Verbändereport AUSGABE 6 / 1998

Organisierter Pluralismus in der Bundesrepublik Deutschland

Kräftefeld, Selbstverständnis und politische Arbeit deutscher Interessengruppen - Zusammenfassung des Forschungsberichtes Organisierter Pluralismus in Deutschland von Prof. Dr. M. Sebaldt

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Welche Entwicklungen die deutschen Interessenverbände seit den siebziger Jahren genommen haben und wie das erhobene Datenmaterial gedeutet werden kann, ist Thema der auf einer ungewöhnlich breiten Datensammlung beruhenden politikwissenschaftlichen Arbeit von Hans Sebaldt von der Universität Passau, der sich bei seiner Habilitationsschrift nicht nur auf eine Auswertung der sogenannten Lobbyliste mit ihren 24594 Einzelangaben, sondern auch auf 602 Fragebögen und zahlreiche Interviews mit Verbandsvertretern gestützt hat. Ziel seiner mit dem Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestages ausgezeichneten Arbeit (VR 4/98), war es nicht nur, den Struktur- und Funktionswandel deutscher Verbände nachzuzeichnen, sondern gleichermaßen dessen Rückwirkungen auf das Selbstverständnis der Verbände zu erkunden und die Formen der poltischen Arbeit der Verbände einer Analyse zu unterziehen. Wie Professor Rudolf Morsey bei seiner Laudatio anläßlich der Preisverleihung feststellte, hat der Autor damit wesentlich zu einer „Entmystifizierung des Verbändewesens“ beigetragen. Verbändereport druckt nachstehend die Zusammenfassung von Sebaldt‘s Untersuchungen. Der Forschungsbericht „Organisierter Pluralismus – Kräftefeld, Selbstverständnis und politische Arbeit deutscher Interessengruppen“ ist im Westdeutschen Verlag in Opladen erschienen.

Wandel des Kräftefeldes von Politik und Interessen

Das Kräftefeld der deutschen Interessengruppen hat in den letzten zwanzig Jahren eine deutliche Wandlung durchlaufen. Dominierten 1974 noch die „traditionellen“ Verbände der drei Sektoren der Dienstleistungsgesellschaft das Feld, so haben sich seither auch zahllose Organisationen fest etabliert, die eindeutig Indikator für die Entwicklung Deutschlands hin zu einer Risikogesellschaft sind. Die deutsche Verbandslandschaft ist seit Beginn der siebziger Jahre wesentlich heterogener geworden, umfaßt verschiedene Teillandschaften, die nicht mehr sehr viel miteinander verbindet. Zwar überlappen sich Dienstleistungslandschaft und Risikolandschaft in der Praxis auch deutlich, doch können beide ihre unterschiedlichen Entstehungsgründe kaum verleugnen. Geht es den Organisationen der ersten Kategorie mehr oder weniger um klar definierte ökonomische Interessenvertretung, so ist den anderen daran gelegen, jegliche Bedrohungspotentiale für die moderne Dienstleistungsgesellschaft auszuschalten, ihr also erst ihre Handlungsbasis zu sichern.

Im einzelnen bleibt jedoch festzuhalten, daß weder die Entwicklung hin zur organisierten Dienstleistungs‑ wie zur organisierten Risikogesellschaft einheitlich verläuft, sondern sich ganz im Gegenteil komplex und widersprüchlich gestaltet. Denn nur per saldo nimmt der Anteil der Verbände des tertiären Sektors zu. Dem stehen Politiksektoren des primären und des sekundären Sektors gegenüber, die nach wie vor hohe Zuwachsraten zu verzeichnen haben und ihren Anteil an der gesamten Verbandslandschaft kontinuierlich ausweiten konnten. Bereiche des tertiären Sektors, die demgegenüber stagnieren oder sogar an Terrain verlieren, existieren ebenfalls. Auch die organisierte Risikogesellschaft beinhaltet solche Disparitäten. Politiksektoren, die der Abwendung externer Risiken verpflichtet sind, haben noch größere Wachstumsraten zu verzeichnen als jene, die sich der Neutralisierung der internen Bedrohung widmen.

In der Entwicklung hin zur Risikogesellschaft, aber auch in der immer größeren Bedeutung postmaterialistischer Orientierungen mit gesteigertem Drang nach individueller Daseinsgestaltung, sind zudem die Ursachen für eine ganz generell gesteigerte Organisationsfähigkeit von Interessen zu suchen. Viele „latente“ Gruppen, denen Mancur Olson noch Mitte der sechziger Jahre bei Abfassung seines epochalen Werkes mangelnde oder sogar fehlende Organisationsfähigkeit attestierte, besitzen heute schlagkräftige Organisationen – und dies oftmals auch ohne ausgeprägte selektive Anreize zur Mitgliederwerbung oder ‑pflege. Die gewachsene Individualisierung und die zunehmend größere Bedeutung individueller Selbstverwirklichung im eigenen Lebensplan lassen immer mehr Mitglieder ihre Organisationen um des Kollektivgutes selbst willen aktiv unterstützen und nicht, um selektive Vorteile zu erringen.

