Im Verbandsmarketing ist der Trend festzustellen, dass Verbände zusätzlich zu den traditionellen Verbandsleistungen Ihren Mitglieder zusätzliche Dienstleistungsangebote offerieren. Oftmals der Versuch, der zunehmenden Verbandsmüdigkeit entgegen zu wirken. Aber auch die Chance, zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Im folgenden Beitrag nimmt Dienstleistungsexperte Christian Fessel zu Fragen Stellung, die sich vorwiegend auf die Inhalte und die erfolgreiche Vermarktung neuer Dienstleistungsangebote beziehen.
Verbändereport: Herr Fessel, bei den Verbänden ist ein klarer Trend zu erkennen, den Mitgliedern zusätzliche Dienstleistungen und Mehrwerte anzubieten. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Fessel:
Hinter den meisten Angeboten stehen zwei Gründe: Zum einen betrachten Verbandsmitglieder die Mitgliedschaft zunehmend unter einem Kosten-Nutzen-Aspekt. Zum anderen können professionelle Dienstleistungsangebote den Verbänden zusätzlichen Nutzen verschaffen.
Verbändereport: Sie meinen finanzielle Einnahmen?
Fessel:
Natürlich spielen zusätzliche Einnahmequellen für viele Verbände eine wichtige Rolle. Diese sind aber nur am Rande gemeint, viel wichtiger sind die Imagegewinne. Verbände stehen verstärkt unter dem Druck, Ihren Mitgliedern nachweisen zu müssen, dass sie aktiv sind. Das Angebot attraktiver Dienstleistungen führt zu dem Effekt, dass das einzelne Mitglied den Eindruck gewinnt: „Der Verband tut etwas!“.
Verbändereport: Welches sind denn Ihrer Meinung nach die attraktiven Dienstleistungen für Mitglieder?
Fessel:
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Sie sind nicht nur von Verband zu Verband, sondern auch innerhalb ein und desselben Verbandes von Mitglied zu Mitglied unterschiedlich.
Verbändereport: Woran kann sich ein Verband orientieren?
Fessel:
Es gibt natürlich Schwerpunkte, die sich im Gespräch mit der ehrenamtlichen Seite klären lassen. Beispielsweise ist für einen Speditionsverband das Thema Telekommunikation ziemlich wichtig, da dies der Lebensnerv der Spediteure ist. Für die Mitglieder eines Bauverbandes sind eher spezielle Versicherungsangebote von Interesse, die von der Versicherungswirtschaft heute noch nicht in der gewünschten Form angeboten werden. Hier wäre es die Aufgabe der Verbandsführung, mit einem geeigneten Versicherungsunternehmen diese Lücke zu füllen.
Verbändereport:
Welche Vorgehensweise empfehlen Sie der Verbandsführung?
Fessel:
Natürlich steht am Beginn das Gespräch mit der ehrenamtlichen Führungsriege, um gemeinsam einen sinnvollen Dienstleistungskatalog zu erstellen. Danach empfehle ich eine Situationsanalyse bei den Mitgliedern, bei der durch eine Umfrage einerseits die möglichen Dienstleistungen vorgestellt und erläutert werden, andererseits der konkrete Bedarf abgefragt wird. Nach Auswertung der Umfrage kann dann festgestellt werden, in welchen Bereichen hoher Bedarf und/oder hohe Akzeptanz bei den Mitgliedern herrschen. Sehr wichtig ist, dass keine Durchschnitts- oder Standardangebote gemacht werden. Um dieses zu vermeiden und individuelle Problemlösungen anzubieten, eignet sich die genannte Situationsanalyse hervorragend. Denn wenn ein Teil der Mitglieder kaltes Wasser möchte, der andere Teil aber heißes Wasser bevorzugt, so würde es keinem helfen, wenn der Verband nun lauwarmes Wasser anbieten würde. Im Gegenteil, der Verband würde in die Rolle gedrängt, in der ihn kritische Mitglieder sowieso sehen: in die Rolle des Theoretikers, der von der Unternehmensführung ohnehin wenig versteht.
