Verbändereport AUSGABE 8 / 2005

Verbände als Schleichwerber

Versicherungswirtschaft mit höchster Einzelsumme – World Vision mit von der Partie

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In der ARD-Serie „Marienhof“ haben vor allem Interessenverbände geworben. Nach einer von der ARD Mitte September veröffentlichten Kundenaufstellung für die Jahre 2002 bis 2005 hat der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mit 208.607 Euro den höchsten Beitrag gezahlt. Dafür ließ der Verband von der Serienfigur „Corinna“ verschiedene Versicherungsfälle gesprächsweise thematisieren.

Dauerkunde im „Marienhof“ war auch der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller im Verein mit der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Beide zahlten nach Feststellungen der Wirtschaftsprüfer im Jahr 2002 173.839 Euro, um Apotheken als beratungskompe-tent darzustellen und die „Selbstmedikamentation“ zu fördern. 2004 flossen dann noch einmal knapp 100.000 Euro für dieses hehre Ziel. Selbst im laufenden Jahr wurden dem Prüfungsbericht zufolge noch einmal 46.750 Euro in das Drehbuch investiert, um fünf Apotheken-Botschaften zu platzieren, bevor die Schleichwerbung durch einen Bericht der Evangelische Presseagentur epd aufgedeckt wurde.

Von den süßen Pillen der verdeckten Werbung naschten aber nicht nur Apotheker und Arzneimittel-Hersteller, sondern auch das auf Fundraising spezialisierte Kinderhilfswerk World Vision. Die gemeinnützige Organisation überwies 2003 und 2004 nach der ARD-Liste jeweils 15.300 Euro, um ihr Konzept von Kinderpatenschaften an den ahnungslosen Zuschauer zu bringen. World Vision hatte zuvor die Zahlungen wiederholt bestritten.

Marienhof-Simpel diskutierten die „Neue soziale Marktwirtschaft“

Zu den Message-Placement-Kunden der Bavaria Film sowie der vorgeschalteten Agenturen Kultur+Werbung und H.+S. Unternehmensberatung zählte auch die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM). Gleich sieben Mal wurden Botschaften für die „Neue soziale Marktwirtschaft“ im Jahr 2002 zum Preis von 58.670 Euro in die Dialoge gemogelt. INSM-Geschäftsführer Dieter Rath erklärte gegenüber epd, dass die beauftragte Agentur versichert habe, die Kooperation werde „von der ARD uneingeschränkt mitgetragen“.

Offenbar wurden auch Mittel des Steuerzahlers in die Schleichwerbung der Bavaria Film umgeleitet. Für das Jahr 2004 stellt der Bericht nämlich fest, dass 46.750 Euro für die Idee der „Existenzgründung durch Förderung des Bundes“ gezahlt wurden. Hierzu musste die Charakter-Charge „Luna“ herhalten, die in der Soap ein Existenzgründerdarlehen für ein Fitnessstudio erhielt. „Kooperationspartner nicht bekannt“, heißt es dazu lapidar in der ARD-Clearingstelle für die Trennung von Programm und Werbung. Wer nicht fragt, darf um Antworten nicht verlegen sein.

Der den ARD-Verantwortlichen zugeleitete Prüfbericht summiert ferner die Schleichwerbefälle in der Krankenhausserie „In aller Freundschaft“ auf 43.459 Euro, bei Produktionen der Maran Film für den SWR auf 97.000 Euro und in den Produktionen der Bavaria-Tochter Colonia Media auf knapp 333.000 Euro – schnell verdientes Geld für eine kurze Fummelei am Skript. (HM)

Qualitätsfalle Schleichwerbung: Abwege und Auswege

Bericht vom Herbstforum der Initiative Qualität im Journalismus (IQ) und des Deutschen Presserates

Bei Zeitungen und Zeitschriften nimmt der Trend zur Schleichwerbung zu. Diese Entwicklung bestätigten in Berlin Experten, die beim Herbstforum der Initiative Qualität im Journalismus (IQ) und des Deutschen Presserates analysierten, inwiefern die Trennung von redaktionellen und werbenden Inhalten in Gefahr ist. IQ-Sprecher Volker Hummel nannte es eine „Qualitätsfalle“, bei der eine Unterwanderung journalistischer Inhalte drohe. Er warnte vor getarnten Produkt-Platzierungen (Product placement) als „Medienmanipulation, damit die Kasse stimmt“ und forderte Instanzen, die systematisch Fälle von Schleichwerbung recherchieren und sanktionieren müssten.

