Unter dem Titel „Strategische Allianzen im Bereich der politischen Interessenvermittlung“ wurde soeben eine am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin in Zusammenarbeit mit der Agentur Johanssen + Kretschmer geschriebene Diplomarbeit veröffentlicht. Ihre wesentlichen Ergebnisse sind im Folgenden zusammengefasst.
„Getrennt marschieren, vereint schlagen“ — mit diesem Motto hatte bereits der preußische General Helmuth von Moltke 1866 die Österreicher bei Königgrätz besiegt. Dieses Prinzip beschreibt auch eine wissenschaftlich bislang wenig beachtete Form der Politikkommunikation: das Schmieden strategischer Allianzen zum Zwecke einer gemeinsamen und durchsetzungsstarken Lobbyarbeit.
In das Verhältnis von Politik und Verbänden ist durch die Bildung strategischer Allianzen Bewegung gekommen. Egal, ob es sich um die Allianz Pro Schiene, die Existenzfrage Zucker oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft handelt, Lobby-Allianzen sind auf dem Vormarsch.
Die Verbandslandschaft verändert sich stetig. Technologischer Fortschritt und die Erschließung neuer Märkte durch Globalisierung sind zwei wichtige Gründe, weshalb die Vielschichtigkeit der Wirtschaft und damit auch der Unternehmensinteressen ständig zunimmt und traditionelle Verbandsstrukturen in Frage gestellt werden. Die Bildung strategischer Allianzen bietet neue Reaktionsmöglichkeiten auf Veränderungen der Verbandslandschaft, ohne sich auf die Bildung eines neuen, fest strukturierten Verbandes stützen zu müssen.
Allianzen bilden sich, weil die Partner merken, dass sie zusammen mehr erreichen, als sie es alleine könnten. Sie bedienen sich dabei des „Multi-Voice-Lobbyings“, öffnen durch ihre vielfältigen Partner und deren Netzwerke neue Kanäle zur Einflussnahme.
Der Begriff „strategische Allianz“
Strategische Allianzen sind ein Zusammenschluss von mindestens zwei Interessengruppen mit denselben oder zumindest ähnlichen Zielen bei der Interessendurchsetzung. Solche Bündnisse können sowohl punktuellen Charakter haben als auch auf Langfristigkeit angelegt sein. Um sie von Verbänden klar abgrenzen zu können, sollen sie in ihrer Arbeit stets zeitlich begrenzt sein. Die Zusammenarbeit zwischen den Allianzpartnern zielt auf die Gewinnung von Synergieeffekten durch die Ergänzung individueller Stärken sowie auf die Kompensation von Schwächen der Beteiligten ab. Innerhalb der Allianzen wird vorausgesetzt, dass die Partner rechtlich und wirtschaftlich selbstständig sind. Dadurch wird die Allianz von einer Fusion von Unternehmen oder Verbänden abgegrenzt. Durch eine Konsolidierung der individuellen Stärken werden durch Zusammenschlüsse Wettbewerbsvorteile erreicht. Dies kann theoretisch zur Herausbildung von „Lobbykartellen“ (in einem negativen Sinne) führen, deren Druckkulisse den politischen Willensbildungsprozess fremdbestimmen kann, wie man es sich bei einer Koalition zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden vorstellen könnte.
Keine Grenzen für die Kreativität
Solange ein gemeinsames Ziel die Koalition zusammenhält, gilt das Motto: Je bunter und je breiter eine Allianz aufgestellt ist, desto mehr potenzieller Erfolg steckt in ihr. Gerade diese Breite verleiht der Allianz das Attribut „strategisch“. Ein Beispiel: Die Allianz Pro Schiene vereint unter ihrem Dach 53 Unternehmen und Organisationen, deren Anliegen es ist, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern. In ihr arbeiten u.a. die Deutsche Bahn, deren Konkurrent Connex, verschiedene Bahnzulieferbetriebe, Umweltverbände und auch die Bahn-Gewerkschaft Transnet zusammen. Diese breite Aufstellung macht es der Allianz leichter, bei allen politischen Akteuren Gehör zu finden und in Lobbyingprozessen mit ihren Anliegen nicht auf ein „Abstellgleis“ geschoben zu werden.
