Pressemitteilung | Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed)

Dritter BVMed-Innovationskongress: „DRG-System muss Innovationen der Medizintechnologie Raum lassen“

(Berlin) - Bei der Einführung von medizintechnischen Innovationen dürfen nicht allein ökonomische Erwägungen entscheiden. Dies droht aber durch das neue DRG-System im Krankenhaus. Die gemeinsame Richtung für Krankenhäuser und Krankenkassen muss vielmehr lauten: Qualität, Patientennutzen und Menschlichkeit. Die Aufgabe aller Beteiligten im Gesundheitswesen ist es, den Patienten den medizinischen Fortschritt ohne Verzögerung zur Verfügung zu stellen. Das machten die Referenten des dritten BVMed-Innovationskongresses aus Ärzteschaft, Krankenhaus und Industrie vor rund 140 Teilnehmern in Berlin deutlich.

Dr. Bernhard Rochell von der Bundesärztekammer plädierte dafür, dass die Krankenkassen die Gesamtfallkosten stärker beachten müssten, und nicht nur die Auswirkungen einer Innovation auf die Krankenhauskosten. Beim neuen DRG-System bestehe vor allem die Gefahr, dass aufwendige medizintechnische Innovationen deutlich unterfinanziert und damit behindert werden. Eine Klinik dürfe nicht aus rein ökonomischen Erwägungen auf eine Innovation verzichten, die die Versorgung der Patienten deutlich verbessere, so Günter Nierhoff vom Krankenhaus Dortmund. Dr. Thomas Kohlmann von der Universität Greifswald sprach sich dafür aus, Lebensqualitätsparameter in die gesundheitsökonomischen Betrachtungen stärker einzubeziehen. BVMed-Geschäftsführer Joachim M. Schmitt forderte ein innovationsfreundliches Klima und mehr Planungssicherheit für die Hersteller. Eine künftige Gesundheitsreform müsse auch an der Einnahmenseite des Systems ansetzen: „Wenn man eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung weiterhin solidarisch finanzieren will, dann muss man an die Einnahmenseite herangehen“.

Der Titel des dritten „BVMed-Innovationskongresses Medizintechnologie“ lautete „Innovative Behandlungsmethoden als Wettbewerbsfaktor und Qualitätsmotor in der Krankenhausversorgung“. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob der medizinisch-technische Fortschritt zukünftig noch für jeden Patienten in der Krankenhausversorgung verfügbar sein wird.

In seinem Einführungsreferat ging BVMed-Geschäftsführer Joachim M. Schmitt insbesondere auf das neue DRG-System ein. Probleme liegen dabei in der mangelnden Transparenz und Validität der Kalkulationsdaten für die Fallpauschalen, in der unzureichenden Abbildung sachkostenintensiver medizintechnologischer Verfahren und in der unzureichenden Mehrerlösausgleichsregelung für 2003 in Höhe von 25 Prozent. Zur Problematik der Unterfinanzierung präsentiert Schmitt das Fallbeispiel der Tiefenhirnstimulation bei Parkinson-Patienten. 4.000 Patienten in Deutschland wären durch dieses Verfahren behandelbar, allerdings werden in Deutschland nur 300 Hirnschrittmacher implantiert. Die Kosten für das Implantat liegen bei rund 15.000 Euro. Die Bewertungsrelation der vorhandenen Fallpauschale (B02B) ergibt aber bei einer angenommenen „Baserate“ von 2.500 lediglich knapp 6.800 Euro – inklusive Prozesskosten. Das ist eine deutliche Unterdeckung, die die medizinisch notwendige Versorgung mit Medizintechnologien behindert. In einem „lernenden System“ müssten hier schnell Nachbesserungen erfolgen.

Werner Sellmer, Fachapotheker für klinische Pharmazie im Krankenhaus Barmbek, stellte ein weiteres Fallbeispiel innovativer Medizinprodukte vor: die verbesserte Lebensqualität durch moderne Wundbehandlung. In Deutschland leiden rund 4 Mio. Menschen an chronischen Wunden. Die Leidenszeit, beispielsweise bei einem offenen Bein, beträgt nicht selten über zehn Jahre. Die Betroffenen haben große Dauer- und Behandlungsschmerzen. Die Behandlung dieser Patienten kostet nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 2,2 und 3,5 Mrd. Euro. Beim Therapiekonzept konkurrieren die konservative mit der modernen, feuchten Wundversorgung. Es gilt seit Jahren als gesichert, dass Wunden in einem feucht-warmen Medium besser und deutlich schneller heilen. Neben dem immensen Vorteil für die Patienten ergeben sich volkswirtschaftliche Einsparungen durch schnellere Genesung. Patienten können schneller wieder ins Berufleben zurückkehren. Der Materialverbrauch lässt sich dabei deutlich reduzieren. Moderne Wundversorgungsprodukte haben sich in der täglichen Praxis dennoch nicht durchgesetzt. Sellmer: „Es ist absolut unverständlich, warum Ärzte im Jahre 2002 auf die Vorteile der modernen Wundversorgung verzichten. Die Produkte werden immer besser. Patienten, Angehörige und Krankenkassen müssen aber noch intensiver über die neuen Möglichkeiten informiert werden.“

