EU-Agrarreform wird Existenzen kosten / DBV-Präsident übt massive Kritik auf dem Bauerntag 2003
(Berlin) - Zum Auftakt des Deutschen Bauerntags in Freiburg hat der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Gerd Sonnleitner, die positiven Interpretationen der beschlossenen EU-Agrarreform durch Agrarkommissar Franz Fischler und Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast vor Journalisten widersprochen. Eines müsse man Fischler und Künast lassen, im Märchen-Erzählen seien sie Meister, stellte Sonnleitner fest. Denn für die Bauern bringe die EU-Agrarreform Einkommensverluste, überbordende Bürokratie, koste Arbeitsplätze und führe zu einer Re-Nationalisierung der Agrarpolitik.
Sonnleitner: Laut Fischler und Künast gibt es künftig keine Subventionen mehr für Überschüsse, sondern nur noch für Qualitätsprodukte und umweltgerechte Erzeugung. Laut Fischler und Künast findet endlich auch in Europa Klasse statt Masse statt, die EU vergrößert nicht mehr den Hunger in der Welt und drosselt ihre Exporte. Laut Fischler und Künast können die Verbraucher endlich günstig einkaufen, und wir Bauern gehen prächtigen Zeiten mit gesicherten Einkommen entgegen. Eines muss man Fischler und Künast lassen: Im Märchen-Erzählen sind sie Meister.
Fakt ist, noch gibt es in Europa, in Deutschland, auch hier in Baden, eine von Bauern getragene und nachhaltig wirtschaftende Landwirtschaft. Wir haben eine Landwirtschaft, die eine ungeheure Vielfalt an Qualitätsprodukten zu äußerst günstigen Preisen in einer intakten Landschaft erzeugt. Fakt ist, die EU hat als einzige Region in der Welt seit Jahr und Tag ihre Agrarproduktion durch Flächenstilllegungen, Milchquoten oder Flächenbegrenzung beim Wein gedrosselt und gedeckelt. Diese Europäische Union importiert aus Entwicklungsländern mehr Agrarprodukte als Nordamerika, Japan, Australien und Neuseeland zusammen.
Da mögen manche Nicht-Regierungsorganisationen immer neue Geschichten verbreiten, wie sie wollen: Nicht der europäische Bauer macht dem afrikanischen Bauern das Leben schwer, sondern raffgierige Machthaber in den dortigen Ländern. Aber es sind auch die aggressiven, allein exportorientierten Großbetriebsformen in Nord- und Südamerika, Australien und Südostasien. Fehlanzeige ist dort auch der pflegliche Umgang mit Böden, Grundwasser oder den Urwäldern im Gegensatz zu unserer nachhaltigen Landwirtschaft.
Man muss schon sarkastisch werden, um die Kommentierung der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik ertragen zu können. Denn in Wirklichkeit sind seit 1992 systematisch Getreide- und Butterberge, Milchseen und Rindfleischüberschüsse verschwunden. In Wirklichkeit haben unsere Verbraucher die niedrigsten Nahrungsmittelpreise seit Jahrzehnten bei gleichzeitig höchsten Qualitäts- und Sicherheitsstandards.
Unsere Bauern führen auf 40 Prozent der Fläche Agrarumweltprogramme durch und ertragen immer neue nationale Sonderregelungen im Tier-, Natur- und Umweltschutz. Nein, diese neuerliche Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik ist kein Beitrag zu einer wie auch immer gearteten Agrarwende - sondern schlicht und einfach eine gut verpackte, aber nichtsdestoweniger knallharte Ausrichtung der europäischen Agrarpolitik auf den Weltmarkt.
Was wir jetzt tun können, ist mit Bund und Ländern Schadensbegrenzung zu betreiben. Der Flickenteppich von zum Teil widersprüchlichen Einzelentscheidungen zur Entkopplung, zur Regionalisierung und auch zum zeitlichen Ablauf dieser EU-Agrarreform muss so umgesetzt werden, dass
- der Verlustausgleich tatsächlich bei unseren hart betroffenen Bauern ankommt und nicht im ländlichen Raum versickert,
- unbürokratische Wege in der Umsetzung gefunden werden:
Vor allem das Mischsystem von teilentkoppelten und gekoppelten Zahlungen darf sich nicht zum bürokratischen Supergau entwickeln.
Was wir in einer solchen Situation überhaupt nicht brauchen können, sind zusätzliche Nackenschläge durch die nationale Politik. Wir Bauern stehen für eine solide Haushalts- und Finanzpolitik. Das kennen wir von unseren Höfen. Deshalb ist es richtig, im Bundeshaushalt aber auch in vielen Länderhaushalten die Reißleine zu ziehen. Alles gehört auf den Prüfstand, und alle müssen ihren Teil zur Konsolidierung beitragen auch wir Bauern.
Was aber am letzten Wochenende durchgesickert ist, läuft bei uns Bauern auf massive Sonderopfer hinaus. Wir lehnen es entschieden ab, Steuererhöhungen beim Agrardiesel und erhöhte Sozialversicherungsbeiträge in der Krankenversicherung hinzunehmen, während in allen übrigen Wirtschaftsbereichen genau andersherum verfahren wird. 75 Prozent des Agrarhaushaltes von Frau Künast (Einzelplan 10) bestehen aus Mitteln für die agrarsoziale Sicherung. Sie decken den Generationenvertrag in der Landwirtschaft ab. Um die junge Generation innerhalb der Landwirtschaft gleichzustellen und nicht mit den strukturwandelbedingten Lasten zu erdrücken, gibt es diesen Haushaltsansatz.
Wer den jetzt anpackt, zerstört die eigenständige soziale Sicherung. Unsere jungen Menschen müssten mit den Füßen abstimmen. Und was den Steuersatz bei Agrardiesel angeht, liegen wir im europäischen Vergleich ohnehin einsam an der Spitze. Wenige Kilometer von hier, in Frankreich, beträgt der Dieselsteuersatz rund 5,5 Cent, bei uns dagegen 26 Cent. Mir will es nicht in den Kopf, dass unsere Ferienflieger wie selbstverständlich, unversteuertes Kerosin nutzen können, während wir Bauern mit unserem Traktor auf dem Acker voll zur Kasse gebeten werden sollen.
Quelle und Kontaktadresse:
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