Pressemitteilung | Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. im VBE (BLLV)

Begeistert für die Schule, zermürbt vom Alltag / BLLV-Studie "Eigentlich wollte ich…" ergibt: Berufsverständnis und Schulrealität klaffen weit auseinander / Präsident Klaus Wenzel fordert mehr Bildung und weniger Bürokratie

(München) - Eine aktuelle Studie des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) belegt es: Die meisten Lehrkräfte lieben ihren Beruf und haben ein überaus ambitioniertes Berufsverständnis. Am wichtigsten ist es ihnen, Schüler zum Lernen zu motivieren und sie zu fördern. Allerdings fühlen sie sich wenig unterstützt, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Es fehlen Beratungsfachkräfte, Sozialpädagogen, Mobile Sonderpädagogische Dienste oder bedarfsgerechte Förderkurse. Über ein Drittel der rund 3000 Befragten gibt an, dass es an ihrer Schule keine Differenzierungsstunden zur individuellen Förderung gibt. Die meisten Lehrkräfte empfinden schulpolitische Zwänge und wachsende Bürokratisierung als belastend und hinderlich, um ihre pädagogische Profession zu verwirklichen. Beispiel Ziffernnoten: Sie sind zwar der großen Mehrheit der Befragten nicht wichtig, ihre Vergabe zählt aber zu den Aufgaben, die sie am häufigsten tun müssen. Jüngstes Beispiel Bildungsgutschein: Lehrkräfte sollen auf einem neuen Formblatt den Lernförderbedarf eines Kinder bestätigen. "Die zusätzlichen Aufgaben türmen sich, gleichzeitig fehlt Personal. Lehrer fühlen sich in ihrem Engagement ausgebremst, weil sie ständig an Grenzen stoßen. Pädagogisches Selbstverständnis und Schulrealität klaffen weit auseinander. Dieser Befund ist alarmierend", warnte Präsident Klaus Wenzel bei der heutigen Präsentation der Studie in München mit dem Titel "Eigentlich wollte ich …"

In der landesweiten Erhebung ging der BLLV den Fragen nach, wie sich Lehrerinnen und Lehrer selbst sehen, was sie daran hindert, ihr pädagogisches Verständnis zu verwirklichen und wo sie sich unterstützt fühlen. Initiiert wurde sie von der Leiterin der Abteilung Berufswissenschaften im BLLV, Simone Fleischmann. Als Rektorin der Grund- und Hauptschule in Poing bei München kennt sie sich mit bayerischer Bürokratie an Schulen aus und weiß, wie zeit- und nervenaufreibend diese ist: "Die Schulen werden mit zusätzlichen Aufgaben regelrecht überhäuft. Viele Kolleginnen und Kollegen haben den Eindruck, im Mittelpunkt stehen die Verwaltung von Schule und nicht die Kinder, die sie unterrichten sollen. Für Maßnahmen, die in ihren Augen pädagogisch sinnvoll und notwendig sind, bleibt entweder kaum Zeit oder aber es fehlt das unterstützende Personal." So stellen für 81 Prozent der Befragten die vielen Aufgaben außerhalb des Unterrichts wie Abfragen, Verteilung von Bildungsgutscheinen, Verwaltungsaufgaben oder die Organisation von Mittelschulen, eine große Belastung dar, 43 Prozent halten sie für extrem. Dem entsprechend fühlen sich lediglich 9 Prozent der Befragten durch das Kultusministerium und die bayerische Bildungspolitik unterstützt. "Die gute Nachricht ist, dass ein Großteil der Befragten ein durchweg positives Berufsverständnis hat", betonte Wenzel: 27 Prozent üben den Lehrerberuf mit Begeisterung aus, knapp die Hälfte sind "sehr gerne" und nur 6 Prozent "nicht mehr gerne" Lehrerin bzw. Lehrer.

Die Kluft zwischen Berufsverständnis einerseits und beruflichem Alltag andererseits zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Befunde: So geben zwar 98 Prozent der Befragten an, ihre Schüler individuell fördern zu wollen, aber nur 26 Prozent halten die Realisierungsmöglichkeit für "gut" bzw. "sehr gut". Ebenfalls 98 Prozent wollen benachteiligten Schülern zu einem besseren Lernerfolg verhelfen, doch auch hier liegt die Quote derer, die dieses Ziel "gut" bzw. "sehr gut" erfüllt sehen, bei nur 26 Prozent. Auffallend das Ergebnis bei der Frage, welche Bedeutung der Vergabe von Ziffernnoten zukommt: Für lediglich 28 Prozent der Befragten ist sie "wichtig" bzw. "sehr wichtig", über 70 Prozent hält hier aber die Realisierungsmöglichkeit für "gut" bzw. "sehr gut". Andres ausgedrückt: Während die Benotung für die meisten Lehrerinnen und Lehrer eine eher untergeordnete Rolle spielt, macht die Umsetzung keine Probleme. "Die Lehrer sind zur Notenvergabe gezwungen", betonte Wenzel. "Dem entsprechend empfinden 55 Prozent der Befragten diese Verpflichtung als `belastend´ und `sehr belastend´."

Fleischmanns Fazit: "Lehrerinnen und Lehrer wissen sehr genau, was ihren Schülern gut tut, doch wenn es um die Umsetzung geht, werden sie im Stich gelassen oder zu anderen Aufgaben verpflichtet."

Auch andere Ergebnisse lassen aufhorchen: 84 Prozent leiden unter der hohen zeitlichen Arbeitsbelastung, 46 Prozent davon sehr. Auch die Fixierung der Eltern und Schüler auf Noten wird von der Mehrheit als belastend erlebt (71 Prozent), genauso wie die vielen zu beachtenden Anweisungen, Vorschriften und Regelungen (72 Prozent) oder die extreme Stoffdichte (knapp 70 Prozent). Etwa 80 Prozent der Befragten halten die kollegiale Zusammenarbeit für "sehr nützlich" bzw. "nützlich". 76 Prozent schätzen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten als effektiv ein. Beklagt wird vor allem der Mangel an qualifiziertem Personal: So teilen 27 Prozent der Befragten mit, dass an ihrer Schule kein Mobiler Sonderpädagogischer Dienst existiert. 60 Prozent von denen, die mit ihm arbeiten können, halten den Einsatz aber für "nützlich" bis "sehr nützlich".

"Wenn Lehrerinnen und Lehrer ständig feststellen müssen, dass sie ihre pädagogischen Ziele und Ansprüche nicht umsetzen können, wird der Beruf schnell zur psychischen Belastung", fasste Fleischmann zusammen. Sie und Wenzel appellierten an das Kultusministerium, die Ergebnisse der BLLV-Studie ernst zu nehmen. "Die Botschaft der bayerischen Lehrkräfte ist eindeutig: Lasst uns mehr Freiheit, versorgt uns mit mehr Personal, gebt uns wirksamere Unterstützung an die Hand und verschont uns vor allem mit zu viel Bürokratie und fragwürdigen Reformen", betonte Fleischmann.

Weitere Einzelheiten zur Studie auf der BLLV Homepage: www.lehrerbefragung.bllv.de

Quelle und Kontaktadresse:
Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. im VBE (BLLV) Pressestelle Bavariaring 37, 80336 München Telefon: (089) 72100129, Telefax: (089) 72100155

(el)

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