Größerer Gestaltungsspielraum des Verbändesystems

Das Verbändesystem selbst hat heute einen hohen Grad an Gestaltungsspielraum gegenüber dem zugrunde liegenden Kräftefeld an Interessen gewonnen. Die Daten zum Selbstverständnis belegen dies anschaulich: Verbandsorganisationen haben sich zu modernen Dienstleistungsunternehmen entwickelt, die für sich auch eine Gestaltungsautonomie gegenüber den eigenen Mitgliedern in Anspruch nehmen. Von der Klientel wird dies durchweg toleriert, ja sogar als notwendig und systemfunktional angesehen: Nur der mit Verhandlungsmasse und Verhandlungskompetenz ausgestattete politische „Agent“ kann in der Lobbyistenrolle letztendlich erfolgreich sein. Strikt weisungsabhängige Wasserträger sind politisch wenig erfolgreich und werden von den Kontaktpartnern auch nicht ernst genommen.

Wandel der Verbandsvertreter

Was für die Organisationen gilt, gilt auch für die Funktionäre. Verbandsvertreter sind heute professionell geschulte und ebenso agierende Dienstleister, die für sich ebenfalls einen weiten Gestaltungspielraum einfordern und ihn auch erhalten. Auch der einzelne Lobbyist kann nur Erfolg haben, wenn er als eigenverantwortlicher und mit Verhandlungsmasse ausgestatteter Treuhänder für seine Klientel tätig wird, nicht aber dann, wenn er nur weisungsabhängiger Laufbursche ist. Infolgedessen sind Verbandsfunktionäre mit einem soliden Selbstbewußtsein ausgestattet und lassen sich im allgemeinen durch verbändekritische Positionen nicht einschüchtern, sondern betonen ganz im Gegenteil die demokratiepraktische Relevanz ihres Wirkens. Gleichwohl ist ihnen bewußt, daß sie in einer politischen Landschaft agieren, in der ihre Tätigkeit immer wieder kritisch hinterfragt und problematisiert wird. In die politische Defensive lassen sie sich dadurch nicht drängen. Dem Selbstverständnis nach pflegen sie einen offensiven Kommunikationsstil, der auch harte Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern ermöglicht. Dabei wird der Konflikt nicht systematisch gesucht, aber er wird in essentiellen Fragen auch nicht vermieden.

Ihrer Agentenrolle ist es auch zuzuschreiben, daß die Vertretung von Gemeinwohlbelangen im allgemeinen keine zentrale Komponente ihres Selbstverständnisses darstellt. Der Großteil der Funktionäre gibt deutlich zu verstehen, daß ihre berufliche Rolle eine Gemeinwohlorientierung ihres Handelns verhindere und ihnen oft eine sehr spezifische, klientelbezogene Interessenvertretung auferlege. Die Daten zeigen aber auch, daß die meisten Verbandsvertreter die Aufgabenbeschreibung ihres Berufs nicht nur einfach befolgen, sondern daß sie diese Rolle so weit internalisiert haben, daß sie integraler Bestandteil ihres Selbstverständnisses geworden ist. Rollenkonflikte treten daher höchstens in der Form von Inter-Rollenkonflikten auf, wenn das berufliche Selbstverständnis der Funktionäre mit ihrem privaten oder staatsbürgerlichen kollidiert.

Jedoch ist all dies auch geeignet, eine Eigendynamik zu produzieren, die Verbandsorganisationen und ihre Funktionäre von auftragsgebunden handelnden Agenten hin zu weitgehend autonom agierenden und eigene Interessen verfolgenden Akteuren mutieren läßt Das permanente Wahrnehmen von Initiatoren‑ und Maklerrollen, das ist vielen Interviewpassagen klar zu entnehmen, verführt viele Funktionäre dazu, sich Rechte des Prinzipals anzumaßen, Interessen also selbst zu definieren statt sie sich vorgeben zu lassen. Der Verfolgung eigener materieller Interessen ist eine solche Entwicklung zudem dienlich, kann doch durch die systematische Ausdehnung des eigenen Tätigkeitsspektrums die eigene Existenzberechtigung auf Dauer gesichert werden. Das „law of agency“ – dies läßt sich daraus folgern – trägt offensichtlich den Keim der Zerstörung schon in sich, stößt eine Entwicklung an, die auf Dauer zu einer eigenen Destruktion führen kann.

