Erfolgreiche Eventformate aus Verbänden

Best Practice | DGN-Kongress setzt auf maximale Flexibilität und Partizipation für alle

Wir verlassen gern ausgetretene Pfade

2027 findet der 100. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie statt, die Fachgesellschaft feiert darüber hinaus ihr 120-jähriges Bestehen. Doch vom angestaubten Image ähnlicher Veranstaltungen ist der DGN-Kongress weit entfernt. Branchenkenner bezeichnen ihn gar als „Avantgarde“. Im November 2025 werden erneut rund 8.000 Teilnehmende im CityCube Berlin und online erwartet. Der Verbändereport sprach mit Geschäftsführer David Friedrich-Schmidt darüber, wie man einen solchen Kongress in kompletter Eigenregie stemmt, wieso sich hybrid trotz hoher Kosten auszahlt und welche Rolle ein agiles Präsidium spielt.

David Friedrich-Schmidt ist Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e. V.

Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie © DGN/Claudius Pflug

Verbändereport: Herr Friedrich-Schmidt, medizinische Kongresse finden gern mit vielen Teilnehmenden, aber ohne Tageslicht und „klassisch wissenschaftlich“ statt. Was machen Sie anders?
David Friedrich-Schmidt: Unsere Säle im CityCube Berlin haben auch kein Tageslicht, aber wir machen sie hübsch. Wir legen größten Wert auf ein technisch und optisch perfektes Set-up, sodass sich unsere Teilnehmenden wohlfühlen. Nicht nur in den Vortragsräumen, sondern auch in den Foyers. Die Neurologinnen und Neurologen fühlen sich bei uns „zu Hause“.
Inhaltlich haben wir eine gute Mischung aus Fortbildung und wissenschaftlich exzellenten Sitzungen gefunden. Ergänzt wird das Programm durch das DGN-Forum, einen eigenen Programmstrang der Jungen Neurologie und die Industriesymposien.
Besonders stolz sind wir auf unsere Skills Labs. Hier werden in Workshops die genuinen neurologischen Fähigkeiten trainiert. Dafür ist eine unkomplizierte Anmeldung erforderlich. Die Teilnahme selbst ist in der Kongressgebühr inkludiert. Wir erweitern das Angebot jährlich, denn unsere Skills Labs sind nach wenigen Stunden ausgebucht. In 2024 gab es über 2.300 Buchungen.
Wir bespielen nicht 20 Säle parallel, sondern beschränken das DGN-Programm auf fünf große Plenen. Bei der Programmgestaltung fokussieren wir uns auf die aktuellen wissenschaftlichen Highlights und grenzen das Fortbildungsprogramm klar von der Wissenschaft ab. Hier bespielen wir die Blockbuster der Neurologie; alles was Neurologinnen und Neurologen unbedingt wissen müssen.

Wo holen Sie sich Impulse für einen „coolen medizinischen Kongress“?
Die besten Impulsgeber sind unsere Teilnehmenden und Mitglieder. Wir evaluieren den Kongress sehr aufwendig: Zum einen durch eine allgemeine Befragung, zum anderen wird jede Sitzung separat evaluiert. So wissen wir ziemlich genau, was kam an, was weniger und was fehlte. Diese Ergebnisse nehmen wir dann mit in die Steuerungsgruppe, die den Kongress inhaltlich plant. Wir verzichten auf eine große und nach Proporz besetzte Programmkommission. Unsere Steuerungsgruppe wird vom jeweiligen amtierenden Präsidenten oder aktuell von der amtierenden Präsidentin geleitet. Ihr gehören die Kongresspräsidenten des vorherigen, des aktuellen und des zukünftigen Kongresses, je ein Vertreter der Leitenden Krankenhausneurologie, Hochschulneurologie, der Jungen Neurologie, der DGN-Fortbildungsakademie sowie der Generalsekretär und Geschäftsführer an. Diese kleine, aber schlagkräftige Truppe gestaltet in acht sehr strukturierten Sitzungen und mit großer Liebe zum Detail das Programm.
Und natürlich sind wir intern unsere schärfsten Kritiker. Wir verstehen einen Kongress nie als fertig; es gibt immer Stellschrauben, die wir drehen: mal radikal, mal auch ganz sanft. Raus kommt dann ein ziemlich cooler Kongress, der inhaltlich top ist und allen viel Spaß macht.

