Europäischen Wertekonsens verteidigen! / 75 Jahre EMRK: Eine Erfolgsgeschichte
(Berlin) - Im Mai 2025 unterzeichneten neun europäische Staats- und Regierungschefs von Mitgliedstaaten des Europarats einen offenen Brief; sie kritisierten dabei die nach ihrer Auffassung zu weit gehende Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), insbesondere mit Blick auf die Rechtsprechung zur Ausweisung ausländischer Straftäter. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hatte diesen sachlich und in der Zielrichtung fehlgehenden Angriff gegen die alle Staaten des Europarats bindende Rechtsprechung des EGMR mit einem Pressestatement umgehend scharf kritisiert – und unterstützt nachdrücklich die nun verabschiedete vertiefte kritische Positionierung des Rats der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) zu dem offenen Brief.
Der CCBE, dem auch der DAV als Mitglied angehört, hat die Behauptungen der neun Mitgliedstaaten in einer Stellungnahme (Links siehe unten) ausgiebig unter die Lupe genommen und kommentiert. Neben vielen, einer sachlichen Grundlage entbehrenden bloßen Behauptungen und populistischen Lösungsansätzen enthalte der Brief wenig Substanz und belegbare Zahlen. Der DAV teilt die Einschätzung des CCBE, dass die Behauptungen in dem offenen Brief der neun Staaten nicht nur unsachlich, sondern auch für den Rechtsstaat und das Vertrauen in die Justiz gefährlich sind.
„Wir sollten uns davor hüten, die Basis unserer Gesellschaft, nämlich den menschenrechtlichen Wertekonsens in Europa in Frage zu stellen. Alle Vertragsstaaten der EMRK haben die Verbindlichkeit der Entscheidungen des EGMR anerkannt. Dabei versteht der EGMR – wie das auch andere Gerichte in ihrer Interpretation von Grundrechten tun – die EMRK als ein ‚living instrument‘, dessen Auslegung sich dynamisch unter Berücksichtigung sich ändernder Lebensumstände entwickeln muss, denken wir etwa an Veränderungen durch Technik oder sich wandelnde soziale oder familiäre Strukturen. Dabei müssen wir uns stets auf die Wahrung der unverzichtbaren Grundwerte der EMRK verlassen können, wie den Schutz des Lebens in Art. 2 EMRK und das absolute Verbot von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Bestrafung in Art. 3 EMRK, die nicht nur, aber auch bei Abschiebungen zu beachten sind“, mahnt DAV-Präsident Stefan von Raumer. Ein System von Checks and Balances, das politischen Entscheidungen Schranken setzt und die Achtung elementarer Grundrechte einfordert, sei unabdingbares Wesensmerkmal einer rechtsstaatlichen Demokratie.
Ungerechtfertigte Kritik am Justizsystem des Europarats und insbesondere an der Auslegung der EMRK durch den EGMR schwächt die Position des Gerichtshofs beim Schutz der Menschenrechte und beeinträchtigt das Vertrauen der Menschen in die Justiz – „solche unsachliche Kritik stärkt am Ende nur die zersetzenden Kräfte in Europa“, warnt von Raumer.
CCBE-Analyse: Keine Überdehnung durch die EGMR-Rechtsprechung
Die nun veröffentlichte Analyse des CCBE zeigt nüchtern auf:
• Der EGMR erkennt seit jeher das staatliche Recht an, Einreise, Aufenthalt und Ausweisung selbst zu kontrollieren; Grenzen bestehen allein bei nicht mehr zu rechtfertigenden schweren Verletzungen absoluter Rechte wie dem Folterverbot (Art. 3) und dem Recht auf Leben (Art. 2).
• Migration spielt in weniger als zwei Prozent der EGMR-Verfahren eine Rolle; nur ein kleiner Bruchteil von Migrationsfällen führt zu einer Verurteilung eines Staates durch den EGMR – ein deutliches Zeichen überwiegend rechtsstaatlich funktionierender Verfahren zum Migrationsrecht aber auch des weiten Gestaltungsspielraums, den der EGMR den Staaten im Bereich Migration lässt.
• Weder beim „Tracking“ nicht abschiebbarer Straftäter noch bei Maßnahmen gegen die Instrumentalisierung von Migration entstehen aus der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR unzulässige Beschränkungen, wie von den neun Staaten aber ohne näheren Beleg behauptet.
• Die neun Staaten sind zudem an die EU-Grundrechtecharta gebunden – ein „Zurückdrehen“ der EMRK unter das Schutzniveau der Charta wäre daher zugleich ein Angriff auf unionsrechtliche Mindeststandards und die gemeinsamen Werte Europas, die letztlich die Grundlage unseres freiheitlich demokratischen Lebens bilden.
DAV-Präsident von Raumer unterstreicht: „Art. 2 und 3 EMRK sind absolute Rechte. Wer fordert, ihre Reichweite politisch zu beschneiden, fordert im Ergebnis eine Abkehr vom Völkerrecht. Das darf Europa nicht zulassen.“
Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV), Littenstr. 11, 10179 Berlin, Telefon: 030 7261520
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