Professionalisierung des Berufsbildes

Die politische Arbeit von Interessengruppen hat heute professionellen Charakter im Sinne eines neuen Berufsfeldes erlangt. Politische Interessenvertretung ist mit anderen Worten also nicht mehr eine Tätigkeit, die gleichsam als Nebenprodukt des Agierens von Verbänden abfällt, sondern sie bildet ein eigenes Wirkungsfeld mit klar abgrenzbaren Tätigkeitsschwerpunkten, in dem nur Berufstätige mit einem bestimmten Qualifikationsprofil und mit ganz bestimmten persönlichen und charakterlichen Eigenschaften Erfolg haben können. Der „Lobbyist“ ist heute nicht mehr Self-Made-Man mit völlig beliebigem Vorleben oder Vorqualifikation, sondern er ist heute Angehöriger eines klar abgrenzbaren Berufsstandes mit durchweg wissenschaftlicher Ausbildung und solidem „Training on the Job“. Derart qualifizierte Verbandsfunktionäre stoßen in der Regel auch auf große Akzeptanz auf seiten der Politik. Nur mehr selten werden Verbandsvertreter als einseitig fordernde, lästige Querulanten abqualifiziert. Ganz im Gegenteil werden sie heute von Parlamentariern, Ministerialbeamten etc. durchweg als kompetente und gleichberechtigte Kommunikationspartner geschätzt, deren Informationen und deren politische Schützenhilfe von unschätzbarem Wert sind. Man begegnet sich mit anderen Worten von gleich zu gleich, hat sich gegenseitig im Wege des politischen Tausches viel zu bieten, profitiert von dieser geradezu symbiotischen Beziehung in jeder Hinsicht. Aufgrund dessen besteht auf beiden Seiten eine deutliche Neigung, diese Kontakte zu institutionalisieren. Transaktionskosten in den Beziehungen zwischen Lobbyisten und politischen Akteuren können dadurch systematisch gesenkt werden: Dauerhafte Beziehungen schaffen Vertrauen in die Seriosität des Partners und produzieren eine gemeinsame Informationsgrundlage. Selbstverständliches muß dann nicht mehr erörtert, Taktieren gegenüber dem anderen kann auf ein Minimum reduziert werden. Beides schont die Arbeitsressourcen von Verbandsfunktionären wie politischen Funktionsträgern.

Die Professionalisierung der politischen Arbeit von Interessengruppen geht zudem einher mit einem elaborierten System der Arbeitsteilung zwischen Verbänden. Solange ein kleinster gemeinsamer Nenner gefunden werden kann, streben die Organisationen Kooperationsverbünde mit Gleichgesinnten an, um auch dadurch ihren Arbeitsaufwand systematisch reduzieren zu können. Denn diese Kooperation beinhaltet regelmäßig eine klar kalkulierte Aufteilung der Aufgaben auf die einzelnen Interessengruppen. Politische Akteure werden dann als Zielobjekte der Lobbyarbeit jeweils den Verbänden zugeteilt, die aufgrund langjähriger Kooperation den besten Zugang zu ihnen haben oder auch – aber dies nur im Ausnahmefall – die geeignete Parteiaffinität besitzen. Das Eigennutzstreben der Verbandsorganisationen produziert zudem einen deutlichen Trend zur Interessenexpansion. Im Untersuchungszeitraum von 1974 bis 1994 konnte bei sehr vielen Verbänden eine Ausweitung des Tätigkeitsfeldes festgestellt werden. Auch dies ist ein guter Hinweis darauf, daß diese Organisationen eine Eigendynamik zu entwickeln pflegen, die letztlich zu einer Aufweichung ihrer Agentenrolle führt und Interessendefinitionen produziert, die in dieser Form von der eigenen Klientel ursprünglich nicht intendiert waren.

Kaum Bedarf an Reformen

Da die politische Arbeit von Interessengruppen also in der Regel wohlorganisiert und effizient ist, sehen deren Funktionäre auch kaum Reformbedarf: Vielen Unkenrufen der letzten Jahrzehnte zum Trotz hält die große Mehrheit der Funktionäre eine Reform des gegenwärtigen Systems der organisierten Interessenvertretung für unnötig. Vertreter kleiner wie großer, „mächtiger“ wie „schwacher“ Organisationen sind im Grunde mit ihren eigenen Wirkungsmöglichkeiten recht zufrieden, können ein in der Wissenschaft und auch in der politischen Diskussion immer wieder skizziertes Horrorszenario von der „Herrschaft der Verbände“ im allgemeinen oder bestimmter Großorganisationen im speziellen gar nicht recht nachvollziehen. Organisierter Pluralismus impliziert eben auch, daß eine „Herrschaft“ von Interessengruppen nicht realisierbar ist. Die politische Praxis pluralistischer Demokratien bildet ein wirkungsvolles Korrektiv, um derlei Machtungleichgewichte, wenn nicht im Keime zu ersticken, so doch wirkungsvoll zu begrenzen.

