Die 10 beliebtesten Vorurteile über die Musikindustrie
(Berlin) - In Gesprächen und Berichten über Vergangenheit und Zukunft der Musikindustrie werden immer wieder die gleichen Meinungen und Vorurteile geäußert. Zeit für eine kritische Bestandsaufnahme und nähere Betrachtung der Fakten. Nachstehend die Liste der zehn beliebtesten Vorurteile über die Musikindustrie mit den dazugehörigen Antworten:
Vorurteil Nr. 1: Die Musikindustrie hat das Internet verschlafen
Zugegeben, die Musikindustrie war nicht an vorderster Front, als es galt, die Möglichkeiten dieses neuen Mediums für sich zu erschließen. Bei aller berechtigten Kritik hat sich die Branche nach zögerlichen Anfängen schnell auf die veränderten Rahmenbedingungen eingestellt. So sind heute weltweit rund elf Millionen Musiktitel online verfügbar.
Allein in Deutschland gibt es über 40 legale Musikangebote im Internet - vom À-la-carte-Musikshop, über das Abo-Modell bis zum Streaming-Dienst. In vielen Ländern werden Gespräche mit Internet-Service-Providern geführt, um den Zugang zum Internet gegen einen geringen Aufpreis mit dem Genuss und Erwerb von Musik zu verknüpfen. Mit einem Umsatzanteil von 30 Prozent
erwirtschaftet, mit Ausnahme der Spielehersteller, keine Medienbranche einen größeren Anteil ihres Umsatzes im Internet als die Musikindustrie.
Vorurteil Nr. 2: Das Internet hat die Musikfirmen überflüssig gemacht
Trotz mehrerer Millionen Band- und Artist-Websites auf Communities wie MySpace hat es in den 15 Jahren seit Start des World Wide Web vielleicht eine Handvoll Künstler wie beispielsweise die Arctic Monkeys geschafft, über das Netz einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu werden. Und diese haben sich dann meist schnell unter das Dach einer Musikfirma begeben. Bei anderen Beispielen
erfolgreicher Selbstvermarktung - wie im Fall der Band Radiohead - handelt es sich meist um etablierte Künstler, die ihre Bekanntheit in klassischen Strukturen erworben haben. Projekte wie SellaBand - wo Fans durch ihre finanzielle Beteiligung das erste Album einer Band finanzieren können - haben Charme, wirtschaften aber immer wieder am Rande des Ruins.
Das verwundert nicht, denn mit dem Internet hat die Komplexität der Musikvermarktung und des Musikverkaufes erheblich zugenommen. Kein Künstler kann alle potenziellen physischen und digitalen Medien- und Vertriebskanäle bespielen und sich gleichzeitig noch auf das Machen von Musik konzentrieren. Vor allem aber kann die Selbstvermarktung die wichtigste Funktion der Labels nicht ersetzen. Viele junge Talente können nur dadurch gefördert und bekannt werden, weil Musikfirmen das Geld, was sie mit etablierten Künstlern verdienen, zu einem großen Teil in den Nachwuchs investieren. Dieses System hat eine einzigartige Vielfalt an qualitativ hochwertiger Musik erschaffen.
Vorurteil Nr. 3: Musikdiebstahl im Netz lässt sich nicht bekämpfen
Nachdem verschiedene Aufklärungskampagnen wirkungslos verpufft waren und die Zahl der illegalen Downloads in immer astronomischere Höhen stieg, haben sich die Musikfirmen 2004 entschlossen, juristisch gegen illegale Uploader von Musik vorzugehen. Obwohl anfangs nur eine geringe Zahl von wenigen Hundert Abmahnungen verschickt wurde, ging die Zahl der illegal heruntergeladenen Songs von über 600 Millionen im Jahr 2003 um mehr als ein Drittel auf 383 Millionen (2004) zurück. Im Rahmen der 2007 etablierten 3-Stufen-Strategie Aufklären - Abschrecken - Abmahnen wurde die Zahl der Verfahren kontinuierlich erhöht, sodass trotz ständig steigender Breitbandzugänge die Zahl der illegalen Downloads heute unter 300 Millionen liegt.
Deutschland hat die niedrigste Piraterierate weltweit, da Verfahren in hohen Fallzahlen aufgrund der rechtlichen Situation nur in Deutschland möglich sind. Ziel der Abmahnungen bleibt die Eindämmung der illegalen Musikbeschaffung. Der Versand von Abmahnungen war und ist für die Branche kein "Geschäftsmodell". Die Schadensersatzzahlungen machen ohnehin nur einen
Bruchteil der durch Musikdiebstahl im Netz verursachten Verluste aus.
