendwo wird das deutlicher als in der Mitgliederversammlung.

Zweiter Hinweis Zur Gestaltung

Das Grundproblem der „Event-Variante“ ist, dass sie häufig ohne Bezug zur eigentlichen Mitgliederversammlung bleibt. Umgekehrt sollte die Mitgliederversammlung nicht als isoliertes Ereignis gesehen werden, sondern einen nachvollziehbaren Bezug zum alltäglichen Verbandsleben haben.

Eine praktikable Lösung scheint die Mitgliederversammlung als „Mischform“, d. h. die Verknüpfung der politisch oder verbandsstrategisch anstehenden inhaltlichen Fragen, einerseits im Event, also z. B. einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion oder einem Fachforum mit Experten zu einem bestimmten Themenaspekt, andererseits das Aufgreifen ebendieser Themen mit der anschließenden Entscheidungsfindung in der eigentlichen Mitgliederversammlung.

So haben beide Veranstaltungsteile etwas „miteinander zu tun“, es gibt eine durchgängige Linie, die den Mitgliedern die Orientierung ermöglicht und eher Sinn macht als zwei völlig separate Veranstaltungen: Der „Event“, der durchaus gut besucht sein kann, und die nachfolgende Mitgliederversammlung, die vom heimlichen Hoffen der aktiven Verbandsakteure auf ebenso viele Teilnehmer lebt und doch oft in dieser Hoffnung enttäuscht wird und den immer gleichen kleinen Kreis von „Aktiven“ produziert.

Natürlich ist manchem der Beteiligten, das darf an dieser Stelle bemerkt werden, diese „kleine Lösung“ auch nicht ganz unrecht, denn scheinbar verspricht sie weniger Aufwand, schnellere Entscheidungen und vor allem ein unproblematischeres „Durchsetzen“ der Anliegen und Antragsziele der Führungsspitze. Sie birgt aber auf der anderen Seite mittel- und langfristig die Gefahr, dass eine kleine Gruppe von Mitgliedern die Verbandspolitik dominiert, dass sich die Verbandsführung allzu weit von den Interessen und der Stimmungslage der Mitglieder entfernt und so sowohl die Kontinuität an der Führung gefährdet als auch im Fall des Falles den Fortbestand des Verbandes insgesamt aufs Spiel setzt.

Weitere Mischformen für Mitgliederversammlungen:

Weiter gedacht im obigen Sinne die in den Event integrierte Mitgliederversammlung. Voraussetzung: Der Event ist nicht nur „Ereignis“, kulturelle Veranstaltung oder Ähnliches, sondern selbst themenorientiert. Eine kluge Dramaturgie könnte in diesem Fall beispielsweise Vortrag eines Experten, Podiumsdiskussion, Diskussion unter den Mitgliedern und anschließende Entscheidungsfindung quasi in „Themeninseln“ kombinieren, wobei diese Inseln inhaltlich den abzustimmenden Antragsinhalten entsprechen würden. Die Mitgliederversammlung würde so quasi in „Häppchen“ verabreicht und dadurch für manches Mitglied „verdaulicher“ werden; außerdem ließe sich der Spannungs- und Aufmerksamkeitsbogen eher halten als in einer Versammlung im traditionellen Stil, die morgens um 9 Uhr beginnt und abends um 20 Uhr die letzten Abstimmungen zu einer Angelegenheit werden lässt, die nur noch vom physischen und emotionalen Durchhaltevermögen der Mitglieder abhängt.

Das „Hineinholen“ des Event-Charakters in die Mitgliederversammlung: Gerade wenn Themen oder  z. B. Richtungsentscheidungen in der Versammlung (noch) nicht abgestimmt werden sollen, bieten sich Veranstaltungsformen mit Großgruppen-Methoden an (siehe dazu verschiedene Artikel in den letzten Ausgaben des Verbändereport). Mit diesen Verfahren werden die Versammlungsteilnehmer/-innen aktiviert und es entsteht effektiv und in relativ kurzer Zeit ein Abbild des Meinungsspektrums im Verband, das weiteren Handlungsbedarf aufzeigt und in der Folge z. B. in Anträge für eine weitere Versammlung kanalisiert werden kann.

Auch die Vorschaltung einer „virtuellen“ Mitgliederversammlung empfiehlt sich zur Vorbereitung: unter Nutzung der Möglichkeiten des Web 2.0 (und bald 3.0) der Austausch und die Meinungsbildung unter den Mitgliedern, um dann die so dokumentierten Mitgliedermeinungen mit in die reale Mitgliederversammlung hineinzunehmen und auch bei der Formulierung und Zielsetzung von Anträgen zu berücksichtigen.