Arrangements der politischen Arbeit

„Organisierter Pluralismus“ ist mit Sicherheit keine „Gewißheitsillusion“, sondern prägt die deutsche politische Realität ganz maßgeblich. Bei derzeit über 1.500 offiziell bundespolitisch tätigen Organisationen, die letztlich aber auch nur die Spitze des Eisberges von Interessengruppen darstellen, kann dies nicht mehr ernsthaft in Abrede gestellt werden, Denn die Totalerhebung unter den 1993 in der Lobbyliste registrierten Verbänden hat gezeigt, daß die-meisten von ihnen nicht nur lediglich verzeichnet sind, sondern daß sie in der Tat politische Arbeit leisten. Freilich gibt es eine deutliche Einflußhierarchie zwischen den Organisationen, und auch die Intensität ihrer politischen Arbeit differiert ganz erheblich. Festgefügte neo-korporatistische Arrangements mit einem klar abgrenzbaren „Establishment“ von Interessengruppen produziert das aber nur im Ausnahmefall. Gerade die vielen kleinen und öffentlichen unbekannten Organisationen klagen über fehlende Einflußmöglichkeiten nicht überdurchschnittlich häufig: Sie haben ihr kleines, dabei gut gewirktes und sehr effizientes Kontaktnetzwerk aufgebaut, das ihnen auch gegenüber Großorganisationen eine wirkungsvolle Lobbyarbeit ermöglicht. Da in diesem Zusammenhang auch häufig Interessenkoalitionen zwischen verschiedenen Verbänden geknüpft werden, können kräftemäßige Startnachteile oft sehr schnell wieder ausgeglichen werden. Mit anderen Worten: „Pluralistische Aufweichungen“ lassen in der politischen Praxis derlei neokorporatistische Arrangements sehr schnell wieder zerfließen. „Neokorporatismus“ kann in einer demokratisch geprägten Interessengruppenlandschaft höchstens eine punktuelle Verdichtung und Verfestigung von Kontaktnetzwerken darstellen, deren Lebensdauer in der Regel begrenzt ist.

Tatsachenforschung zum Lobbyismus

Lobbyismus ist nicht nur in der Theorie ein Tauschgeschäft, sondern auch in der politischen Praxis. Die interviewten Verbandsfunktionäre bestätigten durchweg die Annahme, daß sie ihre politische Arbeit nicht aus der Position eines unterlegenen Bittstellers heraus betreiben, sondern als gleichberechtigte Partner mit politischen Akteuren jeglicher Couleur Handel mit Informationen, politischer Unterstützung und politischer Macht betreiben. Lobbyisten und politische Entscheidungsträger profitieren von einer derart ausgeglichenen Beziehungsstruktur gleichermaßen; vielfach bekommt sie sogar symbiotischen Charakter, jeder ist auf den Partner angewiesen: Der Verbandsvertreter benötigt die Macht des politischen Akteurs, dieser aber die Informationen und die Schützenhilfe des Lobbyisten.

Kommunikationsstile

Auf der Alltagsebene entwickeln sich dabei durchweg recht stabile und verläßliche Arbeitsbeziehungen: Funktionäre und politische Akteure wissen sich aufgrund ihrer langfristigen Zusammenarbeit meist recht gut einzuschätzen und entwickeln auch das nötige Sensorium, um die Interessenlage und den Entscheidungs‑ und Kompromißspielraum des Partners richtig beurteilen zu können. All dies trägt zu einem Höchstmaß an Berechenbarkeit dieser Kontakte bei, garantiert eine Minimierung von unerwarteten Negativerfahrungen auf beiden Seiten, läßt mit anderen Worten Vertrauen in die Seriosität und Verlässlichkeit des Kontaktpartners wachsen. Freilich lassen sich hier bei den Funktionären durchaus unterschiedliche Kommunikationsstile erkennen: Der Geschäftsmann schätzt zwar durchaus den Wert dieser stabilen und vertrauensvollen Kooperation, vermeidet aber tunlichst, ihr einen persönlich-privaten Anstrich zu verleihen. Berufsphäre und Privatbereich trennt er klar; nicht so das Sozialtier: Dieser Typus von Funktionär vermischt beide Sphären ganz bewußt – und dies nicht etwa nur aus taktischen Erwägungen, um das „Innerste“ des politischen Akteurs zu ergründen. Ihm ist ein genuines Interesse an einer auch persönlichen Färbung dieser politischen Kontakte eigen. Der Pragmatiker steht zwischen beiden. Er entscheidet von Fall zu ‑Fall, überläßt es der Situation, ob derlei Beziehungen auch eine persönliche Note erhalten oder nicht. Er ist unter den interviewten Verbandsfunktionären auch am häufigsten zu finden. Ausgesprochene Sozialtiere sind dagegen selten, für reine Geschäftsleute gilt dies ebenfalls.

Informelle politische Arbeit

Die Routinisierung der Kontakte zwischen Funktionären und politischen Akteuren ist aus diesen Gründen weit gediehen: Die große Mehrheit der interviewten Verbandsvertreter bestätigte mir dies. Allein acht von 21 nahmen fast ausschließlich solche Dauerkontakte wahr, für weitere zehn bildeten sie neben ad hoc geknüpften Beziehungen zumindest die dominierende Kontaktform. Lediglich drei Funktionäre wußten von einer Vorherrschaft der situativ vermittelten Beziehungen zu berichten. Grundsätzlich gilt aber auch, daß diese Kontakte erheblichen konjunkturellen Schwankungen unterworfen sind. In Zeiten laufender Gesetzgebungs‑ und Verordnungsprojekte sind die Austauschprozesse zwischen politischen Funktionsträgern und betroffenen Verbänden meist sehr intensiv, um nach deren Abschluß oft für längere Zeit fast zum Erliegen zu kommen.

