Verband & Tagung - VERBÄNDEREPORT 9 / 2019

BARCAMPS IN DER VERBANDSWELT

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Zu viel des Guten?

Seit nunmehr 13 Jahren werden Barcamps in Deutschland durchgeführt. Was anfangs als Ad-hoc-Unkonferenz vor allem in der Digitalszene ein Begriff war, gewinnt im Business-Umfeld immer mehr an Zuspruch. Daraufhin stellt sich natürlich die Frage: Ist das auf Interaktion fokussierte Veranstaltungsformat „Barcamp“ auch im Verbändekontext denkbar? Oder ist ein Event ohne Programm hier zum Scheitern verurteilt?


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Barcamp: Austausch und Lernen neu Denken

Ein Barcamp ist eine offene und partizipative Veranstaltung. Der Ablauf und die Inhalte sind frei und werden von den Teilnehmern zu Beginn der Veranstaltung festgelegt. Workshops, Vorträge, Diskussionen und Präsentationen finden hier auch spontan ihren Platz. Die besondere Atmosphäre fördert die Interaktion zwischen den Teilnehmern und ermöglicht einen intensiven Austausch. Anders als bei klassischen Event-Formaten organisieren Sie hier nur die Rahmenbedingungen, die Inhalte bringen Ihre Teilnehmenden mit. Hieraus ergeben sich direkt mehrere Vorteile:

1.    Höhere Themenrelevanz

Jeder Barcamp-Tag beginnt mit einer Vorstellungsrunde und einem Session-Pitch. Die Teilnehmer stellen sich unter Nennung von Namen, Organisation und drei sogenannten „Hashtags“ vor. Diese beschreiben ihre wesentlichen Interessen während des Barcamps. Im darauffolgenden Session-Pitch können alle Anwesenden Themen anbieten oder erfragen. Dann wird abgestimmt, ob diese Themen auch für andere interessant sind. Wenn ja, findet die vorgeschlagene Session statt. Der Zeitplan für den Tag ergibt sich also morgens im gemeinsamen Pitch. Da die Themen nicht bereits im Vorfeld festgelegt sind, besteht auch die Möglichkeit, zu aktuellen Sachverhalten spontan zu diskutieren.

2.    Authentischer Austausch auf ­Augenhöhe

Das Barcamp-Format macht neben Vorträgen auch Austauschrunden, kurze Impulse mit anschließender Diskussion oder Workshops möglich. Die freie und offene Auswahl des Session-Formats senkt die Hürde, eigene Beiträge anzubieten, und ermutigt zu spontanen Diskussionsrunden zwischen Experten, Interessierten und von einem Thema Betroffenen. Wenn ein Teilnehmer ein Thema im Session-Pitch vermisst, kann er einfach danach fragen. Es ist grundsätzlich erlaubt, nicht nur Wissen, sondern auch eigene Fragen und Herausforderungen einzubringen.

3.    Familiäre und vertrauenswürdige Atmosphäre

Die Vorstellungsrunde und das gemeinsame Erstellen des Programms im Session-Pitch wirken als Eisbrecher. Die Teilnehmenden lernen sich hierbei schneller und besser kennen, als das bei klassischen Konferenzen der Fall ist. Durch die Hashtags aus der Vorstellungsrunde ist es für sie einfach, zu anderen Teilnehmenden mit ähnlichen Interessen und Tätigkeitsfeldern Kontakt aufzunehmen. So entsteht eine vertraute Atmosphäre im Gegensatz zu vielen Konferenzen, die sich im Vergleich fast anonym anfühlen.