Verbändereport:
Lohnt es sich für einen Verband überhaupt, bei all dem Wettbewerb auch noch bestimmte Dienstleistungen anzubieten?
Fessel:
Selbstverständlich. Wir haben vorhin besprochen, aus welchen Gründen sich die meisten Verbände auf diesen Weg machen und es gibt eine Menge Vorteile für den Verband als Anbieter von speziellen Dienstleistungsangeboten. Zuerst einmal verfügen Verbände über eine bestimmte Kommunikationsstruktur zu Ihren Mitgliedern und haben meist auch einen Vertrauensbonus gegenüber demjenigen Anbieter, der dem Mitglied noch nicht bekannt ist. Ferner besteht in den Verbänden meist ein sehr gutes Verständnis über das Marktumfeld, in dem sich die Mitglieder bewegen.
Verbändereport:
Sehen Sie noch weitere Vorteile für einen Verband gegenüber einem „normalen“ Anbieter?
Fessel:
Ja, es gibt einen überaus gewichtigen Faktor: Verbände haben ja Ihren Ursprung darin, als Gemeinschaft zu Erfolgen für die Mitglieder zu kommen. Diese Gemeinschaft bringt in den meisten Fällen ein großes Potential, das auch bei der Entwicklung und beim Einkauf von neuen Dienstleistungen in die Waagschale geworfen werden kann. Bei entsprechender Vermarktung gelingt es Verbänden relativ schnell, eine ansprechende Zahl von Mitgliedern für ein bestimmtes Projekt zu gewinnen.
Verbändereport:
Was bedeutet für Sie eine entsprechende Vermarktung?
Fessel:
Hier sind wir bei einem Knackpunkt vieler Verbände. Lange Zeit war es nicht nötig, die ureigensten Verbandsleistungen zu vermarkten, da die Mitglieder aus Tradition heraus Mitglieder waren. Wenn die ursprünglichen Verbandsleistungen heute nicht in der notwendigen Art und Weise vermarktet werden, ist es äußerst schwierig, sogenannte zusätzliche Dienstleistungen zu vermarkten. Mir sind sogar Fälle bekannt, in denen die neuen Dienstleistungen bereits auf grundsätzliche Ablehnung stießen, weil viele Mitglieder mutmaßten, der Verband würde diese Angebote nur stellen, um ausschließlich finanzielle Erträge zu erzielen.
Verbändereport:
Mal angenommen, das Eigenmarketing eines Verbandes funktioniert, was ist bei der Vermarktung neuer Dienstleistungen noch zu beachten?
Fessel:
Wichtig ist, dass den Mitgliedern verdeutlicht wird, dass es sich um eine zusätzliche Dienstleistung des Verbandes handelt, die zusätzlich honoriert werden muss. Dies geht aber relativ einfach, wenn der Verband tatsächlich Angebote stellt, die auch in den Augen kritischer Mitglieder Vorteile gegenüber sonstigen Marktangeboten aufweisen. Insbesondere preisliche Vorteile gegenüber Angeboten des freien Marktes oder Preisvorteile für Mitglieder gegenüber Nichtmitgliedern sind sehr gut geeignet.
Verbändereport:
Wie stehen Sie Kooperationen mit Anbietern des freien Marktes gegenüber?
Fessel:
In vielen Bereichen ist ein Verband aufgrund fehlenden Know-hows oder der aufzuwendenden Entwicklungskosten gar nicht in der Lage, selbst Dienstleistungen zu entwickeln oder vorzuhalten. Bevor aufgrund genannter Beschränkungen zweitklassige Lösungen angeboten werden, empfehlen sich Kooperationen mit erfahrenen Partnern. Als Beispiel sind hier die Kooperationen genannt, die viele Verbände mit Fachanwälten eingehen, als sogenannte Anwalt-Hotlines. Wichtig ist meines Erachtens jedoch immer, dass den Mitgliedern verdeutlicht wird, dass hier eine Leistung des Verbandes besteht, die nur als Verbandsmitglied genutzt werden kann. Hier lautet das Motto: „Die Mitgliedschaft im Verband rechnet sich“.
