Verbändereport AUSGABE 3 / 2006

Über Legenden und Klischees in der Diskussion über Verbands-Lobbyisten und die „Lobbyliste“ des Bundestages

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In einen Topf werden sie fast immer geworfen, die Lobbyisten und die Verbandsleute. Sogar beim Arbeitsamt. Zwischen „Literaturagent/in“ und „Logistiker/in“ führt die Nürnberger Berufestatistik den Beruf „Lobbyist/in“ unter der Kennziffer 763. Dahinter verstecken sich laut Definition vorrangig „Verbandsleiter/innen, Funktionäre/innen“- – übrigens rund 18.000 sozialversicherungspflichtige Stellen, glaubt man den Zahlen.

Aber was die Statistiker da zählen, passt nicht unbedingt zu dem Berufsbild, das die Kollegen von der Berufskunde formulieren und im BerufeNet der Nürnberger veröffentlichen. Eigentlich ist es ja offensichtlich: Nicht jeder Verbands- oder Organisationsfunktionär betreibt Lobbying. Und schon gar nicht ist jeder Lobbyist ein „Verbandsleiter/in, Funktionär/in“.

Vergleichen wir doch im Nürnberger BerufeNet die zwei einschlägigen Nachweise: „Verbandsgeschäftsführer/in, Verbandsmanager/in: Verbandsgeschäftsführer/innen bzw. -manager/innen leiten hauptamtlich Verbandsgeschäftsstellen in den unterschiedlichsten Branchen. Sie führen die laufenden Geschäfte des Verbandes gemäß den Weisungen des Vorstandes. Zudem nehmen sie an den Sitzungen der Verbandsorgane und der Ausschüsse beratend teil und unterrichten die Mitglieder über wichtige Ereignisse und Entwicklungen. Als Geschäftsführer/in vertreten sie den Verband gerichtlich und außergerichtlich. Sie sind verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und pflegen nationale sowie internationale Kontakte. Sie organisieren die Wirtschaftsführung des Verbandes, treffen Personalentscheidungen innerhalb der Geschäftsstelle im Einvernehmen mit dem gesetzlichen Vorstand und sind Ansprechpartner bei Rechtsfragen der Branche. Sie sorgen dafür, dass den Verbandsmitgliedern stets umfassende Beratungsmöglichkeiten sowie aktuelle Informationen zu rechtlichen, technisch-wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen zur Verfügung stehen. Ferner veranlassen sie Betriebsvergleiche, kümmern sich um Branchenbeobachtungen und die Erhebung von Fachstatistiken. Insbesondere in größeren Verbänden können sich Verbandsgeschäftsführer/innen bzw. -manager/innen auch schwerpunktmäßig auf bestimmte Aufgaben spezialisieren (zum Beispiel Mitgliederbetreuung, Öffentlichkeitsarbeit oder Finanzen).“

„Lobbyist/in: Wer professionell „Lobbying“ betreibt, befasst sich hauptberuflich mit Öffentlichkeitsarbeit und Entscheidungsvorbereitung mit dem Ziel, in einem bestimmten Interessenzusammenhang Einfluss auf politische Entscheidungen und gesellschaftliche Entwicklungen zu nehmen. Dieses Aufgabengebiet gibt es vor allem bei Wirtschaftsverbänden sowie bei Organisationen (z.B. in Bereichen wie Wohlfahrt, Umweltschutz, Friedensarbeit) und bei politischen Parteien. Fachleute in diesem Arbeitsfeld recherchieren Sachverhalte und Positionen, fassen sie zusammen und bringen sie in eine zweckmäßige Form, die als Grundlage für Verhandlungen und Entscheidungen dient. Zu diesem Zweck sind sie in die interne Kommunikation ihrer Organisation eingebunden und nehmen z.B. an Sitzungen teil. Nach außen hin knüpfen sie Kontakte zu Politikerinnen und Politikern und zu Personen, die an wichtigen gesellschaftlichen Schnittstellen tätig sind, versorgen sie mit Informationen und pflegen die kontinuierliche Kommunikation mit ihnen. Dafür nehmen sie möglichst viele Außentermine wahr, bei denen sie ihre Zielgruppe antreffen können. Öffentlichkeitsarbeit ist ihr wichtigstes Aufgabenfeld. Sie steuern die Medienkommunikation, verfassen z.B. Pressemitteilungen oder pflegen die Website, organisieren Veranstaltungen und entwickeln Konzepte für Aktionen und Kampagnen, mit denen die Organisation für ihr Anliegen wirbt. In der Tätigkeitsvariante Politikberatung geht es insbesondere darum, im Auftrag von Kunden — beispielsweise von Unternehmen — Einfluss auf die Gesetzgebungsarbeit zu nehmen. Dabei gilt es zunehmend, neben der nationalen auch die europäische Ebene einzubeziehen.“

