Pressemitteilung | Hans-Böckler-Stiftung

Analyse zur Reform der Pflegeversicherung / Weiterentwicklung des Solidarmodells statt Systemwechsel

(Düsseldorf) - Eine Reform der Pflegeversicherung sollte auf dem bestehenden solidarischen Versicherungssystem aufbauen. Auf seiner Basis lassen sich zusätzliche Finanzierungsquellen erschließen, aus denen sich die notwendige Dynamisierung der Leistungen für Pflegebedürftige dauerhaft bezahlen lässt. Zu diesem Schluss kommt Prof. Dr. Heinz Rothgang, Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Bremen*. Ein radikaler Systemwechsel, etwa zu einem Pauschalbeitragsmodell mit individueller Kapitaldeckung sei hingegen abzulehnen, "da er wenig oder nichts zur Problemlösung beiträgt, teilweise aber solidaritätsmindernd wirkt", resümiert der Wissenschaftler im aktuellen Schwerpunktheft der WSI-Mitteilungen.

Rothgang hält eine Kombination von Komponenten für sinnvoll, um die Einnahmebasis der derzeit defizitären Pflegeversicherung zu verbessern. Dazu gehören ein steuerfinanzierter Zuschuss, um die Mitversicherung von Kindern abzudecken, die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in die Pflegeversicherung und die Anrechnung zusätzlicher Einkommensarten sowie eine moderate Anhebung des Beitragssatzes für Beschäftigte. Eventuell könnte dieser Mix durch einen Zusatzbeitrag für heutige Rentner ergänzt werden, die nur kurzzeitig die Pflegekasse eingezahlt haben.

Mit den Mehreinnahmen ließen sich die Leistungen der Versicherung dynamisieren und an die Entwicklung der Pflegekosten anpassen. Das ist seit Einführung der Pflegeversicherung 1994 nicht geschehen. Die Eigenanteile der Pflegebedürftigen sind dadurch auf 13 bis 28 Prozent je nach Pflegestufe gewachsen. Nach Berechnungen des Forschers liegt die Eigenbeteiligung in der stationären Pflege sogar bei mehr als 50 Prozent, wenn man die Kosten für Unterkunft und Verpflegung mitrechnet. Ohne Dynamisierung der Pflegeversicherung sinke "ihr realer Wert kontinuierlich", warnt Rothgang.

Auch für andere Zweige der sozialen Sicherung stellen die Autorinnen und Autoren der WSI-Mitteilungen Konzepte für eine Balance zwischen Solidarität und Eigenverantwortung auf den Prüfstand - ein Thema, das auch in den Programmdebatten der großen Parteien eine wesentliche Rolle spielt. Dabei zeigt sich, dass der Sozialstaat nach wie vor eine hohe Legitimität genießt. Die Existenz eines stabilen, solidarisch organisierten Sicherungssystems ist eine unverzichtbare Voraussetzung, damit Bürgerinnen und Bürger Eigenverantwortung übernehmen können.

*Heinz Rothgang, Finanzierungsalternativen der Pflegeversicherung zwischen Eigenverantwortung und Solidarität. In: WSI-Mitteilungen 4/2006, Schwerpunktheft "Der Sozialstaat zwischen Eigenverantwortung und Solidarität"

Quelle und Kontaktadresse:
Hans-Böckler-Stiftung Rainer Jung, Leiter, Pressestelle Hans-Böckler-Str. 39, 40476 Düsseldorf Telefon: (0211) 77780, Telefax: (0211) 7778120

(sk)

NEWS TEILEN: