Verbändereport AUSGABE 3 / 2014

Ohne Kulturwandel kein Erfolg in sozialen Medien

Wie Social Media die Kommunikation von Verbänden verändert

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Soziale Medien haben unsere Kommunikation nachhaltig verändert. Das gilt für das Private, aber auch für unsere Erwartungen gegenüber Unternehmen, Politikern, Behörden und Organisationen. Journalisten haben ihre Filterfunktion weitgehend verloren, neue Social Influencer treten auf den Plan. Jeder kann zum Sender werden und einen Stein ins Rollen bringen, da diese demokratisierte Kommunikation im Internet öffentlich und vernetzt abläuft. Transparenz und Dialogbereitschaft sind ihre zentralen Spielregeln. Wer sich daran hält, kann über soziale Medien zum Beispiel neue Kunden, Klienten oder Märkte erschließen. Wer sie ignoriert, kann tief fallen – wie der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, dessen Doktorarbeit von der Netzgemeinde als Plagiat enttarnt wurde.

Auch in der Caritas wird seit Jahren auf unterschiedlichen Ebenen darüber diskutiert, welche Konsequenzen diese Entwicklungen für den Verband haben. In seinen Social-Media-Leitlinien betont der Deutsche Caritasverband, dass er soziale Medien nutzen möchte, um sich enger mit Kund(inn)en, Klient(inn)en, Spender(inne)n und anderen Stakeholdern zu vernetzen. Wie das aussehen kann und welche Konsequenzen sich daraus für die Struktur des Verbandes ergeben, zeigt ein Blick auf die Mehrstufigkeit der Kommunikation in sozialen Medien.

Schritt 1: Zuhören – Monitoring ist Pflicht

In sozialen Medien diskutieren Menschen über das, was sie beschäftigt. Also auch über die Caritas, ihre Einrichtungen und Mitarbeiter/-innen. Wenn jemand mit der Pflege seiner Mutter in einem Altenheim unzufrieden ist, wird das zum Thema – und möglicherweise zu einem Problem für die Einrichtung. Unangenehme Überraschungen lassen sich durch ein Monitoring wichtiger Social-Media-Kanäle vermeiden.

Das Beispiel eines Diözesanverbandes zeigt, dass dieses Wissen auch für das eigene Betriebsklima entscheidend sein kann. Ein Mitarbeiter hatte seinem Dienstgeber auf der Plattform kununu.com
eine schlechte Note gegeben und einige Missstände aufgeführt. Als die Verantwortlichen auf die Bewertung aufmerksam wurden, war der Ärger groß. Doch der vermeintliche Vertrauensbruch sorgte letztlich dafür, dass die Leitung in eine Diskussion mit den Mitarbeiter(-inne)n über deren Zufriedenheit einstieg.

Für Fachreferent(inn)en wie für Sozialarbeiter(inn)en ist ein Basiswissen über soziale Medien heute unerlässlich, weil diese längst Lebenswirklichkeit von Klienten/-innen sind. Viele Mitarbeiter/-innen der Caritas können sich dieses Know-how bislang allerdings nur zu Hause aneignen, da ihre Dienstgeber den Zugang zu Facebook und Co am Arbeitsplatz sperren lassen. [Vgl. Statement Fank-Landkammer]

Schritt 2: Antworten – Durch Transparenz glaubwürdig bleiben

Das Bild einer Organisation wird zunehmend von einer nicht steuerbaren Öffentlichkeit geprägt. Es genügt nicht mehr, Gutes zu tun, in der lokalen Presse präsent zu sein oder Jahresberichte an Spender-/innen und Politiker-/innen zu versenden. Will eine Organisation in Zeiten sozialer Medien glaubwürdig bleiben und attraktiv sein, muss sie an- und hinterfragbar sein. Wer sich dieser Herausforderung – wie der Deutsche Caritasverband seit 2009 – zum Beispiel auf einer Unternehmensseite bei Facebook stellt, muss sich auf einiges gefasst machen. Dort schreiben nicht nur die Fans („Danke für eure Unterstützung“) oder die Hilfsbereiten („Wo kann ich gut erhaltene Möbel abgeben?“), auch andere nutzen diese Plattform:

  • Die Nörgler („Ich habe sehr viel Ärger mit dem ach so kirchlichen Verein. Kannsta ALLE in die Tonne kloppen!“)
  • die Enttäuschten („Habe einen Arbeitsplatz bei der Caritas mit Schichtarbeit ... und mir wurde nach der Elternzeit nahegelegt, mir einen anderen Job zu suchen, da man nicht auf Dauer auf mich Rücksicht nehmen wird und will!“)
  • die Kritiker („Bevor ihr solche Forderungen stellt, solltet ihr erst einmal selbst die Leiharbeit beenden.“),
  • die Verärgerten („Ihr Kampagnenplakat mit dem Scheidungskind ist schlichtweg diskriminierend und verletzt die Persönlichkeitsrechte der Kinder und Eltern.“)
  • die Neugierigen („Bin Azubi bei der Caritas. Stimmt es, dass bei euch keine Homosexuellen arbeiten dürfen?“)