Manfred Protze vom Deutschen Presserat betonte, Schleichwerbung sei als getarnte Werbung „demütigend und unlauter“. Dabei stehe dauerhaft die Glaubwürdigkeit der Medien auf dem Spiel. Problematisch sei insbesondere, dass die Grenzen zwischen journalistischen und werbenden Inhalten immer undeutlicher würden. Auch wenn die Zahl der vom Presserat geahndeten Fälle bislang kaum zugenommen habe, bedeute dies nicht, dass Schleichwerbung bei Zeitschriften und Zeitungen kaum vorkomme. Schließlich müsse von einem großen „Dunkelfeld“ ausgegangen werden.

Der Intendant des Deutschlandradios, Ernst Elitz, wies darauf hin, in Zukunft werde es immer komplizierter zu entscheiden, welche Produkt-Platzierungen in den Medien als werbend und welche als Elemente eines natürlichen Lebensumfeldes zu gelten hätten. In jedem Fall sei deshalb mit einer wachsenden Zahl von Klagen und Gerichtsverfahren zu rechnen. Umso wichtiger seien einheitliche Qualitätsstandards für private und öffentlich-rechtliche Programmanbieter.

Jürgen Doetz, Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT), schlug ein abgestuftes Regelwerk vor, das bezahltes Product Placement für fiktionale oder unterhaltende TV-Formate erlaube. Bei Spielfilmen und Serien müssten entsprechende Hinweise im Vor- und Abspann reichen. Ähnlich verfahre man ja auch mit den Jugendschutz-Hinweisen. Für Service-Sendungen diskutiere sein Verband zurzeit entsprechende Einblendungen (Inserts), die während der Präsentation gezeigter Produkte darauf hinweisen sollten, dass es sich um von Dritten unterstützte Platzierungen handle.

Während der VPRT kommerzielle Partnerschaften jenseits originär journalistischer Formate im Wesentlichen für unproblematisch hält, ist Volker Lilienthal ganz anderer Ansicht. Der Ressortleiter von epd medien hatte den Marienhof-Skandal enthüllt und warnte, auch fiktionale Inhalte leisteten eine gesellschaftspolitische Thematisierung, seien also für so genanntes Themen-Placement interessant. Lilienthal nannte lediglich Mode- oder Koch-Sendungen als für dokumentierte Produktplatzierungen relativ unbedenklich. Aber auch eine Koch-Show trage eine große Verantwortung, wenn es um das Thema gesunde Ernährung gehe.

Wie breit Product Placement in der Branche verbreitet ist, machte der Kölner Produzent Gerhard Schmidt (Geminifilm) deutlich. Schließlich würden geeignete Verfahren bereits in studentischen Lehrbüchern erläutert. Außerdem, so argumentierte Schmidt, seien die Gewinnmargen der Branche inzwischen so knapp, dass selbst kleinste Einnahmepotenziale mobilisiert werden müssten. Weil sich die Auftraggeber unzureichend an den Herstellungskosten beteiligten, ließen sich viele Vorhaben ohne Product Placement kaum noch realisieren. Dem widersprach Hermann Eicher, Leiter der von der ARD gegen Schleichwerbung eingerichteten Clearingstelle. Er betonte, beispielsweise sei die Marienhof-Serie bei der Produktionsfirma Bavaria keinesfalls unterfinanziert gewesen. Vielmehr wären die durch Produkt- oder Themenplatzierungen erzielten Einnahmen in andere Projekte geflossen.

