Pressemitteilung | Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) - Bundesvorstand
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Erklärung des DGB-Bundesvorstandes zur laufenden Debatte um die Arbeitsmarktreform

(Berlin) - 1. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften wollen die soziale Einheit des Landes. Mit Sorge beobachten sie daher die weiterhin gegenläufige ökonomische Entwicklung in West und Ost sowie die einseitige Belastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und insbesondere von Menschen ohne Arbeit.

2. Die Gewerkschaften haben ihre Vorstellungen einer sozial gerechten Modernisierung und Reform des Arbeitsmarktes in den vergangenen Monaten kontinuierlich in der Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt. Die großen Demonstrationen anlässlich des Europäischen Aktionstages am 03. April 2004 haben gezeigt, dass die gewerkschaftlichen Einwände gegen viele der politisch gewollten sozialen Einschnitte in weiten Teilen der Bevölkerung Unterstützung finden.

3. Der DGB-Bundesvorstand hat das Ziel der Arbeitsmarktreformen, die Arbeitsvermittlung zu verbessern, von Anfang an unterstützt. Denn richtig ist: Wir brauchen bessere und schnellere Vermittlung. Der geplante bessere Zugang für derzeitige Sozialhilfeempfänger zu Leistungen der Arbeitsverwaltung oder die Einrichtungen von Job-Centern sind positive Veränderungen der so genannten Hartz-Reformen. Und auch die Zusage, Jugendlichen Angebote für Ausbildung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu machen, wird von den Gewerkschaften im Grundsatz begrüßt.

4. Mit Hartz IV sind jedoch schwerwiegende Fehlentscheidungen verbunden, die weit über dieses Ziel hinausgehen und eine Gefahr für das ökonomische und gesellschaftliche Gleichgewicht darstellen.

Der DGB-Bundesvorstand fordert deshalb Korrekturen. Der DGB begrüßt, dass die Bundesregierung Verbesserungen beim Auszahlungstermin von ALG II und bei den Vermögensfreibeträgen für Kinder beschlossen hat. Gleichwohl wird Korrekturbedarf gesehen, vor allem bei folgenden Aspekten:

Die Freibeträge bei der Anrechnung von Vermögen müssen verbessert werden. Das gilt vor allem für die Älteren, die keine Chancen haben, eine zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen. Und das betrifft Sozialplanleistungen vor Eintritt in die Arbeitslosigkeit. Deshalb müssen die Freibeträge bei der Vermögensanrechnung zur Zukunftsvorsorge deutlich erhöht werden.

ALG II-EmpfängerInnen, die zuvor Arbeitslosenhilfe bezogen haben, benötigen einen besseren Vertrauensschutz im Hinblick auf die Höhe und die Zahlungsdauer des Zuschlages, insbesondere, wenn sie langjährig Versicherte sind. Dies gilt auch für diejenigen, die im Vertrauen auf die Fortzahlung von Arbeitslosenhilfe bis zum Rentenbeginn auf Vermittlungsbemühungen der BA verzichtet haben und deren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sich auch dadurch verringert haben.

Bei der Zumutbarkeit der Aufnahme einer neuen Beschäftigung für ALG II-BezieherInnen muss sichergestellt sein, dass die tarifliche und - sofern eine solche nicht besteht - die ortsübliche Entlohnung nicht unterschritten wird. Nur so kann Lohndumping und die Ungleichbehandlung vormals Arbeitsloser in tarif- und betriebsratsfreien Segmenten des Arbeitsmarktes verhindert werden.

ALG II-EmpfängerInnen müssen eine realistische Perspektive bekommen, auch mit öffentlich geförderter Beschäftigung wieder ins Erwerbsleben integriert zu werden. Die Regelungen müssen so ausgestaltet sein, dass Lohndumping und Verdrängungseffekte verhindert werden und möglichst sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse entstehen können.

Die Differenzierung in unterschiedliche ALG II-Sätze in Ost und West muss aufgehoben werden.

Politik muss aus eigenen Fehlern lernen. Die Gewerkschaften setzen sich deshalb mit Nachdruck dafür ein, dass praktizierte Maßnahmen der Arbeitsmarktreform innerhalb von 6 Monaten nach Inkrafttreten auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und entsprechend verändert werden.

5. Das zentrale gesellschaftliche Problem ist und bleibt die hohe Arbeitslosigkeit. Deshalb gilt: Arbeit muss her.

Hier sind Unternehmen und Politik in der Pflicht, aber auch die Kreditvergabepraxis der nationalen Banken sowie die Geldpolitik der EZB - ein jeder Akteur in seinem Verantwortungsbereich.

Hier sind insbesondere die Unternehmen gefordert: Sie bleiben in der Pflicht, neue Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen und vorhandene zu sichern. Dazu sind Innovationen und Forschungs- sowie Qualifizierungsinvestitionen dringend erforderlich.

Die Unternehmer werden aufgefordert, alle freien Stellen den Arbeitsagenturen zu melden, neuen Arbeitsplätzen vor Überstunden und Auslagerungen den Vorzug zu geben und die vorhandene Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen.

Angesichts von 4 bis 6 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen sind alle Forderungen nach einer pauschalen Arbeitsverlängerung und Lohnkürzungen kontraproduktiv und zynisch. Notwendig ist und bleibt eine gerechte Verteilung der Arbeit und eine Arbeitsmarkpolitik, die nicht nur einseitig den Arbeitslosen neue Zumutungen auferlegt und Forderungen stellt, sondern Förderungen zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben bietet.

Für viele auf dem Arbeitmarkt benachteiligte Menschen bleiben Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes notwendig. Aber dies darf nicht zu einer Konkurrenz zu Lasten bestehender Betriebe führen. Um den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern ist kontinuierliche und zielgenaue Weiterbildung unerlässlich.


6. Die bis heute anhaltenden und dezentral organisierten Montags-Demonstrationen stellen erneut unter Beweis, dass die Sorgen und Ängste der Menschen um einen Arbeitsplatz und um eine menschenwürdige Existenz ernster genommen werden müssen, als es die Politik aller Parteien bislang tut. Die Proteste artikulieren eine tiefe Verunsicherung insbesondere der ostdeutschen Bevölkerung.

Über die gewerkschaftliche Teilnahme an den dezentralen Aktionen wird, wie bisher, vor Ort entschieden.

Der DGB und seine Gewerkschaften werden in den Mittelpunkt ihrer Beteiligung Forderungen für Arbeit und soziale Gerechtigkeit stellen.

Alle Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind aufgefordert, sich dafür einsetzen, dass Aktionen wie die Montagsdemonstrationen nicht für eine nationalistische oder rechtsradikalistische Ausrichtung oder einen antidemokratischen Charakter missbraucht werden.

7. Damit die mit Umsetzung der Hartz IV-Gesetz verbundenen Lohndumping-Prozesse und neue Verletzungen der Würde des arbeitenden und arbeitssuchenden Menschen möglichst vermieden werden, mobilisieren die Gewerkschaften ihre betrieblichen und tariflichen Gestaltungskräfte. Gewerkschaftlich organisierte Betriebsräte werden im Rahmen ihrer Mitsprachemöglichkeiten bei Einstellungen darauf achten, dass vormals Arbeitslose nicht schlechter gestellt werden als die schon Beschäftigten.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Henriette-Herz-Platz 2, 10178 Berlin Telefon: 030/24060-0, Telefax: 030/24060324

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