Verbändereport AUSGABE 7 / 2002

Was Verbände durch Kommunikationskampagnen erreichen können

„besser bremsen- Eine Kampagne für Motorradfahrer

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Ausgangslage und Aufgabenstellung: Obwohl Antiblockiersysteme zur Unfallvermeidung für Motorräder noch erheblich wichtiger sind als für Autos und obwohl sie in Deutschland seit 1988 angeboten werden, sind heute erst fünf Prozent der Maschinen damit ausgestattet. Nach Erkenntnissen des Instituts für Fahrzeugsicherheit im GDV (München) könnten in Deutschland mehr als 70 Getötete und mehr als 3000 Verletzte pro Jahr vermieden werden, wenn alle Motorräder mit ABS ausgerüstet wären.

Die Zahlen stehen nicht nur für vermeidbares menschliches Leid, sie sind für die Versicherungsgesellschaften auch eine große finanzielle Belastung. Gemäß seinem satzungsgemäßen Auftrag, Schadenverhütung zu betreiben, hat sich der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft deshalb des Problems angenommen und der Dr. Koch Consulting GmbH im Februar 2001 den Auftrag erteilt, eine Kommunikationskampagne zu entwickeln. Diese soll dem Ziel dienen, die Motorradhersteller zu veranlassen, ABS-Systeme in größerem Umfang in ihren Modellen anzubieten.

Problemstellung

Die Problemanalyse förderte folgenden Grundkonflikt zutage:

Die Hersteller bieten kein ABS  an mit der Begründung, die Kunden akzeptierten dies (oder die erhobenen Aufpreise) nicht. Zwei Hersteller (Suzuki und Kawasaki) haben sich in der Vergangenheit sogar entschieden, Modelle mit optional erhältlichen ABS-Bremsen wegen zu geringer Verkäufe wieder vom Markt zu nehmen.

Die Motorradfahrer fragen ABS nicht nach, da sie regelmäßig ihr eigenes Fahrkönnen überschätzen. Auch ist ABS nicht positiv wert besetzt und hat somit keinen Imagewert. Hinzu kommen Wissensdefizite.

Eine vertiefte Analyse ergab eine Mitverantwortung der Motorradfachpresse, da die meisten Zeitschriften viele Jahre das ABS negativ dargestellt haben. Einerseits wurden häufig die zweifellos vorhandenen „Kinderkrankheiten“ der ersten Anlagen herausgestrichen, andererseits wurde mit hochqualifizierten Testfahrern auf abgesperrten Strecken versucht, ohne ABS bessere Resultate (kürzere Bremswege) zu erzielen als mit ABS Systemen.

Planung

Für die Planung der Kampagne stellten sich drei Alternativen:

1.      Einwirken auf die Hersteller, um über öffentlichen Druck eine Änderung der Geschäftspolitik zu erzielen

2.      Einwirken auf die Motorradfahrer, um sie zum Kauf von ABS Systemen anzuregen

3.      Einwirken auf den Gesetzgeber, um eine ABS Pflicht für neue Motorräder zu erreichen

Der Abwägungsprozess mit allen diskutierten Vor- und Nachteilen der unterschiedlichen Ansätze kann hier nicht wiedergegeben werden, lediglich das Ergebnis. Es wurde entschieden, motorradfahrerorientiert zu arbeiten, da dies den besten und schnellsten Erfolg versprach. Für die Kampagne wurde deshalb folgende Strategie entwickelt: über eine Stimulierung der Nachfrage direkt und durch Änderung der Position der Fachpresse indirekt soll die Industrie Anreize bekommen und gleichzeitig unter Druck gesetzt werden, mehr Motorräder mit ABS anzubieten.   Dazu wurden die folgenden Zielgruppen identifiziert:

·         Journalisten der Motorrad-Fachpresse

·         Auto- und Motorradjournalisten der allgemeinen Presse

·         Multiplikatoren der Sicherheitsprogramme

·         Sicherheitsorientierte Motorradfahrer

·         Motorradfahrer

Als Teilziele zur Erreichung des oben genannten Hauptzieles wurden formuliert:

·         Änderung der ABS bezogenen Berichterstattung in der Fach- und Tagespresse

·         Integration ABS bezogener Elemente in die vorhandenen Sicherheitsprogramme

·         Information der Motorradfahrer über die Probleme der Motorradbremsung und die Vorteile von ABS

·         Erhöhen der Akzeptanz von ABS bei den Motorradfahrern

·         Schaffen von Nachfragedruck gegenüber Motorradhandel und Motorradindustrie

·         Aufhebung  bestehender Hemmnisse in Verordnungen und Richtlinien, bspw. bezüglich der Fahrschulausbildung und Fahrerlaubnisprüfung.