Praxisbeispiel 1
Ein Verband hatte für seine Mitglieder ein Rahmenabkommen mit einem Telekommunikationsunternehmen abgeschlossen, damit die Mitglieder im Bereich der Festnetzgebühren zu Einsparungen kommen konnten. Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass dieses Rahmenabkommen von weniger als 10 Prozent der Mitglieder genutzt wurde.
Die Erklärung für die mangelnde Akzeptanz war bald gefunden. Das Telefonverhalten der Mitglieder war zu unterschiedlich. Das eine Unternehmen hatte viele Kunden in Deutschland, das andere in Osteuropa usw. und entsprechend waren die Anforderungen an die Telephonie höchst unterschiedlich. Auch kam hinzu, dass ein Mitglied bei exakt dem Telekommunikationsunternehmen, der das angeblich günstige Rahmenabkommen offeriert hatte, bessere Konditionen erhielt (vom Vertrieb vor Ort), als das Rahmenabkommen vorsah. Dies führte dazu, dass dieses Mitglied dem Verband zu Recht vorhielt, dass es als Einzelner bessere Konditionen erhalte, als die Gruppe und sogar so weit ging, dem verantwortlichen Mitarbeiter Unfähigkeit zu unterstellen.
Die Lösung:
Nach Feststellung des Sachverhaltes wurde der Rahmenvertrag nicht weiter angeboten. Vielmehr wurde eine Kooperation mit einem Beratungsunternehmen für Telekommunikation geschlossen, welches nicht als Anbieter sondern als Berater tätig ist. Den Mitgliedern des Verbandes wurde nun die individuelle ganzheitliche Beratung zum Bereich Telekommunikation angeboten, um nach Betrachtung aller Aspekte der Telekommunikation (Festnetz, Datenverbindungen, Mobilfunk, Telefonanlagen) genau den oder die Anbieter zu finden, die teilweise zu weit höheren Kosteneinsparungen für die Mitglieder kamen, als zuvor für möglich gehalten wurde.
Praxisbeispiel 2
Ein Hauptverband plant die Errichtung einer Service GmbH zur Erbringung spezifischer Dienstleistungen für seine Landesverbände in Deutschland. Jeder Landesverband kann Gesellschaftsanteile erwerben und bei der Zielsetzung der GmbH Mitsprache ausüben.
Hintergrund für diese Maßnahme ist die Tatsache, dass einige der Landesverbände bereits über eigene Service Gesellschaften verfügen, die aber kaum kostendeckend sind und die nur über begrenzte Ressourcen (Personal, Budget, Mitglieder) verfügen.
Der Ansatz des Hauptverbandes stieß zu Anfang jedoch auf viel Kritik. Die Landesverbände vermuteten, dass der Hauptverband ihnen Konkurrenz machen wollte und fürchteten um ihre Einnahmen.
Die Lösung:
In mehreren Gesprächsrunden mit den Geschäftsführern und den Präsidenten der Landesverbände wurde herausgearbeitet, wo die wahren Ursachen der Kritik lagen. Es stellte sich heraus, dass der Hauptverband nach Meinung der Landesverbände in der Vergangenheit ziemlich „selbstherrlich“ regiert hatte und nun jede Maßnahme – auch die sinnvollen – von vornherein auf Ablehnung stieß. Nach und nach konnte in den Gesprächen gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden, insbesondere als die Landesverbände erkannten, dass der Hauptverband vornehmlich als Moderator der gemeinsamen Service GmbH auftreten wollte und nicht als Profiteur.