Die wichtigsten Kontaktpartner sind dabei die Arbeitseinheiten der Bundesministerien, die Medien und Verbände mit ähnlichen oder identischen Interessenlagen. Mit gewissem Abstand folgen die parlamentarischen Gremien und die politische Leitungsebene der Ressorts. Parteizentralen, Bundesrat und Bundeskanzleramt spielen dagegen nur eine sekundäre Rolle. Sehr wichtig sind allerdings die Kontakte zur Europäischen Union. Die politische Arbeit der Verbände erfolgt zudem wohlkoordiniert und setzt auch sehr frühzeitig ein: sobald ministerielle Planungen und Projekte ruchbar werden, erfolgt bereits eine Abstimmung zwischen den betroffenen und gleichgesinnten Interessengruppen, um nach Moltkes Grundsatz zwar getrennt zu marschieren, aber doch vereint und frühzeitig effektiv zu schlagen. Großorganisationen sind dabei wesentlich aktiver und berücksichtigen auch den parlamentarischen Raum ungleich stärker als kleine Fachverbände und Vereine. Gerade für die Gewerkschaften gilt dieser Sachverhalt; offensichtlich spielt für sie der Kontakt zu und die Arbeit mit den gewerkschaftsangehörigen Parlamentariern eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auch zu den Parteizentralen unterhalten sie überdurchschnittlich intensive Beziehungen.

In der Regel ist es dabei Sache der Verbände, die Kontakte herzustellen. Die Daten der Umfrage belegen, daß sie in der großen Mehrzahl der Fälle die Initiatoren der Kontakte sind. Parlamentarier und Ministerialbeamte, die unter Arbeitsmangel erfahrungsgemäß nicht zu leiden haben, haben durchweg auch kaum Valenzen, um sich um derlei Beziehungen selbst zu kümmern. Verbandsfunktionären ist dies wohlbekannt. Das ständige Antichambrieren ist daher für sie keine unangenehme Begleiterscheinung ihrer Tätigkeit, sondern ist ganz im Gegenteil zentraler Bestandteil: Lobbyismus ist zu einem wesentlichen Teil (erfolgreiches) Konkurrieren um die knappen Ressourcen „Aufmerksamkeit“ und „Zeit“ politischer Akteure. Nur Großorganisationen haben tendenziell größere Chancen, auch einmal gefragt zu werden.

Formalisierte Kontakte

Der Wert formalisierter Kontakte, wie Anhörungen in Bundesministerien und Bundestag, wird dagegen sehr differenziert und auch recht unterschiedlich beurteilt. Im allgemeinen wird die Effektivität der ministeriellen Hearings als wesentlich höher eingestuft, da sie in einer Phase des politischen Entscheidungsprozesses stattfänden, in der noch erfolgreich Einfluß genommen werden könne; für parlamentarische Anhörungen gelte dies kaum. Auch die eher langfristig orientierte Mitarbeit von Interessengruppen in ministeriellen Beiräten kann kurzfristig und projektbezogene Erfolge nur begleitend ermöglichen.

Gleichwohl besteht unter den interviewten Funktionären große Uneinigkeit über die faktische Bedeutung dieser formalisierten Kontakte. Eine Gruppe von meist altgedienten Haudegen bezweifelt deren Effektivität generell und betonte dagegen die überragende Bedeutung der informellen interessenpolitischen Vorarbeit: Einfluß müsse hinter den Kulissen und im Vorfeld von Hearings genommen werden, um den dort schließlich zu beratenden Entwurf bereits maßgeblich inhaltlich mitprägen zu können. Die Anhörungen selbst dienten dann lediglich der geschickten Selbstinszenierung, um auch öffentlich für die eigene Position werben zu können. Zu diesem Zwecke seien sie recht nützlich. Verschiedene jüngere Funktionäre wiesen dagegen auf den hohen Informationswert dieser Hearings ganz allgemein hin: Könne man dort zwar oft nicht mehr bewegen, so sei eine Anhörung doch gut geeignet, das Meinungsspektrum zu einer Frage sowie die zugehörigen Interessenvertreter zu ermitteln. Offensichtlich ist also der Informationswert dieser Anhörungen für den Lobbyisten-Nachwuchs von erheblicher Bedeutung, um die für den eigenen Interessenbereich relevanten Akteure wie auch deren politische Positionen kennenzulernen. Die dritte Gruppe, nunmehr recht heterogen zusammengesetzt, differenziert zwischen Ausschußhearings und ministeriellen Anhörungen, tut erstere als wirkungslosen Theaterdonner ab, gesteht letzteren aber durchaus einige Effektivität zu.

An einem Bundeswirtschafts‑ und ‑sozialrat, wie er vor allem in den siebziger Jahren häufig gefordert wurde, um Interessenvertretung gerechter und auch transparenter zu machen, sind die wenigsten Funktionäre interessiert. Die Umfragedaten zeigen, daß die große Mehrheit der Verbandsvertreter ein solches Gremium für ungeeignet hält, die angestrebten Ziele zu verwirklichen. Mehr noch: Den Antworten ist auch klar zu entnehmen, daß sie die zugrunde liegende Problemdiagnose im Grunde nicht teilen, sondern vielmehr die gegenwärtigen Chancen und Möglichkeiten der Lobbytätigkeit als völlig ausreichend erachten. Interessanterweise gibt es hier kaum Unterschiede zwischen den verschiedenen Organisationsformen: Funktionäre kleiner wie großer, „schwacher“ wie „mächtiger“ Verbände sind sich hier im wesentlichen einig. Nur eine kleine Minderheit von Verbandsvertretern ist insgesamt gesehen anderer Meinung. Aber auch sie ist nicht klar einem bestimmten Organisationstypus oder etwa einem einzelnen Politikfeld zuzuordnen, sondern ist unspezifisch gestreut.