Solche Fragen und Vorwürfe gab es vermutlich zu jeder Zeit. Soziale Medien machen diese lediglich öffentlich und fordern Organisationen heraus: „Was als Informations- und Beteiligungswunsch der Mitglieder, der Basis oder der interessierten Öffentlichkeit gemeint ist, kann von Repräsentantinnen und Repräsentanten der Organisation als Misstrauen, Einmischung und Anmaßung empfunden werden“1, konstatiert das Zentralkomitee der deutschen Katholiken in seiner netzpolitischen Erklärung vom Oktober 2013. Diese Vorbehalte müssen von einer für alle verbindlichen Service- und Kundenorientierung abgelöst werden. Dazu braucht es klare Zuständigkeiten (die nicht allein in der Kommunikationsabteilung liegen2), die schnelle Abstimmung mit den zuständigen Fachabteilungen, einen Krisenplan und Klarheit darüber, wie Anregungen von außen in die Organisationsentwicklung einfließen. Die Berliner Caritas macht hier positive Erfahrungen mit einem fachlich gemischten Team, das ihren Facebook-Auftritt betreut. In regelmäßigen Treffen legen die Mitglieder nicht nur Inhalte für Postings fest, sondern besprechen auch den Umgang mit Kritik, die über den Leiter der Pressestelle ggf. an den Vorstand weitergegeben wird.3

Bei heiklen Themen wiegt in sozialen Netzwerken die Meinung einer Person oft mehr als die Aussage einer Institution. Umso wichtiger ist, dass deren Vertreter glaubwürdig, schnell und sachlich zum Beispiel auf Vorwürfe reagieren. Nur so lassen sich imageschädigende Shitstorms4 vermeiden. Aufgrund der enormen Viralität sozialer Netzwerke können sich kritische Äußerungen rasend schnell verbreiten – wie der Beitrag von Saskia K. im Oktober 2012 auf der Facebook-Seite der Caritas Deutschland. Die Frau beschwert sich darin über eine unangemessene Behandlung ihres Onkels in einer Behinderteneinrichtung der Caritas. Sie endet mit: „Ich bin schockiert, enttäuscht und sauer zugleich, dass so etwas in einer gemeinnützigen Organisation passiert!“ 1.967 Personen geben dem Beitrag ein „Gefällt mir“ – und teilen ihn mit ihren Facebook-Freunden. Innerhalb weniger Stunden haben mehr als 55.000 Menschen diesen Eintrag gesehen. In 282 Kommentaren machen sie ihrer Empörung Luft. Die Online-Redaktion des DCV schaltet sich in die Diskussion ein, nimmt Kontakt mit dem betroffenen Caritasverband auf. Die Verantwortlichen dort reagieren schnell und professionell. Saskia K. wird zu einem klärenden Gespräch eingeladen – und entschuldigt sich danach über Facebook, dass sie überreagiert und einiges falsch verstanden habe. Der Fall zeigt, welche kommunikativen und strukturellen Herausforderungen soziale Medien für einen dezentral aufgestellten, aber von den Menschen als zentral wahrgenommenen Verband wie die Caritas mit sich bringen.

Schritt 3: Fragen stellen – Mehr Partizipation wagen

Positionen und Konzepte werden in der Caritas von Fachleuten erarbeitet, in verbandsinternen Gremien diskutiert und von der Leitung beschlossen. Über Foren, Wikis und andere Anwendungen sozialer Medien könnten solche Prozesse kollaborativer gestaltet  werden – inklusive der Einbindung von Betroffenen, einer breiteren Verbands-öffentlichkeit und externer Spezialisten. Erste positive Erfahrungen mit dieser direkten, nicht hierarchischen Form der Beteiligung machte der Deutsche Caritasverband bei der Entwicklung seiner Social-Media-Leitlinien im Jahr 2012. Deren Entwurf kommentierten mehr als 50 Personen auf dem Weblog www.caritas-webfamilie.de. Sie lieferten viele Ideen und Hinweise, die in die Endfassung der Leitlinien einflossen.

Schritt 4: Mitreden – Mit Fachlichkeit punkten

Klassische Medienarbeit fokussiert sich auf die Pressestelle und die Leitung einer Organisation. Die Vor- und Zuarbeiter(innen) bleiben im Hintergrund. Wer in sozialen Medien mit seinen Themen vorkommen möchte, muss anders vorgehen. Hier kommt es auf den Austausch von Menschen an, nicht auf offizielle Verlautbarungen. Alle Mitarbeiter(innen) können zu Botschafter(innen) ihres Verbandes oder ihrer Einrichtung werden.5 Wie gut das funktionieren kann, zeigt derzeit das Personalgewinnungsprojekt „Caritäter mit Profil“ der Caritas in Nordrhein-Westfalen.6 Dort präsentieren junge Mitarbeiter(innen) glaubwürdig und sympathisch die Begeisterung für ihren Beruf – auf der Website, in einem Blog und auf verschiedenen Social-Media-Netzwerken.