Wer die Verbändelandschaft als Neuling bereist und als Reiseführer die berufskundlichen Blätter aus Nürnberg zur Orientierung nutzt, der könnte bei oberflächlichem Vergleich meinen, die eine Tätigkeit habe mit der anderen zwar einiges zu tun, aber identisch seien sie bestimmt nicht.

Die Berufskundler definieren verwirrend und unscharf. Dass Lobbyisten bei Parteien beschäftigt sind, beinhaltet eine extrem weite Auslegung des Begriffs. Und den Satz „Öffentlichkeitsarbeit ist ihr wichtigstes Aufgabenfeld“ würden viele Lobbyisten auch nicht unterschreiben. Manche meinen, ihre Tätigkeit sei das Gegenteil von Öffentlichkeits- und Pressearbeit. Verwechseln die Nürnberger Lobbyisten etwa mit Pressesprechern?

Klischees und Spekulationen

Jedenfalls klappt es nicht mit der Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache. Ein Blick in die Publikumsmedien, die von Klischees und Spekulationen geprägt sind, führt wieder in eine andere Richtung. Sobald von Lobbying die Rede ist, wird Verbänden eine Macht und Manpower anfabuliert, die wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat. Häufig wird die Tätigkeit Lobbying dann zum systemhaften Monster „Lobbyismus“ aufgebaut, das, wie alle „-ismen“, ideologisch gefärbte Übertreibungen beinhaltet. Auf der Strecke bleibt die Einsicht, wie unterschiedlich Verbände in Größe, Form und Zweck sind, und welche Dienstleistungen Verbände im Alltag erbringen.

Direktes Lobbying politischer Entscheidungsträger ist nur ein Teil des Alltags, oft nicht der wichtigste, und schon gar nicht der mit dem größten Zeit-, Personal- und Finanzbudget. Viele Verbandsmanager hätten gerne mehr Ressourcen dafür an der Hand.

Aber Interessen werden auch anders vertreten — in Gremienarbeit, auf Branchentreffen, in Fachpublikationen. Von Willensbildung bis Weiterbildung, von Einkaufsgemeinschaft bis Selbsthilfe, von Marktforschung bis Managementberatung, von technischen Normen bis zu rechtlichen Normen läuft das tatsächliche Portfolio vieler Verbände. Und auch wenn sich Verbandsmitglieder selbstverständlich eine starke Lobby wünschen, so wünschen sie sich eben auch vieles andere.

„Reiner“ Lobbyverband ist die Ausnahme

Der „reine“ Lobbyverband ist die absolute Ausnahme, in Berlin ebenso wie in den zahlreichen anderen Standorten. Umgekehrt gibt es aber sehr viele Verbände, die alles Mögliche machen, nur kein oder kaum direktes Lobbying, und wenn, dann in einer so unsystematischen Weise, dass man fast von Liebhaberei statt Professionalität sprechen sollte. Selbst auf der vielzitierten „Lobbyliste“ des Deutschen Bundestages, offiziell: „Öffentliche Liste über Registrierung von Verbänden und deren Vertretern“, stehen zwischen den Rubriken von A wie Abbruchunternehmen bis Z wie Zucker zahlreiche Organisationen, die kaum in der Lage sein dürften, echte Lobby-PS auf die Straße zu bringen. Das reicht von der „Aktion 3. Welt Saar“, nach eigenen Angaben mit einer halben Hauptamtlichen-Stelle und ohne Chef, geführt aus einem kleinen Dritte-Welt-Laden in der Kleinstadt Losheim am See, bis zum 13 professorale Mitglieder starken „Zentrum für Türkeistudien e.V.“ an der Universität Essen. Das ist doch nicht die berühmte Lobbyliste? Doch, doch, das ist die Lobbyliste des Deutschen Bundestages, jederzeit zur Einsicht im Internet verfügbar.

