Mitgliederzufriedenheit wird als Schlüsselelement für den Verbandserfolg angesehen angesehen. Jeder glaubt, ein intuitives Verständnis von Mitgliederzufriedenheit zu besitzen. Gleichwohl bietet ein so komplexes Geschehen wie die Ausbildung von Mitgliederzufriedenheit Überraschendes und auch regelrechte Paradoxien.
Wann sind Mitglieder zufrieden?
Die Antwort, Mitglieder seien mit ihrem Verbänden zufrieden, wenn diese ihre Erwartungen erfüllen, ist nahe liegend, doch falsch.
Für diese Annahme spricht zwar die Tatsache, dass bei dem jährlichen Kundenzufriedenheits-Barometer der Discounter Aldi regelmäßig Spitzenplätze belegt, weil er seinen Kunden eine nahezu kongruente Deckung von Erwartungen und Erfüllung dieser Erwartungen bietet.
Dass dieses Modell dennoch oftmals zu kurz greift, zeigt folgende Überlegung: Wenn aufgrund langjähriger Erfahrungen die Erwartungen an die Leistungsfähigkeit des Verbandes bereits herabgeschraubt worden sind, dann wird ein beschränktes Leistungsspektrum eben diese Erwartungen erfüllen, bietet also keine Überraschungen. Gleichwohl dürften die Mitglieder mit der Leistung ihres Verbandes wenig zufrieden sein.
Mitgliedererwartungen
Es kommt daher entscheidend auf die Feststellung an, ob die Mitgliedererwartungen dem aktuellen oder potentiellen Leistungsvermögen des Verbandes adäquat sind. Überschätzungen sind hier genauso schädlich wie Unterschätzungen.
Aufgabe des Verbandes als Akteur ist es daher, diejenigen Leistungserwartungen zu wecken, die berechtigterweise an den Verband gestellt werden können.
„Denen in Berlin mal zu zeigen, wo es langgeht!“ ist ein Beispiel für unangemessene Erwartungen an den Verband. Vergleichbare Fälle lassen sich im Bereich der Tarifpolitik, der allgemeinen Bürokratieverdrossenheit und in der Debatte um den Standort Deutschland finden. Solche Erwartungen darf eine verantwortliche Verbandsleitung nicht als naturgegeben hinnehmen, sondern muss auf ihre realistische Ausrichtung hinwirken. Dies muss explizit erfolgen und immer wieder neu kommuniziert werden. Jahrestagungen, Mitgliedergespräche und Imagebroschüren des Verbandes sind hierfür mögliche Mittel.
Daher sollten auch Mitgliederbefragungen nicht blindlings dazu führen, den empirisch abgefragten Befund in die Praxis umzusetzen, sondern es muss zunächst kritisch die Frage geklärt werden, ob die Erwartungen selbst nicht re-adjustiert werden müssen, um eine nachhaltige Zufriedenheit sicherstellen zu können.
Das Zufriedenheitsparadox
Vor übereilten Einzelaktionen ist zu warnen. Ansonsten kann folgendes Paradox auftreten:
Der Verband verbessert sein Leistungsspektrum und bewirbt die neuen Leistungen bei seinen Mitgliedern. Naiv betrachtet müsste dies zu einem höheren Zufriedenheitsprofil führen. Es kann aber auch das genaue Gegenteil eintreten. Werden im Rahmen der Reorganisationsbemühungen des Verbandes nämlich zugleich die Erwartungen der Mitglieder gesteigert, so stellt sich eine neue Erwartungshaltung ein. Die Mitglieder erwarten einfach mehr von dem Verband, insbesondere dann, wenn die Reorganisation mit höheren Beitragsleistungen einhergeht. Steigt die Leistung des Verbandes danach nur um denselben Faktor wie die neuen Erwartungen (Anforderungen), dann pegelt sich unter dem Strich das gleiche Zufriedenheitsniveau wieder ein.
Das Erwartungsniveau ist also keine konstante Größe, sondern wird durch eine Reihe von Faktoren beeinflusst. Dies können Umwelteinflüsse (exogene Faktoren) oder innerverbandliche Gegebenheiten sein (endogene Faktoren).
Exogene Faktoren können beispielsweise Vergleiche sein, die Mitglieder mit dem Leistungsspektrum benachbarter Verbände anstellen. Endogene Faktoren können veränderte Erwartungshaltungen aufgrund einer innerverbandlichen Reorganisationsdebatte sein.
