Pressemitteilung | DIHK - Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.

10 Jahre Wiedervereinigung: Aufbau Ost mit Erfolgen / Aber neue Weichenstellung nötig

(Berlin) - Der Aufbau Ost ist in den 10 Jahren seit der Wiedervereinigung gut vorangekommen: Alte Produktionsstrukturen sind zusammengebrochen, viele neue wettbewerbsfähige Unternehmen sind entstanden. Der unterentwickelte Dienstleistungssektor wurde rasch aufgebaut, muss sich aber jetzt den strukturellen Veränderungen anpassen. Heute produzieren mehr als 750.000 zumeist mittelständische Unternehmen Waren und Dienstleistungen unter Konkurrenzbedingungen. Die Infrastruktur wurde erheblich modernisiert, der Lebensstandard nähert sich allmählich westdeutschen Verhältnissen. Die Produktivität der Betriebe ist deutlich angestiegen. Umfangreiche Investitionen haben den Kapitalstock erneuert, den Verfall der Städte gestoppt und Umweltbelastungen verringert.

Die Wirtschaftsstruktur der neuen Bundesländer hat sich regional sehr unterschiedlich entwickelt. Diese Vielfalt ist Beleg dafür, dass in den Regionen die jeweiligen Standortvorteile genutzt werden – wenn auch noch nicht überall der Strukturumbruch bewältigt ist. Sowohl Industrie- als auch Tourismusstandorte in Ostdeutschland brauchen zusätzliche imagefördernde Maßnahmen. Die Industrie- und Handelskammern unterstützen mit großem Engagement die vielfältigen Anstrengungen der Unternehmen in den Regionen.

Der Erfolg des Aufholprozesses wäre überzeugender, würde er von einem Arbeitsplatzaufbau begleitet. Das war bislang insgesamt nicht der Fall: Die Unternehmen steigerten zwar ihre Wettbewerbsfähigkeit – ihre Beschäftigungsfähigkeit konnte jedoch auch wegen hoher Arbeitskosten nicht in gleichem Maße zunehmen. Eine hohe Arbeitslosigkeit belastet deshalb bis heute den Aufbau Ost.

Obwohl der Aufbau Ost bisher insgesamt erfolgreich war, lagen die Wachstumsraten in Ostdeutschland doch in den letzten drei Jahren niedriger als in Westdeutschland. Darin ist aber keine generelle Wachstumsschwäche zu sehen. Aufbau und Schrumpfung der verschiedenen Branchen verlaufen vielmehr nicht im Gleichschritt. Im nächsten Jahr erscheint jedoch wieder ein Wachstum im gesamtdeutschen Durchschnitt möglich.

Industrie und Dienstleistungen auf Wachstumskurs
Die ostdeutsche Industrie wird in den nächsten Jahren das „Zugpferd“ der Entwicklung bleiben. Als Folge von „Rosskuren“ nach der Wiedervereinigung wurden viele Industrieunternehmen zunächst auf einen Kern ihrer Tätigkeit reduziert. Die Industrie hat seither aber wieder erheblich an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Das belegen auch die seit Jahren überdurchschnittlichen Wachstumsraten der mittelständisch geprägten Industrie.

Wesentlichen Anteil an der Steigerung der Leistungsfähigkeit der Industrie Ostdeutschlands haben die umfangreichen Investitionen in neue, produktivere Maschinen und Verfahren. Die neuen Produktionsmethoden verlangen zumeist qualifiziertes Personal. Der Fachkräftestamm musste neu geschult werden. In manchen Regionen und Industriezweigen besteht heute trotz hoher Arbeitslosigkeit bereits ein Fachkräftemangel. Die Industrie ist jetzt überwiegend mit wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen ausgestattet und stellt weltmarktfähige Produkte her. Die Unternehmen haben mit neuen anspruchsvollen Produkten zunächst Marktnischen besetzt und diese inzwischen erfolgreich ausgebaut. Insbesondere die wachsende Auslands-orientierung macht Mut. Die Erfolge bei der Schaffung konkurrenzfähiger Arbeitsplätze und Produkte in der Industrie werden von der Öffentlichkeit aber viel zu wenig wahrgenommen.

Die Dienstleistungen sind – sowohl aus eigener Kraft als auch im Windschatten der Industrie – ebenfalls deutlich gewachsen. Sie haben zum Anstieg der Wertschöpfung seit der deutschen Einheit inzwischen mehr beigetragen als die Bauwirtschaft. Zunächst gewannen Dienstleistungen wie das Bewachungsgewerbe, das Reinigungsgewerbe und die Gastronomie an Bedeutung. Der Handel wuchs in den ersten Jahren ebenfalls kräftig. Gegenwärtig sind von ihm jedoch – als Folge des scharfen Wettbewerbs – keine Wachstumsimpluse zu erwarten.