Sie sind ein klarer Befürworter von hybrid trotz der deutlich höheren Kosten. Warum lohnt sich das für Sie?
Wir schließen einfach keinen mehr aus! Früher hatten wir bei unseren reinen Präsenzkongressen 5.000 Teilnehmende. Seit 2022 sind wir hybrid und erreichen 8.000 Neurologinnen und Neurologen. Das ist schon eine beträchtliche Steigerung. Hybrid ist nicht einfach nur Livestream; dass kann erst mal jeder. Bei hybrid müssen die gleichen Interaktionsmöglichkeiten angeboten werden wie in Präsenz. Während jeder Live-Session können die Online-Teilnehmenden Fragen stellen und chatten. Die Moderatoren der jeweiligen Session bündeln die Fragen und stellen sie den Referierenden.
Wir haben zwei Tickettypen: Präsenz- oder Online-Teilnahme. Im Präsenzticket ist die Online-Teilnahme inbegriffen. Diese Flexibilität schätzen die Teilnehmenden sehr. So können sie z. B. die erste Session noch im Hotel sehen, bevor sie zum Venue fahren. Oder sie sind nur zwei statt vier Tage in Berlin und verfolgen die weiteren Sessions von zu Hause, der Klinik oder der Praxis aus. Maximale Flexibilität und Partizipation für alle. Die Teilnehmenden sind nicht absolut in Präsenz- und Online-Teilnehmer einzuteilen. In einem Jahr klappt es mit der Präsenzteilnahme nicht, dann können sie online teilnehmen und umgekehrt. Wir finden dieses Modell großartig und es ist für uns alternativlos. Die Kosten sind hoch, ohne Frage. Es funktioniert auch nicht, wenn man seine Programmstruktur nicht anpasst. Das Programm aus 20 Sälen zu streamen ist unverhältnismäßig teuer, gerade wenn man einen hohen Anspruch an eine perfekte Übertragung hat. Nur Programme aus einzelnen Sälen zu übertragen, ist Live­stream, aber eben nicht hybrid. Daher haben wir uns auf fünf Plenen beschränkt und streamen bis auf die Skills Labs einfach alles. Alle Sessions werden aufgenommen und die Recordings stehen den Teilnehmenden ein Jahr lang zur Verfügung. So können Sessions angesehen werden, die in Präsenz oder online besucht werden konnten.

Wie präsentiert sich der Verband vor Ort?
Die DGN als Verband präsentiert sich in der Neuro-Lounge. Eine Mischung aus Anlaufstelle für Fragen unserer Mitglieder und Kommunikationsarea. Damit fahren wir recht gut.

Und was passiert im DGN-Forum?
Im DGN-Forum werden berufs- und gesellschaftspolitische Themen erörtert, die nicht klar Wissenschaft oder Fortbildung zuzuordnen sind. Das Format ist für rund 150 Personen ausgelegt und erfreut sich größter Beliebtheit.

Wie sehen die speziellen Angebote für den Nachwuchs aus?
Wie schon erwähnt, organisiert die Nachwuchsorganisation der DGN, die Junge Neurologie, einen eigenen Programmstrang an allen vier Kongresstagen. Wir haben die Nachwuchsarbeit vor über 15 Jahren begonnen und sehr konsequent ausgebaut. Vertreter-/innen der Jungen Neurologie sind in allen Entscheidungen und Diskussionen innerhalb des Verbands eingebunden, sie arbeiten aktiv in unseren administrativen und klinischen Kommissionen mit oder sind bei den Präsidiumssitzungen dabei. Nachwuchsarbeit ist bei der DGN kein Lippenbekenntnis, sondern wird gelebt. Vor allen Dingen beim Kongress.