Für eine sachangemessene Steuerung des Erwartungswandels kann hier als Richtschnur das Wahlkampfargument von Kanzler Schröder aus dem Jahre 1998 dienen: „Wir wollen nicht alles anders machen, aber manches besser.“
Leistungs- und Begeisterungsfaktoren
Wichtig ist die Erkenntnis, dass es neben den Basis- und Leistungsfaktoren letztlich die so genannten ‚Begeisterungsfaktoren’ sind, die erheblich zur Mitgliederzufriedenheit beitragen. Was ist darunter zu verstehen? Am Beispiel eines Arbeitgeberverbandes sei dies verdeutlicht. Hier zählen zu den Basisfaktoren in der Regel die Tarifgebundenheit der Mitglieder und ihre arbeitsrechtliche Vertretung. Diese müssen also nicht innerhalb des Unternehmens Tarifverträge über Arbeitsbedingungen und Entgelte aushandeln. Solche Basisfaktoren werden als selbstverständlich vorausgesetzt und sind den Mitgliedern oftmals nicht einmal bewusst. Umgekehrt bedeutet dies, dass das Vorliegen der Basisfaktoren noch nicht die Mitgliederzufriedenheit bestätigen kann.
Anders verhält es sich bei den Leistungsfaktoren. Zu den Leistungsfaktoren zählen in diesem Beispiel die Ergebnisse der Tarifrunden, also die Einschätzung des Verhandlungserfolgs oder das Geschick des Verbandes bei arbeitsgerichtlichen Prozessen. Dies wird von jedem Mitglied erwartet – die Erfüllung dieser Erwartungen bietet also keine Überraschung. Leistung und Gegenleistung stehen insoweit idealer Weise im Gleichgewicht. Die Wissenschaft nimmt insoweit einen linearen Zusammenhang zwischen Leistungsfaktoren und Mitgliederzufriedenheit an.
Begeisterungsfaktoren wohnt dagegen ein Überraschungsmoment inne. Sie werden von den Mitgliedern generell nicht erwartet, dafür aber umso zufriedener zur Kenntnis genommen. Es handelt sich hierbei entweder um die Umstände der Leistungserbringung (besonders schnell, besonders qualifiziert, besonders individuell) oder um kleine Zusatzleistungen, die nicht dem üblichen Standard entsprechen. Dies bedeutet: Das Nichtvorliegen von Begeisterungsfaktoren senkt im Allgemeinen nicht die Mitgliederzufriedenheit. Nimmt das Mitglied solche Leistungen allerdings wahr, wächst die Zufriedenheit überproportional an wie Studien aus der Kundenzufriedenheitsforschung belegen.
Die Grafik zeigt vereinfacht den theoretisch postulierten Zusammenhang. Konfirmationsniveau meint in der vorstehenden Grafik dasjenige Niveau, das der generellen Erwartungshaltung der Mitglieder gerade noch entspricht. Bei Erfüllung des Konfirmationsniveaus bleibt die Mitgliederloyalität erhalten, wird aber nicht gesteigert und ist in besonderem Maße krisenanfällig.
Anknüpfungsphasen der Mitgliederzufriedenheit
Mitgliederzufriedenheit wird der Verband üblicherweise innerhalb bestehender Mitgliedschaften erzeugen oder verlieren. Dabei sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass bereits in der Phase der Mitgliederakquisition wichtige Weichenstellungen für die spätere Mitgliederzufriedenheit erfolgen können. Das gleiche gilt für die Behandlung von Beschwerden oder das Bemühen um den Wiedereintritt bei Mitgliedskündigungen.
So kann die individuelle Ansprache in einem Werbeschreiben durch den Präsidenten bereits ein solcher Begeisterungsfaktor sein. Die prompte Reaktion auf eine Beschwerde und das ernsthafte Bemühen, den Gegenstand der Beschwerde auszuräumen, können ebenfalls solche unerwarteten Gesten sein. Auch Aufmerksamkeiten gegenüber den Ehrenamtlichen oder den Mitgliedern von Verbandsausschüssen zählen hierzu. Warum sollte man nicht einmal den Ehepartnern der Ehrenamtlichen einen Blumenstrauß als Dankeschön dafür zukommen lassen, dass ihre Partner so viel Zeit für Verbandsangelegenheiten investieren.
Dimensionen der Zufriedenheit
Wer sich systematisch mit der Erfassung und Verbesserung von Mitgliederzufriedenheit befasst, kommt um die Aufstellung eines Inventars aller Zufriedenheitsdimensionen nicht herum. Lehrbücher zur gewerblichen Kundenzufriedenheit sind hier nur bedingt hilfreich, können aber dennoch erste Anregungen geben.
Ziel eines solchen Inventars ist die Erfassung aller gegenwärtigen und künftigen Verbandsaktivitäten und ihre Bedeutung für die Mitgliederzufriedenheit.
Das Inventar dient dann als Ausgangsbasis für eine ressourcenorientierte systematische Zufriedenheitsoffensive. Es empfiehlt sich, nach etwa einem Jahr eine empirische Untersuchung zum veränderten Zufriedenheitsprofil durchzuführen. (HM)