Arbeitsteilung und Kooperation

Arbeitsteilung und Kooperation, das wurde bereits deutlich, prägt auch die Beziehungen zwischen benachbarten Interessengruppen. Fast die Hälfte der interviewten Funktionäre konnte von der Existenz langfristiger und stabiler Kooperationsbeziehungen berichten, weitere zehn betonten dagegen die Dominanz situativ geschmiedeter und oftmals auch nicht recht dauerhafter Zweckkoalitionen von Verbänden. Dabei finden sich stabile Kooperationsbeziehungen gehäuft zwischen kleinen und spezialisierten Fachorganisationen, deren Interessenlagen überschaubarer und damit leichter abzustimmen sind auf solche von Nachbarorganisationen. Große Verbände schmieden dagegen bevorzugt ad hoc-Koalitionen, da sie in der Regel ein größeres Interessenspektrum zu vertreten haben und je nach Materie nur bestimmte andere Verbände als Koalitionspartner in Frage kommen. Nur drei Interessengruppenvertreter stellten derlei Kooperationsbeziehungen generell in Abrede und gaben sich als politische Einzelkämpfer in einer feindlich gesinnten Verbandslandschaft.

Die Professionalisierung der Verbandsarbeit ist insgesamt gesehen sehr weit fortgeschritten. Interessengruppen sind eifrig bemüht, Imagepflege zu betreiben und das Interesse der Organisation gesellschaftlich salonfähig zu machen bzw. zu halten. An den vielfältigen Änderungen der Verbandsnamen (Aktualisierung, Straffung, Nationalisierung, Feminisierung) ist die Strategie ablesbar, diesem Organisationssymbol par excellence eine positive Konnotation zu verleihen und damit die Legitimität des eigenen Anliegens zu zementieren.

Auch die Verbandsorganisationen selbst arbeiten heute durchweg recht professionell: Zum einen werden sie in der überwiegenden Zahl der Fälle von hochqualifizierten hauptamtlichen Funktionären geführt, zum anderen ist der interne Geschäftsverteilungsplan rational geplant und sachgerecht erstellt. Freilich ist dies auch von der Größe des jeweiligen Verbandes abhängig. Viele kleine Interessengruppen können sich oft nur einen einzigen Geschäftsführer leisten, der dann als kreativer Solist und Allroundakteur die gesamte Verbandsarbeit zu bewältigen hat. Die interviewten Solisten machen aber deutlich, daß sich dieses Defizit an professioneller man-power oft durch Rückgriff auf die ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitglieder oder auf Landesverbände oder Regionalgliederungen neutralisieren läßt. Erfindungsreichtum ist hier gefragt. Kleinorganisationen mit nur einer Handvoll von Mitarbeitern neigen stark zur Teamarbeit, wobei hier die Arbeitsteilung mehr oder weniger stark ausgeprägt sein kann. Leitmotiv des Miteinanders ist allerdings, kurzfristig ausfallende Kollegen ebenso kurzfristig ersetzen zu können, um die Geschäftsstelle nicht zu paralysieren. Grundvoraussetzung dafür ist der intensive Dialog zwischen den Kollegen und der permanente Informationsaustausch.

Standortpolitik

Auch der Ort der Geschäftsstelle wird mit Bedacht gewählt. Wer in Bonn residiert, versucht sein Quartier möglichst in der Nähe der für ihn wichtigen Bundesministerien aufzuschlagen. Auch die Nähe zum Regierungsviertel ist wichtig, aber erst in zweiter Linie. Eine verkehrstechnisch günstige Lage wird ebenfalls angestrebt. Folge ist, daß die rechtsrheinischen Viertel von Bonn und Königswinter nur wenige Verbandsbüros beherbergen. Das Gros massiert sich förmlich in der Bonner Innenstadt, im Regierungsviertel und an der Nord-Süd-Magistrale entlang bis Bad Godesberg. Allerdings ist anzumerken, daß der Anteil der in Bonn mit einer Geschäftsstelle präsenten Interessengruppen seit 1974 stetig abgenommen hat. Doch kann neben Nordrhein-Westfalen nur das Bundesland Hessen mit seiner Finanzmetropole Frankfurt einen nennenswerten Anteil an Verbandsbüros für sich verbuchen.

