Verband & Tagung - VERBÄNDEREPORT 9 / 2019

MITGLIEDER IM FOKUS

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Seien wir ehrlich: Die meisten von uns bekommen viele (zu viele?) Einladungen zu Veranstaltungen aller Art. Jeden Monat können wir an Seminaren, Tagungen, Business-Frühstücken oder Workshops zu verschiedenen Themen teilnehmen. Die Folge? Wir werden selektiv. Wir überlegen uns sehr genau, welche Veranstaltungen wir besuchen und wofür wir unsere kostbare und gefühlt immer weniger werdende Zeit wirklich „opfern“ wollen. Den Teilnehmern auf Ihren Tagungen und Kongressen geht es nicht anders. Darum ist es so wichtig, Ihre Zielgruppe vor, während und nach der Verbandsveranstaltung aktiv einzubinden.


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Was muss mir also eine Veranstaltung bieten, damit ich mir mehrere Tage Zeit nehme, oftmals hohe Kongressgebühren zahle, mich um eine berufliche Vertretung kümmere, familiäre Verpflichtungen während meiner Abwesenheit regele und eventuell eine lange Anreise in Kauf nehme?
Aus meiner Sicht läuft es vor allem auf zwei Dinge hinaus:

  1. Austausch und Netzwerken – die persönliche Begegnung mit anderen
  2. Informationen und Wissen

Wir nehmen teil, weil wir neue Kontakte knüpfen möchten, alte Bekannte wiedertreffen wollen, vor allem aber, um neue Ideen zu generieren, zu hören, was es Neues in unserer Branche gibt, worüber die Branche spricht, wie unsere Kollegen mit Herausforderungen umgehen und wie wir uns noch besser auf die Zukunft vorbereiten können. Und das ist auch der Grund, warum hybride und virtuelle Veranstaltungen zwar zunehmen (EITW, 2019) – aber eben den echten Austausch vor Ort nie ganz ersetzen können.

Drehen wir diesen Ansatz um und nehmen die Perspektive des Verbandes ein, so bedeutet dies: Wir müssen Mehrwerte schaffen für unsere Mitglieder. Warum sollten sie zu unserer Veranstaltung kommen, sich dafür Zeit nehmen? Wie können wir für sie einen größtmöglichen Nutzen stiften?

Unsere Mitglieder stehen im Fokus. Sie bestimmen als Zielgruppe die Veranstaltung. Das ist keine neue Erkenntnis. Aber es lässt sich in den letzten Jahren eine steigende Professionalität erkennen, mit der Veranstaltungen auf ihre Teilnehmer zugeschnitten werden. Meistens jedenfalls. Noch immer bin ich auf vielen Veranstaltungen unterwegs, bei denen ich mir innerlich „die Haare raufe“, weil das Show-Programm nach „den Künstler mag die Frau vom Chef so gern“ zusammengestellt wurde oder der Zeitablauf so eng getaktet ist, dass das Netzwerken leider ausfallen muss und auch die Mittagspause um 30 Minuten gekürzt wird – „Wir bitten um Ihr Verständnis“. Schade. Chance vertan, den Teilnehmern einen echten Mehrwert zu bieten.

PARTIZIPATION FÜHRT ZU WERTSCHÄTZUNG

In der Eventforschung sprechen wir seit einigen Jahren von der sog. „Co-creation of value“ (siehe z. B. Getz et al., 2017; Werner et al., 2017), d. h. es geht um die Schaffung eines Mehrwertes für alle Beteiligten. Und damit dieser Mehrwert eben für alle hoch ist, soll er gemeinsam geschaffen werden. Mit dem Kunden oder Teilnehmer. Schon Konfuzius (553–473 v. Chr.) wies auf die Bedeutung von Partizipation hin: „Erzähle mir und ich vergesse. Zeige mir und ich erinnere mich. Lass es mich tun und ich verstehe.“ Heißt: Wenn ich an etwas aktiv teilnehme, bleibt es sehr viel länger in meinem Gedächtnis verankert. Ein anderes Beispiel aus der Forschung ist der sog. IKEA-Effekt aus der Verhaltensökonomik (Norton et al., 2012). Er besagt, dass Gütern, an deren Herstellung man selbst mitgewirkt hat, eine überproportional gesteigerte Wertschätzung im Vergleich zu einem anderen Produkt entgegengebracht wird. Dies lässt sich auch auf Veranstaltungen und die aktive Integration unserer Teilnehmer und Mitglieder übertragen.