Für alle diese Formen gilt natürlich, dass sie ihren Grund finden müssen in Themen und Zielen, die für die Mitglieder in ihrer Interessenlage und Befindlichkeit attraktiv sind, also einen Bezug zur Alltagsrealität der Mitglieder haben sollen. Außerdem werden diese Verfahren umso besser greifen, als die Veranstaltungsplanung die zu besprechenden und abzustimmenden Inhalte zahlenmäßig begrenzt und nicht allzu viele „schwere Brocken“ pro Versammlung vorsieht. Das bedeutet gerade für eine aktive Verbandsführung manches Mal sicherlich den Verzicht auf schnelle Durchsetzung ihrer Ziele, bringt aber andererseits den Gewinn einer fundierten und deshalb auch nachhaltigen Entscheidungsfindung und Ergebnissicherung.

Kriterien und Methoden für eine gelingende Leitung

Diese Überlegungen vorausgeschickt, ergeben sich Kriterien für eine Versammlungsleitung, die sich zwar auch an Position und Person der/des Versammlungsleiters/-in orientieren, vor allem aber auf die Aktivierung und Motivierung der Mitglieder durch die Setzung von interessanten und in Kontexte eingebetteten Themen ausgerichtet sind.

Aus Sicht der Autorin kommen drei Alternativen für die Leitung infrage:

  • Klassische Leitung,
  • Moderation (extern/intern),
  • und der Sonderfall Tagungspräsidium.
  • Die Vor- und Nachteile dieser Varianten seien hier abschließend kurz skizziert.

Soll der Präsident selber leiten?

Klassischerweise tut er oder sie das – und oft ja gar nicht schlecht! Hier gilt im Wesentlichen das, was in dem vorausgehenden Artikel „Moderation als Alternative für die Leitung von Sitzungen“ gesagt wurde. Leitet der oder die Vorstandsvorsitzende, muss er oder sie allerdings diese Funktion in engen Grenzen führen: möchte er die Versammlung nicht nur zur Selbstdarstellung nutzen, sondern auch zur Darstellung des Verbandes und mit dem Ziel der Unterstützung der Aktivitäten der Führung im Besonderen, muss er seine Rolle austarieren zwischen der Funktion als Motivator, als neutraler Leitende/-r und als Verantwortlicher für die ordnungsgemäße Durchführung der Veranstaltung in der vorgesehenen Zeit. Abgesehen davon, dass diese höchst komplexe Anforderung nicht jeder Führungspersönlichkeit entspricht und vor allem auch viel Anstrengung und umfangreiche Vorarbeit erfordert, die oft nebenher und ehrenamtlich nur schwer zu leisten ist, müssen sich die Leitenden, meinen sie es ernst und sind sie sich ihrer Neu-tralitätsverpflichtung bewusst, an so mancher Stelle auch die eigene Meinungsäußerung versagen – die andererseits aber von den Mitgliedern, die ja ihren Protagonisten auch wegen seiner Position gewählt haben, durchaus gewünscht ist.

Das spricht dafür, die Versammlungsleitung entweder in die Hände einer dritten Person zu legen oder zumindest die Leitungsaufgabe unter den Vorstandsmitgliedern aufzuteilen, was den zusätzlichen Vorteil bietet, dass diejenigen im Vorstand, die für ein bestimmtes Ressort verantwortlich sind, mit ihrer Sachkompetenz auch geeignet für die Darstellung des Themas und die Beantwortung von Fragen aus der Mitgliedschaft sind.

Moderation – ja oder nein?

Um diese Entscheidung treffen zu können, muss auf jeden Fall im Vorfeld genau geklärt werden, welche Ziele mit der Moderation verfolgt werden und ob die Moderation tatsächlich das Mittel der Wahl zur Optimierung der Versammlung ist. Gerade wenn zumindest Teile der Mitgliederversammlung noch ergebnisoffen sind und Themen ausdrücklich zur Diskussion stehen, ist die Moderationsmethode gut anwendbar.