Öffentlichkeitsarbeit

Auch die Öffentlichkeitsarbeit der Verbände ist hochgradig professionalisiert, effizient und dabei kostengünstig angelegt. Rückgrat der Public Relations-Tätigkeit der Interessengruppen bilden auch heute immer noch die Pressemitteilungen und die eigenen Publikationen. Mit einem sinnvoll strukturierten Verteiler erreichen sie eine große Zahl von Interessenten und politischen Akteuren. Interviews, vor allem auf telefonischem Wege, dienen dagegen der punktuellen Einflußnahme bzw. Informationsdispersion und sind daher auch nur für bestimmte Akteure vorgesehen. Gerne nutzen Verbände auch die eigenen Tagungen, um für ihre Belange zu werben. Politiker werden dabei häufig als Gastredner eingeladen und bei dieser Gelegenheit auch systematisch „bearbeitet“. Die Interessengruppen können in diesem Falle als Hausherren die Kommunikationssituation definieren und politische Akteure unter Zug‑ und Antwortzwang setzen. Freilich gibt es hier deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Organisationstypen. Für Großorganisationen, wie Gewerkschaften und sonstige Spitzenverbände, ist Öffentlichkeitsarbeit in jeglicher Form im Durchschnitt noch wichtiger als für kleine Fachverbände und Vereine. Viele Kleinorganisationen benötigen für ihre politische Arbeit offensichtlich keine öffentliche Resonanz, da für sie der direkte Arbeitskontakt zu den zuständigen Ministerialreferaten oder aber zum eigenen Spitzenverband genügend Einfluß verschafft.

Medienarbeit

Spiegelbildlich dazu spielen die verschiedenen Mediensektoren für die Öffentlichkeitsarbeit der Interessengruppen auch unterschiedliche Rollen. Mit Abstand am wichtigsten ist hierfür die eigene oder verbandsnahe Fachpresse. Überregionale Tageszeitungen folgen auf Platz zwei, gefolgt von sonstigen Tageszeitungen. Die elektronischen Medien spielen demgegenüber nur eine sekundäre Rolle, wobei eine Bevorzugung der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu beobachten ist. Zwischen Hörfunk und Fernsehen allerdings gibt es nur unwesentliche Differenzen. Schließlich sind auch wissenschaftliche Zeitschriften als Publikationsorgane von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Dabei werden gerade Fachjournalisten als Kommunikationspartner mehr oder weniger hoch geschätzt. Sechs der 15 hierzu befragten Funktionäre artikulierten eine deutliche Wertschätzung für die fachliche Kompetenz des Fachreporters, weitere fünf taten dies mit Abstrichen. Lediglich vier Funktionäre stellten dies in Abrede, wobei diese ausnahmslos kleinen und sehr spezifisch orientierten Fachverbänden angehören, denen kaum ein Journalist sein Schwerpunktinteresse widmen kann.

Interessenexpansion

Die Analyse der Lobbylisten hat auch gezeigt, daß sich in der Verbandslandschaft über die Jahrzehnte hinweg eindeutige Tendenzen zur Institutionalisierung der Organisationen und zu deren Interessenexpansion entwickelt haben. Sehr häufig entstehen aus kleinen Vereinen große Verbände, aus lockeren Arbeitsgemeinschaften festgefügte Bundesorganisationen oder klar konturierte Dachverbände. Ebenso weiten viele Interessengruppen systematisch ihren Tätigkeitsbereich aus, um – wie bei Kriegsopferverbänden – mangels Klientel nicht sukzessive obsolet zu werden, oder um die existierende Mitgliederschaft zu verbreitern und damit die eigene Machtbasis auszuweiten.

Im Kräftefeld deutscher Interessengruppen, aber auch in ihrer praktisch-politischen Arbeit, spielt die Konkurrenz zu Nachbarorganisationen eine sehr große Rolle. Immerhin knapp 40 Prozent aller in den Lobbylisten erfaßten Organisationen haben sich mit Gruppierungen auseinanderzusetzen, welche der Vertretung eines ähnlichen oder identischen Interesses dienen. Dabei ist die Konkurrenzintensität seit 1974 erheblich angewachsen und führt damit zu einer hochgradigen Pluralisierung des Interessenspektrums, stellt aber auch ein Problem bzw. ein Begrenzung für dauerhafte interverbandliche Kooperation dar. Allerdings existieren hier ausgeprägte Unterschiede zwischen den einzelnen Politikfeldern.

Methodensets und Präferenzordnungen

Verbandsfunktionäre bedienen sich eines mehr oder weniger klar definierten Methodensets, um ihre politische Arbeit zu betreiben. Kreativ koppeln sie inoffizielles mit offiziellem Wirken, geben sie sich kooperativ oder agieren sie kompetitiv, instrumentalisieren sie gesellschaftliche Veranstaltungen für ihre Belange oder agieren rein im geschäftlichen und dienstlichen Rahmen. Freilich gibt es auch hier deutliche Präferenzordnungen: Das inoffizielle Wirken wird dem offiziellen – weil effektiver – durchweg vorgezogen. Auch die Kooperation steht eindeutig im Vordergrund. Der Konflikt wird nicht systematisch gesucht, sondern ist nur ultima ratio. Der Wert gesellschaftlicher Kontakte für die Lobbyarbeit wird durchweg als nicht sonderlich hoch veranschlagt. Vor allen Dingen der Vorbereitung bzw. Ankündigung der dienstlichen Kontaktaufnahme seien sie dienlich, nicht aber für die Einflußnahme selbst. Die lockere und auch nicht intime Kommunikationssituation verhindere dort systematische und themenbezogene Gespräche.