Vorurteil Nr. 4: Die Musikindustrie kriminalisiert ihre Kunden
Hier werden gerne Ursache und Wirkung durcheinandergebracht. Gäbe es keine massenhaften illegalen Downloads, müsste sich die Branche auch nicht zur Wehr setzen. Aber auch wenn das konsequente juristische Vorgehen gegen Internetpiraterie Erfolge zeigt, würde die Industrie gerne auf Abmahnungen
verzichten und präferiert deshalb ein Warnmodell, wie es in Frankreich umgesetzt wird. Dabei werden bei Urheberrechtsverletzungen im Internet zunächst Warnhinweise verschickt. Die Betroffenen haben so die Möglichkeit, ihr illegales Handeln ohne juristische oder finanzielle Folgen einzustellen.
Umfragen in Frankreich oder England haben gezeigt, dass 70 bis 80 Prozent der Befragten die illegale Musikbeschaffung im Netz nach dem ersten oder zweiten Warnhinweis einstellen würden. Nur unbelehrbare Wiederholungstäter müssten Sanktionen befürchten, die von einer Bandbreitenreduzierung über die zeitweise Abschaltung des Internetanschlusses bis zur klassischen Abmahnung reichen können. Dieses Vorgehen würde die Rechteinhaber, Betroffenen, Justiz und Gesellschaft weniger belasten als die bisherige Praxis. Leider verweigern sich bisher sowohl Internet-Service-Provider wie auch die Politik, in Deutschland diesen Weg zu gehen.
Vorurteil Nr. 5: Illegale Downloads schaden der Musikindustrie nicht, sondern fördern den Musikverkauf
Verschiedene Studien versuchen den Nachweis zu erbringen, dass es keinen Zusammenhang zwischen illegalen Downloads und den Umsatzrückgängen in der Musikindustrie gibt. Meistgenannt ist in diesem Zusammenhang die Oberholzer-Gee-Studie. Oft reicht ein kritischer Blick auf die Studien, um methodische Fehler zu entlarven. Besonders beliebt ist es, das Kaufverhalten musikinteressierter Filesharer mit dem Kaufverhalten der nur teilweise musikaffinen Gesamtbevölkerung zu vergleichen. Das ergibt dann die Schlagzeile: Filesharer kaufen mehr Musik. Was gelinde gesagt völliger Blödsinn ist.
Seit dem Aufkommen von Tauschbörsen und der massenhaften Verbreitung von CD-Brennern ab der Jahrtausendwende sind die Umsätze der deutschen Musikindustrie trotz ständig steigender Musiknutzung um 40 Prozent zurückgegangen. Nachdem in Schweden Anfang 2009 ein Gesetz in Kraft getreten war, das die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen im Internet ermöglicht, ging der P2P-Datenverkehr massiv zurück und die Umsätze der Musikindustrie zweistellig nach oben.
Vorurteil Nr. 6: Künstler und Musikfirmen erhalten für Privatkopien eine angemessene Vergütung
Schön wäre es, stimmt aber nicht. So erhielten die Künstler und Labels in 2008 für rund 370 Millionen CD-Kopien und 26 Milliarden! gespeicherte Musikdateien eine Vergütung von rund 30 Millionen Euro. Ein schlechtes Geschäft. Denn wären nur zehn Prozent der CD-Kopien gekauft worden, wären über 300 Millionen Euro geflossen.
Viele Privatkopien entstehen in einer Grauzone zwischen Recht und Unrecht. Seit längerem plädiert die Industrie deshalb für eine Überarbeitung des Gesetzes aus den 60er Jahren, als CD-Brenner, MP3-Player und das Internet allenfalls in der Fantasie von Science-Fiction-Autoren existierten. Jeder der Musik kauft, sollte die Möglichkeit haben, diese für den eigenen Bedarf auf verschiedene Abspielgeräte zu kopieren. Allerdings sollten Privatkopien nach Auffassung des Bundesverbandes Musikindustrie auf Kopien vom Original beschränkt werden, was die ungehemmte Verbreitung von Kopie zu Kopie zu Kopie beispielsweise durch den Tausch ganzer Festplatten einschränken würde.