ZIELGRUPPE IDENTIFIZIEREN UND EINBINDEN

 Der erste Schritt ist allerdings zunächst, möglichst viele Details über unsere Mitglieder herauszufinden. Wer ist unser typisches Mitglied, unser typischer Teilnehmer? Alter? Geschlecht? Familienstand? Interessen/Hobbys? Welche Werte hat er? All dies gilt es zu identifizieren. Dabei hilft beispielsweise der im Marketingbereich übliche „Personas“-Ansatz (siehe bspw. Wesselmann & Hohn, 2017). Man zeichnet ein genaues Bild eines typischen Teilnehmers. Mithilfe von „mood boards“ werden anschließend ganz detailliert die Interessen, Charaktereigenschaften, Werte, Hobbys usw. visualisiert. So lernen wir „unseren“ Teilnehmer genau kennen.

Im Anschluss daran ist es aber wichtig, nicht über den Kopf unserer Zielpersonen hinweg zu entscheiden und beispielsweise das Programm danach festzulegen, was man selbst glaubt, was die Zielgruppe interessiert. Der „Co-creation-Ansatz“ erfordert eine kontinuierliche aktive Einbindung der Teilnehmer. Planen wir also eine konkrete Veranstaltung, so müssen wir unsere Teilnehmer von Anfang an aktiv integrieren. Dabei können persönliche Gespräche und/oder Fragebögen hilfreich sein. Was sind die Erwartungen an die Veranstaltung? Welche Erfahrungen wurden mit ähnlichen oder früheren Veranstaltungen gemacht? Welche Themen wünschen sich unsere potenziellen Teilnehmer? Welche Keynote Speaker oder Referenten würden sie vorschlagen? Was hindert sie ggf. daran, an der Veranstaltung teilzunehmen – oder was hindert sie daran, zu bestimmten Zeiten an der Veranstaltung teilzunehmen (z. B. familiäre Verpflichtungen)? Wann wäre ein guter Wochentag für die Veranstaltung, ein guter Startzeitpunkt und wie lange sollte die Veranstaltung aus ihrer Sicht idealerweise dauern? Sind sie eher die konservativen Zuhörer oder präferieren sie neue und innovative Formate und würden sich auch aktiv vor Ort mit einbringen? Soll es wieder – wie in der Vergangenheit – eine Tagung mit verschiedenen Referenten sein? Oder sind auch ganz andere Veranstaltungsformen für sie von Interesse? Dies alles gilt es herauszufinden.

KONKRETE ZIELE FORMULIEREN

Neben der exakten Definition der Zielgruppe und ihrer Wünsche und Vorlieben ist die ganz explizite Formulierung der Ziele der geplanten Veranstaltung ebenfalls enorm wichtig. Was genau wollen wir mit unserem Event als Verband oder Firma erreichen? Was sollen die Teilnehmer/Mitglieder mitnehmen? Wie oft höre ich auf die Frage, warum eine Veranstaltung durchgeführt wird, Sätze wie: „weil das so üblich ist“ (z. B. Jubiläumsfeier) oder „weil wir das schon immer gemacht haben“ oder „weil alle anderen das auch so machen“. Können dies tatsächlich Gründe und Ziele sein? Oder kann man sich die Veranstaltung dann nicht auch sparen? Geht es als Verband nicht beispielsweise eher darum, Mitglieder zu informieren? Innovationen vorzustellen? Trends zu eruieren? Über Herausforderungen der Branche zu sprechen und über mögliche Reaktionen? Oder bei der Anbahnung von neuen Kontakten und Geschäften zu helfen? Grundsätzlich sollten die Ziele möglichst spezifisch und auch messbar formuliert werden. Und: man sollte sich hinterher auch die Zeit nehmen und messen, ob diese Ziele tatsächlich erreicht wurden! Erfolgskontrollen sind leider auch im Jahr 2019 immer noch selten.

FORMAT UND INHALT WÄHLEN

Wenn wir also die Ziele und die Zielgruppe unserer Veranstaltung nun genau kennen, können wir passgenau die dafür geeignete Eventform auswählen. Soll es wieder die „altbewährte“ Tagung sein? Oder vielleicht stattdessen mehrere, aber dafür kleinere und persönlichere „Kamingespräche“ („campfire“) in mehreren Städten? Ist ein Barcamp eine neue Möglichkeit für unsere Zielgruppe? Wird es ein Frühstück mit ­einem ganz besonderen Keynote Spea­ker? Oder eine Abendveranstaltung mit Speed-Dating-Elementen? Oder organisieren wir eine ganze Verbandsreise oder einen Ausflug (z. B. in einen Freizeitpark)? Sprechen wir dabei nur die reinen Mitglieder an oder auch ihre Partner oder die gesamte Familie? Es gibt eine Vielzahl an unterschiedlichen Möglichkeiten – auch hier müssen unbedingt die potenziellen Teilnehmer einbezogen werden. Wer soll durch den Tag führen? Ein professioneller Moderator? Wer vermittelt die Inhalte, also Informationen und Wissen? Ein bekannter Keynote Speaker aus der Branche? Oder schauen wir in eine ganz andere Branche und suchen dort nach innovativen Themen? Lassen wir den Nachwuchs zu Wort kommen und organisieren einen Workshop von Azubis oder Studierenden, um ihre Sichtweise kennenzulernen?