Der Direktor der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien, Norbert Schneider, geht davon aus, dass die Landesmedienanstalten bei der Schleichwerbung „achtzig bis neunzig Prozent“ identifizieren. Nach dem Marienhof-Skandal, so erklärte er, seien die Stichproben intensiviert, aber keine Zunahme problematischer Fälle festgestellt worden. Gegen diese Annahme sprach allerdings ein Hinweis aus dem Publikum des IQ-Herbstforums. So meldete sich eine Redakteurin des Sat.1-Frühstücksfernsehen und wies darauf hin, auf Druck der Marketingabteilung habe ihre Redaktion in der Vergangenheit zahlreiche bislang nicht beanstandete Placement-Angebote realisiert. Seit allerdings auch bei Sat.1 Fälle von Schleichwerbung bekannt seien, reagiere die Redaktion vorsichtiger: „Wir haben jetzt richtige Lücken im Programm.“

Wenn Werbekunden mehr wollen: Presse unter Druck
Auch wenn entsprechende Fälle vom Deutschen Presserat kaum häufiger als früher moniert werden: Bei Zeitungen und Zeitschriften nimmt der Trend zur Schleichwerbung zu. Diese Entwicklung bestätigten in Berlin Experten, die beim Herbstforum der Initiative Qualität im Journalismus (IQ) und des Deutschen Presserats analysierten, inwiefern die Trennung von redaktionellen und werbenden Inhalten in Gefahr ist. „Die Fälle, die uns vorgelegt werden, führen häufiger zu Rügen“, erklärte die Sprecherin des Deutschen Presserates, Dr. Ilka Desgranges. Insgesamt habe der Presserat im vergangenen Jahr 16 Fälle von Schleichwerbung im Beschwerdeausschuss behandelt.

Weil sich die Werbeeinnahmen in den vergangenen fünf Jahren etwa halbiert hätten, nehme der Druck auf die Anzeigenabteilungen zu, sagte Spiegel-Marketingleiter Christian Schlottau. Sergej Lochthofen, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen (Erfurt), prognostizierte, die wachsende Beliebtheit von Service-Seiten und die zunehmende Kreativität der Anzeigenabteilungen führe zur weiteren Aufweichung der Grenze zwischen redaktionellen und werblichen Inhalten. Lochthofen kritisierte bereits vorhandene Mischformen aus Journalismus und Public Relations: „In Zeitungen fällt das noch auf, in anderen Bereichen schon nicht mehr“, verwies er auf Seiten in Hochglanz-Frauenzeitschriften, bei denen „alles miteinander vermengt“ werde.

Clemens Bauer, Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Zeitungsverleger-verbandes und Geschäftsführer der Rheinischen Post (Düsseldorf), berichtete von einem Chefredakteur, der ihm von dem Gefühl erzählt habe, es gäbe in Deutschland mehr PR-Agenten als Journalisten. Bauer bestätigte, es existierten sowohl Angebote zu Koppelgeschäften (Anzeigen-Buchung gegen redaktionelle Erwähnung) als auch Gefälligkeits-Schleichwerbung durch Journalisten, die unkritisch in Zeitungen Testautos oder Reise-Veranstalter lobten. Dauerhaft aber beschädige beides die Glaubwürdigkeit der Presse. Thomas Voigt, Direktor Kommunikation der Otto-Group, erwähnte, auch bei der Fachpresse herrsche oft eine zu große Nähe zwischen Werbekunden und Redaktionen.

Dass häufig PR-Texte nahezu unredigiert in Zeitungen gelangen, so führten gleich mehrere Experten während der Podiumsdiskussion des IQ-Herbstforums aus, liege auch an Personalengpässen in den Redaktionen. Für die in Ziffer 7 des Pressekodex festgeschriebene Trennung von redaktionellen und werbenden Inhalten, so ergänzten Ilka Desgranges und Thomas Voigt, fehle es oft einfach am Unrechtsbewusstsein. Dies könne nur durch eine Verbesserung der Ausbildung geändert werden.