Umsetzung

Um der Kampagne die nötige Durchschlagskraft zu verleihen und Kontakt zur Zielgruppe Motorradfahrer zu bekommen, wurden zu Beginn der Planung geeignete Partner gesucht, für die die Erreichung der genannten Ziele ebenso wichtig ist. Nach eingehenden Sondierungen und Verhandlungen wurden mit dem Allgemeinen Deutschen Automobilclub (ADAC), dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) und der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände (BVF)  Kooperationsvereinbarungen getroffen, mit letzteren erst ab 2002. Für die drei genannten Verbände sind die aufgeführten Ziele satzungsgemäße Verbandszwecke. Zur Erreichung des politischen Teilziels und zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit und Akzeptanz wurde ein enger Kontakt zum Bundesverkehrsministerium gesucht. Auf Bitte der Planer übernahm der  Bundesminister für Verkehr, Kurt Bodewig, die Schirmherrschaft, Beamte seines Ministeriums wurden in die Kampagne eingebunden.

Die praktische Umsetzung erfolgte nach einem integrierten Konzept multimedial. Den Auftakt bildete ein Fachsymposium am 21. Mai 2001. Damit wurden die Zielgruppen Journalisten (Fach- und Tagespresse), ADAC -Sicherheitstrainer, Instruktoren und Moderatoren, Fahrlehrer, Motorradhändler und Motorradindustrie erreicht.

Hochkompetente Referenten vermittelten die neuesten Erkenntnisse der Motorradunfallforschung und leiteten die Notwendigkeit von ABS überzeugend ab. Die Medienberichterstattung war sehr breit und ausnahmslos positiv.

Während der gesamten Motorradsaison 2001 wurde die Kampagne doppelgleisig weitergeführt. In den ADAC Motorrad-Sicherheitstrainings setzten die Moderatoren einen inhaltlichen Schwerpunkt auf ABS. Dazu dienten das Kampagnenvideo und eine speziell erstellte Informationsmappe. Auch wurden die Moderatoren in Fachseminaren von Experten des GDV einschlägig geschult. Das Video wurde zusätzlich geeigneten Fernsehanstalten angeboten und erfreulich häufig gesendet. Eine Endverbraucheransprache erfolgte auf einem Aktionsstand des GDV auf der IAA in Frankfurt im September 2001.

Neben der Wissensvermittlung wurde als Anreiz ein Gewinnsspiel angeboten. Die Teilnehmer der Sicherheitstrainings konnten sich an einem Quiz beteiligen, wenn sie bereit waren, knifflige Fragen zum Thema Motorradbremsen in einem Leporello zu beantworten und die Antwortkarte einzusenden. Acht ausgeloste Gewinner wurden zur Motorshow nach Essen eingeladen. Sie nahmen dort auf dem Messestand der Kampagne an einer Quizshow und einer fahrpraktischen Ausscheidung auf einem Fahrsimulator teil. Der Gewinner erhielt ein nagelneues Motorrad mit ABS.

Die Kampagne 2002 wurde am 6. März in Dortmund aus Anlass der Eröffnung der Messe „ Motorräder 2002“ in einer kombinierten Fachveranstaltung und Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Zusätzlich zu den Elementen des Vorjahres (Umsetzung in den ADAC Sicherheitstrainings) und Gewinnspiel mit Quizleporello erfolgt in 2002 eine Umsetzung in den Fahrschulen. Auch gibt es zur Intensivierung der fachlichen Diskussion eine Broschüre mit dem Titel: „Besser Bremsen. Mehr Sicherheit durch moderne Bremstechnik. Ein Leitfaden für Motorradfahrer“, die auf Anfrage über ein Postfach kostenlos abgegeben wird und einen neuen Film, wiederum für den Einsatz bei Trainings- und in Fahrschulen. Teilnehmende Fahrlehrer und Moderatoren wurden fachlich in einem Seminar geschult.

