Das Jahr 2024 markierte für viele Verbände einen Wendepunkt in der Art und Weise, wie Veranstaltungen konzipiert und durchgeführt werden. In einer zunehmend hybriden Welt, in der physische und digitale Realitäten verschmelzen, hat sich gezeigt: Verbandsveranstaltungen sind weiterhin von zentraler Bedeutung, doch ihre Gestaltung muss sich wandeln. Die von uns befragten Entscheider*innen aus unterschiedlichsten Verbänden geben spannende Einblicke in ihre Erfahrungen, Learnings und Erwartungen für die Zukunft. Sie berichten von erfolgreichen Experimenten, neuen Herausforderungen und einem starken Fokus auf Relevanz, Teilhabe und zielgerichteter Kommunikation.

1. Hybride Formate als neuer Standard
Die am häufigsten genannte Entwicklung ist die Etablierung hybrider Veranstaltungsformate. Viele Verbände haben sich darauf eingestellt, dass weder reine Online- noch ausschließlich präsente Formate den heutigen Anforderungen gerecht werden. Hybride Veranstaltungen bieten Flexibilität, Reichweite und Beteiligungsmöglichkeiten – ein Dreiklang, der besonders im Jahr 2024 an Bedeutung gewonnen hat.
Interessant ist dabei, dass hybride Formate nicht nur als Kompromiss gesehen werden, sondern aktiv neue Möglichkeiten für Interaktion und Inklusion schaffen. Insbesondere internationale Veranstaltungen profitieren von digitalen Komponenten, z. B. durch Simultanübersetzungen via KI oder automatisierte Moderation.
„Wir bieten unsere Arbeitskreise mittlerweile generell hybrid an, was die Teilnehmerzahl grundsätzlich erhöht hat.”
Dr. Elmar Witten - Geschäftsführer AVG – Industrievereinigung Verstärkte Kunststoffe e. V.
„Hybrid ist selbstverständlicher geworden.”
Julia von Westerholt - Geschäftsführerin Deutscher Volkshochschul-Verband e. V.
„Ein eindeutiges Learning aus 2024 ist, dass die Anwendung von KI-Tools enorme Möglichkeiten schafft.”
Michael Steinmetz - Hauptgeschäftsführer Deutsche Aktuarvereinigung e. V. (DAV)
2. Präsenz bleibt Premium – mit neuem Fokus
Trotz aller digitalen Fortschritte haben präsente Veranstaltungen im vergangenen Jahr wieder stark an Bedeutung gewonnen. Besonders etablierte Großveranstaltungen erleben einen regelrechten Boom. Gleichzeitig zeigt sich: Präsenz muss ihren Mehrwert unter Beweis stellen.
Doch dieser Erfolg ist kein Selbstläufer. Reisezeit, Kosten und der Wunsch nach Nachhaltigkeit sorgen dafür, dass Veranstaltungen kürzer, kompakter und zielgerichteter werden müssen.
„Fachveranstaltungen in Präsenz werden gut nachgefragt, müssen aber gegenüber früheren Jahren hinsichtlich ihrer Dauer kürzer und kompakter sein.“
Dr. Elmar Witten, Geschäftsführer AVG – Industrievereinigung Verstärkte Kunststoffe e. V.
Erfolg haben jene Veranstalter, die Präsenzformate zu echten Events weiterentwickeln: mit Erlebnischarakter, Netzwerkgelegenheiten und Fokus auf menschliche Begegnung.
„Der Deutsche Hebammenkongress war erstmalig drei Monate vor Kongressbeginn für die Präsenzteilnahme vor Ort ausverkauft.”
Dirk Günther - Geschäftsführer Deutscher Hebammenverband e. V.
„Veranstaltungen müssen auch einen Event-Charakter bekommen, damit die Teilnehmer nicht nur Wissen mit nach Hause nehmen, sondern auch Erlebnisse, Erkenntnisse und ein gutes Gefühl für ‚ihren‘ Verband.”
Karin Bothe-Heinemann - Hauptgeschäftsführerin Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau e. V.
3. Interaktive Formate statt Frontalbeschallung
Ein klares Signal aus den Befragungen: Die Zeit der klassischen PowerPoint-Präsentationen im Einbahnstraßenformat ist vorbei. Mitglieder wollen beteiligt werden. Interaktive Elemente wie Workshops, Diskussionsrunden, Barcamps oder moderierte Thementische sorgen für echten Austausch.
Diese Entwicklung erfordert neue Kompetenzen: Moderation statt Vortrag, Facilitation statt Folien. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Technik, die diese Beteiligung auch digital ermöglicht. Tools wie digitale Whiteboards, Live-Umfragen oder Breakout-Räume gehören mittlerweile zur Grundausstattung moderner Veranstaltungen.
„Unsere Veranstaltungsformate entwickeln sich zunehmend interaktiver, um den direkten Austausch mit unseren Mitgliedern weiter zu intensivieren – Dialog und Beteiligung sind entscheidend. Auf diese Formate werden wir in Zukunft noch stärker setzen.”
Dorothee Brakmann - Hauptgeschäftsführerin Pharma Deutschland e. V.
„Die Erkenntnis aus 2024 ist, dass sich Mitglieder wieder mehr Möglichkeiten für Beteiligung und Mitgestaltung wünschen.”
Wilma Marx - Leiterin Hauptstadtbüro buildingSMART Deutschland e. V.
4. Zielgruppenfokus und Individualisierung
Veranstaltungen von der Stange funktionieren nicht mehr. Der Trend geht klar in Richtung Zielgruppendifferenzierung. Inhalte, Formate und Kommunikationswege werden zunehmend an spezifische Bedürfnisse angepasst.