Sie löst außerdem das Grundproblem der Doppel- und Mehrfachfunktionen der Führungsebene, das zur unklaren Wahrnehmung über die „eigentlichen“, also im Hintergrund vermuteten Absichten des Vorstandsvorsitzenden als Versammlungsleiter führen kann. Als was spricht die Präsidentin – als Meinungsführerin für eine bestimmte Sache oder als neutrale Versammlungsleiterin, die „keine Karten im Spiel“ hat? Die entstehende Verwirrung ist nicht nur für die Durchsetzungskraft des Leitenden hinderlich, sondern kann im Fall des Falles auch die Sache diskreditieren, um die es ihm oder ihr ernsthaft geht. Das heißt: Wenn die Sitzungsleitung – aus welchen Gründen auch immer – als eine im Verband umstrittene einseitige Machtposition wahrgenommen wird, kann die Überlegung angemessen sein, dieses Problem zu umgehen und die Leitung einem Moderator zu übertragen, der oder die es leichter hat, als neutral wahrgenommen zu werden und so die Sache zu einem guten (Abstimmungs-)Ergebnis zu führen. Das ermöglicht dem/der Präsident/-in zusätzlich, frei und deutlich die eigene Position zu vertreten und nicht zwischen Leitung und Positionierung hin- und herwechseln zu müssen. Auf der anderen Seite bedeutet diese Lösung für den Vorstand und v. a. für deren Vorsitzende(n), auf einen Teil seiner Macht zu verzichten.

Ob nun die Moderation an eine geeignete Person aus dem Verband, also intern, vergeben wird oder ob man eine(n) externe(n) Moderator/-in hinzuzieht, entscheidet sich letztlich an der Prüfung, welche der Varianten der Sache zuträglicher ist und von den Mitgliedern voraussichtlich eher akzeptiert wird. Die externe Moderation hat den unbestreitbaren Vorteil des Rufes einer größeren Neutralität, ist aber andererseits in der Sache nicht so bewandert und muss sich daher auf eine rein formale Moderation beschränken. Der Vorteil des internen Moderators ist, dass er sach- und fachkompetent ist und von den Mitgliedern auch so wahrgenommen wird. Er oder sie sollte dann eher nicht aus den Reihen des Vorstandes kommen, sondern eine von möglichst vielen Verbandsmitgliedern akzeptierte gestandene und verbandserfahrene Person mit einer natürlichen Autorität sein.

Sonderfall Tagungspräsidium

In manchen Verbänden wird die Versammlungsleitung nicht vom gewählten Präsidium übernommen, sondern an ein nur für diesen Anlass in der Versammlung vor Ort gewähltes Tagungspräsidium delegiert. Auch diese Variante versucht, das Problem der „Leitung nur aus einer Hand“ zu lösen, indem formal strenger als bei der Aufteilung der Leitung auf verschiedene Vorstandsmitglieder quasi ein „Ersatzpräsidium“ generiert wird. Dieses bietet den Vorteil, dass es i. d. R. aus den Kreisen der Verbandsmitglieder stammt, also weniger stark mit dem Problem der Akzeptanz zu kämpfen hat, auch weil es ja durch Mitgliederentscheid zustande kommt und ihm auch eher eine Sachkompetenz zugestanden wird. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Mitglieder des Tagungspräsidiums sich selbst nicht als „Ersatz“ verstehen und auch eine gewisse Durchsetzungsstärke an den Tag legen, d. h. sich als ausgleichender, aber starker Vermittler zwischen Führungsebene und Mitgliedschaft im Interesse der gemeinsamen Sache positionieren.

Wie auch immer die Alternative der Wahl aussieht – es kommt vor allem darauf an, dass die Form der Leitung möglichst weitgehend dem Verbandsinteresse dient, also den Interessen und dem Anspruch der Mitglieder auf eine inhaltlich fundierte und formal akzeptable Mitgliederversammlung. So spiegelt die Mitgliederversammlung das Verbandsklima insgesamt und fördert es zugleich; und die Mitgliederversammlung versteht sich letztendlich als eine Dienstleistung des Verbandes für seine Mitglieder. 

Zusammenfassend noch einmal die Gründe für die gestaltende Steuerung der Mitgliederversammlung:

  • Die Mitgliederversammlung begreifen als Ort für eine konkrete Realisation von Mit-Bestimmung und für die Festigung von Verbandspositionen.
  • Die Mitgliederversammlung nutzen als Instrument der Mitgliederbindung.
  • Die Mitgliederversammlung als Werbung in eigener Sache, als Instrument des Verbandsmarketings, zur Positionierung im (fachlichen und allgemeinen) Umfeld.
  • Die Mitgliederversammlung als Möglichkeit der Gewinnung von neuen Mitgliedern, auch durch den Einsatz der vorhandenen Mitglieder als Multiplikatoren und „Mitgliederwerber“.
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Autor/in

Sabina Fleitmann

ist Organisationsberaterin und -entwicklerin für Verbände und NPO, u. a. mit den Schwerpunkten strategische Weiterentwicklung, Strukturreform, Personalentwicklung, Haupt- und Ehrenamt, Interessenvertretung und Lobbying.

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