Werbung ohne Grenzen: EU-Pläne zur Deregulierung
Die von der Europäischen Union geplante Zulässigkeit von Product Placement im Fernsehen soll auf fiktionale TV-Inhalte beschränkt werden. Diesen aktuellen Stand der Pläne für die Novellierung der EU-Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ erläuterte der Sprecher der EU-Kommission, Martin Selmayr, beim Herbstforum der Initiative Qualität im Journalismus (IQ) und des Deutschen Presserats in Berlin.

Während die zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding beim Zeitungskongress des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) im September nur die Bereiche Nachrichten, Reportagen und Dokumentationen als Tabu für Product Placements erwähnte, sollen nun offenbar alle Bereiche außer Filmen und Serien von der Freigabe für kommerzielle Produkt-Präsentationen ausgeklammert werden. Unterhaltungssendungen und viele Magazinformate müssten also von kommerziellen Produktplatzierungen frei bleiben. Für fiktionale Inhalte aber gehe von transparent gemachtem Product Placement keinerlei Gefahr aus.

Martin Selmayr erklärte, der endgültige Entwurf für die Novelle der Fernsehrichtlinie werde erst im Dezember veröffentlicht. Das entsprechende Gesetz könne vom Europäischen Parlament erst in etwa eineinhalb Jahren verabschiedet werden. Selmayer bekannte offen seine Sympathie für das österreichische Modell, das Product Placement im fiktionalen Bereich zulasse. Wichtig sei nur, dass darauf hingewiesen werde und dass Produkte nicht ohne zwingenden Handlungsbezug zu prominent dargestellt würden.

Patrick von Braunmühl vom Bundesverband der Verbraucherzentralen nannte den EU-Entwurf eine „ernste Gefahr für unkontrollierte Käuflichkeit“. Kritisch äußerte sich auch Gernot Schumann, der als Direktor der schleswig-holsteinischen Landesmedienanstalt auch Europa-Beauftragter der deutschen Landesmedienanstalten ist. Er warnte, eine Aufhebung des Trennungsgebotes von redaktionellen und werblichen Inhalten sei eine Gefahr für die öffentliche Meinungsbildung. Außerdem fürchte er, dass sich die Begrenzung zulässiger Product Placements auf den fiktionalen Bereich nicht lange halten lasse. Ähnlich argumentierte der Präsident des Deutschen Rates für PR, Horst Avenarius. Problematisch an der von der EU vorgeschlagenen Regelung sei unter anderem, dass bei der Nennung von Placement-Partnern im Grunde auch nach bezahlten und unbezahlten Platzierungen unterschieden werden müsse. Volker Lilienthal, Ressortleiter von epd medien, forderte, es müsste zumindest auch jeweils die Höhe der geflossenen Geldbeträge öffentlich gemacht werden.

Allen Kritikern an den neuen EU-Plänen hielt Georgia Tornow, Generalsekretärin des Produzentenverbandes film20, entgegen, wenn sich an der aktuellen Rechtslage in Deutschland nichts ändere, drohten den Produzenten rasch Regress-ansprüche von Auftraggebern. Schließlich sei es schwierig, problematische Platzierungen zu identifizieren oder sichere Kriterien für die Zulässigkeit beim Bereitstellen von Produktionsmitteln zu entwickeln. EU-Sprecher Selmayr versprach, die neuen Regeln würden allen die Kontrolle erleichtern. Außerdem, so versicherte er zum Abschluss des IQ-Herbstforums, würde er alle in Berlin geäußerten Bedenken in den aktuellen Brüsseler Diskussionsprozess einfließen lassen.

Die Initiative Qualität im Journalismus (IQ) wird gemeinsam getragen von den Berufsverbänden der Journalisten und Verleger, den Institutionen der Medienkontrolle und -selbstkontrolle sowie von Aus- und Weiterbildungsträgern aus Journalismus und Wissenschaft.
(Quelle: Deutscher Presserat, Redaktion: Dr. Matthias Kurp)

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