Verbandszeitschriften sind zentrale Instrumente politischer Kommunikation. Durchschnittlich jeder zweite Verband verlegt ein eigenes Magazin oder ein ähnliches Format. Zeitschriften informieren, interessieren und binden. Deshalb nimmt ihre Bedeutung für die Mitgliederinformation und -bindung gerade in einer modernen Mediendemokratie weiter zu. Das bestätigt die praktische Erfahrung von Verbandsmanagern. Für die Wissenschaft war die Verbandspresse dagegen bisher ein Mauerblümchen im Schatten von Fach- und Publikumsmedien. Zu Unrecht, wie eine aktuelle Untersuchung zeigt.
Brauchen moderne Verbände noch Mitgliederzeitschriften? Ich habe gut zwei Dutzend Geschäftsführer, Pressesprecher oder Kommunikationsleiter von wichtigen deutschen Verbänden nach der Rolle ihrer Zeitschrift oder ihres Magazins in der internen Kommunikation befragt. „Flaggschiff“, „Eckpfeiler“, „zentrales Organ“, „hauptsächliches Instrument“ oder „Standbein“ lauteten einige Antworten — „der beste Weg, Förderer zu erreichen“, „unser zentrales Identifikationsmedium nach Innen“ oder „das einzige Medium, das alle Mitglieder sicher erreicht“ antworteten andere. Diese Schnellumfrage zeigt: Die Verbandspresse ist allen Unkenrufen zum Trotz lebendig, wichtig und bedeutend. Jeder zweite Verband gibt eine eigene Zeitschrift, ein Magazin oder ein vergleichbares Medium heraus. Die jährliche Gesamtauflage liegt bei möglicherweise bis zu 500 Millionen Stück. Wer deshalb annimmt, dieser bedeutende Teil der Medienlandschaft sei gut erforscht, der irrt. Die Datengrundlage ist dünn. Es gibt keine Erfassung durch eine zentrale Stelle und auch keine verbindliche Definition.
Zahlen, Daten, Fakten
Einige interessante Eckdaten habe ich im Rahmen der Arbeit an meiner Dissertationsschrift ermittelt. So ergab eine Umfrage unter etwas mehr als 4.500 Verbänden, dass die durchschnittliche Verbandszeitschrift zwischen 32 und 48 Seiten Umfang hat; häufigste Erscheinungsweise sind drei bis vier Ausgaben pro Jahr. Gut die Hälfte aller Verbandszeitschriften erscheinen mit Unterstützung eines Fachverlages. Kooperationen sind dagegen weniger beliebt: Nur etwa jeder Zehnte verlegt seine Zeitschrift gemeinsam mit anderen Organisationen. Verbände bleiben mit ihren Zeitschriften gerne selbstständig und unabhängig. Die inhaltliche, verlegerische und redaktionelle Hoheit geben sie nur sehr ungern aus der Hand. Das ist zwar wirtschaftlich oft schwer zu schaffen, aber wichtig. Schließlich verfügt rund ein Viertel der Befragten über keine anderen Print-Publikationen für die Information der Mitglieder. Die Zeitschrift ist nicht das einzige Dialoginstrument. Mitgliederveranstaltungen, Jahrestagungen und Seminare sind ebenso weit verbreitet wie Internetauftritte und E-Mail-Rundschreiben. Dabei ist und bleibt die Zeitschrift unter den schriftlichen Publikationen das wichtigste Medium. Dies belegt die bereits erwähnte Umfrage. Auf einer Skala von 1 (sehr wichtig) bis 5 (gar nicht wichtig) sollten die Befragten die Bedeutung verschiedener Instrumente einschätzen. Die Zeitschrift bekam den besten Wert (1,69) aller Antworten, knapp vor Veranstaltungen (1,71) und etwas deutlicher vor dem Internet (1,81). Newsletter sind im Vergleich relativ abgeschlagen (2,39).
Welche Aufgaben haben Verbandszeitschriften?
