Energiepreise treiben Wohnkosten auf Rekordniveau / Mieterbund legt 10-Punkte-Programm vor
(Berlin/Erfurt) - Ein durchschnittlicher Mieterhaushalt muss heute 34 Prozent seines Haushaltsnettoeinkommens für eine warme Wohnung zahlen. Rechnet man die Stromkosten noch hinzu, liegt die Kostenbelastung schon bei 37 Prozent. Einkommensschwache Haushalte haben eine Wohnkostenbelastung von 50 Prozent und mehr. Verantwortlich dafür und Preistreiber Nummer 1 bei den Wohnkosten sind die Energiepreise, erklärte der Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB), Dr. Franz-Georg Rips, auf einer Pressekonferenz in Erfurt. Bei diesen Zahlen sind die Mobilitätskosten (Benzin für das private Auto) noch nicht eingerechnet.
Gegen die Preisexplosion und die Preisspirale bei den Energie- und Heizkosten legte der Deutsche Mieterbund ein 10-Punkte-Programm zur Entlastung der Verbraucherhaushalte vor.
Langfristig müssen Wohnungsbestände umfassend energetisch modernisiert und der Anteil erneuerbarer Energien deutlich erhöht werden. Mittelfristig brauchen wir mehr Information, intelligente Messsysteme und eine Aufstockung der Fördermittel für Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz. Kurzfristig sind Wohngeld- und Hartz-IV-Regelsatz-Erhöhungen unverzichtbar. Daneben müssen Heizkostenzuschüsse gezahlt werden. Wir brauchen Grundtarife, zum Beispiel bei Strom, und Einkaufshilfen zur Anschaffung energiesparender Geräte, umriss Rips das Konzept des Deutschen Mieterbundes. Eine klare Absage erteilte Rips Forderungen nach Steuersenkungen, Sozialtarifen oder Mietrechtsänderungen.
Energiepreissteigerungen
Zwischen den Jahren 2000 und 2007 sind die Energiepreise vier- bis fünfmal so schnell gestiegen wie die Lebenshaltungskosten insgesamt in Deutschland.
Öl wurde um 42,3 Prozent teurer, Gas um 62,4 Prozent, Fernwärme um 63,7 Prozent und Strom um 37,5 Prozent.
Während die Energiepreise im Kalenderjahr 2007 relativ stabil blieben, sind sie zwischen Januar und Juli 2008 förmlich explodiert. Der Ölpreis ist allein in den ersten sieben Monaten des Jahres 2008 um 61,9 Prozent gestiegen. Der leichte Preisrückgang in den letzten vier Wochen hilft wenig. Öl wird immer teurer, ein Ende der Preisentwicklung ist nicht in Sicht, erklärte der Mieterbund-Präsident.
Gleichzeitig steigen auch die Preise für Gas, Fernwärme und Strom. In den letzten zwölf Monaten haben 631 Gasversorger die Preise um bis zu 25 Prozent erhöht. Für September und Oktober haben 276 Anbieter Preiserhöhungen bis zu 30,6 Prozent angekündigt. Und ab November rechne ich mit der nächsten Preiserhöhungsrunde, sagte Rips.
Wohnkostenbelastungen
Im Jahr 2007 zahlten Mieter in den westlichen Bundesländern durchschnittlich 6,38 Euro Miete einschließlich der Betriebskosten und zusätzlich 1,17 Euro Heizkosten pro Quadratmeter und Monat. In den östlichen Ländern waren es 5,70 Euro Miete und 1,14 Euro Heizkosten. Bei einem durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen von 1.946 Euro (West) bzw. 1.514 Euro (Ost) mussten Mieter in Westdeutschland durchschnittlich 32,46 Prozent und in Ostdeutschland 32,84 Prozent für die warme Wohnung zahlen.