Sicherlich vertreten auch die „Aktion 3. Welt Saar“ und das „Zentrum für Türkeistudien“ handfeste Interessen. Sicher sprechen sie auch gelegentlich mit Politikern und Spitzenbeamten. Sie nehmen wie jeder andere Verbands-Lobbyist die Grundgesetzartikel 5, 9 und 17 in Anspruch — Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und Petitionsrecht. Und sie haben ein Selbstverständnis wie eine Lobby, selbst wenn sie sich wohl kaum so nennen werden.

Doch der Grund, weshalb sie auf der Liste stehen, ist vermutlich längst vergessen; wahrscheinlich hat den Verbandsmanagern mal jemand gesagt, dann würde man bei wichtigen Themen in den Bundestagsausschuss zur Anhörung gebeten. Vielleicht war Prestige das Motiv („Wir sind jetzt beim Bundestag akkreditiert!“). Wer jetzt behauptet: „Das sind doch Ausnahmen, die meisten sind doch große Wirtschaftsverbände!“, wird durch die Empirie eines Besseren belehrt: Von den knapp 1.900 Verbänden auf der „Lobbyliste“ sind nur rund 600 als echte Wirtschaftsverbände einzustufen, und deren Zahl hat sich über das letzte Jahrzehnt sehr stabil gehalten, wie jüngere wissenschaftliche Auswertungen zeigen. Das Wachstum fand in den letzten Jahren bei anderen gesellschaftlichen Organisationen statt, zu einem kleineren Teil auch bei strategischen Allianzen, Organisationen mit dem funktionalen Charakter einer Agentur (z.B. Informationszentren, Initiativen) und ähnliche „Verbände neuen Typs“, zu denen Wirtschaftsinteressen gehören.

Die Lobby der Wirtschaftsverbände, das klingt gewaltig. Vor dem geistigen Auge türmen sich die Glas- und Betonpaläste in Rufweite der Ministerien auf. Zugegeben, das „Haus der Wirtschaft“ von BDI, BDA und DIHT ist imposant. Zweifellos ist es ein Symbol für Lobby-Power. Aber Spitzenverbände sind wie große Volksparteien — und ebenso schwer zu führen und auf ein gemeinsames Programm zu vereinigen. Und die meisten Verbandsgeschäftsstellen in Berlin sind mit vielen anderen Organisationen, Dienstleistern und Unternehmen in nüchternen Bürokomplexen untergebracht, wo relativ wenige Mitarbeiter relativ viel Arbeit auf relativ kleinem Raum leisten müssen.

Auch dort, wo in Berlin bewusst für Repräsentationszwecke in Architektur und Drumherum investiert wurde, sind Fassade und angemieteter Partyservice oft eindrucksvoller als die Personalausstattung. Und wer gar nicht in Berlin sitzt, wird sein Verbandsgebäude ohnehin nicht zum Symbol der Lobbyherrlichkeit aufbauschen wollen.

Die Wirklichkeit kleiner Branchenverbände

Zufällig greifen wir uns eine laufende Nummer heraus, 1.241 auf Seite 387: „Gütegemeinschaft Handbetätigte Geräte zur Brandbekämpfungs-Instandhaltungs-Richtlinien und Fachlehrgänge e.V.“, Sitz Würzburg. Allein der Name dieser fachlich höchst sinnvollen Vereinigung, deren Gründungszweck und allgemeiner Tätigkeitsfokus hier nicht recherchiert werden soll, suggeriert das Gegenteil des Lobbyklischees. Schon der Sitz im idyllischen Franken setzt ein Fragezeichen hinter das Lobbying. Und was soll das mit der „Gütegemeinschaft“?