Ebenso wichtig ist Kreativität beim Aufdecken von Nischen: Einzelne politische Entscheidungsträger sollen durch unkonventionelle Maßnahmen gewonnen werden. Je mehr sich die Lobbylandschaft vergrößert, desto mehr nimmt diese Anforderung verständlicherweise zu. Die Automaten-Wirtschaftsverbände-Info GmbH, die „PR-Agentur“ der Automatenwirtschaft, war in dieser Hinsicht erfolgreich: Zusammen mit anderen Firmen als Sponsoren startete sie parlamentarische Skat- und Schafkopfturniere. Diskussionen über große Politik standen dabei weniger im Vordergrund als der Netzwerkcharakter solcher Veranstaltungen.
Schwieriges Management
Das Management solch breiter Allianzen ist allerdings schwierig. Es ist sensibel, es braucht viel Vorbereitung und strategisches Planungsvermögen, und es erfordert viel Kompromissbereitschaft von allen Partnern. Zwei Modelle verdeutlichen die strategischen Komponenten von Allianzbildung. Das strategische Dreieck zeigt Kernfragen auf, die man sich im Vorfeld der Bildung einer Allianz stellen muss.
Die SWOT-Matrix wiederum ist ein Instrument zur Analyse des Potenzials einer strategischen Allianz. Sie hilft, gezielt die Stärken („Strengths“) und Schwächen („Weakness“) sowie die Chancen („O-ppor-tunities“) und die Risiken („Threats“) der Umwelt zu identifizieren. Die Aufgabe innerhalb der Planungsphase einer Allianz ist nun, auf alle vier Felder eine geeignete Antwort zu finden.
Unterstützung durch Public-Affairs-Agenturen
Zur Unterstützung des Managements können Public-Affairs-Agenturen einen sinnvollen Beitrag bei der Organisation und Durchführung von Interessenkoalitionen leisten. Sie sind Mediator zwischen den vielleicht sehr unterschiedlichen Partnern, sie können Führungs- und Verwaltungsaufgaben übernehmen und somit die Mitgliedsorganisationen entlasten. Sie liefern professionelle PR-Arbeit und stellen ihre Dienste für Veranstaltungsorganisation und Werbemaßnahmen zur Verfügung.
Politik braucht „Input“
Strategische Allianzen können ein hervorragendes Mittel für alle Arten von Lobbyorganisationen sein, um Grenzen, die sie bei ihrer konventionellen Interessenvermittlung haben, zu überwinden und um durch unkonventionelle Zusammenschlüsse noch schlagkräftiger zu werden. Den Sachverstand der Verbände optimal für die eigene Arbeit einzusetzen, das ist die Kunst, die Firmenlobbyisten zu beherrschen lernen müssen. Die Verbände müssen wiederum einsehen, dass der Firmenlobbyist auch für den Verband hilfreiche Dienste leisten kann und nicht notgedrungen ein Einzelkämpfer oder gar Gegenspieler sein muss. Wie im Rahmen der Studie gezeigt werden konnte, ist sich die Mehrheit der Firmen- und Verbandslobbyisten der Komplementarität der beiden Akteure bewusst und nutzt diese für ihre Zwecke als Lobbyinginstrumente. Eine Übersicht zu den einzelnen Vorteilen des jeweiligen Lobbyakteurs zeigt die Grafik auf der folgenden Seite.
Was macht eine erfolgreiche Allianz aus?
Zehn Leitthesen sollen als eine Art Handlungsanweisung Aufschluss darüber geben, wo die wichtigsten Streitpunkte liegen und wie man sie geschickt umgehen kann.
These 1: Der erste Partner ist nicht immer der beste Partner
Die Auswahl potenzieller Alliierter sollte über die thematisch nahestehenden Organisationen hinausgehen. Der naheliegendste Partner ist nicht unbedingt der Beste. Natürliche Gegner, die zusammenarbeiten, erhöhen die Einflussmöglichkeiten. Breite und Vielfalt in der Aufstellung einer Allianz stärkt beide Partner. NGOs/NPOs sorgen für hohe Glaubwürdigkeit, Unternehmen sind finanzstark, Verbände haben den Sachverstand und die Macht ihrer Mitgliederzahl.
These 2: Planung einer gemeinsamen Strategie und verschiedener Szenarien
Ein frühzeitiges „Mission Statement“ ist unerlässlich: Darin wird die Aufgabenverteilung in der Allianz geplant, werden gemeinsame Positionen bereits im Vorfeld entwickelt sowie Maßnahmen konzertiert. Es ist wichtig, strategisch zu denken und langfristig zu planen. Das umfasst auch die Entwicklung von Szenarien für Krisen sowie Indikatoren, an denen Erfolge gemessen werden können.