Die Untersuchungen haben ergeben: Eine einzige, zentrale Funktion der Verbandspresse gibt es nicht. In der Regel verfolgen die Herausgeber ein Bündel unterschiedlichster Ziele. Den Verband bekannter zu machen, das Image zu fördern und Kompetenz zu zeigen werden als die wichtigsten genannt. Zeitschriften gelten außerdem als sehr gut geeignete Instrumente, um den Mitgliedern Services anzubieten und an die Mitglieder zu appellieren. Dabei beziehen die Verbände oft und eindeutig politische Positionen — eine klare Empfehlung für einzelne Parteien lehnen sie aber in der Regel ab. Sie wollen als ehrliche und ungebundene Partner wahrgenommen werden, um langfristig angelegte Beziehungen zu ihren Ansprechpartnern in Parlamenten, Verwaltungen und Ministerien aufbauen und unterhalten zu können.Geld verdient fast kein Verband mit seiner Zeitschrift. Selten trägt sich das Vertriebsmodell von sich aus. In der Regel zahlt der Herausgeber die Kosten für Redaktion und Produktion, Porto und Versand aus den Beiträgen der Mitglieder. Diese erwarten im Gegenzug den Service „ihres Magazins“. Nicht nur, weil sie sich dadurch nützliche Informationen und hilfreiche Tipps erhoffen, sondern auch aus Interesse an der Sache. Kaum jemand wird Mitglied oder bleibt dies, nur um eine Zeitschrift beziehen zu können. Aber fast jedes Mitglied will über die aktuellen Themen des Verbandes informiert sein. Nur wer Bescheid weiß, kann mitreden.
Erklären, vermitteln, diskutieren
Die Verbandszeitschrift ist zugleich mehr als eine Notwendigkeit zur Erfüllung von Informationspflichten — sie ist ein Zeichen der Wertschätzung der Mitglieder durch den Verband. Wer als Verband erfolgreich sein will, muss erklären, vermitteln, diskutieren. Aber ist dafür die Zeitschrift das geeignete Medium? Herausgeber sollten sich von dem häufig zu hörenden Abgesang auf die Zeitungen und Zeitschriften als Informationsquelle gerade für jüngere Zielgruppen nicht beirren lassen. Die Verbandszeitschrift hat trotz — oder gerade wegen — ihrer begrenzten Themenfelder und der oft geringen Finanzausstattung eine Zukunft. Dafür gibt es zwei gute Gründe: Erstens sind Verbandszeitschriften zu einem weit geringeren Teil als die Publikumspresse von Anzeigenerlösen abhängig. Verbandszeitschriften sollen den Raum und Rahmen bieten, um bei Bedarf auch kontroverse Themen von allen Seiten zu beleuchten. Sie berichten umfassend über die vom Verband besetzten Themen. Das interessiert Werbetreibende oft nur wenig — die Mitglieder dafür aber umso mehr. Zweitens ist die Zeitungskrise keine Krise der kostenfreien Publikationen. Der Markt für Unternehmenszeitschriften und Kundenmagazine boomt seit Jahren. Studien belegen, dass fast jeder zweite Leser aktiv auf Dialogangebote in Kundenmagazinen reagiert. Bei gut gemachten Kundenmagazinen beträgt die durchschnittliche Lesedauer 25 Minuten. Bei gut gemachten Verbandszeitschriften dürfte der Wert noch deutlich höher sein — und damit die meisten Publikumszeitschriften übertreffen.
Erwartung der Mitglieder
Die Mitglieder sind die wichtigste Zielgruppe der Verbandszeitschriften. Journalisten, Politiker, andere Verbandsfunktionäre oder auch Anzeigenkunden folgen weit abgeschlagen. Diese Gruppen bekommen die Zeitschrift nur dann ebenfalls kostenlos, wenn der herausgebende Verband sie zum politischen Umfeld zählt und auf ihre Meinung Wert legt. Diese Konzentration ist einerseits sinnvoll und hilfreich. Andererseits ergeben sich daraus auch neue Herausforderungen. Denn die Mitglieder erwarten mehr von „ihrem Verbandsmagazin“ als vor fünf oder zehn Jahren. Grafisch und journalistisch dröge Verkündungsorgane, die in seitenlangen Texten Gremienberichte wiedergeben, finden kaum Leser. Die Verbandszeitschriften konkurrieren mit den Blättern am Kiosk, aber auch mit Internet, TV und anderen Medien um die Aufmerksamkeit der Leser. Deshalb sind Qualität und Aktualität wichtig. Die bereits angeführte Untersuchung hat ergeben, dass die Herausgeber von Verbandszeitschriften diesen Anspruch kennen — und mit der Qualität ihrer Blätter überwiegend zufrieden sind. Die oftmals kritische Außensicht auf die Verbandspresse entspricht nicht der Eigenwahrnehmung. Auf einer Schulnotenskala von sehr gut bis mangelhaft überwiegen gute Noten, etwa bei der Einschätzung von Redaktion (Durchschnitt 2,11) und Texten (2,02) sowie zur Aktualität (2,1) und zur Gestaltung (2,33). Mit dem wirtschaftlichen Aufwand sind die Befragten dagegen weniger zufrieden (Durchschnittsnote 2,6). Auch den Arbeitsaufwand wollen die Verbände gerne reduzieren. Die Durchschnittsnote liegt hier bei 2,46.