Auch wenn es eine traditionelle Tagung sein soll, bieten sich mittlerweile viele kreative Möglichkeiten, das Programm für und mithilfe der Zielgruppe zu gestalten. Dies sind beispielsweise Formate wie World-Café, Fish Bowl, Pecha Kucha oder Open Space (siehe z. B. Biskup, 2016; Werner, 2020). Statt eines Vormittags voll von aneinandergereihten Frontalvorträgen (die einzeln aber natürlich auch ihre Daseinsberechtigung haben!), kann man so – je nach Zielgruppenstruktur – unterschiedliche Bedürfnisse ansprechen. Der Vorteil der partizipativen Formate: Die Teilnehmer werden aktiviert und in die Gestaltung und Durchführung der Veranstaltung einbezogen. Hierdurch steigt das Wertegefühl, sie fühlen sich ernst genommen und inte­griert. Das Erlebte bleibt länger in Erinnerung. Auch die sog. „Schwarmintelligenz“ wird aktiv genutzt, denn viele Teilnehmer bringen ihre Ideen und Vorschläge, aber auch ihre Erfahrungen und ihren „Wissensschatz“ vor Ort ein. Man lernt voneinander und miteinander und nimmt diese wertvollen Erkenntnisse mit zurück in den Alltag – ein Mehrwert für alle Beteiligten.

Wichtig dabei: Jedes Format muss zu Zielgruppe, Branche, Thema und den Zielen der Veranstaltung passen. Eine Kombination der Formate ist grundsätzlich möglich (z. B. Fish Bowl und World-Café), doch sollte eine „Überfrachtung“ unbedingt vermieden werden. Weniger ist oftmals mehr!

FREIE ZEIT ZUM NETZWERKEN EINPLANEN

Und: keine Angst vor Pausen! Bei der Programmplanung ist es wichtig, genug Zeit einzuplanen für den Wechsel der Räume, für das „Überziehen“ der Redezeit von Referenten, für Toilettenstopps und Raucherbedürfnisse. Zudem sollte ausreichend Zeit für das wichtige Netzwerken zur Verfügung stehen. Die Teilnehmer reisen oftmals von weither an, haben sich lange nicht gesehen und sind sonst eher in ihrem stressigen Alltag „gefangen“. Sie freuen sich über die Möglichkeit, sich mit Kollegen auszutauschen, ähnliche Probleme zu besprechen und gemeinsam Lösungswege zu diskutieren.

Dies habe ich erst neulich wieder bei einer Veranstaltung festgestellt: Bedingt durch einen großen Verkehrsstau konnte ein Redner nicht rechtzeitig zu seiner Keynote anwesend sein. Kurzfristig und pragmatisch organisierte der Veranstalter eine „Warp Conference“ (ähnlich einem „Business Speed Dating“): Die Teilnehmer wurden einander paarweise zugelost und diskutierten spezifische, aktuelle Fragen zu einem bestimmten Thema. Nach Ablauf einer vorab festgelegten Zeit erfolgten ein Wechsel der Paare und eine neue Diskussion mit dem neuen Partner. Dabei verließen die Paare auch die geschlossenen Räumlichkeiten und machten beispielsweise einen kurzen Spaziergang durch den Park vor der Veranstaltungshalle. Im Anschluss an die Warp Conference stand zudem noch Zeit für eine erweiterte Kaffeepause zur Verfügung und so konnten Gedanken und Ideen weiter vertieft werden. Das Feedback? Phantastisch! „Das Speeddating und die vielen Möglichkeiten zum Netzwerken waren einfach klasse. Ich nehme viele neue Ideen und Inspirationen mit in meinen Arbeitsalltag“ äußerte sich eine Teilnehmerin.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Co-creation“ ein wertvoller Ansatz ist, unsere Kunden oder unsere Mitglieder in den Fokus zu setzen und Konferenzen, Tagungen und Kongresse, aber auch alle andere Arten von Events sinnstiftender, interessanter und interaktiver zu gestalten und so einen Mehrwert für alle Beteiligten zu generieren.

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