Wachsen müssen vor allem solche Dienstleistungen, die moderne IuK-Technologien nutzen. Der Aufholprozess in der EDV-Beratung und in der Unternehmensberatung ist bereits in Gang und trägt dazu bei, dass die Dienstleistungen insgesamt zuletzt wieder ein Wachstum von mehr als vier Prozent erreichten. Beachtliche Fortschritte konnten auch im Bereich der Umwelt-, Medizin- und Biotechnologien erzielt werden. Häufig aus der „Keimzelle“ der Technologie- und Gründerzentren heraus sind hier innovative, zukunftsträchtige Betriebe entstanden. Bedingt durch das moderne Telekommunikationsnetz konnte im Servicesektor zudem eine bemerkenswerte Zahl an Call-Centern angesiedelt werden. Die Tourismus- und Freizeitwirtschaft ist vielerorts zu einer tragenden Säule der wirtschaftlichen Entwicklung geworden.

Vor allem der Rückgang der Bautätigkeit dämpft hingegen das Wachstum. Wegen des enormen Nachholbedarfs und günstiger Rahmenbedingungen hatte die ostdeutsche Bauwirtschaft zunächst hohe Kapazitäten aufgebaut. Die jetzt notwendige Konsolidierung und das Nachlassen der stürmischen Entwicklung im Bausektor ist lediglich eine Rückkehr zur Normalität und keinesfalls Grund zu Pessimismus. Nach der Beseitigung der gröbsten Mängel der Infrastruktur und der dynamischen Neubautätigkeit im gewerblichen und privaten Bereich war diese Entwicklung nicht anders zu erwarten.

Wirtschaftspolitik für den Aufbau Ost
Der Aufbauprozess muss weitergehen. Ein dauerhaftes, selbsttragendes Wachstum setzt nach Ansicht der IHK-Organisation richtige wirtschaftspolitische Weichenstellungen voraus:

- Grundvoraussetzung sind unternehmensfreundliche Rahmenbedingungen in Deutschland insgesamt. Weitere Reformen – vor allem im Sozialsystem und am Arbeitsmarkt – müssen den Unternehmen ermöglichen, ihre Ertragslage und ihre Investitions- sowie Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern. Solche gesamtwirtschaftlichen Reformen sind Voraussetzung dafür, dass die Politik die bisherige Förderung in Zukunft reduzieren kann.

- Unternehmerisches Handeln ist entscheidend für den Erfolg einer marktwirtschaftlichen Erneuerung. Daher ist auch in den nächsten Jahren noch eine Förderung der Wirtschaftsentwicklung in den neuen Bundesländern sinnvoll. Dauersubventionen schaffen jedoch nur eine Subventionsmentalität, aber keinen selbsttragenden Aufschwung – weder im Osten noch im Westen. Die Politik sollte sich deshalb nach dem Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ auf die Förderung des Markteintritts konzentrieren – einerseits durch die Unterstützung von Existenzgründungen, andererseits durch eine Exportförderung zur Erleichterung des Einstiegs in das Auslandsgeschäft, besonders westlicher Märkte.

- Die Infrastruktur muss weiter zügig ausgebaut werden. Immer noch sind beachtliche Teile der kommunalen Infrastruktur und zahlreiche regionale und überregionale Verkehrswege – im Straßen- und Schienennetz gleichermaßen – dringend verbesserungsbedürftig. Daneben sollten die öffentlichen Haushalte den Investitionen im Bildungs- und Forschungsbereich auch in Zukunft hohe Priorität einräumen. Die finanziellen Mittel dafür ließen sich durch Einsparungen bei konsumtiven Transfers – z. B. bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – bereitstellen. Solche öffentlichen Investitionen würden gleichzeitig wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft schaffen.

- Die Lohnpolitik der Tarifparteien muss marktgerechte Löhne für unterschiedliche Regionen, Branchen und Unternehmen ermöglichen. Sofern das gelingt, können flexible und differenzierte Lohnvereinbarungen in den kommenden Jahren ein wichtiger Standortvorteil der Unternehmen in den neuen Ländern sein.

In Ostdeutschland wurde die Marktwirtschaft schnell rechtlich etabliert. Letztlich sind es aber vor allem die Unternehmer und Arbeitnehmer, die in den zurückliegenden 10 Jahren die Möglichkeiten der Marktwirtschaft als Chance erkannt und sie erfolgreich genutzt haben. Von ihnen werden auch die Impulse für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands ausgehen. Richtige politische Weichenstellungen müssen diesen Prozess nachhaltig unterstützen.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Industrie- und Handelstag (DIHT) Breite Str. 29, 10178 Berlin Telefon: 030/203080 Telefax: 030/203081000

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