These 3: Identifikation der Führungsperson(en)
Bereits im Vorfeld sollte festgelegt werden, wer die Führung der Allianz übernehmen soll. Bei langfristigen Allianzen empfiehlt es sich, eine eigene Geschäftsstelle einzurichten. Dabei ist zu klären, ob es Widerstand geben könnte, wenn jemand Bestimmtes, etwa der Initiator der Kampagne, die Führungsmannschaft stellt. Wenn dies so ist, muss ein paritätisch besetztes Führungsgremium gebildet oder eine außenstehende Führungsinstanz — wie, etwa eine Agentur — beauftragt werden.
These 4: Planung des Außenauftrittes
Um der Öffentlichkeit zu zeigen, wer hinter einer Allianz steckt, sollten die Organisation und ihre Ziele transparent dargestellt werden. Dafür muss auch mit den Medien zusammengearbeitet werden. Denn ohne erfolgreiche Medien- und Öffentlichkeitsarbeit kann eine Allianz schnell in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.
These 5: Einbeziehung der Partner der Koalitionsmitglieder sowie der Stakeholder
Eine Allianz lässt sich erweitern, indem die unmittelbaren Partner der Allianzmitglieder identifiziert werden. So kann schnell ein großes Netzwerk gestrickt werden. Dabei sollte das gesamte Spektrum der Stakeholder (dies sind alle für die Organisation relevanten Gruppen: Mitglieder, Kunden, Medien, Zulieferer, Aktionäre, Politiker, Vereine etc.) in das Organisationsmodell einbezogen werden.
These 6: Türen öffnen durch Multi-Voice-Lobbying
Alle Einflusskanäle der Allianzpartner können und sollen aktiv genutzt werden. Daher ist es wichtig, frühzeitig zu analysieren, welche Zugänge und Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Auch hier gilt: Geschlossenes Auftreten und die Beschränkung auf die gemeinsamen Interessen sind unbedingte Voraussetzung.
These 7: Feststellung des Allianzpotenzials
Schwächen und Stärken der Organisation und der Koalitionspartner müssen analysiert werden, um Schwächen zu kompensieren und Stärken zu bündeln. Dazu können Felder festgelegt werden, die jeder Allianzpartner für sich am besten bearbeiten kann.
These 8: Ausklammern von Interessengegensätzen
Wer gemeinsame Positionen erarbeitet, spricht als Allianz mit einer Stimme. Unterschiede in Organisationskultur, politischer Ideologie oder sonstige Differenzen dürfen nicht nach außen durchdringen. Dabei muss darauf geachtet werden, Schnittmengen zu nutzen, aber trotzdem nicht zu allgemein zu bleiben. Die eigenen Interessen sollten nicht verloren gehen.
These 9: Produktion von Glaubwürdigkeit, Geschlossenheit und Transparenz
Alle Anstrengungen müssen darauf ausgerichtet sein, durch glaubwürdiges, verlässliches und geschlossenes Auftreten zu überzeugen. Die Allianz soll sich als Partner der Poltik, nicht als ihr Gegner verstehen. Politik braucht Information von außen. Wenn eine Allianz unglaubwürdig wird, muss sie beendet werden.
These 10: Abwägung einer externen Unterstützung durch Agenturen
Eine PR-, PA- oder Werbeagentur kann Allianzen bereichern bzw. nützliche Kontakte herstellen. Externe Anbieter offerieren vor allem im organisatorischen, aber auch im kreativen Bereich Hilfestellung. Dabei muss aber auch darauf geachtet werden, wie weit Agenturen die Interessen des Bündnisses gegenüber der Politik vertreten. Ein direkter Auftritt wirkt meist sehr viel glaubwürdiger, als einer über Dritte.
Fazit: Strategische Allianzen bieten Lösungen für neue Herausforderungen in der Lobbyarbeit
In einem zunehmend ausdifferenzierten System aus vielfältigen Interessen in Wirtschaft und Gesellschaft und einem dadurch hervorgerufenen Entscheidungsdruck und einer Überforderung der Politik müssen neue Arten gefunden werden, um Interessen für Politik und Gesellschaft auf neuen Wegen zu bündeln und zu artikulieren. Strategische Allianzen sind dafür bei qualitativ hochwertiger, professioneller und transparenter Arbeit eine Möglichkeit, diesem Anspruch gerecht zu werden. Die Bedeutung von Verbänden, Agenturen oder Unternehmensvertretern wird dadurch nicht geschmälert.