Verbändereport AUSGABE 4 / 2024

Sieben Trümpfe, um als Verband im Bundestagswahlkampf zu punkten

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Die politischen Parteien stehen unter Druck, die Bundestagswahl bringt Unsicherheiten. Es zeichnet sich ab, dass wenig Zeit bis zur neuen Regierungsbildung bleibt. Für Verbände sind die kommenden Wochen die Chance, sich richtig aufzustellen und für den politischen Diskurs zu positionieren.

Zur Bundestagswahl sortiert sich das politische Blatt neu. Schon seit Wochen geht es um Farben, Personen, Inhalte und Strategien. Mit dem Bruch der Ampel steht der Bundestagswahlkampf unter neuen Vorzeichen. Das politische Pokerspiel unterliegt großer Dynamik: Die rot-grüne Minderheitsregierung möchte bis Ende des Jahres dringliche Gesetzesvorhaben abschließen. Dafür braucht sie die Unterstützung der Opposition. Friedrich Merz nutzt seine machtvolle Position für Blockaden und drängt auf die Auflösung der Regierung noch in diesem Jahr. Neuwahlen sollen am 23. Februar stattfinden.

Dazu kommt, dass die Karten anders verteilt sind. Die Ergebnisse der Landtagswahlen zeigen das Erstarken der politischen Ränder. Mit dem BSW gibt es eine neue Partei und sogar neue Koalitionen (Brombeere). Profilierung ist das Gebot der Stunde. Die CDU hat mit Friedrich Merz früh Farbe bekannt. Die SPD will Arbeiterpartei sein und beharrt auf einer starken Sozialpolitik. Die Grünen wollen den „Neustart“ und die Partei der Mitte sein. Die FDP gibt sich prinzipientreu – mit Sprengkraft.

Verbände können sich in manchen Bereichen auf bewährte Spielregeln verlassen. Gibt es der Zeitrahmen her, werden Wahlprogramme auf Parteitagen und Konferenzen diskutiert. Das sind klassische Anlässe, bei denen Verbände Präsenz zeigen. Fest steht aber: Der Wahlkampf wird stark verkürzt ausfallen. Die Möglichkeiten zur Einflussnahme sind knapp. Der Fokus verschiebt sich auf die Zeit der Koalitionsverhandlungen. Deshalb kommen neue Spielregeln dazu. Um den Überblick zu bewahren und in den nächsten Wochen politisch zu punkten, können Verbänden die folgenden sieben Trumpfkarten jetzt helfen.

1. Beziehungen pflegen

Zunächst gilt: Ruhe bewahren. Zwar ist das politische Spielfeld durcheinander, aber vereinbarte Termine sollten wahrgenommen und Kontakte gepflegt werden. Auch intern ist Beziehungsarbeit gefragt: Verbände sollten Mitglieder kontaktieren, um zu klären, wo sie stehen und was sie erwarten. Idealerweise schaffen sie es, persönliche Gespräche zu führen, um qualitative Rückmeldungen zu erhalten. Das muss nicht immer von der Geschäftsführung kommen: Alle Mitarbeitenden können helfen, indem sie etwa am Rand von Seminaren oder Veranstaltungen, nach Telefonaten und Beratungen den Austausch suchen. Auch bei Gremiensitzungen sollte die „interne Beziehungspflege“ ein fester Agenda-Punkt sein. So gewinnen die Mitglieder das Gefühl, ernst genommen zu werden. Und stärkeres Vertrauen in ihren Verband.

Trumpfkarte: Verbandsmitarbeitende darauf vorbereiten, sich mit den Mitgliedern über deren Erwartungen und Haltungen auszutauschen.

2. Inhalte ausrichten

Die Erwartungen der Mitglieder sind das eine. Die der Politik stehen auf einem anderen Blatt. Die eingesetzten Programmkommissionen der Parteien bestehen, die Prozesse zur Erstellung der Wahlprogramme laufen. Wenn Parteien ihre Positionen ändern, müssen Verbände anschlussfähig sein. So verliert Nachhaltigkeit aktuell an Gewicht, Sicherheit wird wichtiger. Was heißt das für Verbände? Sie müssen prüfen, welche Positionen mehrheitsfähig sind und mit welchen positiven Impulsen und Visionen sie den Diskurs zukünftig begleiten. Ad-hoc-Gruppen, gerne auch mit externen Experten und angrenzenden Branchen, bieten eine gute Plattform, um genau das auszuloten. Je klarer die Ausrichtung des Verbands, desto besser. In der Kürze der Zeit haben nur starke Botschaften die Chance zu verfangen. Es geht darum, die Karten auszusortieren, die das Spiel am Ende verderben.

