Pressemitteilung | Deutsche Kinderhilfe - Die ständige Kindervertretung e.V.

100 Tage Bundesregierung: Deutsche Kinderhilfe bemängelt in vielen Bereichen unzureichenden Einsatz für Kinder und Familien

(Berlin) - Anlässlich der ersten 100 Tage im Amt stellt die Deutsche Kinderhilfe der Bundesregierung ein Zeugnis mit der Note „insgesamt mangelhaft“ aus. Im Bereich Gewaltschutz sind positive Veränderungen von Bundesjustizministerin Hubig zumindest angekündigt.
Die Bemühungen der Bildungs- und Familienministerin Karin Prien, Kinder und Familien mehr in den Fokus zu rücken, sind zwar durchaus erkennbar, sie reichen jedoch bei Weitem nicht aus, um jungen Menschen in Deutschland eine gute Zukunft zu ermöglichen. Die von der Bundesregierung veranschlagten Gelder für Kinder, Jugendliche und ihre Familien sind deutlich zu niedrig angesetzt und stehen zudem noch unter Finanzierungsvorbehalt.

Auch wenn die 6,5 Milliarden Euro, die aus dem 500 Milliarden Euro Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) in die Kindertagesbetreuung und digitale Bildung fließen sollen, grundsätzlich zu begrüßen sind, zeigt diese Mittelverteilung des Bundes exemplarisch: Kinder- und Bildungspolitik werden allenfalls als untergeordnete Nebensache behandelt. Das muss sich ändern! Allein der Sanierungsbedarf bei den Schulen wird bundesweit auf über 47 Milliarden Euro geschätzt. „Wir brauchen ein 100 Milliarden Euro Sondervermögen für Bildung, mit weniger Geld werden wir unser marodes Bildungssystem nicht retten können“, so Yade Lütz, Bildungsexpertin der Deutschen Kinderhilfe.

„Die Merz-Koalition ist (noch) keine Koalition für Kinder“, resümiert Yade Lütz weiter. Kinderrechte finden nicht einmal Erwähnung im Koalitionsvertrag. Die Bundesregierung hat Schulden in Rekordhöhe aufgenommen, wovon aber nur ein Bruchteil für Kinder vorgesehen ist, obwohl sie diejenigen sein werden, die zukünftig die Schulden tragen müssen. Wir fordern die Bundesregierung daher eindringlich dazu auf, das Wohl der Jüngsten unserer Gesellschaft nicht weiter zu vernachlässigen, sondern ihre Interessen und Rechte auch im Rahmen des Sondervermögens in den Mittelpunkt zu stellen. Kinder müssen in allen Politikbereichen endlich dauerhaft mitgedacht und an Entscheidungsprozessen beteiligt werden, auch, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland nicht weiter zu gefährden.

Nach wie vor befindet sich die Kinderarmut in Deutschland auf einem hohen Niveau, jedes 5. Kind ist von Kinderarmut betroffen. „Die Erhöhung von Einzelposten wie dem Kinderfreibetrag, Kindergeld und Kinderzuschlag sind keine Gesamtstrategie, um gegen Kinderarmut gezielt vorzugehen“, kritisiert Dr. Luisa Becker-Ritterspach, Expertin für Kinderarmut der Deutschen Kinderhilfe. „Sie vertiefen die ungerechte Verteilung von staatlichen Leistungen zwischen armen und besser gestellten Kindern“, so die Expertin weiter. Der Kinderfreibetrag und das Kindergeld müssen endlich stärker aufeinander abgestimmt werden, dies wurde aber noch nicht angegangen. Auch die versprochene Zusammenfassung verschiedener Sozialleistungen und Entlastung von Alleinerziehenden lässt bisher auf sich warten und zeigt keine Strategie, um Kinder armutsfest abzusichern.

Als ungenügend muss auch das Engagement zur Förderung von gesunder Ernährung für Kinder und Jugendliche betrachtet werden – laut Koalitionsvertrag eigentlich ein erklärtes Ziel der Bundesregierung. Um Kinder besser vor Fehlernährung zu schützen, fordert die Deutsche Kinderhilfe eine Regulierung von an Kinder gerichteter Werbung für Lebensmittel mit erhöhtem Zucker-, Fett- und Salzgehalt, die Einführung einer Zuckersteuer nach dem Vorbild Großbritanniens, eine Mehrwertsteuerbefreiung für Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte sowie eine Altersbeschränkung für Energy-Drinks ab 16 Jahren.

Im Bereich des Gewaltschutzes wird die angekündigte elektronische Fußfessel nach schweren Fällen häuslicher Gewalt, die auch die Kinder betroffener Frauen besser zu schützen vermag, begrüßt.

Interessant sind auch die Aussagen der Bundesjustizministerin zu Umgängen bzw. zum Sorgerecht von schlagenden Tätern nach Fällen von häuslicher Gewalt. Auch hier zeichnet sich eine positive Tendenz ab, aber noch fehlt es an entsprechenden Gesetzesvorlagen.
Noch nicht hat sich die Ministerin dazu positioniert, warum häusliche Gewalt in Deutschland noch immer keinen eigenen Straftatbestand erhält, sondern - nicht mehr auffindbar - in anderen Delikten „mitbehandelt“ wird und warum Anzeigeerstatterinnen von häuslicher und sexueller Gewalt immer noch befürchten müssen, dass ihnen wegen der Anzeige die elterliche Sorge entzogen werden kann.

„Klarheit muss auch bezüglich der zu häufig angeführten und nicht nachvollziehbaren Behauptung geschaffen werden, dass das Miterleben häuslicher Gewalt durch Kinder gegen den anderen Elternteil keine Kindeswohlgefährdung darstellt“, fordert Rainer Becker, Ehrenvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe, ein. Für ihn geht das den Richtern hier eingeräumte Ermessen eindeutig zu weit.
Aber nicht nur im Familienrecht gibt es noch viele zu lösende Probleme. So ist die angekündigte IP-Adressenspeicherung zur verbesserten Verfolgung von Missbrauchsdarstellungen im Netz noch immer nicht umgesetzt. Und auf europäischer Ebene sind Gespräche über so genannte Chatkontrollen und eine eigene europäische Polizeibehörde zur Verfolgung von sexuellem Missbrauch und den dazugehörigen Darstellungen festgefahren. Derzeit erhalten deutsche Ermittlungsbehörden rund 80% ihrer Fahndungshinweise aus den USA, mit Methoden erhoben, die die damalige Bundesregierung nicht zuzulassen bereit war. Der diesbezügliche Vertrag mit den USA hierzu läuft 2027 aus.

Nach 100 bescheidenen Tagen appellieren wir an die Bundesregierung, JETZT nachzujustieren und endlich mehr Tempo vorzulegen – für eine gute und chancengerechte Zukunft ALLER Kinder in Deutschland.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsche Kinderhilfe - Die ständige Kindervertretung e.V., Rainer Becker, Geschäftsführende(r) Vorstandsvorsitzende(r), Schiffbauerdamm 40, 10117 Berlin, Telefon: 030 24342940

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