Briefkontakte, Kommunikation per Fax und Telefon sind heute die tragenden Säulen der Lobbyarbeit. Auch das zeigt anschaulich, daß Einflußnahme von Interessengruppen kaum etwas Mystisches, schwer Faßbares anhaftet, sondern daß der Arbeitsalltag von Verbandsvertretern geschäftsmäßiger und unspektakulärer kaum sein könnte. Finden persönliche Gespräche mit politischen Akteuren statt, dann in der Regel in deren Geschäftsräumen, wo sie ebenfalls per Terminkalender und Protokoll sofort aktenkundig werden. Auch Kontakte am Rande von Gremiensitzungen, wie Ausschußhearings, werden für diesen Zweck gerne genutzt. Die Kommunikation per e-mail spielt derzeit noch kaum eine Rolle. Die in Bonn residierenden Verbände sind dabei im Durchschnitt noch intensiver in dieses „Network“ eingebunden als die auswärts lokalisierten Organisationen, die persönliche Kontakte nur punktuell wahrnehmen können und sich daher vor allen Dingen auf den brieflichen und telefonischen Kontakt und die Kommunikation per Fax konzentrieren.

Das Bild verändert sich allerdings, wenn es um die Kommunikation politisch sensibler Sachverhalte geht. Dann spielen die persönlichen, auch informellen Kontakte eine wesentlich größere Rolle, flankiert allerdings nach wie vor von Brief‑ und Telefonkontakten und offiziellen Treffs. Geheimniskrämerei wird also auch hier höchstens punktuell betrieben, systematisch gesucht mit Sicherheit nicht.

„Innere Lobby“

Verbandsnahe oder verbandsgehörige Parlamentarier sind als „innere Lobby“ nur von sehr begrenztem Wert. Das jedenfalls betonten allein 16 der 23 hierzu befragten Funktionäre. Viele Abgeordnete mit Verbandsaffinitäten vermeiden es von vornherein, in ihren Fraktionen für die Interessen ihrer Organisation zu werben, um nicht als Lobbyisten stigmatisiert zu werden. Prominente Beispiele zeigen, daß unverblümte Interessenvertretung durch Abgeordnete oft genau das Gegenteil des Intendierten bewirkt: Ungehaltene Fraktionskollegen sind ‑in diesem Falle meist noch weniger geneigt, den Interessen des betroffenen Verbandes Rechnung zu tragen, sehen die Instrumentalisierung von Parlamentariern als unzulässigen Eingriff in die parlamentarische Entscheidungsautonomie. Nur einige wenige, meist sozial‑ und kulturpolitischen Verbänden angehörende Funktionäre haben positive Erfahrungen gemacht. Offensichtlich wird das Eintreten von Abgeordneten für Belange der öffentliche Wohlfahrt etc. – und damit auch für die Interessen der zugehörigen Verbände – in sehr viel geringerem Maße als internes Lobbying perzipiert als auf anderen Politikfeldern.

Verhaltensregeln

Ein überschaubares Set von Verhaltensregeln leitet das Handeln der Verbandsfunktionäre – so jedenfalls ihre eigene Einschätzung. Am wichtigsten sei es, dem Gesprächspartner den Eindruck der eigenen Kompetenz und Seriosität zu vermitteln. Die eigene Glaubwürdigkeit müsse dabei außer Frage stehen, und ein offenes und unvoreingenommenes Zugehen auf den Kontaktpartner fördere diesen Eindruck in sinnvoller Weise. Ohne die nötige Freude am Kontakt sei Lobbyarbeit kaum erfolgreich zu verrichten. Eigenbrötler hätten in dieser Profession keine Chance. Dabei die nötige Sozialkompetenz zur richtigen Beurteilung der Interessenlage des Gegenübers mitzubringen, sowie die Fähigkeit zum geduldigen Zuhören, sei ebenfalls sehr wichtig. Diskretion und Verschwiegenheit seien letztlich der Schlüssel zum Erfolg. Denn wer als „Leck“ einmal enttarnt sei, käme in Zukunft nicht mehr rechtzeitig in den Besitz strategisch wichtiger Vorabinformationen.

Was für politische Kontakte im allgemeinen gilt, gilt auch für die Beziehungen zu Journalisten: Die überwiegende Mehrheit der interviewten Funktionäre konnte von einem insgesamt recht entspannten Verhältnis zu den Medienvertretern berichten. Jedenfalls prägt nicht Geheimniskrämerei die Szenerie, sondern der offene und ehrliche – auch punktuelle Enttäuschungen einkalkulierende – Umgang mit den Reportern. Nur in Einzelfällen und auch nur von bestimmten Verbandsvertretern werden schlechte Erfahrungen in den Vordergrund gestellt.

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Autor/in

Helmut Martell

ist Rechtsanwalt. Helmut Martell war Gründungsvorsitzender der DGVM und zwanzig Jahre ihr Stellvertretender Vorsitzender. Von 1997 bis 2014 fungierte er als Herausgeber des Verbändereport.

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