Der registrierte Verband mit der Nummer 1.241 besteht aus elf Mitgliedsfirmen. Sie stellen Feuerlöschgeräte her, und ihre Vereinigung kümmert sich um Güte von Handfeuerlöschern. Klingt harmlos, gemeinnützig und nicht nach Lobbying, aber wenn Sie Feuerlöscher herstellen würden, dann hätten Sie ein großes Interesse an Bauvorschriften und Sicherheitsstandards, an allen technischen Fragen bei Löschgeräten, denn solche Geräte brauchen eine Zulassung von den Innenministern. Welche Löschfüllung für welchen Brand, wie oft muss wie neu befüllt werden, wie wird die Füllung vorgenommen, welche Größen sind gefordert, wie sehen Pflichtschulungen für diese Geräte aus? In jedem Betrieb, jedem öffentlichen Gebäude, in öffentlichen Fahrzeugen hängen oder stehen die Feuerlöscher. So spielen Wartung, Normierung und Kennzeichnung eine große Rolle fürs Geschäft. Die Normierung und Qualitätskontrolle läuft seit 80 Jahren als Public-Private-Partnership über „RAL“, einst Reichs-Ausschuss für Lieferbedingungen, heute Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V. Wenn Sie RAL nicht kennen, dann vielleicht RAL-Farben auf Ihrer Zimmerfarbe aus dem Baumarkt oder den „Blauen Engel“ für umweltfreundliche Produkte — dahinter steckt immer das Institut. Der RAL ist ein Dach von über 130 „Gütegemeinschaften“, in denen in Zusammenarbeit von Herstellern, Anbietern, Verbrauchern und Behörden die Anforderungen für die jeweiligen Güte- und Prüfbestimmungen festgelegt werden.

Fazit unseres Zufallsausflugs: Brandschutz ist hoch politisch und hoch reguliert; wer sich diese Branche aussucht, arbeitet automatisch eng zusammen mit Behörden, Gesetzgeber, Normungsinstituten, privaten wie öffentlich-rechtlichen Sachversicherern, Berufsgenossenschaften und anderen Verbänden. Dafür gibt es eine ganze Anzahl verschiedenster Verbände. Feuerlöscherhersteller haben eine stattliche Zahl Gründe, sich um die rechtlichen Vorschriften für ihre Produkte und um enge Kontakte zu den staatlichen Stellen zu kümmern.

Sie tun es auch. Natürlich ist es Einflussnahme. Natürlich werden Kontakte intensiv gepflegt. Aber werden die Mitgliedsfirmen und Verbandsmanager damit automatisch zu Lobbyisten im engeren Sinne? Wie sinnvoll ist es überhaupt, von Lobbying zu sprechen, wenn die entscheidenden Normen in Quasi-Selbstregulierungsgremien der Industrie produziert werden?

Das Lobbying im engeren Sinne beginnt doch erst im Ausnahmefall, wenn die Selbstregulierung nicht mehr greift und höherrangige Vorschriften die Rahmenbedingungen des Geschäfts verändern. Dann ziehen die Würzburger auch vor die politischen Institutionen und halten ihr Plädoyer. Darum sind sie wohl auch auf der „Lobbyliste“ des Bundestages.

Was nicht in der „Lobbyliste“ steht

Man lernt also eine Menge, wenn man sich die Liste genauer ansieht, wenn man sich auf die vielen Überraschungen gefasst macht und sich die Verbreitung von Klischees verkneift. Doch zugleich ist die „Lobbyliste“ nur ein kleiner Ausschnitt aus der mehrere tausend Organisationen fassenden Verbändewelt und ein winziger aus dem rund eine halbe Million fassenden Universum der eingetragenen Vereine in Deutschland.

Eingetragen wird in der „Lobbyliste“ übrigens nur, wer von sich aus einen Antrag stellt — obwohl sich weder Rechte noch Pflichten aus der Liste ergeben. Trotzdem wird nicht jeder Verband aufgenommen. Organisationen, deren Interessenvertretung bereits auf überregionaler Basis erfolgt, werden nicht eingetragen. Gleiches gilt für angeschlossene Verbände eines bereits registrierten Dachverbandes sowie für einzelne Vereine und Einzelunternehmen. Eigentlich sollten auch keine Körperschaften öffentlichen Rechts und ihre Dachorganisationen in der Liste enthalten sein, denn das sind nach einem Bundestagsbeschluss ja keine Verbände. Aber so genau nimmt es der Bundestag auch wieder nicht.