Um die Botschaft stärker zu verbreitern und gleichzeitig die Zielerreichung zu fördern, wurde der Internetauftritt der Kampagne deutlich intensiviert und aktiver gestaltet, unter anderem durch  Diskussionsforen und einen „newsletter“. Dazu wurde neben der eigenen Homepage unter www.besser-bremsen.de eine Kooperation mit dem führenden Internetanbieter im Motorradbereich „motorrad.net“ vereinbart. Auch eine online Teilnahme am Kampagnenquiz ist möglich.

Evaluation

Eine formale Evaluation der Ergebnisse der Kampagne ist nicht möglich, zum einen, da es an harten Kriterien, zum anderen an Vergleichswerten fehlt. Allerdings können eine Reihe sehr positiver Ergebnisse berichtet werden.

So ist es gelungen, die Einstellung der Motorradfachpresse zum ABS vollständig zu ändern. Nicht nur haben alle Fachzeitschriften ausführlich und positiv über die Kampagne und ihre Ziele berichtet, die führenden Titel bekennen sich in Umkehrung ihrer bisherigen Position eindeutig zum ABS. Drei Chefredakteure haben sich das Thema in ihren Editorials zu eigen gemacht, an die Industrie appelliert, mehr ABS anzubieten und den Motorradfahren empfohlen, dies beim Neukauf ihrer Maschinen nachzufragen. Europas größte Motorradzeitung  „Motorrad“ hat sogar die eigenen Testkriterien überarbeitet und vergibt für ABS Sonderpunkte.

Der Gesetzgeber hat reagiert und erlaubt den Einsatz von ABS, entgegen früheren Regelungen, jetzt in allen technischen Varianten in der Fahrschülerausbildung und in der Fahrerlaubnisprüfung.

Bei den Motorradfahrern zeigen sich erste qualitative Einstellungsänderungen in den Beiträgen in den Internet-Diskussionsforen, quantitative in einer repräsentativen  Befragung, die von der Hagstotz Marktforschung (Pforzheim) durchgeführt wurde. Darin stimmen 75 Prozent der interviewten Motorradfahrer dem Statement zu, „ein neues Motorrad braucht ein ABS“.

Besonders bemerkenswert ist, dass die Motorradindustrie, die über ihren Verband eine ablehnende Haltung bezieht, auf der Produktseite anfängt, positiv zu reagieren. Waren zu Beginn der Kampagne Motorräder mit ABS nur bei BMW und Honda im Programm, zeigten auf der weltgrößten Motorradausstellung, der INTERMOT München, im September 2002 auch Peugeot, Yamaha und Ducati neue ABS-Motorräder bzw. Roller.

Durch die Medienpräsenz der Kampagne ist das politische Interesse der Europäischen Kommission geweckt worden. Die EU-Kommission, die die Zahl der Verkehrstoten in Europa in den nächsten zehn Jahren halbieren will, hat Interesse an einer Kooperation signalisiert und evaluiert das Thema derzeit. Sie tritt im Februar 2003 bei einem internationalen Symposium mit dem Titel: „Motorradbremsen der Zukunft- Herausforderung und Verantwortung“, das im Rahmen der Kampagne veranstaltet wird, als Partner auf.

Zusammenfassung

Ein wichtiges Verbandsziel soll mit kommunikativen Mittel gelöst werden. Mit der entwickelten Kampagne ist es schon in den ersten eineinhalb Jahren gelungen, den Widerspruch zwischen Angebots- und Nachfragemangel aufzubrechen, indem die Motorradfachpresse für das Thema gewonnen werden konnte. Bei den Motorradfahrern zeigen sich deutliche Einstellungsänderungen im Sinne der Kampagnenziele, die Industrie reagiert mit neuen Produkten wie angestrebt. Die weitere Entwicklung wird positiv erwartet, da die  Kampagne in der Motorradszene intensiv diskutiert und von allen wichtigen Einflussträgern positiv gewertet wird. Der begonnene politische Dialog mit der Bundesregierung und der EU Kommission und der damit verbundene politische Einfluss wird helfen, das Erreichte in der Zukunft abzusichern.

Schlüsselfaktor für den bisherigen Erfolg und die weiter in sehr positiven Aussichten war und ist die Allianz zwischen den völlig unterschiedlich strukturierten und in unterschiedlichen Bereichen tätigen beteiligten Verbänden. Die Bildung der Allianz war möglich, da die Schnittmenge an gemeinsamen Interessen in der einen speziellen Sachfrage groß genug war und die Form der Kooperation unterschiedliche Beiträge bei gleichzeitig bestehen bleibender Eigenständigkeit und Unabhängigkeit ermöglichte.

 

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