Pressemitteilung | (AWO) Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V.

AWO legt Sozialbericht 2006 zum Bildungswesen vor Chancengerechtigkeit durch Bildung

(Berlin) - "Die Bundesrepublik ist weit davon entfernt, über ein modernes Bildungssystem zu verfügen" hat heute (20.11.2006) der Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Wilhelm Schmidt vor der Bundespressekonferenz in Berlin anlässlich der Vorstellung des Sozialberichts 2006 der Arbeiterwohlfahrt "Chancengerechtigkeit durch Bildung - Chancengerechtigkeit in der Bildung" erklärt.

Der Sozialbericht 2006 der AWO zum gesellschaftspolitischen Komplex Bildung, in dem namhafte Bildungswissenschaftler u.a. eine Bewertung der AWO-Bildungs-Streitschrift vom September d.J. vornehmen, untersucht und zeigt, wie sehr und weit an vielen Stellen Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen.

Erstens: Das deutsche Bildungssystem ist im internationalen Vergleich Spitzenreiter bei der sozialen Selektion. Ein wesentlicher Indikator ist dabei der Migrationshintergrund von Kindern und Jugendlichen. Doch nicht die Einwandererkinder sind integrationsunfähig, sondern das Bildungssystem ist integrationsuntauglich.

Zweitens: Alle Untersuchungen machen deutlich, dass es einen auffallend engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungslaufbahn in Deutschland gibt. Das Bildungssystem nivelliert nicht soziale Unterschiede, sondern verschärft sie vielfach noch.

Drittens: Der föderale Wettbewerb in der Bildungspolitik hat Deutschland nicht vorangebracht - das Gegenteil scheint eher hinreichend belegt. Bei den Vergleichen mit anderen Ländern schneidet das deutsche Bildungssystem regelmäßig unterdurchschnittlich ab. Die Forderung nach bundeseinheitlichen Standards stellt sich somit zwangsläufig. Eine stärkere Zentralisierung, die Chancengleichheit für alle Bürgerinnen und Bürger in den Blick nimmt, ist Praxis nahezu aller europäischen Nachbarländer, die im Bildungsvergleich besser abschneiden als Deutschland. Das jetzige System führt nicht aus der Sackgasse.

Der AWO-Bundesvorsitzende Wilhelm Schmidt kritisierte, dass nach wie vor zu wenig in das Bildungswesen investiert würde, um im internationalen Wettbwerb bestehen zu können. Deutschland widme einen eher geringen Teil seines nationalen Wohlstands dem Aufgabenfeld Bildung. Der Anteil der öffentlich getragenen Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt beträgt in der OECD-Zählweise 4,4 Prozent, bei einem OECD-Durchschnitt von 5,1 Prozent und bei einem in Schweden erreichten Wert von 6,7 Prozent (2002). Nähme Deutschland bei den öffentlich getragenen Bildungsausgaben das schwedische Ausgabenniveau in den Blick, dann müssten in der Bundesrepublik rund 40 Milliarden Euro zusätzlich in den öffentlichen Bildungssektor investiert werden.

Insbesondere im vorschulischen Bereich investiert Deutschland zu wenig in den Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung. Statt der von der OECD geforderten Mindestinvestition von 1 Prozent des Bruttoinlandproduktes gibt die Bundesrepublik hier lediglich 0,66 Prozent bei sinkender Tendenz aus. Der AWO-Sozialbericht fordert deshalb nachdrücklich den infrastrukturellen Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen vor weiteren direkten oder indirekten monetären Leistungen für Kinder und ihre Familien. Nur so ist eine nachhaltige Verbesserung der familienergänzenden Leistungen in Deutschland insgesamt zu erreichen, nur so ist eine konsequente Verbesserung der Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern in den ersten Lebensjahren vor der Schule denkbar.

Kindertagesstätten
Eine ähnlich Diskrepanz besteht nach den Worten von Schmidt in der Förderung der Kindergärten/ Kindertagesstätten. Den wenigen positiven Beispielen von Beitragsfreistellung stehen mehrheitlich Länder, wie Baden-Württemberg, Hessen oder Nordrhein-Westfalen gegenüber, in denen die Elternbeiträge sogar weiter angehoben wurden.

Die AWO fordert daher für den vorschulischen Bereich als vordringliche
Maßnahmen:
- den Ausbau der Krippenangebote;
- die 100-prozentige Versorgung der Drei- bis unter Sechsjährigen in Kindergärten;
- den Ausbau der Ganztagsangebote der Kindergärten für 50 Prozent aller Kinder dieser Altersgruppe; die Einführung der Gebührenfreiheit im letzten Kindergartenjahr;
- eine Anhebung des Anteils des akademisch qualifizierten Personals in Kindergärten.

Für eine Ganztagsschule mit Konzept
Unser Bildungssystem für die Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren wird den Herausforderungen der Zukunft nicht gerecht. Im heutigen System werden Kinder zurückgelassen; viele erreichen keinen Abschluss.

"Wir können es uns in Deutschland nicht länger leisten, jährlich etwa 13 Prozent eines Altersjahrgangs ohne eine abgeschlossene Ausbildung in das Arbeitsleben zu entlassen", so Schmidt.

Viele Schulen mit "Ganztagsprogramm", die gegenwärtig in der Bundesrepublik entstehen, sind jedoch keine Schulen mit voll ausgebautem Konzept. Es sind eher bescheidene Ganztagsversionen, die mit schmalen Personalzuwendungen Vorlieb nehmen müssen und Realisationen praktizieren, die von Zielen und Ansprüchen weit entfernt sind. Mit beispielsweise einem einzigen Zusatzraum, z. B. der Cafeteria, eine Ganztagsschule auf Dauer laufen lassen zu können, weil dieser Raum die Mittagessenversorgung realisiert oder mit vereinzelten pädagogischen Zusatzkräften ist keine Schule mit erhöhtem Lern- und Erziehungserfolg zu schaffen.

Hochschulwesen
Mit ihrer bildungspolitischen Streitschrift und mit der Vorlage des Sozialberichts 2006 lehnt die AWO die Einführung und Erhebung von Studiengebühren ab, weil sie den Zugang zu den Hochschulen behindern und damit Chancengerechtigkeit nicht herstellen. Staatliche Berufsausbildungsbeihilfen und Leistungen nach dem BAFöG sind gegenüber den Auszubildenden elternunabhängig und auskömmlich zu gewähren. Bildung muss als Bürgerrecht verstanden werden und nicht als Standesprivileg.

Mit der Vorlage des Sozialberichts 2006 "Chancengerechtigkeit durch Bildung - Chancengerechtigkeit in der Bildung" beschreibt die AWO ihr Verständnis von Bildung, Betreuung und Erziehung. Die AWO tritt ein für eine kindergerechte Gesellschaft, in der Kinder nicht Ressource, sondern Perspektive sind. Bildung ist dafür der Schlüssel.

Quelle und Kontaktadresse:
AWO Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. Pressestelle Oppelner Str. 130, 53119 Bonn Telefon: (0228) 66850, Telefax: (0228) 6685209

(sk)

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