DAV-Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID 19 Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht
(Berlin) - Der Deutsche Anwaltverein begrüßt grundsätzlich den Vorschlag, außerhalb der Strafprozessordnung in § 10 EGStPO-E einen spezifischen "coronabedingten" Hemmungstatbestand für die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO vorzusehen. So können einerseits bereits begonnene Hauptverhandlungen, deren ordnungsgemäße Durchführung aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen zeitweise nicht möglich ist, fortgeführt und zu Ende gebracht werden. So wird aber andererseits auch vermieden, dass eine krisenbedingte Modifikation des Strafverfahrens die Umstände überdauert, die sie hervorgebracht haben.
Folgende Punkte müssen allerdings nach Auffassung des Deutschen Anwaltvereins überdacht und geändert werden:
1. Beschränkung auf größere Verfahren
Der Hemmungstatbestand des § 10 EGStPO-E betrifft sämtliche Hauptverhandlungen und knüpft ausdrücklich nicht an ihre bisherige Dauer an.
Das ist nicht sachgerecht und entspricht nicht der Systematik von § 229 StPO. Sie lässt größere Eingriffe in die Konzentrationsmaxime durch längere Unterbrechungen nur dann zu, wenn die Hauptverhandlung einen gewissen Umfang erreicht hat. Nach jeweils zehn Tagen darf sie für einen Monat (und nicht nur für drei Wochen) unterbrochen werden (§ 229 Abs. 2 StPO), und nur bei Hauptverhandlung, die bereits mindestens zehn Tage andauern, können die Krankheit des Angeklagten oder eines Mitglieds des Gerichts (§ 229 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO) oder der Eintritt in den Mutterschutz oder die Elternzeit einer Richterin bzw. eines Richters (§ 229 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StPO) eine maximal zweimonatige Hemmung der Unterbrechungsfrist rechtfertigen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass einerseits in größeren Verfahren "längere Unterbrechungen unvermeidlich [sind], um die physische und psychische Belastung der Beteiligten in erträglichen Grenzen zu halten" (Meyer-Goßner/Schmidt StPO, 20. Aufl. 2019, § 229 Rn. 1).
Dieser Grundentscheidung widerspricht es, nunmehr auch kleineren Hauptverhandlungen eine faktische Unterbrechung von bis zu drei Monaten zu gestatten. Das ist nicht systemkohärent. Gerade weil die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen zur Vermeidung einer Ausbreitung der Corona-Pandemie wesensmäßig einem Fall von Krankheit einer Gerichtsperson ähnelt, spricht alles dafür, auch hier die Mindestdauer von zehn Tagen zu übernehmen. Der Deutsche Anwaltverein schlägt daher ihre Implementierung in § 10 EGStPO-E vor.
2. Einmalige Anwendung
Auch muss sichergestellt sein, dass die konzentrierte Durchführung einer Hauptverhandlung nicht dadurch unverhältnismäßig beeinträchtigt wird, weil der neue Hemmungstatbestand mehrfach und sukzessiv festgestellt werden kann. Aus guten Gründen sieht § 10 EGStPO-E vor, dass die Hemmung für längstens zwei Monate festgestellt werden darf. Es sollte aber auch klargestellt werden, dass dies nur einmal in einem Verfahren statthaft ist.
3. Keine Ausdehnung auf die Urteilsunterbrechungsfrist
Die Wichtig- und Richtigkeit der Forderung, Hemmungen nach § 10 EGStPO-E für Hauptverhandlungen mit mehr als zehn Tagen zu reservieren, verdeutlicht dessen vorgesehener Abs. 2. Hiernach soll die Möglichkeit einer "coronabedingten" zweimonatigen Hemmung uneingeschränkt auch für die gegenüber § 229 StPO verkürzte Unterbrechungsfrist für die Urteilsverkündung nach § 268 Abs. 3 StPO gelten. Dem ist zu widersprechen. Die Bestimmung eines eigenen Verkündungstermins ist als Ausnahme von der Sollvorschrift des § 268 Abs. 3 S. 1 StPO zu verstehen, nach dem das Urteil am Schluss der Verhandlung verkündet wird. Das Ausweichen auf einen gesonderten Verkündungstermin soll die Möglichkeit einer ausführlicheren Beratung in umfangreichen und schwierigen Sachen ermöglichen. Die gegenüber § 229 StPO engere Frist von zehn Tagen soll demgegenüber sicherstellen, dass "die Schlussvorträge und das letzte Wort bei der Beratung allen Richtern noch lebendig in Erinnerung sind" (BGH NStZ-RR 2007, 279). Die Möglichkeit der vorgesehenen Hemmung ab dem ersten Tag einer begonnen Hauptverhandlung widerspricht daher im Rahmen des § 268 Abs. 3 StPO dessen vorzitierter ratio besonders eklatant, weil es dessen Anwendungsbereich ausdehnen und die Anberaumung gesonderter Verkündungstermine auch bei einfachen Sachen trotz der Risiken der Coronakrise in Kauf nehmen würde. Insbesondere bei einer Ausdehnung der in § 10 EGStPO-E vorgesehenen Hemmung auf § 268 StPO wäre daher seine Beschränkung auf Verhandlungen, die bereits mehr als zehn Tage andauern, systemimmanent angezeigt.
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