Pressemitteilung | Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF)

Afghanistan / Humanitärer Schutz für afghanische Journalisten

(Berlin) - Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert das Bundesinnenministerium (BMI) dringend auf, eine Grundsatzentscheidung über humanitäre Visa für geflüchtete afghanische Medienschaffende zu treffen, die nachweislich hoch gefährdet sind. Humanitärer Schutz sollte grundsätzlich sowie schnell und unbürokratisch sowohl Journalistinnen und Journalisten gewährt werden, die eigenständig in Nachbarländer Afghanistans geflüchtet sind, als auch jenen, die sich schon in Deutschland befinden.

"Wir können es nicht oft genug sagen: Mit den Taliban an der Macht schweben Journalistinnen und Journalisten in Afghanistan in akuter Lebensgefahr", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. "Afghanische Medienschaffende, die sich in ihrer Verzweiflung an Auslandsvertretungen in Nachbarländern wenden, müssen humanitären Schutz in Deutschland bekommen. Das gleiche gilt für jene Journalistinnen und Journalisten, die mit unserer Unterstützung und mithilfe des US-Militärs nach Deutschland gelangt sind. Mit humanitären Visa kann die Bundesregierung nicht nur Leben retten, sondern auch ermöglichen, dass Journalistinnen und Journalisten aus dem Exil heraus weiterarbeiten können. Langfristig werden Exilmedien eine wichtige Rolle dabei spielen, die Bevölkerung in Afghanistan zu informieren."

Auch in Afghanistans Nachbarländern sind Journalisten nicht sicher

Einige Journalistinnen und Journalisten, die keine Chance auf einen Evakuierungsflug hatten, sind in den vergangenen Tagen und Wochen auf eigene Faust in Drittstaaten geflüchtet. Die Zahl wird in den kommenden Wochen vermutlich weiter steigen. Doch auch in Nachbarländern laufen sie Gefahr, aufgegriffen und nach Afghanistan zurückgeschickt zu werden.

Daher müssen die Botschaften den betroffenen Medienschaffenden schnell und unbürokratisch nicht nur nationale Visa für Deutschland, sondern humanitäre Visa nach §22 Aufenthaltsgesetz ausstellen können, die Ankunft und Aufenthalt in Deutschland erleichtern. Dafür brauchen die Auslandsvertretungen jedoch die Einwilligung des BMI. Hier fordert RSF eine enge Zusammenarbeit zwischen Auswärtigem Amt und BMI, die nach Eindruck der Organisation bislang nicht stattfindet.

Einzelfallprüfungen angesichts der Gefährdungslage unangemessen

RSF kritisiert, dass die Bundesregierung nach Einzelfällen entscheidet, statt grundsätzlich schnell und unbürokratisch Visa für in Drittstaaten gestrandete Medienschaffende auszustellen. RSF hält dieses Vorgehen angesichts der Gefährdungslage für unangemessen und hat sich diesbezüglich auf mehreren Ebenen an die Bundesregierung gewandt.

Schutzbedürftige, die ein humanitäres Visum nach §22 Aufenthaltsgesetz erhalten, besitzen einen klaren Schutzstatus. Sie werden verschiedenen Kommunen zugewiesen, erhalten eine Unterkunft und Sozialhilfe. Personen mit einem nationalen Visum müssen auf zivilgesellschaftliche Unterbringung und Unterstützung hoffen.

RSF fordert Transparenz über Bearbeitungsstand

Zudem fordert RSF die Bundesregierung auf, endlich transparent offenzulegen, ob sie die Medienschaffenden und Familienmitglieder, die auf einer von RSF ans Auswärtige Amt übermittelten Liste stehen, als schutzbedürftig ansieht und inwiefern diese Liste bereits bearbeitet wurde. RSF hat in allen Fällen die Gefährdungslage geprüft und die Liste mehrfach aktualisiert. Zum Zeitpunkt der letzten Übermittlung am 1. September befanden sich 154 Medienschaffende plus Angehörige auf der Liste.

Trotz mehrfacher Nachfragen hat die Organisation darauf bis heute keine Antwort vom Auswärtigen Amt erhalten. Unklar ist trotz RSF-Nachfragen auch, wen die Bundesregierung "bis zum Ende der militärischen Evakuierungsaktion als besonders gefährdet identifiziert hat", wie das Auswärtige Amt auf seiner Seite schreibt. Nur diese Personen können potenziell ein Visum für Deutschland beantragen. RSF hält diese willkürliche Fristsetzung für inakzeptabel und fordert, dass auch nach dem Stichtag eingegangene Fälle angenommen werden.

Deutsche Behörden behandeln Schutzbedürftige wie illegal Eingewanderte

Höchst problematisch ist auch die Lage von vier über den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein nach Deutschland gelangten Medienschaffenden und ihren Familien. Die Journalistinnen und Journalisten waren auf der Airbase für RSF nicht erreichbar, da sie weder Internet noch Handyempfang haben. Einige von ihnen wurden inzwischen an die Bundespolizei übergeben, befinden sich in Ankunftszentren in verschiedenen Bundesländern und wurden aufgefordert, Asyl zu beantragen. Damit stünde ihnen ein langwieriger Prozess mit unsicherem Ausgang bevor.

Die deutschen Behörden behandeln diese Medienschaffenden wie illegal auf dem Landweg Eingereiste, obwohl sie bereits in Kabul diplomatische Laissez-Passer-Papiere erhalten haben. Wegen nachgewiesener Schutzbedürftigkeit haben sie zudem ebenfalls Anspruch auf humanitären Schutz. RSF fordert, dass auch dieser schnell und unbürokratisch gewährt wird.

Nach dem Abzug der US-Armee aus Afghanistan prüft RSF zudem derzeit weitere Möglichkeiten, den Betroffenen vor Ort und im Exil zu helfen, und wird weiter alle Hebel in Bewegung setzen, um afghanische Medienschaffende außer Landes zu bringen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Afghanistan auf Platz 122 von 180 Staaten. Mehr zur Situation für Journalistinnen und Journalisten in Afghanistan finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/afghanistan.

Quelle und Kontaktadresse:
Reporter ohne Grenzen e.V. (ROG) Pressestelle Friedrichstr. 231, 10969 Berlin Telefon: (030) 609 895 33 - 0, Fax: (030) 202 15 10 - 29

(mj)

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