Angesichts der Energiepreissteigerungen in diesem Jahr rechne ich mit 30 Prozent höheren Heizkosten. Damit steigt die Wohnkostenbelastung des durchschnittlichen Mieterhaushaltes auf 34 Prozent. Unter Berücksichtigung der Stromkosten muss ein Mieterhaushalt mehr als 37 Prozent seines Nettoeinkommens für die mit Energie versorgte Wohnung zahlen, rechnete Rips vor. Einkommensschwache Haushalte mit Belastungen von 50 Prozent und mehr werden diese Preise nicht mehr zahlen können. Ihnen drohen in diesem Winter eine kalte Wohnung und ein abgedrehter Stromhahn, wenn wir jetzt nicht gegensteuern.
Energiepolitik ist aus unserer Sicht immer auch Sozialpolitik. Strom und Heizkosten müssen auf Dauer bezahlbar bleiben. Ein umfassendes Konzept, wie dieses Ziel zu erreichen ist, hat die Politik bisher nicht entwickelt. Deshalb legt der Deutsche Mieterbund jetzt ein 10-Punkte-Programm zur Entlastung der Verbraucherhaushalte vor. Hierin enthalten sind langfristig, mittelfristig und kurzfristig wirkende Vorschläge, erklärte Mieterbund-Präsident Rips.
10-Punkte-Programm zur Entlastung der Verbraucherhaushalte
1. Langfristig: Energetische Modernisierung des Wohnungsbestandes
Der Wohnungsbestand muss umfassend energetisch verbessert werden. Heizungsanlagen, Wärmedämmung und Fenster sind hier häufig die Schwachstellen. Ziel muss es sein, bis zum Jahr 2020 Neubaustandards im Wohnungsbestand zu erreichen. 90 oder sogar 60 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr dürfen nicht, wie bisher, auf den Neubau beschränkt bleiben. Der Staat muss den ordnungspolitischen Rahmen zur Erreichung dieser Ziele setzen. Es reicht nicht, nur für den Neubau Standards festzuschreiben. Damit würden lediglich jährlich 200.000 Wohnungen erfasst. In den 37 Millionen genutzten Bestandswohnungen würde es auf Vernunft und Freiwilligkeit ankommen. Angesichts der weit verbreiteten Investitionsunlust ist auf dieser Basis nicht mit nennenswerten Ergebnissen zu rechnen.
2. Langfristig: Erneuerbare Energien einsetzen
Es reicht auch nicht aus, Vorgaben für den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien im Neubau zu beschreiben. Auch im Wohnungsbestand muss die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen abgebaut werden. Sonne, Wind oder Erdwärme stehen allen zur Verfügung. Ziel sollte hier sein, bis zum Jahr 2020 den Anteil erneuerbarer Energien im Wohnungsbestand auf 20 Prozent (derzeit 7 Prozent) zu erhöhen. Die Regelungen des Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetzes sind auf den Wohnungsbestand auszuweiten.
3. Mittelfristig: Fördermittel aufstocken
Fördermittel, wie zum Beispiel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, müssen weiter aufgestockt werden. Hiermit schafft die Politik Investitionsanreize für Eigentümer und Vermieter. Gleichzeitig wird der Umfang der von den Mietern zu zahlenden Modernisierungs-Mieterhöhungen begrenzt. Die zusätzlichen Mittel für die Aufstockung der Fördertöpfe können zum Beispiel aus den deutlich höheren Mehrwertsteuereinnahmen finanziert werden, die allein aufgrund der Energiepreissteigerungen in die Staatskasse fließen.
4. Mittelfristig: Umfassende Information
Mieterinnen und Mieter müssen besser und umfassender informiert werden, wann, wo und wie Energie gespart werden kann. Die von der Bundesregierung verordneten Energieausweise, Transparenzinstrumente des Deutschen Mieterbundes, wie Heizspiegel oder Betriebskostenspiegel, sind wichtige und notwendige Informationsquellen. Sie reichen aber noch nicht aus. Ziel muss es sein, Kenntnisse und Wissen der Verbraucherhaushalte weiter zu verbessern und ein Bewusstsein für energiesparendes Handeln zu wecken. Es bedarf also weiterer Informations- und Aufklärungskampagnen zum richtigen Umgang mit Energie.
5. Mittelfristig: Reform des Messwesens
Eine umfassende Reform des Messwesens ist notwendig. Mit intelligenten Stromzählern und Erfassungssystemen für Heizkosten müssen Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage versetzt werden, ihren Energieverbrauch und bedarf tagesaktuell zu überprüfen und zu steuern. Dabei muss es möglich werden, dass die Haushalte problemlos Nacht- oder sonstige Sondertarife ausnutzen können.