4.    Intensiverer Wissenstransfer

Das Barcamp-Format begünstigt spontane Beiträge, die es Teilnehmenden erlauben, eigene Erfahrungswerte zu teilen. Vor allem Anekdoten aus dem eigenen Verband oder Erfahrungen mit Projekten würden in normalen Vortragssituationen wohl eher nicht geteilt werden. Wer erzählt schon gerne vor 200 Personen vom eigenen Scheitern? In der intimen Barcamp-Atmosphäre in kleinen Räumen unter aus der Vorstellungsrunde bekannten Gesichtern fällt dies wesentlich einfacher, nicht nur für die Session-Gebenden, sondern auch für die Teilnehmer. Die Interaktivität der Sessions fördert Rückfragen, intensiveres und ehrliches Feedback und lässt auch den ein oder anderen Blick hinter die Kulissen zu. Das ist ein wesentlicher Motivationsfaktor für die Session-Gebenden: Das tief greifende Feedback bietet einen echten Mehrwert für sie selbst (und alle anderen!).

Die Barcamp-Dynamik prägen

Hat diese Dynamik einmal Fahrt aufgenommen, wird das Barcamp fast zum Selbstläufer. Sie als Veranstalter haben ein innovatives Event voller Inspiration geschaffen, das die Teilnehmenden auch zum Wiederkehren bei der nächsten Ausgabe bewegen wird. Aber wie bringen Sie diese Dynamik ins Rollen?

Damit das Barcamp-Format gut funktioniert, gilt es bereits in der Organisation kreativ und mutig vorzugehen. Auch wenn die Veranstaltung an sich sehr offen ist, haben Sie bereits im Vorfeld Möglichkeiten, Einfluss auf ihren Erfolg zu nehmen. Die folgenden Herausforderungen sind jene, die bei jedem Barcamp diskutiert werden. Doch keine Sorge – sie sind alle lösbar.

1.    Ein Event ohne Programm – ­funktioniert das?

Die erste Frage, die sich stellt: Wie soll ich potenzielle Teilnehmende bewegen, zu einem Event zu kommen, für das es kein Programm gibt? Das klingt zuerst nach einer großen Herausforderung. Bei einer Konferenz oder einem Seminar gewährleisten die angekündigten Speaker*innen eine interessante Veranstaltung. Bei einem Barcamp ist das anders, da das Programm erst am Tag selbst entsteht. Gerade wenn Sie das Format das erste Mal ausprobieren und sich in einem Umfeld bewegen, in dem Barcamps unbekannt sind, können Sie sich jedoch ganz einfach helfen: Gewinnen Sie Themenpaten!

Ein Beispiel, wie das funktionieren kann, liefert das seit 2015 jährlich stattfindende CSR-Camp. Bei der Veranstaltung zum Thema Corporate Social Responsibility gibt es zwar kein festes Programm, allerdings haben bereits im Vorfeld viele Experten zugesichert, eine Session anzubieten. So erhalten potenziell Teilnehmende die Sicherheit, dass die Veranstaltung sich lohnt. Wichtig hierbei ist: Die von Themenpaten vorgeschlagenen Sessions dürfen maximal die Hälfte der möglichen Sessionplätze füllen. Und – wie alle anderen auch – Themen­paten müssen am Session-Pitch teilnehmen. Die Themenpaten müssen natürlich immer zu Zielgruppe und Themenfokus passen und sollten gleichzeitig bunt gemischt sein.

2.    Erreiche ich überhaupt meine Zielgruppe?

Über die letzten Jahre haben sich Barcamps stark weiterentwickelt. Begonnen hat alles mit sogenannten themenoffenen Barcamps. Dort trafen sich zumeist webaffine Menschen, um über alle ihnen am Herzen liegenden Themen zu diskutieren und voneinander zu lernen. Diese Art von Barcamps findet sich mittlerweile in allen Regionen Deutschlands – von Hamburg bis Stuttgart. Die Sessions sind hier bunt gemischt. Vom Datenschutz über die Herstellung von Seife bis hin zu den neuesten TV-Serien, es kann um alles gehen.

Daraus entwickelten sich die sogenannten Themen(bar)camps, die sich durch den Fokus auf ein spezielles Thema auszeichnen. Beispiel hierfür ist das CSR-Camp, das sich mit Themen rund um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen befasst. Der Vorteil für die Teilnehmenden: Sie wissen von Anfang an, welche Themen im Mittelpunkt stehen werden. Sessions zu Themen, die weit davon entfernt sind, finden nur sehr vereinzelt statt.