Neben dem Kongress veranstaltet die DGN pro Jahr bis zu 20 weitere Fortbildungs- und Gremienveranstaltungen in Eigenregie. Wie wird das im Verband gestemmt?
Durch die Gründung der DGN Service GmbH vor über 12 Jahren haben wir eine eigene Abteilung Projekt- und Kongressmanagement aufgebaut, die den DGN-Kongress, aber auch unsere Fortbildungs- und Gremienveranstaltungen hausintern organisiert. Die GmbH ist eine hundertprozentige Tochter der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e. V. und fungiert als Geschäftsbesorgerin des Verbands. Inhaltlich werden wir vom Präsidium und von weiteren Funktionsträger-/innen bei der Organisation unterstützt. Durch diese Struktur müssen wir uns keiner externen Dienstleister wie Veranstaltungsagenturen bedienen, die viele Kunden zufriedenstellen müssen. Wir können uns voll und ganz auf unseren Verband fokussieren. Sicherlich auch ein Aspekt, warum unser Kongress als „Avantgarde“ bezeichnet wird. Über dieses Kompliment habe ich mich übrigens sehr gefreut.

Seit diesem Jahr erbringt die DGN Service GmbH auch Veranstaltungsdienstleistungen für andere neurowissenschaftliche Fachgesellschaften. Ein neues Geschäftsmodell?
Wir haben eine Vielzahl von Partner- und Schwerpunktgesellschaften, die in den Neurowissenschaften unterwegs sind, und wurden in der Vergangenheit immer mal wieder gefragt, ob wir nicht auch ihren Kongress oder ihre Jahrestagung organisieren können. Wir waren da immer zurückhaltend, weil wir den Fokus auf unsere DGN-Projekte nicht verlieren wollten. Mittlerweile haben wir jedoch die personellen Ressourcen und gute Prozesse, die uns in die Lage versetzen, diese Dienstleistungen zusätzlich zu erbringen. Und klar, es ist ein Geschäftsmodell. Die GmbH verdient damit Geld, welches am Ende der Fachgesellschaft für ihre Arbeit zur Verfügung steht. Veranstaltungsagenturen oder PCOs müssen jetzt aber keine Angst vor Konkurrenz haben: Wir beschränken uns bei der Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich auf neurowissenschaftliche Veranstaltungen. Einen fachfremden Kongress würden wir z. B. nicht organisieren.

Verbände mit vielen Mitgliedern und einer starken Beteiligung durch die Industrie veranstalten nicht zwingend erfolgreiche Kongresse. Woran hapert es Ihrer Meinung nach?
Meist an alten Zöpfen und dem fehlenden Mut, sie abzuschneiden. Wir haben 2018 unseren Kongress das erste Mal einem Facelifting unterzogen und so ziemlich alles geändert. Wir dachten, die neue Struktur ist zukunftstauglich. Dann kam die Coronapandemie. 2020 und 2021 haben wir reine Online-Kongresse gemacht. Ab 2022 dann hybrid, mit einer noch mal deutlich geänderten Struktur. Ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass diese Struktur die nächsten fünf Jahre Bestand haben wird. Wir verlassen gern ausgetretene Pfade und schlagen neue Wege ein. Nicht zuletzt durch ein äußerst agiles Präsidium mit nur fünf Mitgliedern, die schnell entscheiden, mutig sind und dem Team der Geschäftsstelle absolut vertrauen. Das ist ein Stück weit Teil unseres Erfolgs.

(KS)


Weitere Best Practice Beispiele im Verbändereport #228 02/2025 – Best Practice: Erfolgreiche Eventformate aus Verbänden