Trumpfkarte: Themen und Positionen in Workshops prüfen und aktualisieren, um in der neuen politischen Debatte anschlussfähig zu sein.

3. Debatten vorbereiten

Wahlkampfzeit ist Botschaftenzeit: Forderungen und Versprechen überschlagen sich. Die Kürze der Zeit wird die Dynamik erhöhen. Um nicht kommunikativ unter die Räder zu kommen, muss ein Verband den Überblick behalten. Wichtig ist eine schnelle Entscheidung, auf welche Debatte er sich einlässt und auf welche nicht. Mancher Kommentar bringt Aufmerksamkeit, kann aber Ideen verfestigen, die besser zügig wieder von der Agenda verschwinden. Ein anderes Thema könnte bleiben und muss umgehend fachlich korrekt eingeordnet werden. Denn: Ein Verband vertritt eine bestimmte Expertise und muss sich im Wahlkampf behaupten. Daran ändert auch die wildeste Schlagzeile nichts. Ein Ansatz, um das zu garantieren, ist die „Debatten-Taskforce“: ein Team, das politische Ideen schnell analysiert und bewertet. Es entscheidet, welche Debatte sich lohnt und mit welcher der Verband verliert. Es muss die Folgen für die Praxis einordnen und klar formulieren, was ergänzt, gestrichen oder geändert werden muss. Fachwissen bleibt Trumpf, auch im Wahlkampf.

Trumpfkarte: Taskforce aufbauen, die Debatten verfolgt, Forderungen bewertet und die Expertise des Verbands schnell und punktgenau zur Verfügung stellt.

4. In Szenarien denken

Wie lange die Regierung unter Scholz hält, ist unklar. Ebenso fraglich ist, ob sie mit den geplanten Gesetzesvorhaben noch Punkte in der Wählerschaft sammeln kann. Laut Umfragen des Instituts Allensbach Stand Oktober sei eine große Koalition die Präferenz. Das deckt sich aber nicht mit den Zahlen von Infratest dimap, die der GroKo keine Mehrheit geben. Selbst wenn die SPD bewiesen hat, dass sie aufholen kann: Es ist offen, welche Koalition entsteht. Denn auch das haben die Landtagswahlen gezeigt: Es wird immer schwieriger, Mehrheiten zu bilden. Um nicht gebannt auf das Resultat zu warten, können Verbände Szenarien planen und sich vorbereiten: Welche Themen könnten bei welcher Koalition zur Debatte stehen, welche würden sich erledigen? Was ist zum Beispiel mit der immer wieder aufkeimenden Zuckersteuer? Bei Thinktanks und in der Wissenschaft ist die Arbeit mit Szenarien längst üblich. In der Politik wird es wichtiger. Denn wenn die Bildung der Regierung so lange dauert, bleibt für die Aushandlung des Vertrags weniger Zeit. Darum empfiehlt sich, jedes Blatt zu durchdenken, und zwar schon jetzt.

Trumpfkarte: Szenarien entwickeln und Strategien vorbereiten, um auf mögliche Regierungskoalitionen und ihre Themen schnell reagieren zu können.

5. Über Bande spielen

Auch wenn sich vieles neu sortiert: Einige Spielregeln bleiben. Dazu gehört, Personen und Gruppen zu kennen, die Debatten und Entscheidungen bestimmen. Die Stakeholder Map zeigt auf einen Blick, wer sie sind und welche Kontakte bestehen. Doch sie hat ein Upgrade verdient. Denn gerade im Wahlkampf präsentieren sich Kandidierende gerne im Wahlkreis und mit den Unternehmen vor Ort. Durch die Wahlrechtsreform ist der Druck gestiegen, gute Ergebnisse im Wahlkreis zu erzielen. Jetzt sind die Mitglieder am Zug. Um mit den politischen Kandidaten Beziehungen aufzubauen, können Verbände ihr Know-how zur Verfügung stellen und schon jetzt Vorbereitungen treffen. Das kann das Einladungsmanagement sein, der richtige Zeitpunkt, der beste Ort und das Bild für ein Pressegespräch. Verbände können mit Unterlagen unterstützen und Argumente für Gespräche aufbereiten. Im Idealfall begleiten sie die Treffen vor Ort. Mitglieder sind immer wichtige Botschafter, aber gerade im Bundestagswahlkampf sind ihre Beziehungen für die politische Arbeit Trumpf.