Dass aber ein wichtiger Teil der deutschen Lobbyistenszene überhaupt nicht in der Liste geführt wird, ist wiederum ein Treppenwitz der Korporatismusge-schichte. Man findet sie dort nicht, die Lobbyisten der Unternehmen aus den Berliner Repräsentanzen und den Politik-, Kommunikations-, Rechts- und Stabsabteilungen der Corporate Headquarters. Man findet sie nicht, die Kollegen aus Agenturen, Anwaltskanzleien, Unternehmensberatungen und kleinen Consulting-Büros. Wo sind die Lobbyisten der internationalen Organisationen oder der Botschaften? Die der Vertretungen der Länder beim Bund? Allein diese Fragen zeigen, dass man die Inhalte der „Lobbyliste“ des Bundestages heute sicher nicht mehr so wie 1972 definieren würde.

Dass sie trotzdem weitergeführt wird wie eh und je, ist erklärlich. Abschaffen kann man sie wegen des Symbolgehalts kaum. Den Verbändebegriff auszudehnen, empfiehlt sich kaum. Um alle anderen, die Lobbying betreiben, aufzunehmen, bedürfte es einer klaren Definition der Tätigkeit, und das würde zahlreiche Lobbies ausschließen oder eine völlig unbrauchbare Monsterliste ergeben. Da mit dem Eintrag in der Liste kaum ein relevanter Bonus oder Malus verbunden ist, regt sich auch keiner so recht auf. Und sollte es doch zu einer gesetzlich verankerten Registrierungspflicht kommen wie von Transparency International und anderen vorgeschlagen, ist die Verbändeliste, wie wir sie heute kennen, ohnehin nur noch eine historische Fußnote.

Schließlich: Dass die Aufnahme in die Liste bis zu einem Jahr dauern kann, obwohl es nur um eine Plausibilitätsprüfung und die Eingabe einiger Namen und Kontaktdaten geht, haben schon manche Verbände erfahren müssen. Auf die „Lobbyliste“ sollte man also nicht zu viel geben. Es gibt auch Verbände, die das genauso sehen und auf den Antrag verzichten — man hat ja kaum etwas davon. Andererseits: Es tut ja nicht weh und kostet keine große Mühe.

Verbändelobby — nicht nur in Berlin

Übrigens sollte man auch nicht den Fehler machen, Verbände und Lobbying nur Berlin zuzuordnen. Nach wie vor hat der weitaus größte Teil der deutschen Verbände seinen Sitz nicht in Berlin und keinerlei Absicht, ihn dorthin zu verlegen. Sicher, einige sitzen noch dort, wo einst der Regierungssitz war, in Bonn, und arbeiten lobbyistisch mit den Restministerien. Aber der Grund, weshalb so viele Verbände nicht in Berlin sitzen, ist ein ganz einfacher: Ihr Lobbying ist entweder unbedeutend oder so aufgestellt, dass man nicht mit der ganzen Mannschaft im Regierungsviertel Berlin-Mitte sitzen muss, um es zu erledigen; oder es wäre völlig unsinnig, für die Bequemlichkeit eines sehr kleinen Lobbyistenteams die ganze Organisation an einen Ort zu verlagern, der weit weg von ihren Mitgliedern ist.

Das gilt auch und gerade für Wirtschaftsverbände. So mancher Verband fühlt sich am Rhein und Main so wohl, weil er Teil der dynamischen Unternehmensszene ist, die in den Metropolen lebt. Traurig für die einst größte Wirtschaftsstadt Europas, aber wahr: In Berlin haben die meisten Branchen wenig, was sie über die Politik hinaus interessiert. Wenn Politik aber nicht so wichtig für die meisten deutschen Verbände ist, dass sie unbedingt nach Berlin ziehen müssten, was sagt uns das dann über ihr Lobbying? Eben.

