Pressemitteilung | Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV)

DAV: Verfall des Rechtsstaates in der Türkei in vollem Gange

(Berlin) - Anlässlich des heutigen internationalen "Tages des bedrohten und verfolgten Anwalts" warnt der Deutsche Anwaltverein (DAV) vor der Kapitulation des Rechtsstaates in der Türkei. Ein Bild von der Situation der Anwaltschaft hat der DAV auf einer dreitägigen Delegationsreise in die Türkei gewonnen. "Wenn Anwälte, Oppositionspolitiker und Journalisten verhaftet werden, nur weil sie ihrer Arbeit nachgehen, dann ist dies schlicht entsetzlich", so der DAV-Präsident Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg. Aus Sicht des DAV sei es auch notwendig, dass die Betroffenen aus der "Sackgasse" des türkischen Rechtsweges heraus kommen.

"Die Bundespolitik muss sich dafür einsetzen, dass türkische Anwälte sich unmittelbar an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden können", fordert Schellenberg. Dies sei wegen der Notwendigkeit der Rechtswegerschöpfung im Moment nicht der Fall. Der EGMR müsse aber akzeptieren, dass der Gang zum türkischen Verfassungsgericht ins Leere führe.

Der DAV-Präsident war in der vergangenen Woche bis Freitag zu Besuch in Ankara, um sich vor Ort einen Eindruck von der Situation zu machen. Während seiner dreitägigen Delegationsreise traf Schellenberg unter anderem Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Angehörige von inhaftierten Anwältinnen und Anwälten. Die Betroffenen berichteten beispielsweise davon, dass die Inhaftierten ihre Anwälte nur einmal in der Woche für eine Stunde sehen dürften und diese Gespräche überwacht würden. Zudem sei es den Anwälten verboten, Notizen von den Gesprächen mit ihren Mandanten zu machen. Daher ist es ihnen nach Angaben der Betroffenen etwa auch untersagt, Papier und Stift während der Mandantengespräche bei sich zu führen.

In Gesprächen mit dem Präsidenten der türkischen Rechtsanwaltskammer, Metin Feyzioğlu, brachte der DAV-Präsident seine Solidarität zum Ausdruck. "Anwälte brauchen eine Umgebung in der sie unabhängig und angstfrei arbeiten können", so Schellenberg. Wenn Kollegen in anderen Ländern in ihrer Arbeit erheblich eingeschränkt oder gar verhaftet würden, so müsse dies selbstverständlich auf laute Kritik stoßen.

Neben der Anwaltschaft ist auch die freie Presse bedroht

Schellenberg besuchte zudem das Hauptstadtbüro der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet in Ankara und traf den ehemaligen Chefredakteur des Blattes, Can Dündar, vorab in Berlin. "Wenn Redakteure davon berichten, wie ihre Kollegen und der Justiziar ihrer Zeitung wegen vermeintlich falscher Berichterstattung verhaftet werden, so ist das erschreckend", so Schellenberg. Dies bestätigt Dündar: "In der Türkei gibt es keinen Rechtsstaat mehr, wir sind auf dem Weg zu einer Diktatur."

Seit August 2016 laufen Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Zeitung wegen angeblicher Unterstützung der Bewegung des Predigers Fetullah Gülen und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Der Herausgeber sowie der Justiziar der Zeitung sind ebenfalls inhaftiert. Der konkrete Vorwurf ist seit Wochen unbekannt. Dündar war bereits im Mai 2016 wegen eines Artikels über Waffenlieferungen nach Syrien zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Nach der Aufhebung des Urteils durch das türkische Verfassungsgericht floh Dündar nach Berlin.

Der "Tag des bedrohten und verfolgten Anwalts" wird seit 2010 am 24. Januar ausgerichtet. Ziel ist es, internationale Aufmerksamkeit für die weltweiten Bedrohungen und Verfolgungen von Anwältinnen und Anwälten zu erreichen.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV) Swen Walentowski, Pressesprecher Littenstr. 11, 10179 Berlin Telefon: (030) 7261520, Fax: (030) 726152190

(dw)

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