Pressemitteilung | Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF)

Blitz-Analyse: Meilenstein zum Schutz der Pressefreiheit

(Berlin) - Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur BND-Überwachung ist ein Meilenstein im Schutz der Pressefreiheit. Das zeigt eine Blitz-Analyse des Urteils von Reporter ohne Grenzen. Erstmals wird die Bundesregierung rechtlich verpflichtet, die vertrauliche Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten vor Massenüberwachung gesetzlich zu schützen. Es wird verboten sein, ausländische Medienschaffende wie bisher nach Belieben zu überwachen, und auch die Weitergabe von Recherche-Ergebnissen an ausländische Geheimdienste wird künftig an strenge Voraussetzungen geknüpft werden.

"Wir fordern, dass bei der nun fälligen Reform der Schutz journalistischer Kommunikation im BND-Gesetz verankert wird. Karlsruhe ist hier deutlich geworden - und wir erwarten, dass die Bundesregierung diese hohen Standards aus dem Urteil nun ins Gesetz übernimmt", sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. "Das Urteil eröffnet einen Spielraum, um Quellenschutz im digitalen Zeitalter neu zu denken. Reporter ohne Grenzen wird sich in diese Diskussion konstruktiv einbringen und erwartet, dass die Bundesregierung nun den Austausch mit der Zivilgesellschaft suchen wird."

Gericht passt Rechtsprechung dem digitalen Wandel an
Das heute verkündete Urteil stellt einen Paradigmenwechsel der sogenannten strategischen Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND) dar. Mit dieser Maßnahme kann der deutsche Auslandsgeheimdienst derzeit bis zu 1,2 Billionen Verbindungen allein an einem Internetknoten in Frankfurt nach Suchbegriffen filtern, zum Beispiel nach Email-Adressen oder Telefonnummern. In der letzten Entscheidung der Verfassungshüter aus dem Jahr 1999 spielte ein Schutz der journalistischen Kommunikation vor massenhafter Überwachung kaum eine Rolle. Die Bundesregierung hat daher bis heute in Gesetzen zur strategischen Überwachung keine Schutzrechte für Journalistinnen und Journalisten verankert. Diese Rechtslücke wollte Reporter ohne Grenzen mit der Verfassungsbeschwerde schließen - mit Erfolg.

Die Richterinnen und Richter erweitern nun ihre Rechtsprechung, indem sie dem digitalen Wandel Rechnung tragen (Rn. 150-151). War 1999 eine "strategische Überwachung" noch eng auf Telefongespräche begrenzbar, ist anlasslose Überwachung heute allumfassend. Indem alles ans Internet angeschlossen wird, birgt eine Massenüberwachung des Internets eine qualitativ neue Form der Überwachung. Menschen können in all ihren Handlungen gläsern werden, was besonders für Journalistinnen und Journalisten problematisch ist, wenn sie mit Quellen vertraulich kommunizieren wollen. Folglich wertet das Gericht die strategische Fernmeldeaufklärung nun auch als Eingriff in die Pressefreiheit und entwickelt Kriterien, wie diese in Zukunft geschützt werden muss.

Pressefreiheit ist ein Grund- und Menschenrecht
Das Urteil klärt dadurch eine Grundsatzfrage, die für den internationalen Menschenrechtsschutz von hoher Bedeutung sein wird. Im ersten Leitsatz heißt es, die Bindung der Bundesregierung ans Grundgesetz sei "nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt". Daraus folgt, dass Artikel 10 (Telekommunikationsgeheimnis) sowie Artikel 5 (Pressefreiheit) als Abwehrrecht auch ausländische Personen im Ausland haben.

Im Klartext heißt dies für den Journalismus: Der BND kann nicht wie bisher praktisch schrankenlos ausländische Journalistinnen und Journalisten digital durchleuchten, sondern muss ihre Kommunikation besonders schützen. Außerdem müssen sie sich gegen die Überwachung wehren können, etwa in einem Gerichtsverfahren. Die Leitsätze des Gerichts sind als Auftrag an die Bundesregierung zu lesen, die Massenüberwachung endlich rechtsstaatlich einzuhegen.
"Besondere Anforderungen an Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen"

Die für Journalistinnen und Journalisten wichtigen Passagen des Urteils finden sich in den Randnummern 193 bis 198. Die Richterinnen und Richter fordern, bei der Massenüberwachung "besondere Anforderungen (...) an den Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen" zu stellen. "Die journalistische Tätigkeit rechtfertigt nicht, Personen einem höheren Risiko der Überwachung auszusetzen (...) und sie wegen ihrer Kontakte und Recherchen zum Objekt der Informationsabschöpfung zur Verfolgung von Sicherheitsinteressen zu machen."