Eine gesundheitsökonomische Betrachtung des Begriffs „Lebensqualität“ nahm Dr. Thomas Kohlmann von der Universität Greifswald vor. Beispielsweise seien beim Krankheitsbild „Rückenschmerzen“ subjektive Parameter erforderlich, um Vor- und Nachteile von Therapien feststellen zu können. Klinische Parameter helfen hier oft nicht weiter. „Deshalb ist es wichtig, den Faktor Lebensqualität als Evaluationskriterium zu etablieren.“ Gesundheitsbezogene Lebensqualität sei dabei ein vielschichtiger Begriff. Dazu gehört die körperliche Gesundheit, die seelische Verfassung und die soziale Situation. Gesundheitsökonomen benötigten aber für ihre Analysen einen eindimensionalen Messwert für die Lebensqualität. Wichtig ist nach Ansicht von Dr. Kohlmann der Aspekt, nicht nur auf die Länge des Lebens in Jahren zu schauen, sondern auch auf die Lebensqualität der hinzugewonnenen Jahre. Dies stehe im Mittelpunkt von immer mehr Studien. Sein Fazit: „Beide Aspekte, subjektive Gesundheit (Lebensqualität) und objektive Gesundheit (klinische Befunde) ergänzen sich und müssen gleich beachtet werden. Lebensqualitätsparameter müssen in die gesundheitsökonomischen Betrachtungen stärker einbezogen werden.“

Auf Innovationen im neuen Fallpauschalensystems ging Dr. Bernhard Rochell, DRG-Experte der Bundesärztekammer, ein. Er sieht Systemlücken des 100%-DRG-Ansatzes u. a. bei aufwendigen medizintechnischen Innovationen, die unterfinanziert seien. „Beim Thema Innovationen ziehen Kostenträger und Leistungserbringer dem Grundsatz nach am selben Strang – leider wegen gegensätzlichen ökonomischen Anreizen und Zwängen häufig in entgegengesetzte Richtung. Für neue Verfahren benötigen wir daher qualitative Argumente, insbesondere bei Kostensteigerungen“, so Dr. Rochell. Sein Fazit: „Beim Thema Innovationen dürfen nicht allein ökonomische Erwägungen entscheiden, wie es mit dem DRG-System droht. Die gemeinsame Richtung für Krankenhäuser und Kostenträger heißt: Qualität und Menschlichkeit.“

Günther Nierhoff, Geschäftsführer des Katholischen St. Johannes Krankenhauses in Dortmund, beschrieb die Auswirkungen innovativer Medizintechnologien auf die Qualität der Patientenversorgung und die wirtschaftliche Bedeutung im Krankenhaus. Auch er verdeutlichte, dass Qualität und Menschlichkeit durch das DRG-System nicht leiden dürften. Nierhoff: „Das DRG-System soll ein Modell zur Schaffung leistungsorientierter Strukturen sein. Es besteht aber die Gefahr, dass das System zu einem Verteilungsmodell knapper Mittel degeneriert.“ Seine Befürchtung: Das Krankenhaus wird bei Innovationen wohl nicht mit zusätzlichen Mitteln rechnen können. Eine Klinik darf es sich aber aus ökonomischen Gründen nicht leisten, Innovationen nicht einzuführen, die die Versorgung der Patienten deutlich verbessern. Auf der „Agenda“ stehe deshalb künftig die intensivere Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Kaufleuten und Trägern, die gemeinsame Festlegung auf Ziele und Prioritäten sowie die Bildung einer Ethikkommission zur Erörterung und Empfehlung bei Grenz- und Zweifelsfällen.

Die zentrale Herausforderung des Gesundheitssystems ist aus Sicht von Dr. Magdalena Benemann, Geschäftsführerin des Marburger Bundes: „Gesundheit darf nicht zum Privileg werden.“ Die Fortschritte der medizinischen Forschung der letzten Jahrzehnte in Medizin- und Biotechnologie seien überragend. Der Vorteil des beitragsfinanzierten Gesundheitssystems gegenüber staatlichen Systemen war dabei immer, dass der medizinische Fortschritt sich schneller etablieren konnte. „Wir müssen auch künftig an die Zusage gebunden sein, den Patienten alles zugute kommen zu lassen, was Leben rettet, Krankheit heilt, Gesundheit erhält und Leiden lindert. Dazu bedarf es einer entsprechenden Finanzierung“, so Frau Dr. Benemann. Ihr Fazit: „Mit den Entscheidungen über die Finanzierung des Leistungsgeschehens entscheiden wir darüber, ob der Fortschritt in der Medizin in Zukunft die soziale Ungleichheit vergrößert. Das zu verhindern wird viel Einsatz fordern.“

Der dritte BVMed-Innovationskongress wurde moderiert von der Hamburger Medizinjournalistin Renate Harrington.

Digitale Bilder zur Veranstaltung und von allen Referenten befinden sich im Internet unter www.bvmed.de (Bilderpool - Veranstaltungen).

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed) Reinhardtstr. 29 b 10117 Berlin Telefon: 030/2462550 Telefax: 030/24625599

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