Einige Verbände experimentieren bereits mit personalisierten Eventpfaden, bei denen Teilnehmende sich ihren eigenen Ablauf aus Modulen zusammenstellen können. Auch KI-gestützte Empfehlungen für Workshops oder Networking-Kontakte sind im Kommen.
„Weiterbildungsangebote müssen mehr denn je zielgruppengerecht sein.”
Dorothea Mertmann - CEO Deutsches Institut für Interne Revision e. V.
„Klarere Zielgruppenfokussierung innerhalb des Verbandes ist eines unserer Hauptziele für 2025.”
Susanne Hüsemann - Geschäftsführerin Queb | Bundesverband für Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting e. V.
5. Digitalisierung: Differenzierter Einsatz statt Euphorie
Nach dem Digitalisierungsschub der Corona-Zeit folgte 2024 die Phase der Konsolidierung. Digitale Angebote bleiben wichtig, aber nicht jedes Thema eignet sich für Online-Formate.
Ein zunehmender Trend sind niederschwellige, kurze Online-Formate, etwa zu aktuellen Gesetzesänderungen oder als Follow-up nach einem Kongress. Gleichzeitig verliert das Format „Webinar“ an Attraktivität, wenn es keine Interaktion bietet.
Digital bleibt also ergänzend wichtig, aber eben nicht länger dominierend.
„Impulsthemen kann man gut in einem Onlineformat abbilden [...] aber für echten Austausch benötigt man persönliche Formate.”
Ina Hundhausen - Hauptgeschäftsführerin Deutsche Bauchemie e. V.
„Das Interesse an Online-Angeboten ist nach unserer Wahrnehmung im Jahr 2024 deutlich zurückgegangen.”
Michael Stechert - Geschäftsstellenleiter Dachgesellschaft Deutsches Interim Management e. V. (DDIM)
6. Netzwerken als zentrales Veranstaltungsziel
Der persönliche Austausch wird in einer digitalisierten Welt umso wertvoller. Viele Verbände haben erkannt, dass Netzwerken nicht „nebenbei“ passiert, sondern bewusst ins Veranstaltungskonzept integriert werden muss.
Veranstaltungen werden bewusst so geplant, dass Raum und Zeit für Gespräche bleiben. Das reicht vom Coffee-Talk über Networking-Lounges bis zu organisierten Matching-Formaten. Gerade in unruhigen Zeiten wird dieses „soziale Kapital“ zur strategischen Ressource.
„Persönlicher Austausch und Netzwerken sind gerade in diesen unsicheren Zeiten gefragt.“
Dorothea Mertmann, CEO Deutsches Institut für Interne Revision e. V.
„Wir leben vom Miteinander, von der Kommunikation und dem persönlichen Austausch.”
Dirk Swinke - Vorstandsvorsitzender SoVD – Landesverband Niedersachsen e. V.
7. Flexibilität, Wirtschaftlichkeit und Resilienz
Die wirtschaftliche Lage vieler Mitgliedsorganisationen stellt auch die Veranstaltungsplanung vor neue Herausforderungen. Verbände reagieren mit Pragmatismus und Innovationsgeist.
Gefragt sind Formate, die schnell umsetzbar, wirtschaftlich tragfähig und thematisch aktuell sind. Neue Kooperationen, modulare Angebote und eine flexible Programmgestaltung sind die Antwort auf Unsicherheit und Ressourcenknappheit.
„Wegen sinkender Nachfrage bei zentralen Fortbildungsveranstaltungen [...] haben wir ein neues Angebot der Inhouse-Schulungen geschaffen. Wenn die Mitglieder nicht mehr zu uns kommen können, dann kommen wir zu den Mitgliedern.”
Ina Hofferberth - Geschäftsführerin Landesapothekerverband Baden-Württemberg e. V.
„Wir morphen uns schrittweise nach vorne – und das klappt ganz gut!”
Dr. Christoph Münzer - Hauptgeschäftsführer wvib Schwarzwald AG
8. Zukunft mit Haltung: Veranstaltungen als strategisches Werkzeug
Immer mehr Verbände sehen ihre Veranstaltungen nicht nur als Serviceangebot, sondern als strategisches Instrument der Positionierung. Sichtbarkeit, Themenführerschaft und politische Einflussnahme gewinnen an Bedeutung.
„Unser Ziel ist es, nicht nur dabei zu sein, sondern Impulse zu setzen und als starke Stimme der Branche gehört zu werden.“
Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin Pharma Deutschland e. V.
Diese Haltung zeigt sich auch in der Auswahl der Themen: Wachstumsthemen wie KI, Nachhaltigkeit oder Fachkräftesicherung rücken in den Fokus. Veranstaltungen werden gezielt genutzt, um Diskurse zu prägen, Mitglieder zu aktivieren und Allianzen zu schmieden.
„Workshops rund um das Thema ‚Private Versicherungen‘ und ‚Altersvorsorge‘ werden wir weiter intensivieren.”
Bianca Boss - Vorständin Bund der Versicherten e. V.
Fazit: Die Veranstaltung der Zukunft ist relevant, interaktiv und menschlich
Die Antworten der befragten Verbandsentscheider:innen machen deutlich: Die Zukunft der Verbandsveranstaltungen liegt nicht in einem bestimmten Format, sondern in der Relevanz des Angebots. Nur wer echten Mehrwert, Beteiligung und Orientierung bietet, wird seine Mitglieder langfristig erreichen.
Ob digital, hybrid oder präsent – erfolgreiche Veranstaltungen sind 2025 dialogisch, zielgruppengerecht und flexibel. Und sie schaffen genau das, was in digitalen Zeiten am wertvollsten geworden ist: Verbindungen zwischen Menschen.
(JG)