Pressemitteilung | Institut Arbeit und Technik

Deutsche Baustellen vor der EU-Erweiterung / Übergangsperiode nutzen / der europäische Bauarbeitsmarkt braucht einen sozial- und wirtschaftspolitischen Rahmen

(Gelsenkirchen) - Wenn am 1. Mai 2004 zehn Staaten der Europäischen Union beitreten, wirkt dieser politische Akt direkt auf deutschen Baustellen. Zwar gibt es nach dem Fall der Grenzen zunächst eine Übergangsperiode, so dass volle Freizügigkeit für Arbeitskräfte und Dienste in Europa erst nach bis zu sieben Jahren erreicht werden. Vor allem kleinere Baubetriebe werden aber die Konkurrenz zu spüren bekommen, die wegen niedrigerer Lohn- und Sozialstandards in den Beitrittsländern Bauleistungen billiger anbieten kann. Nach Expertenschätzungen könnten im ersten Jahr der EU-Erweiterung zwischen 340 000 und über eine Million Arbeitskräfte nach Deutschland strömen.

„Deutschland ist wegen der Nähe zu den Beitrittsländern und der relativ hohen Durchschnittslöhne besonders von der EU-Öffnung nach Osten betroffen“, so der Arbeitsmarktexperte Prof. Dr. Gerhard Bosch, Vizepräsident des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen). Auf dem jetzt entstehenden riesigen europäischen Bauarbeitsmarkt werden die Mobilitätsströme zunächst nur in eine Richtung fließen: von den Niedriglohn- zu den Hochlohnländern. Deren Anstrengungen, durch gesetzliche Regulierungen und Mindestlöhne faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen, dienen nicht nur dem Schutz vor Lohndumping, sondern schützen auch eine Bauindustrie, die auf Facharbeit und Qualitätsprodukte setzt und dafür in Ausbildung und in Innovationen investiert. Erfahrungen aus den USA und Großbritannien haben gezeigt, dass mit dem Wegfall von Marktregulierungen auch die Ausbildung fällt, weil das für die Betriebe billiger ist – aber der Preiswettbewerb wird auf Kosten der Zukunft gewonnen.

Dass auf deutschen Baustellen ausländische Arbeiter werken, hat lange Tradition. Bislang waren sie von deutschen Firmen angestellt und wurden nach deutschen Tarifen bezahlt. Mit der Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union kamen immer mehr ausländische Bauunternehmen zur Auftragserbringung nach Deutschland und konnten ihre niedrigeren Lohn- und Sozialstandards nutzen. Dies führte zu einem ruinösen Preiswettbewerb, der den Bestand von Bauunternehmen und Arbeitsplätzen in der deutschen Bauwirtschaft stark gefährdete. Die Antwort auf dieses Problem war das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, das seit 1997 die Entsendung ausländischer Bauarbeitnehmer nach Deutschland reguliert. Dieses Gesetz verpflichtet ausländische Bauunternehmen, Mindestlöhne zu zahlen. Die Höhe des Mindestlohnes wird über allgemeinverbindliche Tarifverträge von den Bautarifvertragsparteien festgelegt.

Im Windschatten der legalen – Entsendungen wuchs die illegale Beschäftigung ausländischer Bauarbeiter. Mit der weiteren Internationalisierung des Bauarbeitsmarktes könnten neue Formen der illegalen Beschäftigung in bisher unbekannter Größenordnung zur Senkung der Produktionskosten genutzt werden.

Offensichtlich haben sich die vielen kleinen und mittleren Bauunternehmen, die das Rückgrad der deutschen Bauindustrie ausmachen, noch nicht ausreichend auf die neuen Marktkonstellationen eingerichtet, wie Untersuchungen des Instituts Arbeit und Technik belegen. Auf den verschärften Wettbewerb reagiert die Bauwirtschaft immer noch mit kurzfristigen Kostensenkungsstrategien, Lohndruck und Abkehr von allgemein gültigen Standards, kritisiert Prof. Bosch. Nötig wären Innovationen z.B. für eine effizientere, billigere und wetterunabhängige Produktion, um dem Kostendruck durch Effizienzsteigerung begegnen zu können. Die Berücksichtigung veränderter Kundenbedürfnisse - wie etwa der "Service aus einer Hand" – wird zunehmend zur Überlebensbedingung.

„Auch nach der Übergangsperiode wird es notwendig sein, generell bindende Mindeststandards für Löhne auf dem Bauarbeitsmarkt festzulegen“, meint Prof. Bosch. Denn in deregulierten Arbeitsmärkten ist die Gefahr, dass die Erträge langfristiger Zukunftsinvestitionen von „Trittbrettfahrern“ mitgenommen werden, einfach zu groß. Dieses Marktversagen bedeutet, dass wir auf europäischer Ebene einen sozial- und wirtschaftspolitischen Rahmen brauchen, der eine innovative Bauwirtschaft fördert und erhält.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut Arbeit und Technik Claudia Braczko, Pressereferentin Munscheidstr. 14, 45886 Gelsenkirchen Telefon: 0209/17070, Telefax: 0209/1707110

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