Trumpfkarte: Stakeholder Map um die eigenen Mitglieder ergänzen, um vor Ort Kontakte aufzubauen, und die Mitglieder bei den lokalen Terminen unterstützen.

6. Kontinuität nutzen

Nach jeder Bundestagswahl werden die Karten neu gemischt. Das heißt aber nicht, dass das Blatt komplett wechselt. Nach der Bundestagswahl 2021 kamen knapp 40 Prozent neu ins Parlament, 60 Prozent waren Wiederholungstäter. Kontinuität zahlt sich also aus. Zumal schon jetzt feststeht, dass viele Personen in den Ministerien bleiben, etwa Leiterinnen und Leiter von Abteilungen und Referaten, also Personen, die die Gesetze vorbereiten und Inhalte bestimmen. Darum sollte sich politische Arbeit im Wahlkampf nicht nur auf Kandidierende fokussieren. Auch Projekte sind noch offen, die bereits im letzten Koalitionsvertrag standen, aber nicht mehrheitsfähig waren. Apropos Koalitionsvertrag: Auch der Einfluss der Länder ist nicht zu unterschätzen. Bei den Koalitionsverhandlungen 2021 diskutierten Manuela Schwesig und Malu Dreyer mit, zwei Ministerpräsidentinnen der SPD, sowie Winfried Kretschmann für Bündnis 90/Die Grünen. Kurzum: Nicht alle Karten werden getauscht. Viele Asse sind schon vorhanden.

Trumpfkarte: Analysieren, wer von den wichtigen Ansprechpersonen erhalten bleibt, und sie im Wahlkampf weiterhin ansprechen sowie Kontakte pflegen.

7. Wissen erhalten

Es ist ein bekanntes Phänomen, dass Neueinsteigende stärker umworben werden als Kolleginnen und Kollegen, die gehen. Das ist im Bundestag nicht anders: Abgeordnete, die ins Parlament kommen, erhalten Briefe, Broschüren und Einladungen. Manch ein Verband feilt schon am Mailing, um vom Start weg einen guten Eindruck zu machen. Doch mit jeder Wahl gibt es Menschen, die den Bundestag und die Bundesministerien verlassen. Auch sie sind für die politische Arbeit wertvoll. Denn in der Regel haben sie einen hohen politischen Gestaltungswillen, nur eben keine Plattform mehr. Sie wissen, wie Debatten funktionieren, welche Stolpersteine es gibt und welche Argumente. Sie sind intern geschätzte Ratgeber, zumindest noch eine Zeit lang, und gut vernetzt. Und sie haben mehr Freiräume und weniger Tabus. Verbände können das nutzen: Sie können Ehemalige zu Gesprächen einladen sowie für Gremien oder Beratungsmandate gewinnen. Es lohnt sich, Gutes zu erhalten und alle Karten einzubeziehen, um politisch zu punkten.

Trumpfkarte: Ausscheidende Personen identifizieren und Maßnahmen überlegen, um ihr Wissen und ihre Expertise für den Verband zu nutzen.




Verbandslobbying in Zeiten des Umbruchs – die Bundestagswahl 2025 steht bevor

Interessen klar positionieren und in politische Entscheidungsprozesse einbringen

WANN: 28.01.2025
WO: Berlin-Mitte
Das Tagesseminar „Verbandslobbying in Zeiten des Umbruchs: Vorbereitung auf die Bundestagswahl 2025“ gibt Ihnen das notwendige Rüstzeug, um die bevorstehenden politischen Veränderungen aktiv mitzugestalten.

Weitere Infos und Anmeldung: www.verbaende.com/events


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Autor/in

Dr. Dorothea Stock

studierte BWL für Stiftungen und Verbände sowie Wirtschaftspsychologie mit dem Schwerpunkt auf nachhaltiger Unternehmensführung. Sie promovierte am Verbandsmanagement Institut (VMI) der Universität Fribourg zu unternehmerischer Orientierung von Verbänden und NPOs. Parallel arbeitete sie beim Deutschen Verbände Forum und war Redaktionsmitglied des Verbändereport. 

https://www.vbcoll.de
Autor/in

Sebastian Frevel

ist geschäftsführender Gesellschafter der Beratungsgesellschaft von Beust & Coll. und berät seit 2004 Verbände und Unternehmen im Bereich Public Affairs. Die Agentur mit über 40 Mitarbeitenden wurde von dem ehemaligen Politiker Ole von Beust gegründet.

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