Wenn Amateure die besseren Lobbyisten sind

Für viele Verbände sitzen die wichtigsten und effektivsten Lobbyisten sowieso nicht im Verbandshaus. Ein guter Hauptgeschäftsführer eines Industrieverbandes weiß sehr genau, dass ihm weder Politiker noch Medien einen besonderen Vertrauensvorschuss geben. Denn er ist ja „nur“ Lobbyist. Darum kümmert er sich mit seinen Referenten vielleicht mehr darum, gutes Lobbying vorzubereiten und in Szene zu setzen — die eigentliche Lobbyarbeit übernehmen dann ehrenamtliche Präsidenten, Vorstände und vielleicht sogar Betriebsratsvorsitzende aus den Mitgliedsunternehmen. Glaubwürdigkeit und Fachkompetenz von Leuten, die ihr Thema leben, sind eben, Talent und Vorbereitung vorausgesetzt, in der Argumentationskraft nicht zu schlagen — daneben sieht der Hauptamtliche oft blass aus.

Erneut ist der Verbandsmanager hier Dienstleister, Türöffner, Koordinator, Organisator, Zuarbeiter, Büchsenspanner, Ausputzer im Lobbying. Er mag vorher und hinterher die Details auf Arbeitsebene mit einem politischen Gegenüber klären. Auch das ist Lobbying. Aber nach dem Motto „Chefs sprechen nur mit Chefs“, das beispielsweise auch die Mitarbeiter von Unternehmensrepräsentanzen in Berlin beachten müssen, besteht die Aufgabe der Verbandsmitarbeiter häufig darin, die Mitglieder des Verbandes zum Lobbying zu bewegen. Dass die oft nicht wollen und die schwierige politische Arbeit gern dem Verband überlassen, steht auf einem anderen Blatt.

Lobbyisten übernehmen also Spezialfunktionen in Verbänden. Setzt man Interessenvertretung mit Lobbying gleich, sind per definitionem alle Verbandsbeschäftigten Lobbyisten, denn Verbände sind zur Organisation und Vertretung von Interessen da. Aber das stimmt ja nicht. Ein Verband kann aktiv gesellschaftspolitische Anliegen und Rahmenbedingungen im Sinne seiner Organisationsziele beeinflussen wollen, aber doch nicht zum speziellen Werkzeug des Lobbying greifen.

Erst wenn er gesetzliche Rahmenbedingungen im Detail mitgestalten oder die negativen Auswirkungen gesetzlicher Rahmenbedingungen begrenzen will, muss er Lobbying betreiben. Die unspektakuläre Bereitstellung von Sachinformationen, Gespräche mit Beamten und Abgeordneten, Briefe an dieselben, die Teilnahme an Anhörungen und Gremiensitzungen, die Organisation von Betriebsbesichtigungen und Fachkonferenzen für politische Entscheidungsträger — all das ist Lobbying.

Verbände sind nicht nur Papierfabriken

Lobbying verhindert, dass Verbände als reine Papierfabriken wahrgenommen werden. Denn die mündliche und persönliche Präsentation des Anliegens, das Argumentieren und Verhandeln der politischen Advokaten ist der Kern des Lobbyings. Dahinter steht natürlich im Idealfall Recherche, Beobachtung, Strategie, aber eben auch die Willensbildung im Verband. Denn was ist ein Verbandslobbyist ohne die Sicherheit, dass das, was er sagt und vorschlägt, auch von seinen Verbandsmitgliedern mitgetragen wird? Wer gegenüber der Politik durch ein Versprechen im Obligo steht, muss liefern können — das gilt auch für Drohungen. Wer die Politik ins Visier nimmt und den Abzug drückt, sollte sicher sein, dass seine Kanone geladen ist.

Verpflichtungsfähigkeit und internes Lobbying

Aber die Verpflichtungsfähigkeit von Verbänden ihren Mitgliedern gegenüber ergibt sich nicht von allein. Dazu fehlt es häufig am Repräsentationsmonopol, an Hierarchien, Druckmitteln, an Mitgliederdichte und Organisationsgrad, an effektiver Koordinierung und Führung. Verbände sind eben demokratische Gebilde. Sie sind weder Monolithe noch Maschinen. Darum ist das, was sie an Lobbying betreiben, auch immer im Kontext der eigenen schwierigen Willensbildungsbildungsprozesse zu verstehen. Je stärker der Wettbewerb zwischen Verbänden um Mitglieder und Aufmerksamkeit wächst, desto geringer wird die Verpflichtungsfähigkeit — und das weiß auch der Adressat der Lobbyingaktivitäten.