6. Kurzfristig: Wohngelderhöhung
Bei der am 1. Januar 2009 in Kraft tretenden Wohngelderhöhung werden auf Betreiben des Deutschen Mieterbundes erstmals Heizkosten bei der zu berücksichtigenden Miete eingerechnet. Der Heizkostenanteil von 24 Euro für einen Einpersonenhaushalt, 31 Euro für einen Zweipersonenhaushalt und 37 Euro für einen Dreipersonenhaushalt reicht angesichts der aktuellen Energiepreise nicht mehr aus. Die Heizkostenanteile müssen deshalb verdoppelt werden. Weil es damit noch längst nicht zu einer Vollkostenerstattung kommt, bleibt ein ausreichender Anreiz zum Energiesparen bestehen.
7. Kurzfristig: Hartz-IV-Regelsätze erhöhen
Preissteigerungen für Strom und Warmwasser müssen ALG-II-Empfänger aus den Regelsätzen zahlen. Die aktuellen Regelsätze von 351 Euro müssen um 50 Euro erhöht werden.
8. Kurzfristig: Heizkostenzuschuss oder steuerliche Entlastung
Auch für viele Haushalte, die kein Wohngeld und keine Hartz-IV-Leistungen beziehen, sind die steigenden Energiepreise kaum noch zu bezahlen. Haushalte beispielsweise mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen bis zu 25.000 Euro sollten einen Heizkostenzuschuss oder eine Abzugsmöglichkeit von der Steuerschuld erhalten. Je nach Haushaltsgröße kann diese Entlastung zwischen 100 und 200 Euro im Jahr betragen. Die entsprechenden Regelungen könnten zum Beispiel auf drei Jahre befristet werden, bis die mittel- und langfristigen Maßnahmen Wirkung erzielen. Sie dürfen im Übrigen keinen übermäßigen bürokratischen Aufwand erzeugen, damit das Geld bei den Verbrauchern ankommt und nicht in den Verwaltungen versickert.
9. Kurzfristig: Grundtarife einführen
Die Grundversorgung mit Strom muss zu einem preisgünstigen Tarif für den notwendigen Bedarf der privaten Haushalte angeboten werden. Der Preis für diese Grundversorgung muss deutlich unter dem bisherigen Energiepreis liegen. Bei Mehrverbräuchen können die Energieversorger dann höhere Preise, ggf. auch gestaffelte Preise fordern. Hierdurch werden sparsames Energieverhalten belohnt und gleichzeitig eine wichtige Sozialkomponente eingeführt.
10. Kurzfristig: Einkaufshilfen für energiesparende Geräte
Mit Hilfe von zinslosen Darlehen oder Zuschüssen in Form beispielsweise von Einkaufsgutscheinen soll einkommensschwachen Haushalten geholfen werden, neue energiesparende Elektrogeräte zu kaufen. Es ist unerträglich, dass die einkommensschwachen Haushalte sich der billigen, aber energieverschleudernden Haushaltsgeräte bedienen müssen.
Andere Forderungen in der Diskussion Bewertung durch den Deutschen Mieterbund
Allen anderen zurzeit von Fachleuten und Politikern diskutierten Vorschlägen wie Reduzierung von Steueranteilen auf Gas, Öl und Strom, Sozialtarife bei Energiepreisen, Aufhebung der Preisbindung Öl / Gas, Preiskontrollen oder Mietrechtsänderungen stehen wir skeptisch gegenüber bzw. lehnen wir strikt ab, sagte Rips:
- Pauschale Steuerentlastung
Eine pauschale Steuerentlastung in nennenswerter Höhe dürfte bei über 35 Millionen Steuerpflichtigen nur schwer finanzierbar sein. Eine Entlastung beispielsweise von 300 Euro im Jahr würde dann 10,5 Milliarden Euro kosten. Eine pauschale Steuerentlastung hat den Charakter eines allgemeinen Konjunkturprogramms, ist aber nicht die Antwort auf steigende Energiepreise und ist kontraproduktiv zur notwendigen Einsparung von Energie.
