Pressemitteilung | Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv)

Bibliotheken benötigen rechtssicheren Rahmen, der sie in ihrem öffentlichen Auftrag stärkt

(Berlin) - Jährlich erscheinen auf dem Buchmarkt ca. 60.000 Neuerscheinungen, darunter auch umstrittene Werke, die nachweislich Falschinformationen enthalten, deren Inhalte die Würde anderer verletzen oder Geschichtsbilder verzerren. Das stellt Bibliotheken vor die Frage, wie sie auf Grundlage ihres Bildungs- und Informationsauftrags mit solchen Medien umgehen sollen. Um in ihrem Bestand den Pluralismus an Meinungen und Positionen abzubilden und damit den Zugang auch zu diesen Werken zu ermöglichen, hat sich die Stadtbücherei Münster dazu entschieden, auch Sachbuchtitel in den Bestand aufzunehmen, deren Faktengrundlage als fragwürdig gilt. Um die Leser*innen aber für die Inhalte zu sensibilisieren, wurden zwei Bücher mit Einordnungshinweisen versehen: „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“

Dagegen beantragte einer der betroffenen Autoren beim Verwaltungsgericht Münster eine einstweilige Anordnung, den Aufkleber zu entfernen. Das Verwaltungsgericht Münster wies mit seiner Entscheidung vom 11. April 2025 den Antrag ab. Der Beschwerde gegen diese Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster für das Land Nordrhein-Westfalen nun am 8. Juli stattgegeben. Der Einordnungshinweis verletze die Grundrechte des Autors auf Meinungsfreiheit und in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Die Stadtbücherei Münster hat daraufhin angekündigt, die Aufkleber aus den Büchern zu entfernen.

Zum Beschluss des OVG hat der Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv) nun eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin unterstreicht er die Kernaufgabe von Bibliotheken, freien Zugang zu Informationen – einem breiten Spektrum an Wissen, Ideen, medialen Inhalten und Meinungen – anzubieten, auch wenn diese für einzelne Personen oder gesellschaftliche Gruppen inakzeptabel erscheinen. Im Einklang mit den Grundrechten besteht die herausgehobene Funktion von Bibliotheken in ihrer Ermöglichung von Meinungsbildung und Meinungsvielfalt. Gleichzeitig wächst die Herausforderung für Bürger*innen allen Alters, mit Falschinformationen im Netz und in Publikationen umzugehen sowie Desinformationsversuche erkennen zu können. Hier spielen Bibliotheken eine zentrale Rolle: Die Kontextualisierung von Positionen und Meinungen und vermehrte Angebote zum Erwerb von Informations- und Medienkompetenz sind Antworten von Bibliotheken auf diese Herausforderungen.

Das OVG beruft sich in seinem Beschluss auf das Kulturgesetzbuch NRW, das die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz ausdrücklich zu den Aufgaben von Bibliotheken zählt. Zugleich spricht das OVG den Bibliotheken aber diese Aufgaben ab, wenn es schreibt: „Zwar mag der Stadtbücherei das Absehen von der Anschaffung des Buches freigestanden haben. Aus den (...) Bildungsaufgaben ergibt sich jedoch keine Befugnis zur negativen Bewertung von Medien im Bestand der Bibliothek in Form eines Einordnungshinweises."

Aus Sicht des Deutschen Bibliotheksverbandes stellt ein solches Verständnis nicht nur einen deutlichen Rückschritt für die Entwicklung rechtlicher Rahmenbedingungen für Bibliotheken als Bildungsorte dar, sondern steht in klarem Widerspruch zu ihrem gesellschaftlichen Auftrag.

Dazu Antje Theise, Bundesvorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv): „Vor dem Hintergrund des OVG-Beschlusses stellt sich die Frage neu, wie Bibliotheken auf Grundlage ihres Bildungsauftrags mit umstrittenen Werken umgehen sollen. Bibliotheken stellen nicht nur passiv Informationen bereit, sondern tragen dazu bei, Orientierung im oft unübersichtlichen Medienangebot unserer Zeit zu ermöglichen, Fakten einzuordnen und Desinformation zu erkennen. Dafür braucht es ein klares Mandat im Rahmen von Landesbibliotheksgesetzen. Wir fordern daher die Bundesländer auf, die Förderung von Medien- und Informationskompetenz, die Kontextualisierung strittiger Inhalte und den Umgang mit Desinformation durch Bibliotheken rechtlich eindeutig und belastbar abzusichern.“

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv), Kristin Bäßler, Leiter(in) Kommunikation, Presse und Medien, Fritschestr. 27-28, 10585 Berlin, Telefon: 030 644989910

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