Die neueste Evolutionsstufe in der Barcamp-Szene sind die sogenannten positionsbezogenen Themencamps. Hier tauschen sich Teilnehmende auf Augenhöhe aus, die ähnliche Berufsbezeichnungen und somit Verantwortlichkeiten einnehmen. So wird sichergestellt, dass für alle Anwesenden eine vergleichbare Ebene und Perspektive vorhanden ist. Da viele Teilnehmende auch wegen der Sessions der Themenpaten zum Barcamp kommen, diese aber noch keinen festen Platz im Programm haben, ergibt sich hier ein weiterer Vorteil: Ihre Teilnehmenden planen den ganzen Tag für das Event ein und sind nicht nur für einen Vortrag da. So sind mehr bei den wichtigen Bausteinen Vorstellungsrunde und Session-Pitches dabei und es besteht die Möglichkeit, zwischen und nach den Sessions zu netzwerken und informelle Gespräche zu führen.

3.    Was, wenn die Sessions am Thema vorbeigehen?

Die dritte große Herausforderung, die angegangen werden muss: Wie bekomme ich meine Teilnehmenden dazu, Sessions zu relevanten Themen anzubieten? Hier können Sie ganz einfach im Vorfeld schon thematische Leitplanken definieren. Diese ergeben sich fast automatisch aus dem übergreifenden Thema Ihres Barcamps. Nehmen Sie einfach die wichtigsten Themenkomplexe und machen Sie diese zu Themenkategorien, in die die Session-Geber ihre Beiträge einordnen können oder sollen.

Themenkategorien haben für alle Beteiligten positive Effekte: Potenziell Session-Gebende bekommen mehr Selbstsicherheit, ob ihr Thema erwünscht ist. Die übrigen Teilnehmenden profitieren, da sie genauer einschätzen können, worauf der Fokus eines Beitrags liegen wird. Ein weiterer Bonus: Die Kategorien können zum Beispiel als Sticker auf die Session-Angebote auf dem Session-Plan geklebt werden. So können die Teilnehmenden schnell erkennen, welche Sessions für sie überhaupt in Betracht kommen und welche vielleicht weniger spannend sind.

Gute Organisation für ein maximal erfolgreiches Barcamp

Die Organisation eines Barcamps erfordert natürlich wie bei jeder anderen Veranstaltung eine gute Vorbereitung. Vergessen Sie auf keinen Fall, die Teilnehmenden vorweg über das Format aufzuklären! Wenn Sie eine schöne Location, spannende Themenpaten und interessierte Teilnehmer haben, ist das Event am Tag selbst jedoch entspannt und regelt sich fast von selbst. Der letzte Erfolgsfaktor, der Ihnen hier fehlt, ist eine Moderation mit Barcamp-Erfahrung. Denn sowohl die Vorstellungsrunde als auch der Session-Pitch müssen mit der richtigen Mischung aus Ansporn, Pragmatismus und auch Strenge moderiert werden. „Keine Panik, wenn nicht genug Sessions gepitcht werden! Kitzeln Sie immer weiter Sessions mit den richtigen Stichpunkten, provokanten Fragen und der Ermutigung zur Vervollständigung des Themenbildes heraus!“, empfiehlt Vivian Pein, Fachbuchautorin („Der Social Media Manager“), Kommunikationsvorstand im Bundesverband Community Management e. V. (BVCM) und eine der erfahrensten Moderatorinnen im Barcamp-Umfeld.

Seien Sie kreativ, mutig und gut vorbereitet! Sie werden mit einer Veranstaltung voller Inspiration belohnt werden, die den Teilnehmenden im Gedächtnis bleibt. Die Organisation eines Barcamps ist also verhältnismäßig einfach und macht zudem viel Spaß.

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