- Ökosteuer und / oder Energiesteuer abschaffen bzw. senken
Beide Steuern sind enthalten in Heizöl, Ergas und Strom. Eine Abschaffung dieses Kostenanteils könnte zum Beispiel zu einer Senkung des aktuellen Heizölpreises von etwa 8 Prozent führen. Der Deutsche Mieterbund fürchtet aber, dass die Versorger und Anbieter eine derartige Steuersenkung nicht an die Verbraucher weitergeben, sondern als Einladung zu weiteren Preiserhöhungen verstehen.
- Mehrwertsteuer reduzieren
Eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent (statt 19 Prozent) führt zu erheblichen Einnahmeverlusten des Staates. Zu befürchten ist, dass dadurch nur Preiserhöhungsspielräume für Versorger und Lieferanten eröffnet werden. Eine solche Maßnahme dient auch nicht der Energieeinsparung.
- Sozialtarife
Im Gegensatz zu den vom Deutschen Mieterbund favorisierten und geforderten Grundtarifen würde von Sozialtarifen, das heißt von Billigtarifen für einkommensschwache Haushalte, kein Signal zur Energieeinsparung ausgehen. Eher das Gegenteil würde passieren. Bei Sozialtarifen wird sparsames Verhalten nicht belohnt, belohnt werden eher Mehrverbräuche. Außerdem ist die Feststellung der Berechtigung mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden.
- Mietrechtsänderungen
Vorschläge zur Änderung des Mietrechts bzw. für eine neues Mietrecht, damit Vermieterinvestitionen einfacher und vollständiger auf die Mieter umgelegt werden können, sind nicht zielführend, gehen von falschen Voraussetzungen aus und offenbaren eine juristische Unkenntnis.
Nach geltender Rechtslage entscheidet allein der Vermieter, ob und in welchem Umfang modernisiert wird. Der Mieter hat keinerlei Möglichkeiten, Forderungen zu stellen oder Einfluss auf die Vermieterentscheidung zu nehmen. Führt der Vermieter energetische Modernisierungen durch, muss der Mieter sie bezahlen. Gemäß § 559 BGB kann der Vermieter 11 Prozent der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete aufschlagen. Ob durch diese Baumaßnahme Mieter tatsächlich in nennenswertem Umfang Heizkosten sparen oder wenigstens in gleichem Umfang Kosten sparen, wie sie höhere Miete zahlen müssen, spielt keine Rolle.
Sinnvoll wären Mietrechtsänderungen allenfalls in zwei Bereichen:
Notwendig sind eindeutige gesetzliche Vorgaben zu Contracting-Vereinbarungen. Der Begriff Contracting muss definiert und es müssen Voraussetzungen beschrieben werden, unter denen Mieter mit höheren Contracting-Kosten belastet werden dürfen.
Daneben muss es Kontrollen geben, ob Vermieter die energetischen Vorgaben des Gesetzgebers erfüllen. Bei Verstößen gegen Gesetze oder Verordnungen müssen Sanktionsmöglichkeiten geschaffen werden. Ist ein hoher Energiebedarf des Hauses darauf zurückzuführen, dass der Vermieter energetische Vorgaben der Gesetze nicht umgesetzt hat, muss der Mieter das Recht haben, seinen Heizkostenanteil zu kürzen.
- Kontrolle der Netznutzungsentgelte und der Energiepreise
Sowohl Überprüfungen der Netznutzungsentgelte durch die Bundesnetzagentur als auch gerichtliche Überprüfungen der Erhöhung von Energiepreisen sind sinnvoll und notwendig. Sie decken Missbräuche auf und können in Einzelfällen für Verbraucher zu Preisreduzierungen führen. Letztlich wird hierdurch aber nicht das Grundproblem ständig steigender Energiepreise und ihrer Auswirkungen aufgegriffen.
Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Mieterbund e.V. (DMB)
Ulrich Ropertz, Sprecher, Presse
Littenstr. 10, 10179 Berlin
Telefon: (030) 223230, Telefax: (030) 22323100
(tr)