Alternative zum Ehegattensplitting bringt bis zu acht Mrd. Euro / HBS-Studie zeigt auf: Ehegattensplitting ist gleichstellungspolitisch und sozial ungerecht sowie ein familienpolitischer Irrläufer
(Frankfurt am Main) - Für eine Alternative zum derzeitigen Ehegattensplitting sprachen sich Anne Jenter, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Heide Pfarr, Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) und die Juristin Ulrike Spangenberg bei der Vorstellung der Studie Neuorientierung der Ehebesteuerung am 05. August 2005 in Berlin aus.
Mit der in der Studie vorgestellten Individualbesteuerung mit einem zweiten übertragbaren Grundfreibetrag für Eheleute würden jährlich bis zu 8 Mrd. Euro mehr in die Staatskasse fließen. Geld, das dringend für den Ausbau der Ganztageseinrichtungen für Kinder, für ein Elterngeld als Lohnersatzleistung oder für die Unterstützung von Eltern, die Kinder in der Ausbildung haben ,benötigt wird. Bei der Individualbesteuerung werden die Eheleute einzeln besteuert, jedem Ehepartner steht individuell der Grundfreibetrag zu, der das Existenzminimum sichert. Der Grundfreibetrag kann auf den jeweils anderen Partner übertragen werden. Das Modell trägt einer veränderten Lebenswelt Rechnung und fördert die Berufstätigkeit von Frauen, kommentierte Jenter.
Das Ehegattensplitting ist ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert. Es baut auf die Vorstellung, dass es nur eine Form der Lebensgestaltung gibt: Der Mann geht arbeiten und die Frau ist für die Erziehung der Kinder zuständig, sagte Anne Jenter. Vom derzeitigen System profitieren vor allem Ehepaare, bei denen nur einer oder eine erwerbstätig ist. Im Schnitt haben diese eine steuerliche Entlastung von ca. 2800 Euro, das Geld erhält der Erwerbstätige in der Regel der Ehemann. Gehen beide Partner arbeiten, ist der Splittingvorteil viel geringer: nur 1200 Euro gehen dann auf das Konto des Ehepaars, so Jenter. Ein Effekt, der auch regionale Unterschiede begründe: So würde der Splittingvorteil im Westen 1800 Euro betragen, im Osten dagegen nur 720 Euro. Insgesamt gingen nur 7 Prozent des gesamten Splittingsvolumens von ca. 20 Mrd. Euro in die östlichen Bundesländer.
Auch komme das Ehegattensplitting vor allem Spitzenverdienern mit einem Jahreseinkommen von 120.000 Euro zu Gute: Sie erhielten die maximale Steuerersparnis von 7914 Euro, Geringverdiener hätten demgegenüber eine maximale Steuerentlastung von 2.054 Euro. Dass 43 Prozent aller Ehen, die vom Ehegattensplitting profitieren keine Kinder haben und unverheiratete Eltern bzw. Alleinerziehende gar keine Steuerentlastung erhalten, ist ein familienpolitischer Irrläufer, ergänzte Jenter. Die maximale Steuerentlastung für Alleinerzeihende mit rund 1300 Euro im Jahr sei gut 500 Euro niedriger als die durchschnittliche Entlastung durch das Ehegattensplitting.
Getoppt würde diese Ungerechtigkeit noch, wenn Kinder zu versorgen seien. Hier lohne sich eine zweite Erwerbstätigkeit nur dann, wenn der Splittingvorteil zumindest zurückverdient würde. Klar, dass sich da viele Frauen überlegen, ob sie die Doppelbelastung von Familie und Beruf eingehen wollen, erläuterte die bei der GEW für Frauenpolitik Zuständige. Der Trend, Müttern die Hauptrolle in der Betreuung der Kinder zuzuweisen, verstärke sich durch das Ehegattensplitting und führe zu ökonomischer Abhängigkeit der Ehefrau vom Mann. Frauen, die sich um die Erziehung der Kinder kümmern und nicht erwerbstätig sind oder nur in einer geringfügigen Beschäftigung arbeiten, erhalten nichts vom Steuervorteil durch das Ehegattensplitting.
Für eine kommende Regierung muss eine Neuregelung bei der Ehebesteuerung ganz oben auf der Agenda stehen, schloss Anne Jenter. Dazu gehöre auch das Anteilsverfahren als Alternative zu den Lohnsteuerklassen III und.
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