Das Gericht fordert stattdessen "qualifizierte Eingriffsschwellen" für eine Überwachung der Presse, die nur in Einzelfällen zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten gerechtfertigt sein könne. Die Richterinnen und Richter machen zwar keine konkreten Vorschläge, spielen in ihren Formulierungen aber auf gesetzliche Schutzrechte an, die bisher nur für gezielte Überwachung von Journalistinnen und Journalisten galten. Explizit wird verwiesen auf Paragraph 160a der Strafprozessordnung, die regelt, unter welchen Bedingungen gegen Medienschaffende ermittelt werden darf. Der BND müsse künftig abwägen, ob im Einzelfall die Sicherheitsinteressen Deutschlands oder das öffentliche Interesse an der Vertraulichkeit der Presse höher zu bewerten sei. Das Gericht fordert: "Abzusichern ist ihr Schutz jedenfalls grundsätzlich durch eine gerichtsähnliche ex ante-Kontrolle." Hier wird die Bundesregierung neue Standards zur Kontrolle des BND erarbeiten müssen, um den Schutz der Pressefreiheit angemessen umzusetzen.

Keine blinde Weiterleitung ohne Kontrolle mehr
Bisher beteiligt sich der Bundesnachrichtendienst an einem globalen System, in dem Geheimdienste de facto partnerschaftlich je einzelne Teile der Welt überwachen und Daten gemeinsam austauschen. Auch hier sollen Journalistinnen und Journalisten künftig besser geschützt werden (Rn. 240-241, 256-257). Der BND darf Daten nur noch teilen, wenn der ausländische Nachrichtendienst ein Schutzniveau hat, welches dem Grundgesetz vergleichbar ist.

Hier wird das Urteil sehr konkret: "Die Vergewisserung über die Einhaltung des geforderten Schutzniveaus ist eine nicht der freien politischen Disposition unterliegende Entscheidung. Sie hat sich auf gehaltvolle, realitätsbezogene und aktuelle Informationen zu stützen. Sie muss dokumentiert werden und einer unabhängigen Kontrolle zugänglich sein." Erfreulich ist, dass die Karlsruher Richterinnen und Richter in diesem Zusammenhang auch "unter Verfolgungsdruck stehende Dissidenten oder sogenannte Whistleblower" nennen. Daten über sie müssten ebenfalls vor einer Weitergabe an ausländische Geheimdienste besonders geschützt werden - ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte.

Knackpunkt: Wer gilt als Journalist oder Journalistin?
Die Bundesregierung wird vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert, das BND-Gesetz bis Ende 2021 zu überarbeiten - und darin unter anderem die Anforderungen an den Schutz der Presse zu verwirklichen. In zwei Punkten hat Karlsruhe der Regierung hier Gestaltungsspielraum gegeben: Einerseits könne sie den Schutz beschränken auf Personen, "die tatsächlich schutzwürdig sind, deren Tätigkeit also durch die Freiheit und Unabhängigkeit gekennzeichnet ist, die den besonderen grundrechtlichen Schutz dieser Institutionen rechtfertigen". Es geht also um die Frage, wer als Journalist oder Journalistin gilt. Reporter ohne Grenzen wird sich in diese Debatte konstruktiv einbringen und Vorschläge für den Journalismusbegriff erarbeiten.

Andererseits gibt Karlsruhe dem BND die Möglichkeit, auf den Schutz der Presse gänzlich zu verzichten, wenn Überwachungen "ausschließlich dazu bestimmt und darauf ausgerichtet sind, der politischen Information der Bundesregierung zu dienen und eine Übermittlung der Erkenntnisse an andere Stellen prinzipiell ausgeschlossen ist". An anderer Stelle (Rn. 177) knüpfen die Richterinnen und Richter diese Option an strikte Auflagen, die verhindern sollen, dass zum Beispiel Journalistinnen und Journalisten durch BND-Erkenntnisse in ihren Heimatländern Repressalien erfahren. Hier ist die Bundesregierung bei der Reform aufgefordert, diese Option als Ausnahme zu nutzen und den Schutz journalistischer Kommunikation nicht zu unterwandern.

Gericht gibt klagendem Bündnis um RSF Recht
Am Dienstag urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass das BND-Gesetz in der aktuellen Version verfassungswidrig sei. Reporter ohne Grenzen begrüßte die Entscheidung in einer ersten Reaktion. Gegen das BND-Gesetz hatten unter anderem die Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Khadija Ismajilova, und die internationale Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) geklagt. Verfahrensbevollmächtigter war der renommierte Mainzer Verfassungsrechtler Prof. Dr. Matthias Bäcker; RSF wird daneben vertreten von Rechtsanwalt Dr. Bijan Moini. Die Klage koordinierte die Gesellschaft für Freiheitsrechte gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen, dem Deutschen Journalisten-Verband, der Deutschen Journalistinnen und Journalisten Union dju in ver.di, dem Recherchenetzwerk n-ost sowie dem netzwerk recherche.

Mehr Informationen inklusive der vollständigen Verfassungsbeschwerde finden Sie unter: notrustnonews.org

Quelle und Kontaktadresse:
Reporter ohne Grenzen e.V. (ROG) Pressestelle Friedrichstr. 231, 10969 Berlin Telefon: (030) 609 895 33 - 0, Fax: (030) 202 15 10 - 29

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