Trotz aller Kritik, der unzweifelhaft vorhandenen Schwierigkeiten und der Diskussion um elektronische Alternativen: Die Verbände sind mit ihrem Produkt Verbandszeitschrift, seiner Qualität und der politisch-kommunikativen Wirkung zufrieden. Drei Viertel aller Befragten geben dem eigenen Blatt in puncto „Qualität der Zeitschrift insgesamt“ die Note sehr gut oder gut. Ähnlich positiv wird die Wirkung der Verbandszeitschrift auf das Image des Verbandes eingeschätzt. Allerdings ist damit weniger das „Image“ gemeint, wie es das moderne Unternehmensmarketing beschreibt. Vielmehr zielen die Verbände vorrangig auf das Ansehen bei den Mitgliedern ab. Wie bereits gezeigt: Zu den vorrangigen Zielen gehört es, zu informieren, Dialoge anzustoßen, Kompetenz zu zeigen und die Leistungen des Verbandes ins rechte Licht zu rücken.
Es gibt keine „typische“ Verbandszeitschrift
Fassen wir kurz zusammen: Eine Verbandszeitschrift wird immer von einem Verband herausgegeben und erscheint in regelmäßigen Abständen. So viel steht fest. Schon beim Format gibt es keine einheitlichen Regeln mehr. Sie kann auch als Magazin oder wie eine Zeitung gestaltet sein. Inhaltlich ähneln Verbandszeitschriften den ihnen verwandten Fach-, Mitglieder- und Kundenzeitschriften. Zu den Adressaten einer Verbandszeitschrift zählen vor allem die Mitglieder. Deren regelmäßige Information ist wichtiger als etwa die Aktualität der Berichterstattung oder inhaltliche Vielfalt. Das unterscheidet die Verbandspresse von anderen Mediengattungen.
Ich habe für meine Dissertation eine ganze Reihe Macher von Verbandszeitschriften gesprochen — und bin dabei auf ebenso viele Gegensätze wie Gesprächspartner gestoßen. Einige Beispiele: Während der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie sein zuvor recht altbackenes Blatt erfolgreich erneuert hat, wurde der etablierte „Arbeitgeber“ von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände eingestellt. Der Zentralrat der Juden hält sich in der Redaktion der Jüdischen Allgemeinen weitgehend zurück — der Geschäftsführer des Bundes Katholischer Unternehmer schreibt dagegen den größten Teil der Texte selber. Amnesty international will vor allem aktive Unterstützer erreichen, der Arbeiter Samariter Bund vor allem passive Mitglieder aktivieren und Unicef Spender binden. Die Humboldt-Stiftung setzt auf Mehrsprachigkeit, der NAV-Virchow-Bund auf eine Fachzeitschrift, die Rheumaliga auf Hilfe zur Selbsthilfe. Die Wirtschaftsprüferkammer bietet monothematische Sachinformationen — der dbb-Beamtenbund setzt auf einen zentralen Mantel kombiniert mit individualisierten Inhalten für einen zentralen Mantel. Das sind nur einige Beispiele aus der unfassbaren Vielfalt der zahlreichen verschiedenen Titel der Gattung „Verbandszeitschrift“. Dieser Teil der Medienlandschaft lebt, und zwar höchst aktiv. Mehr als zehntausend Verbände verlegen ein eigenes Mitglieder- oder Verbandsmagazin. Jeden Monat werden Millionen von Verbandszeitschriften produziert und verteilt. Verbandsmanager schätzen die eigene Zeitschrift als zentralen Baustein der Mitgliederkommunikation. Denn: Wer als Verband erfolgreich sein will, muss erklären, vermitteln, diskutieren. Kommunikation ist für politische Organisationen ähnlich bedeutend wie das Marketing und der Vertrieb für Unternehmen. Verbandszeitschriften sind hierfür unverzichtbar. Sie zeigen, was der Verband kann. Sie informieren darüber, was der Verband leistet. Und sie binden die Mitglieder. Die Verbandspresse ist ein schlafender Riese am Beginn einer Professionalisierungs- und Modernisierungswelle.