Einige große US-amerikanische Stiftungen befördern diesen Kulturwandel innerhalb ihrer Organisationen mit dem Konzept „Social Media Champions“. Es beinhaltet neben einer aktiven Rolle des Managements auf Social-Media-Kanälen wie Twitter ein Schulungsprogramm für ausgewählte Mitarbeiter(innen). Diese sollen den Mehrwert sozialer Medien für ihre Arbeit kennenlernen und zu Multiplikatoren in der eigenen Stiftung werden.7

Überträgt man diesen Ansatz auf die Caritas, gäbe es zum Beispiel Mitarbeiter(innen), die sich fachlich fundiert in die Online-Diskussionen auf Twitter und Facebook einbringen, die parallel zu den Polittalks bei Jauch, Maischberger oder

Plasberg laufen.Schritt 5: Positionen einbringen – Mit anderen die Stimme erheben

Bei sozialpolitischen Fragen sind die Wohlfahrtsverbände der Politik und dem Gesetzgeber nach wie vor eine wichtige, weil fachkundige Instanz. Ihre beratende Funktion ist gesetzlich festgeschrieben. Neu zu definieren ist jedoch die Rolle der Verbände als zivilgesellschaftliche Akteure bei Beteiligungs- und Diskussionsprozessen im Web, wie zum Beispiel dem Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin im Jahr 2012. Auf www.dialog-ueber-deutschland.de konnte jeder seine politische Forderung eingeben. Die Besucher der Seite kommentierten die Vorschläge und stimmten für ihre Favoriten ab. Im Namen der Caritas forderte Präsident Peter Neher die Abschaffung der Praxisgebühr für Arme – und erhielt dafür 728 Stimmen. Das Ergebnis zeigt, dass die Bekanntheit einer Marke in sozialen Medien keine große Rolle spielen muss, vor allem aber, dass es noch keine nennenswerte Caritas-Community im Web gibt, über die sich diese Information hätte schnell verbreiten können.

Wer mit politischen Positionen im Web etwas bewegen will, muss gut vernetzt sein. Dies gelingt zum Beispiel der Kampagnenplattform Campact.8 Dort schließen sich immer neue Bündnisse von Organisationen zusammen, um mit Petitionen gegen soziale Schieflagen zu mobilisieren. Wenige Wochen nach dem Zukunftsdialog der Kanzlerin unterzeichneten auf dieser Plattform 70.000 Menschen die Forderung nach Abschaffung der Praxisgebühr. Bei den Kooperationspartnern dieser Aktion tauchte die Caritas nicht auf. Das International Civil Society Centre in Berlin rät etablierten zivilgesellschaftlichen Organisationen, auf allen Ebenen anschlussfähig zu werden für Initiativen mit Partnern. „Wenn ihnen der Spagat nicht gelingt zwischen notwendigem Namensschutz und der ebenso notwendigen Offenheit als Plattform für politische Aktionen, dann könnten sie politische Bedeutung verlieren.“9

Schritt 6: Mitreden ermöglichen – Digitale Kluft verkleinern

Jenseits des eigenen Engagements in sozialen Medien muss die Caritas auch im Blick behalten, dass alle Menschen von der Digitalisierung profitieren. Sie muss sich für  Partizipationsmöglichkeiten und Beteiligungsgerechtigkeit in der digital vernetzten Gesellschaft einsetzen und als Förderer und Fortbilder in Sachen Medienkompetenz aktiv werden – nicht zuletzt bei ihren Klient(inn)en.

Fazit

Die Digitalisierung des sozialen Sektors hat längst begonnen. Noch schlagen ihre Auswirkungen nicht massiv auf die Arbeit in den Diensten und Einrichtungen der Caritas durch, doch das wird sich ändern. „Die Digital Natives sind die Generation der künftigen Geldgeber, Unterstützer, Aktivisten und Ausführenden sozialer Arbeit in Deutschland“10, stellen die Trendforscher des betterplace.lab fest. Die Caritas muss sich diesen Entwicklungen stellen, ihre Strukturen anpassen und einen Kulturwandel einleiten. Wie schwierig das sein kann, verdeutlicht der Kommentar eines Caritas-Geschäftsführers aus dem Bistum Münster: „Vor Jahren diskutierten wir über die Einführung der E-Mail in unserem Verband und ob jeder Mitarbeiter eine eigene Adresse bekommen dürfe. Aus heutiger Sicht klingt das lächerlich. Vielleicht sollten wir mit diesem Wissen unseren Umgang mit Social Media überdenken.“         

Hinweis der Redaktion: Im Original erschienen in der Fachzeitschrift „neue caritas“, Heft 3/2014,  http://ow.ly/uw2BQ

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