Man kann sogar sagen: Verbände müssen sich stärker auf interne Funktionen konzentrieren, um effektive Außenwirkung zu gewährleisten. Wer Verbände nicht kennt, wird massiv unterschätzen, wie viel internes Lobbying notwendig ist, bevor externes Lobbying erfolgreich sein kann. Verbandsmanager kennen das Problem, draußen wirksam Lobbying zu entfalten, während drinnen der wachsende Zeitbedarf für interne Meinungsbildung und Entscheidungen kaum ausreicht. Der Beratungs- und Serviceaufwand nimmt eher zu, wenn man Mitglieder halten und zufrieden halten will.

Gutes Lobbying ist nur ein, aber oft nicht das beste Instrument für die eigene Profilschärfung — Medienkampagnen, Veranstaltungen, Publikationen und Dienstleistungen sind häufig besser geeignet als das unspektakuläre Lobbying, das seine Erfolge meist mit anderen teilen muss. Verbandsgeschäftsführer müssen also „ihren Laden zusammenhalten“ und ein feines Gespür für Mitgliederwünsche entwickeln. Da diese meist Lobbying und politische Kommunikation wenig bis gar nicht professionell einschätzen können, schöpfen viele Verbände gar nicht das Lobby-Potenzial aus, das sie nach Lage ihrer Ressourcen haben könnten.

Die beschränkte Autonomie

Die internen Konflikte beschränken auch die Effektivität der Verbands-Lobbyisten, die am liebsten frei von engen Direktiven als Treuhänder ihrer Interessengruppen mit viel Spielraum agieren möchten. Im Idealfall sind sie Botschafter, aber nicht Briefträger; sie sind Dienstleister, aber auch Gesandte und Diplomaten mit mal geringem, doch häufig großem Vorrat an Verhandlungsmasse, die sie eigenverantwortlich einbringen. Im Verbandskontext klappt das nicht immer. Denn der Lobbyist des Verbandes kann nur so weit gehen, wie seine Mitglieder mitzugehen bereit sind. Seine Autonomie ist beschränkt.

Zwar ist die Wirklichkeit des Lobbyings so, dass ein starker, fachlich versierter Hauptamtlicher seinen politischen Wissensvorsprung dazu nutzen kann, seine Mitglieder zu bestimmten Entscheidungen zu leiten. Er setzt Themen, Prioritäten, Arbeitspläne. Aber er ist nie davor geschützt, dass man ihm alles umwirft, Grundsatzdiskussionen anzettelt oder bis auf weiteres die Gefolgschaft verweigert. Oder die Umlage kippt, die seine neuesten Personalergänzungen, Vorhaben, Kampagnen und Beraterverträge finanzieren soll.

Viele Lobbyisten haben es leichter als die Verbandslobbyisten. Wer für einen Konzern oder nur einen Fremd-Auftraggeber Lobbying betreibt, wird viele Probleme nicht erleben. Natürlich stöhnen auch Unternehmenslobbyisten darüber, wie wenig die Zentrale von Politik versteht, dass Informationen nicht ankommen oder dass sich der Vorstand über die Lobbyziele uneinig ist.

Natürlich kritisieren auch Auftragslobbyisten von Consultancies und Anwaltskanzleien, dass der Mandant mal wieder nicht weiß, was er will, was er wollen könnte und dass das, was er vielleicht wollen würde, nicht zu haben ist. Aber die anspruchsvolle Aufgabe, Ziele und Maßnahmen durch eine Vielzahl von Gremien und Mitgliederbefindlichkeiten zu steuern und bei Ihrer Umsetzung die Disziplin aufrecht zu erhalten, ist doch bei Verbandsmanagern deutlich ausgeprägter.

Verbandsvertreter bedienen sich aus demselben Lobby-Werkzeugkasten wie andere Lobbyisten auch, ganz klar. Aber die Bedingungen für ihre Arbeit sind sehr unterschiedlich. Und es wäre sehr geholfen, wenn nicht sämtliche Verbands-tätigkeiten mit Lobbying in einen Topf geworfen würden. Denn das verstehen weder die Verbandslobbyisten noch die Verbandsmitglieder so.

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