Vorurteil Nr. 7: Musik ist zu teuer
Als die CD Anfang der 80er Jahre auf den Markt kam, kostete eine der begehrten Silberscheiben rund 30 DM. Heute, rund 30 Jahre später, liegen die Preise selbst für aktuelle Alben bei rund 15 Euro dank zahlreicher Angebote häufig auch weit darunter. Preissteigerung selbst ohne Berücksichtigung der Inflation in den vergangenen 30 Jahren: gleich null. Im gleichen Zeitraum haben sich andere Entertainment-Angebote wie Kino- und Konzertbesuche, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften erheblich verteuert. Noch günstiger können Konsumenten heute Musik online erwerben. Die Preise für Single-Downloads starten bei 49 Cent. Aktuelle Alben sind im Internet ab 7,99 Euro zu bekommen.
Vorurteil Nr. 8: Die Musikindustrie beutet die Künstler aus
Publikumswirksam ausgetragene Konflikte zwischen Plattenfirma und Künstler wie bei George Michael, Prince oder Courtney Love haben zur Entstehung dieses Vorurteils beigetragen. Die Realität sieht aber anders aus, denn die Mehrzahl der Künstler scheint mit ihren Labels und dem, was sie verdienen, durchaus zufrieden zu sein. Dazu gibt es auch allen Grund, wie ein Blick auf die Grafik zur Verteilung von Anteilen beim Musikverkauf im Kapitel Umsatz zeigt. Danach erhalten Künstler durchschnittlich zehn Prozent vom Verkauf einer CD und könnten diesen Anteil sogar auf fast 15 Prozent steigern, wenn sie Text und Musik selbst geschrieben haben und ihre eigenen Produzenten sind.
Zwar liegt der Anteil des Labels mit 20 Prozent höher, aber die Plattenfirma muss davon nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch alle Marketingmaßnamen wie beispielsweise die Videoproduktion, Werbung und Promotion sowie die staatlichen Abgaben wie die Künstlersozialkasse (KSK) oder die Filmförderabgabe bestreiten. Ein weiterer Teil der Label-Erlöse fließt außerdem in die Entwicklung von Nachwuchskünstlern. Außerdem sollte nicht vergessen werden, dass Musik ein hoch risikoreiches Investment ist. Eine goldene Branchenregel besagt, dass nur einer von zehn Künstlern die in ihn getätigten Investitionen auch wieder einspielt.
Vorurteil Nr. 9: Die Musikmanager feiern einfach zu viele Partys
Come on - die Musikbranche ist eine Entertainment-Industrie und nicht die Versicherungswirtschaft. Zugegeben, in den goldene 90er Jahren mag der eine oder andere mal über die Stränge geschlagen haben, aber das kann keine Rechtfertigung sein, noch zehn Jahre später einer ganzen Branche den Mittelfinger zu zeigen. Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Beschäftigten in der Musikindustrie aufgrund illegaler Musikbeschaffung aus dem Netz und massiv gestiegener Privatkopien um ca. 50 Prozent zurückgegangen. Große wie kleine Labels haben mehrfach massive Restrukturierungsprozesse durchlaufen und sind heute schlank aufgestellt. Die Zeit der wilden Partys ist lange vorbei.
Vorurteil Nr. 10: Die Musikindustrie muss nur weniger "Schrott" produzieren
Ein Vorurteil von unerträglicher kultureller Arroganz, bei dem Massentauglichkeit mit mangelnder Qualität gleichgesetzt wird. Dabei wird oft vergessen, dass in der Musikindustrie Hits - wie beispielsweise auch in Buchverlagen Bestseller - die finanzielle Basis für die Förderung von Nischenprodukten sind. Dieses System der Umverteilung hat eine einzigartige Vielfalt von Musikprodukten und Künstlern hervorgebracht, die vom avantgardistischen Jazzquartett über Musikstile wie Punk oder Techno, bis zu internationalen Massenwaren reicht. Die Musikindustrie ist nicht dazu da, über den Geschmack ihrer Konsumenten zu richten. Ihre Aufgabe ist es, den Verbrauchern ein möglichst großes Angebot zu machen, aus dem diese dann auswählen können.
Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Musikindustrie e.V. (BVMI)
Daniel Sebastian Knöll, Pressesprecher
Reinhardtstr. 29, 10117 Berlin
Telefon: (030) 590038-0, Telefax: (030) 590038-38